TE Vwgh Erkenntnis 1990/6/28 90/06/0018

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Veröffentlicht am 28.06.1990
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/10 Grundrechte;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs1;
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §56 Abs3 idF 1989/014 ;
BauO Stmk 1968 §56 Abs6 idF 1989/014 ;
BauO Stmk 1968 §56 idF 1989/014 ;
BauO Stmk 1968 §56 idF 1989/014;
BauO Stmk 1968 §57 Abs1 lita idF 1987/067;
BauO Stmk 1968 §70;
BauO Stmk 1968 §70a Abs1 idF 1989/014 ;
BauO Stmk 1968 §70a idF 1989/014 ;
BauONov Stmk 1988 Art2 Abs5;
BauRallg;
B-VG Art131a idF 1975/302 ;
B-VG Art131a idF 1975/302;
B-VG Art131a;
MRK Art10;
StGG Art13;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

1) AN Kommanditgesellschaft und 2) A gegen den Bürgermeister der Marktgemeinde X wegen rechtswidriger Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß § 56 Abs. 6 der Steiermärkischen Bauordnung

Spruch

1) Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers wird zurückgewiesen.

2) Die zwischen 16. Dezember 1989 und 18. Dezember 1989 auf Veranlassung und im Namen des Bürgermeisters der Marktgemeinde

X durchgeführte ENTFERNUNG VON FÜNF PLAKATTAFELN der beschwerdeführenden AN KG, und zwar am Wirtschaftsgebäude der BC, Grundstück Nr. 3613, KG X, am Wirtschaftsgebäude der Ehegatten D in Y, Grundstück Nr. 2701, KG Z, je einer Plakattafel südseitig und ostseitig am Wirtschaftsgebäude der EF in Y, Grundstück Nr. 609, KG Z, sowie am kleinen Stadl des GH in M, Grundstück Nr. 1171, KG X, war RECHTSWIDRIG.

Die belangte Behörde hat der Erstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.918,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Zweitbeschwerdeführer hat der Marktgemeinde X Aufwendungen in der Höhe von S 2.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Inhalt der von der Erstbeschwerdeführerin (einer Kommanditgesellschaft) und dem Zweitbeschwerdeführer (deren Komplementär) gemäß Art. 131a B-VG erhobenen Maßnahmenbeschwerde sei der Erstbeschwerdeführerin am 18. Dezember 1989 mitgeteilt worden, daß die belangte Behörde die im Spruch genannten, im Eigentum der Erstbeschwerdeführerin stehenden Plakattafeln die Anwendung durch unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt entfernt habe. Hievon sei die Erstbeschwerdeführerin (offiziell) durch das Schreiben der belangten Behörde vom 20. Dezember 1989 verständigt worden. Bei diesen fünf Plakatanschlagtafeln habe es sich um jeweils 7 mm starke Sperrholzplatten gehandelt, welche auf Lattenrahmen geleimt gewesen seien. Die einzelnen Elemente hätten ein Ausmaß von rund 1,7 x 2,6 m gehabt. Größere Anschlagflächen seien durch Aneinanderreihung solcher Elemente erzeugt worden. Sämtliche Plakattafeln seien nicht mit dem Boden verbunden, sondern an den Wänden der jeweiligen Wirtschaftsgebäude durch Schrauben und Nägel befestigt gewesen.

Die belangte Behörde habe bei ihrer auf § 56 Abs. 6 der Steiermärkischen Bauordnung gestützten Entfernungsmaßnahme außer acht gelassen, daß die Plakatanschlagtafeln schon seit vielen Jahren bestanden hätten und von der belangten Behörde auch bewilligt gewesen seien. Dies gehe teils direkt, teils indirekt aus verschiedenen Schreiben der belangten Behörde hervor. Versuche der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde zu einer Rücknahme ihres Entfernungsaktes zu bewegen, seien erfolglos geblieben. Die seit mindestens zwanzig Jahren bestehenden Plakattafeln seien nicht als Bauwerke anzusehen, weil sie nicht mit dem Boden fest verbunden und zu ihrer Anbringung keine bautechnischen Kenntnisse erforderlich seien. Es liege auch keine Übergangsvorschrift vor, nach welcher die neue Rechtslage (gemeint: § 56 Stmk BO idF der Steiermärkischen Bauordnungsnovelle 1988, LGBl. 14) auch für frühere Sachverhalte gelten würde. Im Art. II Abs. 5 der Bauordnungsnovelle 1988 sei lediglich insoweit eine Übergangsvorschrift enthalten, als störende und verwahrloste Ankündigungseinrichtungen vom Eigentümer in einen entsprechenden Zustand zu versetzen oder zu entfernen seien. Dies sei bei den Plakattafeln der Beschwerdeführerin nicht der Fall gewesen. Überdies setze diese Bestimmung einen Auftrag der Baubehörde zur Instandsetzung voraus.

Die belangte Behörde legte die auf den verfahrensgegenständlichen Vorfall bezughabenden Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie - nach einer ausführlichen Darstellung der ihrer Meinung nach mit § 56 Stmk BO idF der Bauordnungsnovelle LGBl. Nr. 14/1989 verfolgten gesetzgeberischen Zwecke - die Darstellung der Beschwerdeführer über die Entfernung der fünf Plakattafeln nicht bestreitet. Die streitgegenständlichen Plakattafeln seien - wie sich aus einer Fotobeilage in den Verwaltungsakten ergebe - an Gebäuden "solch auffälliger Positionierung und mit so auffälliger Affichierung befestigt, daß dadurch das Ortsbild (zumindest) beeinträchtigt" würde. Die belangte Behörde führt weiters aus, daß neben diesen öffentlichen Interessen auch solche der Sicherheit berührt werden könnten, insbesondere in der Frage der Art und Stärke der Befestigungen. Die Tafeln seien über die jeweiligen Gebäudeteile mit der Erde fest verbunden; ihre Anbringung erfordere zumindest im vorgenannten Sicherheitsbereich das im Gesetz geforderte Mindestmaß an technischen Kenntnissen. Es sei davon auszugehen, daß die Tafeln schon nach § 57 Abs. 1 lit. a BO in der alten und in der neuen Fassung (und ohne die Sondervorschrift des § 56 Abs. 1 BO in der geltenden Fassung - gemeint der Bauordnungsnovelle 1988) einer Bewilligung der Baubehörde bedurft hätten. Eine solche Bewilligung liege nicht vor; aus dem Schreiben der belangten Marktgemeinde vom 16. Dezember 1963 sei eine solche Bewilligung nicht abzuleiten, weil diese schriftlich in Bescheidform von der zuständigen Behörde zu ergehen habe. Im Gegenstande sei ohne weiteres erkennbar, daß im Vorgang des Ansuchens der Erstbeschwerdeführerin vom 25. November 1963 und der Antwort der Gemeinde vom 16. Dezember 1963 lediglich ein auf die Festlegung einer Ankündigungsgebühr abgestellter Vorgang zu erblicken sei. Dies werde insbesondere durch das Schreiben vom 8. Februar 1982 erhellt, in welchem die Marktgemeinde das im Jahre 1963 geschlossene Übereinkommen aufgekündigt habe. Damit verbunden "war das Verbot der Durchführung weiterer Ankündigungen". Spätestens aus dieser Aufkündigung habe für die Beschwerdeführer erkennbar sein müssen, daß eine Bewilligung nach der Bauordnung nicht vorliege (da die Aufkündigung eines baubehördlichen Bewilligungsbescheides schon begrifflich ausgeschlossen sei). Die Beschwerdeführer hätten darauf jedoch in keiner Weise reagiert, auch nicht nach dem 1. März 1989 (dem Inkrafttreten der Bauordnungsnovelle 1988). Unabhängig von der Frage, ob die Tafeln nach § 57 Abs. 1 lit. a Stmk BO bewilligungspflichtig gewesen seien oder nicht, sei davon auszugehen, daß ab 1. März 1989 § 56 Abs. 1 (gemeint: Stmk BO in der Fassung) der Novelle in Kraft getreten sei, durch welche Bestimmungen ein gesondertes Verfahren für Werbe- und Ankündigungseinrichtungen aller Art eingeführt worden sei, dies losgelöst von den sonstigen Bestimmungen der Bauordnung, wie etwa jener über die Bewilligungspflicht oder des Baugebrechensverfahrens nach den §§ 70 ff, sowie ferner unabhängig davon, ob eine Bauwerkseigenschaft vorliege oder nicht.

Entgegen dieser neuen Rechtslage hätten es die Beschwerdeführer unterlassen, Anzeigen nach § 56 Abs. 3 Stmk BO einzubringen. Mit der Inangriffnahme der Entfernungsmaßnahmen im Sinne des Regelungsinhaltes des § 56 Abs. 6 Stmk BO ab dem 16. Dezember 1989 seien diese Tafeln somit als konsenslos im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren gewesen. Die belangte Behörde sei daher mit der Entfernung als Sofortmaßnahme gesetzeskonform und verfassungsrechtlich unbedenklich vorgegangen. § 56 Abs. 6 Stmk BO (gemeint: idF der Bauordnungsnovelle 1988) sei auf jede Ankündigungsanlage anzuwenden, unabhängig von der Frage nach dem Zeitpunkt ihrer Errichtung. Auch aus Art. II Abs. 5 der Bauordnungsnovelle 1988 sei Gegenteiliges nicht zu entnehmen: Mit dieser "Ausnahme von der Ausnahme des Abs. 4" habe der Gesetzgeber lediglich sicherstellen wollen, daß wegen des damit verbundenen besonderen öffentlichen Interesses störende und verwahrloste Anlagen dennoch dem Zugriff der Behörde nach § 70 BO erhalten blieben. Systemkonform könne nur eine Gesetzesauslegung sein, wonach (unbeschadet des Inkrafttretens des übrigen Inhaltes der Novelle) Abs. 6 des § 56 erst sechs Monate später in Kraft getreten und solcherart für bestehende, aber nunmehr nach § 56 Abs. 1 als konsenslos zu bezeichnende Anlagen eine Art Übergangsregelung im Sinne einer Schonfrist bestanden habe, um den Inhabern solcher Anlagen die Durchführung des Verfahrens nach § 56 Abs. 3 Stmk BO zu ermöglichen; von einer solchen Erleichterung sollten gemäß Abs. 5 des Art. II störende und verwahrloste Anlagen ausgenommen bleiben. § 56 Abs. 6 Stmk BO sei daher auf alle Ankündigungseinrichtungen unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Errichtung anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 130 iVm 131 a B-VG idF des Art. I Z. 5 des BVG vom 15. Mai 1975, BGBl. Nr. 302, erkennt der Verwaltungsgerichtshof über Beschwerden von Personen, die zufolge einer gegen sie gerichteten Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein behaupten. Die Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt setzt begriffsnotwendig ein positives Tun der die Zwangsgewalt gebrauchenden Behörde einer bestimmten Person gegenüber voraus und liegt nur vor, wenn es keines dazwischengeschalteten weiteren Handelns mehr bedarf, um den behördlich gewollten Zustand herzustellen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. November 1977, Slg. 9439/A). Der Verwaltungsgerichtshof hegt keinen Zweifel, daß es sich bei der beschwerdegegenständlichen Maßnahme des Bürgermeisters der Marktgemeinde X, welche gegen die Erstbeschwerdeführerin als Eigentümerin der Plakatanschlagtafeln gerichtet gewesen ist, um eine Maßnahme in diesem Sinne handelt, durch welche unmittelbar der behördlich angestrebte Zustand hergestellt worden ist (vgl. dazu auch die ähnlichen Sachverhalte der hg. Erkenntnisse vom 31. Oktober 1985, Zl. 85/06/0098, BauSlg. 560 und vom 19. November 1985, Zl. 85/05/0065, BauSlg. 572). Die Beschwerde ist daher zulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Werbeeinrichtungen, zu deren Herstellung ein gewisses Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist und die mit dem Boden in eine gewisse Verbindung gebracht werden, gemäß § 57 Abs. 1 lit. a Stmk BO bewilligungspflichtig, wobei im Bewilligungsverfahren zu überprüfen ist, ob solche Einrichtungen der besonderen Vorschrift des § 56 entsprechen (vgl. die hg. Erkenntnissse vom 15. November 1971, Zl. 1254/70; vom 7. September 1976, Zl. 1239/75; vom 19. September 1985, Zl. 85/06/0010, BauSlg. 509 uva).

Die im Baubewilligungsverfahren zu berücksichtigende Bestimmung des § 56 Stmk. BO ordnete in der Fassung des Stammgesetzes, LGBl. Nr. 149/1968, hinsichtlich für Dauer bestimmter Werbe- und Ankündigungseinrichtungen an, daß sich diese nach Ausmaß, Form, Farbe und Werkstoff sowie bezüglich der Stelle und der Art ihrer Anbringung dem Bauwerk, an dem sie angebracht werden, und dessen Umgebung anpassen müßten. Diese Einrichtungen durften nach Satz zwei dieser Regelung auch das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigen und keine das ortsübliche Maß übersteigende Belästigung verursachen.

Mit der Bauordnungsnovelle 1988, LBGl. Nr. 14/1989, wurde § 56 neugefaßt. Der Geltungsbereich wurde nunmehr auf alle (d.h. nicht nur für Dauer bestimmte) Werbe- und Ankündigungseinrichtungen ausgedehnt; § 56 Abs. 2 nF enthält (im Beschwerdefall nicht maßgebende) Sonderregelungen für die Wahlwerbung; § 56 Abs. 3 idF der Novelle lautet:

"(3) Wer beabsichtigt, eine Werbe- oder Ankündigungseinrichtung neu zu schaffen oder eine bestehende Einrichtung erheblich zu ändern, hat dies der Baubehörde anzuzeigen. Der Anzeige ist in zweifacher Ausfertigung eine planliche Darstellung sowie eine Beschreibung der Einrichtung anzuschließen. Die Darstellung und die Beschreibung müssen Angaben über die im Abs. 1 genannten Voraussetzungen der Zulässigkeit enthalten. Der Anzeige ist weiters ein Nachweis über die Zustimmung des Grundeigentümers anzuschließen."

Daran knüpft sich ein in § 56 Abs. 4 und 5 geregeltes, dem Untersagungsprinzip verpflichtetes Verfahren. Die Absätze 6 und 7 des § 56 idF der Bauordnungsnovelle 1988 lauten:

"(6) Werbe- und Ankündigungseinrichtungen ohne Bewilligung können von der Baubehörde sofort entfernt werden. Die Baubehörde hat den Eigentümer des entfernten Gegenstandes unverzüglich aufzufordern, diesen zu übernehmen.

(7) Die Kosten der Entfernung und Aufbewahrung eines Gegenstandes nach Abs. 5 sind von dessen Eigentümer der Baubehörde zu ersetzen. Die Nichtübernahme von entfernten Gegenständen innerhalb eines Monats nach der Aufforderung gilt als Verzicht auf das Eigentum zugunsten der Gemeinde. Für Schäden, die bei der Entfernung von Gegenständen unvermeidbar eintreten, besteht kein Anspruch auf Entschädigung."

Art. II Abs. 4 und 5 der Bauordnungsnovelle 1988 enthält dazu folgende Übergangsbestimmungen:

"(4) Die Bestimmung des § 56 Abs. 6 tritt sechs Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes in Kraft.

(5) Im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits bestehende Werbe- und Ankündigungseinrichtungen (§ 56), die das Straßen- und Ortsbild erheblich stören oder verwahrlost sind, sind vom Eigentümer in einen entsprechenden Zustand zu versetzen oder zu entfernen. Der Auftrag hiezu hat mit schriftlichem Bescheid unter Setzung einer angemessenen Frist zu erfolgen. Kann der Eigentümer nicht herangezogen werden, hat die Baubehörde die Entfernung ohne weiteres Verfahren durchzuführen."

Daraus ergibt sich für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bauordnungsnovelle 1988 bereits vorhandenen Werbeeinrichtungen folgendes Regelungssystem:

a) Betreffend die nach § 57 Stmk BO bewilligungspflichtigen, aber über keine Bewilligung verfügenden Werbeeinrichtungen sind Beseitigungsaufträge an den Eigentümer, und zwar bis zur Bauordnungsnovelle 1988 gemäß § 70 Abs. 3 Stmk BO, seit deren Inkrafttreten (1. März 1989) gemäß § 70a Abs. 1 Stmk BO zu erlassen.

b) Hinsichtlich bewilligter (oder bisher bewilligungsfreier) Werbe- und Ankündigungseinrichtungen ist im Falle eines nachträglichen Baugebrechens ein BESCHEIDMÄSZIGER Auftrag nach § 70 Abs. 3 Stmk BO zu erteilen; im übrigen sieht für solche Einrichtungen Art. II Abs. 5 zweiter Satz der Bauordnungsnovelle 1988 (allerdings ebenfalls BESCHEIDMÄSZIG zu erteilende) Instandsetzungs- und Entfernungsaufträge vor, wenn sie gegen § 56 Abs. 1 nF Stmk BO verstoßen, jedoch nur bei einer ERHEBLICHEN Störung des Straßen- oder Ortsbildes oder im Falle ihrer Verwahrlosung. Nur dann, wenn der Eigentümer nicht herangezogen werden kann, hat die Baubehörde die Entfernung ohne weiteres Verfahren durchzuführen (Art. II Abs. 5 dritter Satz der Bauordnungsnovelle 1988).

Da Art. II Abs. 5 der Novelle seinem klaren Wortlaut nach auf bestehende Werbe- und Ankündigungseinrichtungen ohne Einschränkung anzuwenden ist, teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht die Auffassung der belangten Behörde, diese Übergangsbestimmung sei ihrerseits mit Inkrafttreten des § 56 Abs. 6 Stmk BO (1. September 1989) gleichsam außer Kraft getreten und damit ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit eröffnet worden, auch am 1. März 1989 schon bestehende Werbeeinrichtungen ohne Vorankündigung gemäß § 56 Abs. 6 Stmk BO zu entfernen. Vielmehr ist die zuletzt zitierte Bestimmung des § 56 Abs. 6 Stmk BO im Zusammenhang mit dessen Abs. 3 zu lesen, aus dem sich ergibt, daß der Gesetzgeber nur NEUGESCHAFFENE Werbeeinrichtungen der Neuregelung unterwerfen wollte (vorbehaltlich Art. II Abs. 5 der Bauordnungsnovelle 1988Ü) und BESTEHENDE (nicht im Sinne des Art. II Abs. 5 instandzusetzende) Einrichtungen nur im Falle einer "erheblichen Änderung" den neuen Rechtsvorschriften unterstellen wollte. § 56 Abs. 6 Stmk BO bezieht sich daher auf das Fehlen von nach Abs. 3 und 4 im zeitlichen Geltungsbereich der Bauordnungsnovelle 1988 erteilter (oder als erteilt geltender) Bewilligungen.

Diese Interpretation legt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur der systematische Zusammenhang des § 56 mit Art. II Abs. 5 der Bauordnungsnovelle 1988 nahe, sondern auch der Grundsatz verfassungskonformer Gesetzesinterpretation: Es könnte nämlich ein sachlicher Grund dafür schwerlich gefunden werden, aus dem der Behörde bei (uU bereits seit Jahrzehnten) bestehenden Werbeeinrichtungen das einer notstandspolizeilichen Maßnahme gleichkommende, ohne Anhörung der Partei auszuübende Recht zur sofortigen Entfernung einer solchen Einrichtung eingeräumt werden sollte, obgleich solche Einrichtungen, soweit sie schon bisher der Baubewilligungspflicht unterlegen sind, bei Fehlen einer solchen Bewilligung ohnehin gemäß § 70 Abs. 3 BO hätten entfernt werden können und, soweit sie nach der bis 1. März 1989 geltenden Rechtslage der Baubewilligungspflicht nicht unterlegen sind, nicht einmal einem (nachträglichen) Bewilligungsverfahren nach den neuen Bestimmungen unterworfen werden, sondern ein Tätigwerden der Baubehörden nur entweder bei erheblicher Änderung nach § 56 Abs. 3 bis 5 Stmk BO oder im Instandsetzungsfall nach Art. II Abs. 5 der Bauordnungsnovelle 1988 vorgesehen ist. Das Verbreiten von Meinung im Wege werblicher, insbesondere Plakatankündigung ist grundrechtlich gemäß Art. 13 StGG, vor allem aber durch Art. 10 MRK (gemäß Art. II des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, seit 3. September 1959 in Verfassungsrang) geschützt (vgl. Verfassungsgerichtshof vom 27. Juni 1986, B 658/85) und darf nur gesetzlich vorgesehenen, genau bestimmten Beschränkungen (vgl. dazu die bei KLECATSKY - MORSCHER, Das österreichische Bundesverfassungsrecht3, abgedruckte E 7 zu Art. 10 MRK) unterworfen werden. Ein Normverständnis, wie es der belangten Behörde vorzuschweben scheint, könnte auch unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsnähe des behördlichen Eingriffs und den daraus abzuleitenden Anforderungen an Tauglichkeit und Adäquanz der Mittel, sowie an deren Erforderlichkeit hinsichtlich der nach Art. 10 MRK zulässigen Ziele verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (vgl. dazu WALTER - MAYER, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6, RdZ 1335 ff).

Dagegen vermögen auch die in der Gegenschrift der belangten Behörde vorgetragenen Gründe nicht zu überzeugen: Gerade die mißbräuchliche Ausnützung des nach Meinung der belangten Behörde schwerfälligen Verfahrens nach § 70 Stmk BO kann nämlich nur für neu aufgestellte Ankündigungseinrichtungen (oder die Versetzung bestehender Einrichtungen an einen anderen Ort, die wohl DORT als Neuerrichtung i.S. des § 56 BO anzusehen wäre) zutreffen, nicht aber für solche Einrichtungen, die sich schon längere Zeit (im Beschwerdefall unbestrittenermaßen seit Jahrzehnten) an der selben Stelle befinden. Auch wäre nach der Lesart der belangten Behörde Art. II Abs. 5 der Bauordnungsnovelle 1988 faktisch ohne Anwendungsbereich, wenn seit 1. September 1989 bestehende Ankündigungseinrichtungen, die den neuen Vorschriften nicht entsprechen, ohnehin nach § 56 Abs. 6 Stmk BO entfernt werden dürften. Die belangte Behörde vermag auch die von ihr behauptete Verpflichtung der Erstbeschwerdeführerin, eine Anzeige nach § 56 Abs. 3 Stmk BO einzubringen, nicht zu begründen, ist doch die Anzeigepflicht ausdrücklich nur für neugeschaffene Einrichtungen oder für den Fall einer erheblichen Änderung bestehender Einrichtungen vorgesehen. Daß diese Voraussetzungen bei der Beschwerdeführerin vorgelegen sind, wird weder von der belangten Behörde behauptet, noch ist dies aus den Verwaltungsakten ersichtlich.

Die belangte Behörde durfte daher die verfahrensgegenständlichen, der Erstbeschwerdeführerin gehörenden Plakattafeln nicht ohne Verfahren nach § 56 Abs. 6 Stmk BO, sondern - diesfalls allerdings erst nach vorheriger Erlassung eines Bescheides - entweder gemäß § 70a Abs. 1 Stmk BO oder gemäß Art. II Abs. 5 der Bauordnungsnovelle 1988 entfernen. Die im Spruch genannten Rechtshandlungen der belangten Behörde waren daher gemäß § 42 Abs. 4 VwGG für rechtswidrig zu erklären, ohne daß es einer Erörterung der Frage der baurechtlichen Bewilligungspflicht der Plakattafeln der Erstbeschwerdeführerin bedurft hätte.

Die Beschwerdelegitimation des Zweitbeschwerdeführers wird ausdrücklich nur auf den Umstand gestützt, daß er persönlich haftender Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin (einer Kommanditgesellschaft) sei. Die gegen den Eigentümer der Plakattafeln (die KG) gerichteten Maßnahmen der belangten Behörde konnten jedoch nicht in die Rechtsstellung des persönlich haftenden Gesellschafters der KG eingreifen, zumal in der Beschwerde nicht behauptet wird, daß die gegenständlichen Plakattafeln etwa im Miteigentum von Gesellschaft und Gesellschafter gestanden wären. Die Legitimation des Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft zur Beschwerdeführung gegen eine gegen die Gesellschaft gerichtete Maßnahme ist aber nur dann gegeben, wenn durch diese Maßnahme die Rechtsstellung des Gesellschafters unmittelbar beeinflußt werden könnte (vgl. dazu etwa die bei DOLP, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 446, zweit- und drittletzter Absatz zitierte Judikatur). Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers war daher mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989, hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers auch auf § 51 VwGG, in der Höhe jedoch begrenzt durch das Begehren der belangten Behörde.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990060018.X00

Im RIS seit

26.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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