TE Vwgh Erkenntnis 1990/7/2 90/19/0236

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Veröffentlicht am 02.07.1990
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;

Betreff

N gegen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 19. Februar 1990, Zl. Fr 148/89, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 19. Februar 1990 wurde gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 und 2 Z. 1, § 4, § 6, Abs. 1 und § 12 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) ein mit 9. Jänner 1999 befristetes und sich auf das ganze Bundesgebiet erstreckendes Aufenthaltsverbot erlassen - dies verbunden mit der Anordnung, Österreich innerhalb einer Woche ab Rechtskraft des Bescheides zu verlassen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 7. März 1988 wegen § 142 Abs. 1 und §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, wobei ein Teil dieser Strafe, nämlich zehn Monate, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei, verurteilt worden. (Dieses Urteil ist nach der Aktenlage in Rechtskraft erwachsen; die gegen das vorgenannte Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen wurden mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 28. Juni 1988 verworfen bzw. ihnen nicht Folge gegeben). Durch diese Verurteilung sei die Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erfüllt. Zu den Berufungsausführungen sei festzuhalten, daß Verstöße gegen § 142 StGB zu den schwersten Verbrechen gegen die österreichische Rechtsordnung zählten (insbesondere dann, wenn das Opfer bei der Tatausführung sogar das Bewußtsein verliere), und der versuchte Diebstahl einer Handtasche zum Nachteil einer 1911 geborenen Frau wegen deren Alters und einer damit verbundenen Unbeholfenheit des Opfers als besonders verwerflich angesehen werden müsse. Aus diesem Blickwinkel sei daher die Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers unbedingt notwendig. Im Lichte des § 3 Abs. 3 FrPolG sei genau geprüft worden, ob die Erlassung eines Aufenhaltsverbotes im vorliegenden Fall überhaupt zulässig sei. Als Ergebnis dieser Prüfung sei festzuhalten, daß der Beschwerdeführer seit 1980 in Österreich sei, daß er einen Teil seiner Schulpflicht offenbar in Österreich erfüllt habe, daß er hier den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe, daß sich seine Familie in Österreich aufhalte, und daß der Beschwerdeführer (ebenso wie vor der Inhaftierung) als Hilfsarbeiter tätig sei. Demnach müsse die belangte Behörde das öffentliche Interesse an der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers zur Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen höher werten als das Interesse des Beschwerdeführers am Weiterverbleib im Bundesgebiet, da die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten nicht nur aufgrund der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe, sondern auch aufgrund des Unrechtsgehaltes als besonders gefährlich eingestuft werden müßten. Darüberhinaus könne der Beschwerdeführer ein entsprechendes persönliches und berufliches Fortkommen auch außerhalb Österreichs finden, da die Verrichtung von Hilfstätigkeiten auch in anderen Staaten (sogar in der Heimat des Beschwerdeführers) durchaus denkbar erscheine und nicht unbedingt auf österreichisches Gebiet beschränkt sei. Aufgrund des Alters des Beschwerdeführers (er werde im Juni 1990 21 Jahre alt) sei eine persönliche Fortentwicklung für ihn sicher auch außerhalb Österreichs möglich. Er sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentlicher Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Gemäß § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist ....

Abs. 3 der zitierten Gesetzesstelle bestimmt folgendes:

"Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenhaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1) die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2)

die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen;

3)

die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen."

Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2.1. Die Beschwerde weist unter dem Gesichtspunkt inhaltlicher Rechtswidrigkeit vor allem darauf hin, daß nach dem Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 7. März 1988 dem Beschwerdeführer mehrere, in ihrer Gewichtung besonders bedeutsame Milderungsgründe zugutegehalten worden seien, nämlich das reumütige Geständnis, die Anstiftung durch einen Dritten, die volle Schadensgutmachung und die bisherige Unbescholtenheit. Diese Milderungsgründe hätten letztlich zu einem überwiegend bedingten Strafausspruch geführt, weshalb die ungünstige Verhaltensprognose durch die belangte Behörde unrichtig sei. Außerdem sei hervorzuheben, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Tat erst kürzlich das 18. Lebensjahr vollendet habe. Auch dürfe nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer hinsichtlich des Faktums nach § 142 StGB nicht der unmittelbar Tatausführende gewesen sei. Dazu komme, daß der Unrechtsgehalt des Faktums nach §§ 15, 127 StGB die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtfertige, da es beim Versuch geblieben sei, obwohl dem Beschwerdeführer die Tatausführung noch möglich gewesen wäre. Völlig verfehlt sei in diesem Zusammenhang die Auffassung der belangten Behörde, das Fehlverhalten des Beschwerdeführers sei als "besonders gefährlich" einzustufen, wäre es doch diesfalls nicht zu einer Freiheitsstrafe von lediglich 15 Monaten und noch dazu zu einem überwiegend bedingten Strafausspruch gekommen. Aus diesem Grund sei es auch verfehlt anzunehmen, daß wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB die Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers unbedingt notwendig sei. Vielmehr sei bei der Beurteilung, ob ein Aufenthaltsverbot zu erlassen sei oder nicht, immer auf den Einzelfall, sohin auf den individuellen Unrechtsgehalt der Tat, abzustellen, sodaß nicht generell ein Verstoß gegen § 142 StGB als Begründung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes herangezogen werden könne.

2.2. Die belangte Behörde hat die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens des Raubes (§ 142 Abs. 1 StGB) und des Vergehens des versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wobei zehn Monate für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sind, im Wege des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" gewertet. Dagegen bestehen - unter Zugrundelegung des eindeutigen Gesetzeswortlautes - keine rechtlichen Bedenken. Damit ist davon auszugehen, daß die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenhalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (§ 3 Abs. 1 FrPolG).

3.1. Sohin bleibt noch zu prüfen, ob die belangte Behörde eine den Anforderungen des § 3 Abs. 3 FrPolG gerecht werdende Interessenabwägung vorgenommen hat. Die Beschwerde vertritt dazu die Meinung, die belangte Behörde hätte im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer seit 1980 in Österreich ansässig sei, und sich seine Familie in Österreich aufhalte, bei richtiger sachlicher und rechtlicher Beurteilung zur Überzeugung gelangen müssen, daß dem Beschwerdeführer ein entsprechendes persönliches und berufliches Fortkommen außerhalb Österreichs nicht oder nur unter einer besonderen Erschwernis möglich wäre. Bedenke man, daß der Beschwerdeführer im Kindesalter in Österreich ansässig geworden sei, so sei die von der Behörde getroffene Annahme der Möglichkeit zur Fortentwicklung im Ausland verfehlt. Von der belangten Behörde sei nicht nur die gesamte Lebenssituation des Beschwerdeführers mangelhaft geprüft worden, sondern auch verkannt worden, daß vom Gesetz bei der Interessenabwägung ein unverhältnismäßig schwerer Nachteil bei der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegeben sein müsse; die belangte Behörde habe das öffentliche Interesse an der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers lediglich höher gewertet als dessen Interesse am Weiterverbleib im Bundesgebiet. Außerdem würde gerade im vorliegenden Fall eine Trennung von der langjährig in Österreich befindlichen Familie den "Zielsetzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten widerstreiten."

3.2. Auch mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides nicht auf. Die belangte Behörde hat bei ihrer Entscheidung auf alle von der Beschwerde (und im wesentlichen auch schon im Verwaltungsverfahren) geltend gemachten, dem privaten Bereich des Beschwerdeführers zugehörigen und für eine Abstandnahme von der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer sprechenden Umstände Bedacht genommen und hat diesen erkennbar ein nicht geringes Gewicht beigemessen. Wenn sie dennoch zu dem Ergebnis gelangt ist, daß diese Interessen nicht durchschlagen, so besteht dagegen kein begründeter Einwand: Zwar ist der Beschwerde einzuräumen, daß die von der belangten Behörde vorgenommene Wertung der öffentlichen Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes als "höher" als nicht ausreichend anzusehen wäre. Allerdings ist der in dieser verfehlten Begründung gelegene Mangel nicht wesentlich. Denn mit Rücksicht auf die Schwere des Deliktes gemäß § 142 Abs. 1 StGB sowie des keineswegs außer acht zu lassenden Hinzutretens des versuchten Diebstahls und der darin zum Ausdruck kommenden grundsätzlichen groben Mißachtung fremden Eigentums und groben Geringschätzung der körperlichen Integrität anderer Menschen läßt es beim Verwaltungsgerichtshof keinen Zweifel an der Zulässigkeit einer Wertung dahingehend aufkommen, daß im Ergebnis die für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer sprechenden öffentlichen Interessen unverhältnismäßig schwerer wiegen als die gegenläufigen Interessen des Beschwerdeführers. Daß für den Beschwerdeführer - wie in der Beschwerde ausgeführt - mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Erschwernisse verbunden sind, ist nicht zu übersehen; diese sind aber von ihm als zwangsläufige Folge des - nicht als rechtswidrig zu erkennenden

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Ergebnisses der Interessenabwägung in Kauf zu nehmen. Was schließlich den Hinweis auf die "Zielsetzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" anlangt, so scheint dem Beschwerdeführer der Gesetzesvorbehalt, unter dem die Gewährleistungen des Art. 8 MKR stehen, entgangen zu sein. Dieser Gesetzesvorbehalt ist für den hier relevanten Bereich im § 3 Abs. 1 und 3 FrPolG

-

von diesen Bestimmungen hat die belangte Behörde in, wie dargetan, unbedenklicher Weise Gebrauch gemacht - ausgeführt.

4. Da sich nach dem Vorgesagten die Beschwerde als zur Gänze unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm. der VO BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190236.X00

Im RIS seit

02.07.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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