TE Vwgh Erkenntnis 1990/7/3 85/08/0202

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.07.1990
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §11 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

N gegen Bundesminister für soziale Verwaltung vom 28. August 1985, Zl. 121.198/2-6/1985, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1) Wiener Gebietskrankenkasse, 2) Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 3) Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 16. April 1981 stellte die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG fest, daß die ab 13. August 1979 für die Beschwerdeführerin geführte Pflichtversicherung auf Grund ihrer Beschäftigung bei ihrem namentlich genannten Dienstgeber gemäß § 11 Abs. 1 ASVG am 5. Mai 1980 geendet habe. Der Antrag der Beschwerdeführerin vom 19. März 1981, mit dem diese die Verlängerung der Pflichtversicherung bis 19. August 1980 begehrt habe, werde abgelehnt. In der Begründung wurde - zurückgreifend auf den Akt über das von der Beschwerdeführerin angestrengte Verfahren auf Feststellung des Fortbestehens ihres Dienstverhältnisses beim Arbeitsgericht Wien, GZ n1 - dargelegt, aufgrund eines Vorfalles am 5. Mai 1980 (Auseinandersetzungen zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Dienstgeber und darauffolgende Weigerung der Beschwerdeführerin, sich zu entschuldigen) sei es mit diesem Tag zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gekommen; da nach diesem Zeitpunkt auch kein Entgeltanspruch gegenüber dem Dienstgeber bestanden hätte, habe die Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs. 1 ASVG geendet.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch an den Landeshauptmann von Wien, der aber über diesen Einspruch nicht innerhalb der Frist des § 73 Abs. 1 AVG 1950 entschied, weswegen die Beschwerdeführerin einen Antrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 stellte.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. August 1985 gab der Bundesminister für soziale Verwaltung dem Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 statt, dem Einspruch der Beschwerdeführerin betreffend ihre Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG gemäß § 66 Abs. 4 AVG jedoch keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid aus seinen zutreffenden Gründen. In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei vom Dienstgeber mit 5. Mai 1980 von der Sozialversicherung abgemeldet worden, wobei in der am 7. Mai 1980 erstatteten Abmeldung als Abmeldungsgrund "Entlassung" und in der am 12. Mai 1980 erstatteten Abmeldung "vorzeitiger Austritt" angegeben sei. Die Beschwerdeführerin habe beim Arbeitsgericht Wien eine Klage auf Feststellung, daß das Dienstverhältnis über den 5. Mai 1980 fortbestanden habe, eingebracht. Am 20. November 1980 sei vor dem Arbeitsgericht Wien ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden, in welchem sich die Beschwerdeführerin bei ihrem Dienstgeber für alle im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 5. Mai 1980 gemachten Äußerungen entschuldigt und diese mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns zurückgezogen habe. Gleichzeitig habe sich der Dienstgeber in diesem Vergleich verpflichtet, der Beschwerdeführerin S 6.000,-- Kosten inklusive Umsatzsteuer zu bezahlen. In diesem Vergleich sei mit keinem Wort auf die Fortsetzung des Dienstverhältnisses eingegangen bzw. die seinerzeit ausgesprochene Entlassung nicht widerrufen worden. Dies wurde auch dem Einspruchsvorbringen, daß vom Dienstgeber nicht nur die Kosten des Verfahrens getragen, sondern noch zusätzlich mehr als S 13.000,-- bezahlt worden seien, entgegengehalten. Nach dem vorliegenden Ermittlungsverfahren stehe somit fest, daß die Beschwerdeführerin nach dem 5. Mai 1980 weder gearbeitet noch einen Entgeltanspruch gehabt habe. Die Pflichtversicherung habe daher gemäß § 11 Abs. 1 ASVG mit diesem Tag geendet. Ein unabhängig von diesem Verfahren geschlossener außergerichtlicher Vergleich habe die Verpflichtung des Dienstgebers ergeben, eine freiwillige Abfertigung im Ausmaß von S 7.440,-- zu zahlen und darüber hinaus mit der Beschwerdeführerin ein auf 6 Monate befristetes Dienstverhältnis ab 21. September 1981 einzugehen. Daraus ergebe sich, daß von einer Verlängerung der Versicherungspflicht gemäß § 11 Abs. 2 ASVG keine Rede sein könne. Die Einstellung der Beschwerdeführerin ab 1981 stelle ein neues Beschäftigungsverhältnis dar.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt werden. In der Beschwerde wird im wesentlichen ausgeführt, auf Grund der widersprüchlichen Unterlagen über die Frage, wann und wie das Beschäftigungsverhältnis geendet habe, hätte die belangte Behörde in einem Ermittlungsverfahren erheben müssen, ob tatsächlich ein Entlassungsgrund nach den Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes vorgelegen bzw. ob die ursprüngliche Behauptung des Dienstgebers, die Beschwerdeführerin sei vorzeitig grundlos ausgetreten, richtig gewesen sei. Schließlich sei anläßlich des Vergleichsabschlusses am 20. November 1980 die Frage, ob das Dienstverhältnis nun aufrecht sei oder nicht, in keiner Weise geklärt worden. Wenn nun im angefochtenen Bescheid ausgeführt werde, daß mit dem genannten Vergleich "somit auch die vom Dienstgeber ausgesprochene Entlassung nicht widerrufen bzw. der vorzeitige Austritt der Dienstnehmerin nicht aus der Welt geschaffen wurde", sei die belangte Behörde selbst nicht einmal zu einem Schluß darüber gekommen, wie das Dienstverhältnis geendet habe, wobei gerade hier eine Differenzierung gemacht werden müßte, da ja infolge der damaligen Schwangerschaft die Beschwerdeführerin nur aus ganz bestimmten, im Mutterschutzgesetz aufgezählten Gründen entlassen werden konnte.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen; die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter - eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Im vorliegenden Beschwerdefall ist die Frage strittig, ob die Versicherungspflicht der Beschwerdeführerin am 5. Mai 1980 geendet hat.

2.1.1. Gemäß § 11 Abs. 1 ASVG erlischt die Pflichtversicherung der in § 10 Abs. 1 bezeichneten Personen, soweit in den Absätzen 2 bis 6 des § 11 nichts anderes bestimmt wird, mit dem Ende des Beschäftigungs-, Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches.

2.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dieser Bestimmung wiederholt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. November 1984, Zl. 83/08/0083, VwSlg. 11600/A = ZfVB 1985/4/1471) ausgeführt, daß das Ende des Beschäftigungsverhältnisses und das Erlöschen der Pflichtversicherung zwar - im Regelfall - zusammenfallen können, dies aber nicht so sein müsse. Nach § 11 Abs. 1 ASVG erlischt die Pflichtversicherung entweder bei Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses dem Grunde nach schon mit dem (früheren) Ende des Entgeltanspruches (Variante 1) oder trotz früherer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erst mit dem (späteren) Ende des Entgeltanspruches (Variante 2). Die Absätze 3, 4 und 5 des § 11 leg. cit. sind Sonderformen der Variante 1, Abs. 2 ist eine Sonderform der Variante 2.

Hiebei ist (abgesehen von Fällen, in denen das arbeitsrechtliche Verhältnis von den Beteiligten ohne die Willensübereinkunft, entgeltliche Dienste zu leisten bzw. entgegenzunehmen, aufrecht erhalten wird; vgl. das

hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 1989, Zl. 87/08/0274) die Frage der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nach den zivil(arbeits)rechtlichen Kriterien zu beurteilen (vgl. hiezu bereits das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1961, Zl. 1116/59, VwSlg 5692/A, sowie das oben zitierte Erkenntnis vom 29. November 1984).

2.2. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß die belangte Behörde zur Klärung der Frage, ob die Versicherungspflicht zu dem von ihr angenommenen Zeitpunkt erloschen ist, zu beurteilen hatte, ob zu diesem Zeitpunkt das Beschäftigungsverhältnis endete und ob es aus irgendeinem Grund zu einem abweichenden Ende des Entgeltanspruches der Beschwerdeführerin gekommen ist.

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde im Ergebnis vor, den Sachverhalt in diesem Punkt nicht ausreichend ermittelt zu haben. Ungeachtet des umfangreichen Akteninhalts, insbesondere der Unterlagen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, hat die belangte Behörde in der Tat keine ausreichenden Feststellungen getroffen und jedenfalls den Bescheid mangelhaft begründet:

2.2.1. Wie aus dem Akteninhalt (insbesondere aus den den Verwaltungsakten angeschlossenen Unterlagen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens) hervorgeht, war die Beschwerdeführerin im fraglichen Zeitpunkt schwanger. Für sie galt daher der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz der §§ 10 bis 12 des Mutterschutzgesetzes, sie konnte vom Dienstgeber also nur aus einem der in § 12 leg. cit. taxativ aufgezählten Gründe entlassen werden; eine von diesen Bestimmungen nicht gedeckte Entlassung wäre nach § 12 Abs. 1 leg. cit. nicht rechtswirksam geworden und hätte das Beschäftigungsverhältnis nicht beendet. Wohl wäre es aber rechtlich möglich gewesen, daß die Beschwerdeführerin von sich aus das Beschäftigungsverhältnis durch vorzeitigen Austritt beendet hätte.

2.2.2. Demgegenüber kommt die belangte Behörde in ihrem Bescheid zu dem Ergebnis, daß das Beschäftigungsverhältnis beendet wurde, weil der von der Beschwerdeführerin mit ihrem Dienstgeber geschlossene gerichtliche Vergleich diese Frage nicht betreffe und "somit auch die vom Dienstgeber ausgesprochene Entlassung nicht widerrufen bzw. der vorzeitige Austritt der Dienstnehmerin nicht aus der Welt geschaffen wurde".

Dieses Ergebnis wurde von der belangten Behörde aber entgegen § 60 AVG 1950 nicht nachvollziehbar begründet. Zum einen wäre zu prüfen gewesen, ob nicht gerade aus dem gerichtlichen Vergleich wie auch aus dem später geschlossenen außergerichtlichen Vergleich in ihrem Zusammenhalt Schlüsse darauf gezogen werden müssen, daß es aus der Sicht der Vergleiche in Wahrheit am 5. Mai 1980 zu einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses gekommen ist oder daß es zutrifft, daß diese Vergleiche die Frage der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht betrafen. Zum anderen läßt die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht erkennen, woraus sonst aber die belangte Behörde abgeleitet hat, daß das Beschäftigungsverhältnis rechtswirksam zu dem von ihr angenommenen Zeitpunkt geendet hat. Hiezu hätte die belangte Behörde (allenfalls nach weiteren Ermittlungsschritten) Feststellungen über die tatsächlichen Geschehnisse am 5. Mai 1980 treffen und sodann begründen müssen, wie sie zu diesen Feststellungen gekommen ist. Anschließend wäre dieser Sachverhalt einer rechtlichen Beurteilung dahingehend zu unterziehen gewesen, ob es zu einer rechtswirksamen Entlassung im Sinne des § 12 Mutterschutzgesetz oder allenfalls zu einem rechtswirksamen vorzeitigen Austritt nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften gekommen ist. (Selbst wenn die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen sollte, das Beschäftigungsverhältnis sei mit 5. Mai 1980 beendet worden, wäre nach den Umständen des Falles weiter zu prüfen, ob es zu einem abweichenden Ende des Entgeltanspruches gekommen ist. Insbesondere könnten in diesem Zusammenhang die unbestrittenermaßen auf Grund von Vergleichen geleisteten Zahlungen im Hinblick auf § 11 Abs. 2 ASVG von Bedeutung sein).

2.2.3. Dadurch, daß die belangte Behörde diese Begründung unterlassen hat, hat sie ihren Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. Erkenntnis vom 1. Juli 1981, Zl. 3518/80 = ZfVB 1982/5/1948) hat die Bescheidbegründung nämlich Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Sofern eine Begründungslücke - wie im vorliegenden Fall - die Nachprüfung des Bescheides auf seine inhaltliche Gesetzmäßigkeit hindert, hat die belangte Behörde durch die unzulängliche Begründung Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. März 1984, Zl. 83/05/0101 = ZfVB 1984/6/3522).

2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, weswegen er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

2.4. Die Kosten waren gemäß § 47 und § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst, BGBl. Nr. 206/1989 (allerdings nur im beantragten Ausmaß) zuzusprechen.

2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

"zu einem anderen Bescheid" Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1985080202.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten