TE Vfgh Erkenntnis 1987/11/28 V69/87

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Veröffentlicht am 28.11.1987
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Index

70 Schulen
70/06 Schulunterricht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Verordnung des BMUK vom 20.12.1974, BGBl 106/1975, über die Reifeprüfung in den Höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten mit Ausnahme der Höheren Lehranstalten für Fremdenverkehrsberufe §18 Abs8
SchUG 1974 §40 Abs4

Leitsatz

ReifeprüfungsV des BMUK vom 20.12.1974; zeitliche Befristung des Ansuchens um Ablegung einer letzten Wiederholungsprüfung in §18 Abs8 gesetzlich nicht gedeckt, ua. auch nicht in §40 Abs4 SchUG; Aufhebung einiger Worte in §18 Abs8 als gesetzwidrig

Spruch

Die Wortfolge "innerhalb einer Frist von einem Jahr" im §18 Abs8 der V des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 20. Dezember 1974, BGBl. Nr. 106/1975, über die Reifeprüfung in den Höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten mit Ausnahme der Höheren Lehranstalten für Fremdenverkehrsberufe, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der VwGH stellt aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens gemäß Art139 Abs1 B-VG den Antrag, die Worte "innerhalb einer Frist von einem Jahr" im §18 Abs8 der V des Bundesministers für Unterricht und Kunst über die Reifeprüfung in den Höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten mit Ausnahme der Höheren Lehranstalten für Fremdenverkehrsberufe, BGBl. 106/1975 (im folgenden: ReifeprüfungVO), als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Bedenken des VwGH, die vor allem dahin gehen, daß die angefochtene Wortfolge im §18 Abs8 ReifeprüfungVO keine gesetzliche Deckung im Schulunterrichtsgesetz, BGBl. 139/1974 (im folgenden: SchUG), finde, werden wie folgt begründet:

"Mit dem angefochtenen Bescheid wurde das Ansuchen des Bf. um Bewilligung einer letzten Wiederholung der Reifeprüfung einer Höheren technischen Lehranstalt gemäß §40 Abs4 Schulunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 139/1974 (im folgenden kurz: SchUG), im Zusammenhalt mit §18 Abs8 der V des Bundesministers für Unterricht und Kunst über die Reifeprüfung in den Höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten mit Ausnahme der Höheren Lehranstalten für Fremdenverkehrsberufe, BGBl. Nr. 106/1975, als verspätet zurückgewiesen.

In der Begründung ihres Bescheides führte die bel. Beh. folgendes aus: Der Bf. sei im Haupttermin 1964/1965 zur Reifeprüfung an der Höheren technischen Bundeslehranstalt für Maschinenbau in Steyr angetreten und habe diese nicht bestanden. Die erste Wiederholung im Oktober 1965 und die zweite Wiederholung im Februar 1966 habe der Bf. ebenfalls nicht bestanden. Gemäß §40 Abs4 SchUG könne auf Ansuchen des Prüfungskandidaten eine letzte Wiederholung vom Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport bewilligt werden. Gemäß §18 Abs8 der erwähnten V habe der Prüfungskandidat ein

begründetes Ansuchen an den genannten Bundesminister innerhalb einer Frist von einem Jahr nach dem Abschluß der zweiten Wiederholung der Reifeprüfung beim Schulleiter einzubringen. Da zwischen dem Abschluß der zweiten Wiederholung der Reifeprüfung (19. Februar 1966) und der Stellung des Antrages (22. März 1985) mehr als ein Jahr vergangen und die einjährige Frist nicht erstreckbar sei, habe der Antrag zurückgewiesen werden müssen.

Mangels entsprechender Übergangsbestimmungen gilt im vorliegenden Fall die allgemeine Bestimmung des §81 Abs1 SchUG, wonach mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. September 1974 alle bisherigen Vorschriften über die Reifeprüfung außer Kraft treten. Demnach findet die Bestimmung des §40 Abs4 SchUG Anwendung, die folgenden Wortlaut hat:

.....

§18 Abs8 der laut ihrer Promulgationsklausel auf die §§35 bis 41 SchUG gestützten Durchführungsverordnung, BGBl. Nr. 106/1975, lautet wie folgt:

.....

Der VwGH hat bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides u.a. die von der bel. Beh. herangezogene Wortfolge 'innerhalb einer Frist von einem Jahr' im §18 Abs8 der erwähnten V anzuwenden; diese Bestimmung ist daher insoweit präjudiziell. Er hat gegen diese Wortfolge das Bedenken, daß sie im SchUG weder in den §§35 bis 41 noch in sonstigen Bestimmungen Deckung findet.

Regelungszweck der angefochtenen Wortfolge ist eine bestimmte zeitliche Beschränkung des Antrages auf Ablegung der letzten Wiederholungsprüfung. Für eine derartige Bestimmung bietet §40 Abs4 SchUG keine gesetzliche Grundlage. Die dort angeführten Voraussetzungen lassen nämlich - ebensowenig wie andere Bestimmungen des SchUG - keinen Anhaltspunkt dafür erkennen, daß der Gesetzgeber eine Befristung der Antragstellung hinsichtlich der letzten Wiederholungsprüfung vorgesehen hat. Es mangelt daher der Bestimmung des §18 Abs8 der erwähnten V an einer entsprechenden materiell-rechtlichen Ermächtigung durch den Gesetzgeber.

Es wird somit beantragt, die Wortfolge 'innerhalb einer Frist von einem Jahr' in der Bestimmung des §18 Abs8 der V, BGBl. Nr. 106/1975, als gesetzwidrig aufzuheben."

3. Der Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport erstattete eine Äußerung und beantragte, der VfGH wolle die angefochtenen Worte "innerhalb einer Frist von einem Jahr" im §18 Abs8 die ReifeprüfungVO "nicht einer Prüfung unterziehen und somit nicht als verfassungswidrig aufheben, da es sich nicht um einen Anlaßfall handelt." Der zur Vertretung der ReifeprüfungVO berufene Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport bestreitet ausschließlich die Präjudizialität der angefochtenen Wortfolge, ohne auf die Bedenken des VwGH einzugehen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Zur Frage der Zulässigkeit des Normenprüfungsantrages:

a) Der VfGH ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984).

b) Im vorliegenden Fall kann nun keinesfalls mit Grund gesagt werden, daß der VwGH die Präjudizialitätsfrage denkunmöglich beantwortet habe. Der beim VwGH angefochtene Bescheid des Bundesministers für Unterricht, Kunst und Sport, mit dem ein Ansuchen um Bewilligung einer letzten Wiederholung der Reifeprüfung einer Höheren technischen Lehranstalt als verspätet zurückgewiesen wurde, stützt sich auf §40 Abs4 SchUG und §18 Abs8 ReifeprüfungVO. Der VfGH geht davon aus, daß der VwGH §18 Abs8 ReifeprüfungVO anzuwenden hat. Er geht weiters davon aus, daß diese Bestimmung präjudiziell in der Bedeutung des Art139 Abs1 B-VG ist.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Normenprüfungsantrag zulässig.

2. Zur Sache selbst:

a) §18 Abs4 ReifeprüfungVO lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"In den Fällen des §40 Abs4 des Schulunterrichtsgesetzes hat der Prüfungskandidat ein begründetes Ansuchen an den Bundesminister für Unterricht und Kunst innerhalb einer Frist von einem Jahr nach dem Abschluß der zweiten Wiederholung der Reifeprüfung beim Schulleiter einzubringen."

§40 Abs4 SchUG lautet:

"Eine letzte Wiederholung kann auf Ansuchen des Prüfungskandidaten vom Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport bewilligt werden. Die Bewilligung darf nur auf Grund eines Gutachtens der Prüfungskommission bei Vorliegen wichtiger Gründe oder im Hinblick auf die bisher günstigen Leistungen des Prüfungskandidaten während seines Schulbesuches erteilt werden. Als wichtige Gründe gelten nur unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse."

b) Gemäß Art18 Abs2 B-VG kann jede Verwaltungsbehörde aufgrund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. "Art18 Abs2 B-VG unterstreicht diese Gesetzesabhängigkeit (auch) der Verordnungen, indem er betont, daß diese nur 'aufgrund der Gesetze' erlassen werden können, was mit anderen Worten heißt, daß eine V nur präzisieren darf, was in den wesentlichen Konturen schon im Gesetz vorgezeichnet ist" (Ringhofer, die Österreichische Bundesverfassung, S 82).

§18 Abs8 ReifeprüfungVO regelt das zeitlich befristete Ansuchen um Ablegung einer letzten Wiederholungsprüfung. Nun findet sich aber - wie der VwGH zutreffend ausführt - weder in §40 Abs4 SchUG, auf den sich die angefochtene Verordnungsstelle stützt, noch in einer anderen Norm des genannten Gesetzes eine (gesetzliche) Grundlage für eine solche Regelung. Dem Regelungsinhalt des §40 Abs4 SchUG ist nicht zu entnehmen, daß der Gesetzgeber ein Ansuchen um Ablegung einer letzten Wiederholungsprüfung an eine Frist binden wollte. Die Wortfolge "innerhalb einer Frist von einem Jahr" im §18 Abs8 ReifeprüfungVO ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

4. Die Verpflichtung des Bundesministers für Unterricht, Kunst und Sport zur Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Schulen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:V69.1987

Dokumentnummer

JFT_10128872_87V00069_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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