TE Vwgh Erkenntnis 1990/10/9 90/11/0102

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Veröffentlicht am 09.10.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §31;
KDV 1967 §34 Abs1 litb;
KDV 1967 §34 Abs1 litd;
KFG 1967 §64 Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des W gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 23. März 1990, Zl. 11-39 Ba 3-89, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag vom 11. Mai 1989 wurde u.a. gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers "für die Gruppen A und B auf zwei Jahre eingeschränkt, das ist vom 16.8.1988 bis zum 16.8.1990" (am 16. August 1988 erstattete der ärztliche Amtssachverständige der Erstbehörde ein "Gutachten", in dem er allerdings zu keinem abschließenden Ergebnis über die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers kam).

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Berufung abgewiesen, der erstinstanzliche Bescheid aber dahin abgeändert, daß dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung mangels körperlicher und geistiger Eignung von der Zustellung des Bescheides an entzogen ist. Gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 wurde ausgesprochen, daß dem Beschwerdeführer erst nach Wiedererlangen der körperlichen und geistigen Eignung eine Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Bei der körperlichen und geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen handelt es sich um zwei unterschiedliche Eignungsvoraussetzungen (vgl. die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. die Erkenntnisse vom 18. Juni 1985, Zl. 84/11/0269, und vom 22. Oktober 1986, Zl. 86/11/0047).

Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid im wesentlichen auf das Gutachten ihres Amtssachverständigen vom 1. Februar 1990, in dem dieser zu folgendem Schluß kommt:

"Zustand nach Alkoholmißbrauch, welcher vom Berufungswerber nicht bestritten wird. Die in der Exploration erhobenen Befunde und die Angaben des Berufungswerbers lassen derzeit eine erfolgreiche Alkoholkarenz nicht erwarten. Insbesondere Conjunctivitis, feinschlägiger Fingerspitzentremor, Handschweiß, Liderzittern und schwankender bis ausfahrender Barany-Bewegungsablauf sprechen nicht für eine Alkoholkarenz.

Demnach erscheint der Berufungswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B körperlich und geistig

'nicht geeignet'.

Die Schutzbehauptung Hepatitis kann von der äthylisch induzierten Situation nicht ablenken, zumal GOT und GPT die angesprochenen Laborwerte wären und Gamma-GT auf die äthylisch-toxische Situation anspricht."

Dieses Gutachten ist zunächst insoferne nicht schlüssig, als darin - neben der körperlichen - auch die geistige Nichteignung des Beschwerdeführers zum Ausdruck gebracht wird. Die belangte Behörde hat dieses Gutachten dem angefochtenen Bescheid vollinhaltlich zugrunde gelegt und insbesondere die Wiedererlangung einer neuen Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 von der Wiederherstellung (auch) der geistigen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen abhängig gemacht. Sie hätte aber, wollte sie diesen Ausspruch in ihren Bescheid aufnehmen, den Sachverständigen zumindest zu ergänzenden Ausführungen darüber verhalten müssen, wieso er angesichts der beim Beschwerdeführer festgestellten Symptome (neben den oben wiedergegebenen Anzeichen handelt es sich insbesondere um eine Vergrößerung der Leber) die geistige Eignung des Beschwerdeführers in Frage stellt und verneint. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf § 30 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 31 KDV 1967 verwiesen, wo die geistige Eignung als Freisein von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen umschrieben wird. Für das Vorliegen derartiger Umstände ist beim Beschwerdeführer nach dem Stand des Verfahrens vor Erlassung des angefochtenen Bescheides kein ausreichender Anhaltspunkt gegeben. Dazu kommt, daß nach dem zweiten Satz des § 31 KDV 1967 die Feststellung der geistigen Nichteignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen eine die Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einschließende fachärztliche Untersuchung zur Voraussetzung hat.

Was die körperliche Nichteignung des Beschwerdeführers anlangt, so präzisiert der angefochtene Bescheid nicht, welcher gesundheitliche Mangel beim Beschwerdeführer vorliegt. Hiefür können aber nur die in lit. b ("organische Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten") und in lit. d ("Alkoholabhängigkeit oder chronischer Alkoholismus") des § 34 Abs. 1 KDV 1967 genannten Umstände in Betracht kommen. Hinsichtlich beider ordnet aber § 34 Abs. 3 KDV 1967 an, daß die Untersuchung jedenfalls von einem Facharzt vorzunehmen ist und eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzubeziehen hat (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. September 1988, Zl. 88/11/0085). Auch in Ansehung dieser Voraussetzung liegt der bereits im Zusammenhang mit der Feststellung der geistigen Nichteignung des Beschwerdeführers gerügte Verfahrensmangel vor. An dieses fachärztliche Gutachten wäre auch die Anforderung zu stellen gewesen, sich mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argument, einige der Alkholismussymptome seien auf andere Erkrankungen zurückzuführen, auseinanderzusetzen.

Für das fortzusetzende Verfahren sei im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen angemerkt, daß die Frage des Leumunds des Beschwerdeführers bei Beurteilung seiner gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen keine Rolle spielt und daß es in diesem Stadium des Verfahrens nicht mehr darauf ankommt, ob die Behörde bei Einleitung des Entziehungsverfahrens zutreffende Anhaltspunkte dafür hatte, daß beim Beschwerdeführer nicht mehr alle Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung vorgelegen seien.

Weil der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989 im Rahmen des gestellten Kostenbegehrens.

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer SachverständigerSachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990110102.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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