TE Vwgh Beschluss 1990/12/21 AW 88/17/0018

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Veröffentlicht am 21.12.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
55 Wirtschaftslenkung;

Norm

AVG §56;
FinStrG §89 Abs5;
FinStrG §98 Abs4;
MOG 1985 §75;
MOGNov 1986 Art6;
MOGNov 1987 Art5;
VwGG §30 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der A, der gegen den Bescheid des geschäftsführenden Auschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 15. März 1988, Zl 16015/T 259/5706, betreffend Zuerkennung der Milchverzichtsprämie, erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Der geschäftsführende Ausschuß des Milchwirtschaftsfonds erließ den mit 15. März 1988 datierten Bescheid, dessen Spruch wie folgt lautet:

"1. Gemäß § 75 Abs. 1 bis 6 Marktordnungsgesetz (MOG 1985, BGBl. Nr. 210/1985 i.d.g.F. in Verbindung mit Artikel VI der MOG-Novelle 1986, BGBl. Nr. 183/1986) und in Verbindung mit Artikel V der MOG-Novelle 1987 (BGBl. Nr. 138/1987) wird Ihnen vom geschäftsführenden Ausschuß des Milchwirtschaftsfonds als Verfügungsberechtigte im Zeitpunkt der Antragstellung über den landwirtschaftlichen Betrieb P 8 aufgrund Ihres diesbezüglichen Antrages vom 11. Mai 1987 die Teilnahme an der Rückkaufaktion genehmigt.

Sie erhalten einen jährlichen Teilbetrag in der Höhe von S 40.365,60 zahlbar während fünf Jahren.

2. Dem Antrag der A, P 8, gerichtet auf Zurückziehung des Antrages auf Zuerkennung einer Prämie gemäß § 75 Abs. 1 bis 6 MOG in Verbindung mit Artikel VI der MOG-Novelle 1986, BGBl. Nr. 183/1986 (Rückkaufaktion) wird unter Hinweis auf § 75 Abs. 1 letzter Satz MOG 1985 keine Folge gegeben."

Zur Begründung wurde hinsichtlich des Spruchpunktes 1 unter anderem ausgeführt, die Einzelrichtmenge erlösche am 4. auf die Erlassung (=Zustellung) des Bescheides folgenden Monatsersten, in dem die Übernahme ausgesprochen werde. Die Erzeugung von Milch und Erzeugnissen aus Milch - ausgenommen die Haltung einer Milchkuh und die Verwendung der von dieser Kuh stammenden Milch ausschließlich für Zwecke der Selbstversorgung und die Erzeugung und Verwendung von Milch für die Aufzucht von Kälbern in diesem Betrieb - sei zum selben Zeitpunkt auf die Dauer von fünf Jahren einzustellen. Diese Verpflichtung gelte für alle während dieses Zeitraumes über den Betrieb Verfügungsberechtigten. Während dieses Zeitraumes könne für diese Betriebe auch keine Befugnis gemäß § 16 MOG erworben werden.

Hinsichtlich des Spruchpunktes 2 wurde zur Begründung u.a. ausgeführt, aus dem Antragsformular betreffend die Teilnahme an der Rückkaufaktion könne - auf Seite 1 deutlich mit Fettdruck hervorgehoben - entnommen werden, daß der Antragsteller gemäß dem § 75 Abs. 1 MOG bis zur Übernahme durch den Milchwirtschaftsfonds an seinen Antrag gebunden bleibe. Dieses Antragsformular habe die Beschwerdeführerin selbst unterfertigt. Die vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnete strenge Bindung an den gestellten Antrag lasse nicht zu, eine Rücknahme bereits gestellter Anträge unter Hinweis auf die Verwechslung von Antragsformularen, die Hilfestellung der Eltern bei der Beischaffung von geforderten Bestätigungen, sonstige berufliche Überlastung oder ähnliches Vorbringen zu akzeptieren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende zur hg. Zl. 88/17/0078 protokollierte Beschwerde, mit der der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist. Zwingende öffentliche Interessen stünden diesem Antrag nicht entgegen. Die Verweigerung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedeute hingegen für die Beschwerdeführerin einen unverhältnismäßigen, unwiderbringlichen Nachteil.

Die belangte Behörde hat sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ausgesprochen. Zwingende öffentliche Interessen, die dem Aufschub des Vollzuges des angefochtenen Bescheides entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Darüber hinaus müßte jedoch der Vollzug des angefochtenen Bescheides für den Beschwerdeführer mit einem unverhältnismäßigen Nachteil verbunden sein. Diese Regelung schließe die Verpflichtung des Antragstellers mit ein, durch konkrete Angaben darzutun, worin im Fall des Bescheidvollzuges für ihn der vom Gesetz für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung geforderte unverhältnismäßige Nachteil bestünde; dazu gehöre auch eine Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse der antragstellenden Partei.

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluß zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Wie der Gerichtshof im Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. Februar 1981, Slg. N. F. Nr. 10.381/A, dargelegt und in der Folge wiederholt bekräftigt hat, ist unter "Vollzug" im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG die Umsetzung eines Bescheides in die Wirklichkeit zu verstehen, und zwar sowohl im Sinne der Herstellung der dem Bescheidinhalt entsprechenden materiellen Rechtslage als auch im Sinne der Herstellung des dieser Rechtslage entsprechenden faktischen Zustandes. Durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird der Eintritt der durch die Rechtsordnung an den Bescheid geknüpften Rechtswirkungen hinausgeschoben. Dies bewirkt bei Leistungsbescheiden, daß die auferlegte Leistung vorläufig nicht zu erbringen ist, bei rechtsgestaltenden Bescheiden, daß die Rechtsgestaltung vorläufig nicht eintritt, und bei Feststellungsbescheiden, daß die Feststellung noch nicht als verbindlich gilt (vgl. den hg. Beschluß vom 18. April 1988, Zlen. AW 88/17/0004, 0005, und die dort angeführte Lehre und Rechtsprechung).

Nach dem im angefochtenen Bescheid bezogenen Art. V der Marktordnungsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 138, lautet Art. VI Abs. 2 Z. 2 der Marktordnungsgesetz-Novelle 1986, BGBl. Nr. 183 wie folgt:

"2. die Einzelrichtmenge am 4. auf die Erlassung des Bescheides folgenden Monatsersten, in dem die Übernahme ausgesprochen wird, erlischt; gleichzeitig treten auch alle übrigen im § 75 Abs. 3 in der Fassung der Marktordnungsgesetz-Novelle 1986, BGBl. Nr. 183, geregelten Rechtsfolgen mit der Maßgabe ein, daß auch die Erzeugung und Verwendung von Milch für die Aufzucht von Kälbern in diesem Betrieb zulässig ist;"

§ 75 Abs. 3 der Marktordnungsgesetz-Novelle 1986 lautet:

"Der Fonds hat bis 30. April im Umfang des ihm für die Weiterverteilung bekannten Bedarfes unter Berücksichtigung von Fehlmengen oder nicht zugeteilten Mengen, die während eines Wirtschaftsjahres bis 31. Dezember angebotenen Einzelrichtmengen in der Reihenfolge des Einlangens der Anzeigen durch Bescheid zu übernehmen, wodurch die Einzelrichtmengen mit Beginn des auf die Übernahme durch den Fonds folgenden Wirtschaftsjahres erlöschen. Ist der für die Weiterverteilung bekannte Bedarf geringer als die Summe der Bemessungsgrundlagen (Abs. 4) der angebotenen Einzelrichtmengen, so sind soviel Einzelrichtmengen durch Bescheid zu übernehmen, daß sämtliche zuteilungsfähigen Mengen (Abs. 8) verteilt werden können. Vorerst nicht verteilbare Restmengen sind ehestmöglich gemäß Abs. 8 zu verteilen. Im Zeitpunkt des Erlöschens der Einzelrichtmenge werden gemäß § 16 Abs. 5 bestehende Vereinbarungen ungültig und erlöschen gemäß § 16 erteilte Bewilligungen. Die Erzeugung von Milch und Erzeugnissen aus Milch - ausgenommen die Haltung einer Milchkuh und die Verwendung der von dieser Kuh stammenden Milch ausschließlich für Zwecke der Selbstversorgung - ist zum selben Zeitpunkt auf die Dauer von fünf Jahren einzustellen. Diese Verpflichtung gilt für alle während dieses Zeitraumes über den Betrieb Verfügungsberechtigten."

Auch die obzitierten Regelungen stellen eine Lenkungsmaßnahme dar, durch welche das Erwerbsverhalten der Milchproduzenten gesteuert werden soll (vgl. zur Regelung der Einzelrichtmenge und dem damit verbundenen System über die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Oktober 1990, B 573/90-7).

Da dem angefochtenen Bescheid, mit dem die Teilnahme an der Rückkaufaktion genehmigt wurde, im bestehenden Regelungssystem auch eine Untersagungswirkung zukommt, erweist sich der angefochtene Bescheid als einem Vollzug zugänglich.

Weder die Äußerung der belangten Behörde zum Antrag noch die Aktenlage bieten einen Anhaltspunkt dafür, daß der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegenstünden.

Bei der sohin vorzunehmenden Interessensabwägung ist davon auszugehen, daß das Rechtsinstitut der aufschiebenden Wirkung als ein die Funktionsfähigkeit des Rechtsschutzsystems der Verwaltungsrechtsordnung stützendes Element anzusehen ist. Die in der Bescheidprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof gegebene Rechtsschutzfunktion soll durch einen Vollzug des angefochtenen Bescheides während der Dauer des Beschwerdeverfahrens nicht ausgehöhlt bzw. ausgeschaltet werden (vgl. hiezu etwa die Beschlüsse vom 25. Februar 1981 - verstärkter Senat -, Slg. N. F. Nr. 10.381/A, und vom 2. Jänner 1985, Slg. N. F. Nr. 11.632/A). Die Interessensabwägung schlägt daher in der Regel dann zu Gunsten des Beschwerdeführers aus, wenn der ihm durch den Vollzug des angefochtenen Bescheides drohende Nachteil im Falle eines Erfolges der Beschwerde nicht (oder nur schwer) rückgängig gemacht werden könnte, während vom Standpunkt der öffentlichen Interessen oder etwa auch der Interessen eines Mitbeteiligten ein Zuwarten mit der Durchsetzung des normativen Gehaltes des Bescheides zumutbar ist (vgl. hiezu etwa die Beschlüsse vom 2. April 1985, Zl. AW 85/04/0005, vom 10. Juli 1985, Zl. AW 85/07/0041, und vom 31. Juli 1985, Zl. AW 85/07/0045).

Solch ein Fall ist hier gegeben. Es erscheint offenkundig, daß der Eingriff in das Erwerbsverhalten der Beschwerdeführerin als Milchproduzentin jedenfalls nur schwer rückgängig gemacht werden könnte. Da hingegen ein Zuwarten mit der Durchsetzung des gegenständlichen Bescheides für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zumutbar erscheint, schlägt die Interessensabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin aus, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Begriff der aufschiebenden Wirkung Interessenabwägung Vollzug

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:AW1988170018.A00

Im RIS seit

27.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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