TE Vfgh Erkenntnis 1988/6/13 B153/88

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Veröffentlicht am 13.06.1988
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZDG §2 Abs1 / Verletzung keine

Leitsatz

Keine Glaubhaftmachung der Gewissensgründe; keine Verletzung im durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung, insbesondere nicht durch Verfahrensfehler gravierender Natur

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 20. Oktober 1987, einen von St E T - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 679/1986 (ZDG) - gestellten Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm §6 Abs1 ZDG als unbegründet ab.

2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde des St E T an den VfGH; der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides als verfassungswidrig.

3. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

1.a) Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige im Sinn des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag (und zwar nach Maßgabe des §5 Abs1 und 3 ZDG, der das Antragsrecht - in hier allerdings unerheblicher Weise - beschränkt) von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (vgl. auch VfSlg. 9391/1982, 9840/1983, 10021/1984).

b) Dieses Grundrecht wird nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde die im § 2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen (Befreiungs-)Bedingungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, 9362/1982, 9785/1983, 9985/1984).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978, 9785/1983, 9985/1984), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.a) Die bel. Beh. geht richtig davon aus, daß der Antragsteller, zieht man alle seine Einlassungen im Administrativverfahren gebührend in Betracht, den Standpunkt einnahm, infolge seiner - allgemeinen und vorbehaltlosen Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, wenn er Wehrdienst leisten müsse.

Eine derartige (an sich taugliche) Behauptung muß aber, sollen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung erfüllt sein, nicht nur aufgestellt, sondern kraft §6 Abs2 ZDG auch glaubhaft gemacht werden (vgl. zB VfSlg. 9573/1982).

b) aa) Der angefochtene Bescheid wird im wesentlichen wie folgt begründet:

"Mit seiner mehrfach geäußerten besonderen Wertschätzung des menschlichen Lebens hat der Antragsteller" (d.i. der nunmehrige Beschwerdeführer) "im Zusammenhalt mit der von ihm behaupteten Ablehnung jeglicher Gewalt Gründe, die den Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG entsprechen, zwar mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Es ist ihm aber auch in der Berufungsverhandlung nicht gelungen, seiner gesetzlichen Glaubhaftmachungsverpflichtung (§6 Abs2 ZDG) Genüge zu tun.

Ausschlaggebend dafür war, daß er während des mit ihm geführten ausführlichen (rund vierzig Minuten währenden) Gespräches insgesamt nicht wie ein junger Mann seines (hohen) Ausbildungsstandes wirkte, der in Ansehung seiner Gewissensgründe eine gefestigte innere Einstellung zum Ausdruck bringt, der also auf der Basis einer echten persönlichen Überzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich und vorbehaltlos ablehnt und sonach im Falle der Wehrdienstleistung tatsächlich in schwere Gewissensnot geraten würde.

Vielmehr erweckte er bei den fraglichen Passagen - er lehne jede Gewaltanwendung und nicht nur die mit Waffengewalt grundsätzlich ab; er würde eher sein eigenes Leben opfern, als einen anderen Menschen des Lebens zu berauben; es wäre für ihn leichter, in einem okkupierten Land zu leben als das Bewußtsein haben zu müssen, daß er einen anderen Menschen getötet habe - den Anschein, wohlvorbereitete Wendungen von sich zu geben, ohne sich damit im Inneresten zu identifizieren.

         Infolge der komplexen, zahlreiche auch intuitiv

verlaufende Wertungsvorgänge in sich schließenden Natur der

freien Beweiswürdigung (vgl. etwa VfGH B376/82, B128/83 und

B304/83) kann nicht weiter detailliert werden, was den Senat zu

dieser Ansicht führte, zumal sich die Ausdrucksbewegungen während

der Parteienaussage einer Verbalisierung weitestgehend

entziehen." .......

         ........ "Bei der Würdigung der Person und des

Vorbringens des Antragstellers wurden die von ihm in der Berufungsschrift angeführten Aktivitäten - unentgeltlicher Lateinunterricht für S SCH; Erledigung von Einkäufen für B M-Sch; Hilfe für ausländische Studenten, bezeugt durch R W; Mitarbeit bei Verkaufsveranstaltungen und Betreuung einer Kantine mit dem Ziel der Behindertenförderung, bezeugt durch J M P - als erwiesen angenommen und es erübrigte sich daher, die zum Beweis für diese Tätigkeiten angeführten Zeugen zu vernehmen.

All dies war aber im Sinne eines spezifischen Zusammenhanges mit der vom Zivildienstgesetz geforderten inneren Einstellung nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung unmittelbar gewonnenen Eindruck des Senates - siehe oben entscheidend zu verändern."

bb) Der VfGH kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Wägung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie auf Grund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Vorjudikatur, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die auf Grund unmittelbaren persönlichen Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen: zB VfSlg. 9573/1982, 9785/1983, 10529/1985).

cc) Dem Bf. ist diese Judikatur des VfGH bekannt. Er meint jedoch, daß sich aus dieser Spruchpraxis nicht die Rechtsansicht der bel. Beh. ableiten lasse, es bestehe eine eingeschränkte Begründungspflicht im Falle freier Beweiswürdigung. Die Behörde habe daher gegen die Begründungspflicht iS des §60 AVG 1950 hinsichtlich der Feststellungen verstoßen, von denen ausgehend die bel. Beh. in freier Beweiswürdigung - die Frage zu entscheiden gehabt hätte, ob der Bf. seine Gewissensgründe glaubhaft gemacht habe oder nicht.

dd) Mit diesen Vorwürfen ist der Bf. nicht im Recht:

Die beweiswürdigenden Überlegungen der ZDOK widersprechen nicht der allgemeinen Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens. Nur in diesem Fall aber könnte im gegebenen Zusammenhang - nach gefestigter Rechtsprechung des VfGH - von einem verfassungsrechtlich relevanten, groben Verstoß verfahrensrechtlicher Art die Rede sein, der nach §2 ZDG aufzugreifen wäre (zB VfSlg. 9732/1983, 9985/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86). Das durchgeführte Beweisverfahren (wozu insbesondere auch die Befragung des Bf. als Partei zählt) führte eben zur Feststellung, daß die Gewissensgründe nicht glaubhaft gemacht wurden.

ee) Ein in die Verfassungssphäre reichender Verfahrensfehler ist der Behörde auch nicht deshalb anzulasten, weil sie die drei vom Bf. beantragten Zeugen nicht einvernahm. Diese Zeugen wurden vom Bf. zum Nachweis geführt, daß er mehrfach auf altruistische Art aktiv tätig gewesen sei. Diese Aktivitäten wurden aber von der ZDOK ohnehin als erwiesen angenommen; es bedeutet daher keinesfalls einen schweren Verfahrensmangel, wenn die Einvernahme der Zeugen unterblieb (vgl. zB VfGH 27.11.1987 B1063/87).

3. Abschließend folgt daraus, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG) nicht verletzt wurde.

4. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes (etwa durch eine willkürliche Gesetzeshandhabung) oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

5. Da einesteils die hier maßgebenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt sind, andernteils ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht offenkundig nicht verletzt wurde, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B153.1988

Dokumentnummer

JFT_10119387_88B00153_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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