TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/16 90/08/0156

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Veröffentlicht am 16.04.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ArbVG §3 Abs1;
ASVG §113 Abs1;
ASVG §113;
ASVG §42 Abs3;
ASVG §49 Abs1;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
AVG §62 Abs4;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1 litb;
AZG §14 Abs1;
AZG §2 Abs1 Z1;
AZG §2 Abs1;
AZG §3 Abs1;
AZG §5 Abs1;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §48 Abs2 lita;
VwGG §49 Abs1;
VwGG §49 Abs2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):90/08/0157

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerden des AN in Salzburg gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Salzburg a) vom 23. Juli 1990, Zl. 3/07-12.172/5-1990, betreffend die Verhängung eines Beitragszuschlages gemäß § 113 Abs. 1 ASVG, und b) vom 23. Juli 1990, Zl. 3/07-12.172/4-1990, betreffend Beitragsnachverrechnung, (in beiden Angelegenheiten als mitbeteiligte Partei: Salzburger Gebietskrankenkasse in Salzburg, Faberstraße 19-23), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen von S 505,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen von S 11.120,-- je binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat nach einer vom 19. Jänner bis 25. Februar 1988 durchgeführten Beitragsprüfung mit Bescheid vom 16. November 1988 den Beschwerdeführer verpflichtet, als Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG die unter Zugrundelegung der kollektivvertraglichen Ansprüche und unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen der §§ 42 Abs. 3, 44 Abs. 1, 49 Abs. 1 und 2 und 54 Abs. 1 ASVG für die in näher bestimmten Berechnungsblättern genannten Dienstnehmer und die darin angeführten Beitragszeiträume, Beitragsgrundlagen und Beitragsgruppen Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt

S 111.301,32 zu entrichten. In der Begründung dieses Bescheides heißt es, daß der Beschwerdeführer, ein Transportunternehmer, Fernfahrten in den EG-Raum (BRD, Irland) und Fahrten innerhalb Österreichs durchführe. Da nach dem Kollektivvertrag für die Arbeiter des Güterbeförderungsgewerbes Österreichs ein Entgeltanspruch nicht nur für die reine Lenkzeit sondern für die gesamte Einsatzzeit bestehe, sei der Beschwerdeführer von der Kasse aufgefordert worden, entsprechende Unterlagen - wie Fahrtenbücher, Tachographenscheiben usw. - vorzulegen. Diese Forderung sei deshalb gestellt worden, weil das den Kraftfahrern gewährte und mit der Kasse verrechnete Entgelt zu niedrig gewesen sei. Dem zuständigen Prüfer sei vom Beschwerdeführer mitgeteilt und auch schriftlich bestätigt worden, daß alle Fahrtenbücher und Tachographenscheiben bei einer Überschwemmung Ende 1987 stark beschädigt und deshalb weggeworfen worden seien. Die für die Versicherungsverhältnisse maßgeblichen Daten hätten daher von der Kasse durch anderweitige Ermittlungen festgestellt werden müssen. Aufgrund von aufgenommenen Niederschriften mit einzelnen Dienstnehmern sowie einiger weniger Wochenberichtsblätter und im Vergleich der durchschnittlichen Jahreskilometerleistung mit der durchschnittlichen Kilometeranzahl pro Arbeitsstunde habe die Kasse in Entsprechung des § 42 Abs. 3 ASVG die (ergänze: tatsächlich geleistete) Wochenarbeitszeit der Kraftfahrer mit 55 Stunden festgestellt und die monatliche Beitragsgrundlage auf der Basis dieser Arbeitszeit abgeändert (nämlich 40 Normalstunden und 15 Überstunden mit 50%igem Zuschlag). Auch die Sonderbeiträge einer (namentlich genannten) Dienstnehmerin seien nicht verrechnet (und daher in die bescheidmäßige Vorschreibung einbezogen) worden.

Das im Spruch dieses Bescheides bezogene Beitragsnachverrechnungsblatt vom 29. September 1988 betrifft - neben der zuletzt erwähnten Dienstnehmerin -

sechs Dienstnehmer.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Darin wird gerügt, die mitbeteiligte Partei habe unzulässigerweise eine fiktive Wochenarbeitszeit von 55 Stunden durch Vergleich "der fiktiven Durchschnittsjahre als Kilometerleistung mit der Durchschnittskilometeranzahl pro Stunde" errechnet. Es hätten jedoch keine Werte angegeben werden können, wie hoch "tatsächlich die durchschnittliche Kilometeranzahl pro Arbeitsstunde aufgrund der von den einzelnen Kraftfahrern getätigten Jahreskilometerleistung errechnet" worden sei. Die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vernommenen Dienstnehmer seien im Unternehmen des Beschwerdeführers mit einer Ausnahme seit 1. Jänner 1986 nicht mehr beschäftigt. Aus deren Angaben ließen sich keinerlei Rückschlüsse auf die Arbeitszeiten der "Irlandfahrer" (genannt werden die sechs in der Beitragsnachverrechnung berücksichtigten Dienstnehmer) schließen. Ein Dienstnehmer habe angegeben, daß die Arbeitszeit für eine Irlandfahrt nach Dublin und retour höchstens 45 Stunden betrage und die monatliche Arbeitszeit mit nicht mehr als 200 Stunden anzusetzen gewesen sei. Weiters wird im Einspruch gerügt, daß der bekämpfte Bescheid keine "überprüfbaren Angaben" über die Grundlagen der Errechnung der Einsatzzeit mit 45 Stunden enthalte. Auch die Berechnung der Summe der Beitragsrechnung lasse sich nicht nachvollziehen. Eine Beitragsnachberechnung aufgrund von Durchschnittswerten, deren Herkunft nicht überprüfbar sei, sei unzulässig. Die im Berechnungsblatt angeführten Dienstnehmer seien zu ihrer Einsatzzeit und zu den während dieser Zeit geleisteten Kilometern nicht befragt worden, weshalb ein "objektives Ergebnis" nicht möglich gewesen sei. Die Durchschnittswerte der Jahreskilometerleistung pro Kraftfahrer für den Bereich des grenzüberschreitenden Straßen-Güterfernverkehrs seien auf das Unternehmen des Beschwerdeführers nicht anzuwenden. In diesem Unternehmen würden nur Fahrzeuge der stärksten Motorkategorie eingesetzt; der Beschwerdeführer habe in Irland ein Transportunternehmen, wo eigene Auflieger stünden, sodaß die Ladezeiten praktisch zu vernachlässigen seien. Bei Autobahnfahrten zur Nachtzeit sei eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit erzielbar als bei einer vergleichbaren Fahrtstrecke zur Tageszeit. Es hätte die durchschnittliche Jahreskilometerleistung jedes einzelnen Kraftfahrers ermittelt werden müssen, um eine durchschnittliche Kilometerzahl pro Arbeitsstunde zu errechnen. Dabei hätte eine Unterscheidung zwischen den jeweiligen Lenkzeiten und den Zeiten für Beladung und der sonstigen Tätigkeit gemacht werden müssen.

Nach Einlangen dieses Einspruches führte die mitbeteiligte Partei zunächst weitere Ermittlungen durch; sie erhob bei einem Sachverständigen für Transportbetriebe die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Sattelschleppers auf der Strecke von Salzburg nach Irland, bezogen auf die reine Fahrtzeit (bis zur Fähre bei Verwendung von modernem Gerät) mit 70 km/h und eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit im EG-Raum von 80 km/h, mit einer Toleranz in der BRD bis 90 km/h. Weiters wertete die mitbeteiligte Partei Wochenberichte und Tachographenscheiben für 5 Kraftfahrer hinsichtlich des Jahres 1989 aus und hielt die Ergebnisse der Ermittlungen in einem umfangreichen Aktenvermerk fest, worin noch ausgeführt wird, daß die Wochenberichte und Tachographenscheiben nicht übereinstimmten und bei der Auswertung der oftmals noch unvollständig und unrichtig ausgefüllten Fahrtenscheiben "viele Fragen offen" blieben. Die Unterlagen seien auch teilweise unvollständig. Aus diesen Unterlagen gehe hervor, daß die Fahrer wöchentlich zwischen 3000 bis 3500 km zurücklegten. Daraus ergebe sich eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von weit über 55 Stunden. Nach dem Inhalt eines weiteren Aktenvermerks vom 30. November 1989 habe sich der Beschwerdeführer anhand der überprüften Unterlagen erklären lassen, welche Unterlagen von ihm noch vorzulegen seien. Es sei ihm Gelegenheit zur "detaillierten Einsichtnahme" gegeben worden. Am 12. Juli 1990 legte die mitbeteiligte Partei schließlich den Einspruch unter Erstattung eines umfangreichen Vorlageberichtes (worin auch die Ergebnisse der weiteren Ermittlungen dargelegt werden) der belangten Behörde vor.

2. Mit Bescheid vom 29. Juni 1988 verhängte die mitbeteiligte Partei über den Beschwerdeführer einen Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs. 1 ASVG in der Höhe von

S 46.000,--. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 5. Juli 1988 zugestellt und ist nach der Aktenlage in Rechtskraft erwachsen. Diesem Bescheid lag die Nichtmeldung von beitragspflichtigen Entgelten oder Sonderzahlungen in 24 Fällen und eine sich daraus ergebende Beitragsnachberechnung in der Höhe von S 183.192,51 zugrunde.

Am 4. Oktober 1988 erließ die mitbeteiligte Partei einen weiteren Bescheid mit folgendem Spruch:

"Gemäß § 62 Abs. 4 AVG wird der im Spruch des Bescheides der Salzburger Gebietskrankenkasse vom 29. Juni 1988 ... angeführte Beitragszuschlag in Höhe von S 46.000,-- auf S 28.000,-- berichtigt."

Nach der Begründung dieses Bescheides sei die Vorschreibung des Beitragszuschlages von S 46.000,-- unter unrichtigen Voraussetzungen erfolgt, weil die im Zuge der Beitragsprüfung zur (ergänze: ursprünglichen) Vorschreibung des Beitragszuschlages führende Beitragsnachberechnung (ergänze: in der Höhe von S 183.192,51) nachträglich als nicht zu Recht bestehend erkannt (ergänze: und mit dem eingangs genannten Bescheid mit S 111.301,32 festgelegt) worden sei. Der "versehentlich festgesetzte Beitragszuschlag" sei von Amts wegen nach § 62 Abs. 4 AVG zu berichtigen gewesen.

Gegen diesen Berichtigungsbescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch mit der Begründung, die Vorschreibung des Beitragszuschlages sei zu Unrecht erfolgt, da bereits die Beitragsnachberechnung rechtsirrig und überdies (ergänze: im damaligen Zeitpunkt) nicht mit Bescheid erfolgt sei.

In ihrem Vorlagebericht an die belangte Behörde regte die mitbeteiligte Partei an, das Verfahren bis zur Entscheidung über die Berechtigung der Beitragsnachberechnung auszusetzen.

3. Mit zwei Bescheiden vom 23. Juni 1990 wies die belangte Behörde die Einsprüche des Beschwerdeführers ab.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerde, wobei jene hinsichtlich des Beitragszuschlages zu Zl. 90/08/0156 und jene hinsichtlich der Beitragsnachverrechnung zu Zl. 90/08/0157 protokolliert ist.

Die belangte Behörde hat keine Gegenschrift erstattet, jedoch die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei in ihrer zu beiden Beschwerden gemeinsam erstatteten Gegenschrift - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerdesachen zufolge des Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

4.1. ZUR VERHÄNGUNG DES BEITRAGSZUSCHLAGES

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß die mitbeteiligte Partei und die belangte Behörde bei Verhängung des Beitragszuschlages die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, das Ausmaß der nachzuzahlenden Beiträge und die Art der Meldeverstöße entgegen § 113 Abs. 1 ASVG nicht berücksichtigt hätten, weshalb der Beitragszuschlag überhöht sei.

Damit übersieht der Beschwerdeführer - ebenso wie die belangte Behörde - daß der Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 29. Juni 1988, mit welchem über den Beschwerdeführer ein Beitragszuschlag von S 46.000,-- verhängt worden ist, unangefochten in Rechtskraft erwuchs. Es trifft zwar zu, daß die Höhe der nachverrechneten Beiträge für die Festsetzung des Beitragszuschlages in zweifacher Hinsicht von Bedeutung ist, nämlich für die im Gesetz genannte Obergrenze des Beitragszuschlages in der Höhe des doppelten dieser Beiträge und für die ebenfalls im Gesetz genannte Untergrenze, nämlich das Ausmaß der Verzugszinsen. Ergibt sich nachträglich, daß eine Reduzierung der ursprünglich angenommenen Höhe der nichtgemeldeten Beiträge vorzunehmen ist, so kann dies daher zum Anlaß einer Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG genommen werden. Eine solche Wiederaufnahme wurde aber vom Beschwerdeführer weder beantragt, noch von der Behörde von Amts wegen verfügt. Die mitbeteiligte Partei verfügte vielmehr (zugunsten des Beschwerdeführers) eine Berichtigung des ursprünglichen Bescheides gemäß § 62 Abs. 4

AVG.

Eine solche Bescheidberichtigung dient jedoch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur der Bereinigung von auf einem Versehen beruhenden (d.h. den eigentlichen Willen der Behörde bloß unrichtig wiedergebenden) und überdies offenkundigen (d.h. zumindest für die Parteien des Verfahrens erkennbaren) Unrichtigkeiten, darf jedoch den Inhalt des Bescheides, sei es in rechtlicher oder in tatsächlicher Hinsicht nicht verändern (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1990, Zl. 89/06/0104, mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur). In Ermangelung dieser Voraussetzungen war eine Berichtigung des rechtskräftigen Bescheides vom 29. Juni 1988 vorliegendenfalls nicht zulässig und der Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 4. Oktober 1988 daher rechtswidrig. Durch die - wenn auch rechtswidrige - Herabsetzung eines rechtskräftigen Beitragszuschlages konnte der Beschwerdeführer jedoch in keinem Recht verletzt werden. Die in der Beschwerde geltend gemachten Umstände betreffen nicht die (ausschließlich zu prüfenden) Voraussetzungen der Berichtigung, sondern das mit Bescheid vom 4. Oktober 1988 abgeschlossene und trotz des Berichtigungsbescheides nicht wieder aufgerollte Verfahren über die Verhängung des Beitragszuschlages.

Die Rechtsmittelfrist gegen den ursprünglichen Bescheid könnte durch die Erlassung des Berichtigungsbescheides aber nur unter der Voraussetzung neuerlich in Gang gesetzt worden sein, daß erst durch die berichtigte Bescheidfassung ein Eingriff in die Rechte des Beschwerdeführers zum Ausdruck gekommen wäre (vgl. die Erkenntnisse vom 13. Februar 1948, Slg. Nr. 317/A, und vom 30. Mai 1956, Slg. Nr. 4082/A). Dies ist aber im vorliegenden Fall auszuschließen. Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Berichtigungsbescheid nicht mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit zurück-, sondern - den bekämpften Bescheid bestätigend - abgewiesen hat, in keine Rechtspositionen des Beschwerdeführers in einer für ihn nachteiligen Weise eingegriffen, weshalb die zu Zl. 90/08/0156 protokollierte Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. war.

4.2. ZUR BEITRAGSNACHVERRECHNUNG

Gemäß § 42 Abs. 3 ASVG ist der Versicherungsträger berechtigt, die für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände aufgrund anderer Ermittlungen oder unter Heranziehung von Daten anderer Versicherungsverhältnisse bei demselben Dienstgeber sowie von Daten gleichartiger oder ähnlicher Betriebe festzustellen, wenn die zur Verfügung stehenden Unterlagen für die Beurteilung dieser Umstände nicht ausreichen.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in diesem Zusammenhang zunächst dadurch in seinen Rechten als verletzt, daß bei der festgestellten Wochenstundenanzahl von 55 Stunden keine Unterscheidung dahin getroffen worden sei, ob das betreffende Fahrzeug im Irlandverkehr oder im innerstaatlichen Verkehr eingesetzt worden sei, obwohl die Unterschiede in den Kilometerleistungen um 60 % differieren würden. Dieser Vorwurf trifft jedoch schon deshalb nicht zu, weil sich die Beitragsnachverrechnung nur auf solche Kraftfahrer bezieht, von denen der Beschwerdeführer in seinem Einspruch selbst vorgebracht hat, daß sie "Irlandfahrer" seien. Sollte der Beschwerdeführer mit dem diesbezüglichen Vorbringen aber (erstmals) zum Ausdruck bringen wollen, daß diese Fahrer im Prüfungszeitraum auch im Inlandverkehr eingesetzt worden seien, so läge darin eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Die weitere Beschwerdebehauptung, die mitbeteiligte Partei sei - wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergebe - doch auch in der Lage gewesen, aufgrund der (gemeint: vom Beschwerdeführer vorgelegten) Unterlagen Feststellungen über die wöchentlichen Einsatzzeiten zu treffen, ist aktenwidrig:

Der Beschwerdeführer hat ausdrücklich bestätigt, daß die (für den Prüfungszeitraum maßgebenden) Fahrtenbücher und Tachographenscheiben bei einer Überschwemmung stark beschädigt und deshalb weggeworfen worden seien. Die nach der Aktenlage von der mitbeteiligten Partei nach Erhebung des Einspruches durchgeführten weiteren (vergleichenden) Ermittlungen gründeten sich auf solche (ebenfalls nicht vollständig vorgelegte) Unterlagen für das Jahr 1989; Beitragszeiträume des Jahres 1989 sind aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens, sodaß die für 1989 vorgelegten Unterlagen nicht geeignet sind, die Zulässigkeit der Schätzung für frührere Beitragszeiträume in Zweifel zu ziehen.

Unverständlich ist das weitere Beschwerdevorbringen, es sei unberücksichtigt geblieben, ob der jeweilige Fahrer im Prüfungszeitraum im Unternehmen des Beschwerdeführers beschäftigt gewesen sei, zumal die Beitragsnachverrechnung an gemeldete Arbeitsverdienste und (wenn auch in geringerer Höhe) entrichtete Sozialversicherungsbeiträge für diese Dienstnehmer im Nachverrechnungszeitraum anknüpft.

Der Beschwerdeführer zieht ferner die Anwendbarkeit des Gutachtens der Fachgruppe für das Güterbeförderungsgewerbe vom 7. Dezember 1982 und die dort angeführten durchschnittlichen Stundenanzahlen im Zusammenhang mit einer gemäß § 42 Abs. 3 ASVG vorzunehmenden Schätzung in Zweifel, weil es sich dabei nicht um von der Behörde ermittelte Tatsachen, sondern um zwischen der Handelskammer und der Arbeiterkammer "ausgehandelte Daten" handle. Dieses Gutachten habe keine Aussagekraft darüber, ob die wöchentliche Einsatzzeit der Irlandfahrer des Beschwerdeführers 55 oder (laut Aussage eines Fahrers) nur 45 Stunden betrage.

Dem ist zunächst zu entgegnen, daß der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/08/0033, das Gutachten der zuständigen Fachgruppe der gesetzlichen Interessensvertretung für das Güterbeförderungsgewerbe in einem vergleichbaren Zusammenhang für grundsätzlich geeignet gehalten hat, als Schätzungsgrundlage zu dienen. Der Beschwerdeführer bestreitet auch nicht, daß das von der erstmitbeteiligten Partei ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Gutachten insoweit Daten vergleichbarer Versicherungsverhältnisse in gleichartigen oder ähnlichen Betrieben enthält. § 42 Abs. 3 ASVG ermächtigt den Versicherungsträger in Fällen wie dem vorliegenden (nämlich bei Fehlen aller maßgebenden Aufzeichnungen) nicht nur die Daten anderer Beschäftigungsverhältnisse beim selben Dienstgeber heranzuziehen, sondern auch, ihren Ermittlungen Fremdvergleiche zugrunde zu legen. Von welcher der beiden Möglichkeiten der Versicherungsträger Gebrauch macht, liegt grundsätzlich in seinem Ermessen. Dieses Ermessen ist hinsichtlich seiner gesetzmäßigen Handhabung im Rechtsmittelweg und schließlich auch im Beschwerdeweg durch den Verwaltungsgerichtshof überprüfbar. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob und welche (anderen) Unterlagen vom geprüften Dienstgeber sonst zur Verfügung gestellt wurden und ob diese Unterlagen insoweit ausreichend sind, daß eine darauf gestützte vergleichsweise Schätzung der Wirklichkeit näher kommt, als die Heranziehung von Fremddaten. Von diesen Voraussetzungen kann aber im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, zumal der Beschwerdeführer - wie sich aus der Aktenlage ergibt und von ihm in der Beschwerde auch nicht bestritten wird - auch für das Jahr 1989 keine vollständigen (zur Anstellung eines Vergleiches allenfalls geeigneten) Unterlagen zur Verfügung gestellt hat. Bei dieser Sachlage war die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse jedenfalls zu dem von ihr mit Hilfe des erwähnten Gutachtens vorgenommenen Fremdvergleich berechtigt und schon deshalb nicht verpflichtet, auf die Aussage eines einzelnen Dienstnehmers des Beschwerdeführers, wonach bei Irlandfahrten nicht 55 sondern nur 45 Wochenstunden angefallen seien, Bedacht zu nehmen.

Letztlich bestreitet der Beschwerdeführer die Zulässigkeit der Einrechnung der bei "stundenlangen Überfahrten auf einer Fähre wie zwischen England und Irland" zugebrachte Zeit in das (mit 55 Stunden) angenommene Ausmaß der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit. Auch darin ist dem Beschwerdeführer nicht zu folgen: Unter Arbeitszeit ist nicht nur die Zeit der tatsächlichen, normalerweise zu verrichtenden Arbeit zu verstehen, sondern auch die Zeit, in der der Dienstgeber die Freizeit des Dienstnehmers für seine Zwecke in Anspruch nimmt (OGH 14. Mai 1957, Arb 6661). Der Transport des Lastwagens und des Lenkers von einem Ort zu einem anderen, um dort die (eigentliche) Lenktätigkeit wieder aufzunehmen, ist Reisezeit; dabei handelt es sich um eine besondere Verfügung des Arbeitgebers über die Freizeit des Arbeitnehmers für seine Zwecke, die zwar als Arbeitszeit im weiteren Sinne anzusehen ist, die lohnrechtlich der eigentlichen Arbeitszeit aber nicht gleichgestellt werden kann (OGH 20. November 1973, Arb 9166). Dies bedeutet aber nicht, daß Reisezeiten schon deshalb als Zeiten der Arbeitsbereitschaft anzusehen wären (vgl. OGH 5. Juni 1984, Arb 10356, die im übrigen gemäß § 14 Abs. 1 AZG für Lenker und Beifahrer von Kraftfahrzeugen ebenfalls Arbeitszeit wäre, vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 89/08/0279); Reisezeit ist vielmehr prinzipiell Arbeitszeit (vgl. Arb 6661 und 10356), es können jedoch rechtswirksam (kollektivvertraglich oder einzelvertraglich) Vereinbarungen getroffen werden, daß diese Zeiten mit einem geringeren als dem sonstigen Entgelt zu vergüten sind. Die Existenz einer derartigen Vereinbarung hat der Beschwerdeführer nicht behauptet; mangels einer solchen Vereinbarung gebührt aber auch für Reisezeit das volle Entgelt (vgl. Arb 10356). Es ist daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde bei Ermittlung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 55 Stunden auf die auf der Fähre zugebrachte Zeit nicht differenzierend Bedacht genommen hat.

Die (nur im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes) vorzunehmende Prüfung des angefochtenen Bescheides läßt somit eine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers nicht erkennen, sodaß auch die zu Zl. 90/08/0157 protokollierte Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, die gemäß deren Art. III Abs. 2 auch im Beschwerdefall anzuwenden ist. Der mit der Vorlage der gemeinsamen Verwaltungsakten verbundene Aufwand ist - ungeachtet dessen, daß es sich um zwei Beschwerdefälle handelt - nur einmal entstanden. Dies gilt auch für den Schriftsatzaufwand für die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse in beiden Beschwerdefällen gemeinsam erstattete Gegenschrift. Darauf war beim Ausspruch über die Kosten des Verfahrens entsprechend Bedacht zu nehmen.

Schlagworte

Entgelt Begriff AnspruchslohnEntgelt Begriff ÜberstundenRechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenZeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenBeschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH ErmessensentscheidungenVorlagen- und Schriftsatzaufwand der belangten Behörde Umfang des Zuspruches des Vorlagenaufwandes und Schriftsatzaufwandes bei mehrfachen Begehren auf Ersatz desselben, bei Vorliegen mehrerer angefochtener Bescheide, bei anders lautendem oder höherem BegehrenSchriftsatzaufwand Verhandlungsaufwand des Beschwerdeführers und der mitbeteiligten Partei Inhalt und Umfang des PauschbetragesInhalt des Spruches DiversesMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Besondere Rechtsgebiete Sozialversicherung Fürsorge Kriegsopferversorgung und OpferfürsorgeInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)SondervereinbarungSachverständiger juristische Person Kammer Beirat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990080156.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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