TE Vwgh Erkenntnis 1991/6/6 90/09/0018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.06.1991
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
67 Versorgungsrecht;

Norm

HVG §1 Abs1 liti idF 1983/577;
HVG §55 Abs1;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 1. Dezember 1989, Zl. 410-451.771-003, betreffend Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles kann zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf das den Parteien bekannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 1988, Zl. 88/09/0034, verwiesen werden. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 13. August 1987 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behoben, mit welchem ein erstinstanzlicher Bescheid bestätigt worden war, wonach der Unfall des Beschwerdeführers vom 19. September 1986 nicht als Wegunfall nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG) anerkannt wurde, weil der Beschwerdeführer seinen Heimweg durch einen Gasthausaufenthalt unterbrochen habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Begründung seines oben genannten Erkenntnisses ausgeführt, es sei nicht ausreichend erhoben und festgestellt worden, welche Gründe den Beschwerdeführer damals dazu veranlaßt hätten, seinen zu Fuß von A nach B angetretenen Heimweg in einem Tankstellenbuffet zu unterbrechen, von dem aus ihn später ein Freund mit dem PKW heimführen wollte. Für den Fall des Zutreffens der Behauptung des Beschwerdeführers, er habe kein Geld mehr für eine Fortsetzung seines Heimweges mit dem Autobus gehabt, wäre - so führte der Verwaltungsgerichtshof weiter aus - die Annahme der Einladung seines Freundes, ihn mit dem PKW heimzubringen, eine durchaus zweckmäßige Variante der Fortsetzung des Heimweges des Beschwerdeführers nach B gewesen. Zu prüfen sei auch, ob der Aufenthalt im Tankstellenbuffet unangemessen lange gedauert habe, dies unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ein Großteil der durch diesen Aufenthalt verlorenen Zeit durch die anderenfalls erforderliche Wartezeit auf den Autobus und durch die mit dem PKW verkürzte Fahrtdauer wettgemacht werden konnte. Habe dem Beschwerdeführer das für eine Weiterfahrt mit dem Autobus nötige Geld tatsächlich gefehlt, dann habe er auch eine etwas längere Wartezeit auf ein unentgeltliches Verkehrsmittel in Kauf nehmen dürfen. Da im konkreten Einzelfall weder der Aufenthalt an sich noch seine eineinhalbstündige Dauer für sich allein zwingend die Auflösung des für den Versorgungsschutz nach dem HVG erforderlichen Zusammenhanges nach sich zögen, sei eine nähere Aufklärung der tatsächlichen Umstände, insbesondere etwa durch eingehende Befragung der beteiligten Personen, unerläßlich.

Im fortgesetzten Verfahren ergänzte die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren durch Erhebungen über die dem Beschwerdeführer am Unfallstag zur Verfügung gestandenen Geldbeträge, durch Einvernahme des K und durch ergänzende Stellungnahmen des Beschwerdeführers. Ferner wurde von der Bezirkshauptmannschaft Z ein Übersichtsplan über das Gebiet A-B eingeholt.

Am 25. September 1989 erließ die belangte Behörde einen Vorhalt betreffend die inzwischen erzielten neuen Ermittlungsergebnisse an den Beschwerdeführer:

    "Da der Bescheid ... vom 13. August 1987 vom

Verwaltungsgerichtshof ... aufgehoben wurde, hat die

Schiedskommission das Ermittlungsverfahren fortgesetzt und Ermittlungen über das Militärkommando Oberösterreich und die Bezirkshauptmannschaft Z gepflogen. Ferner erfolgte die Einvernahme des Fahrzeuglenkers K. Hinsichtlich der ausbezahlten Gebühren wurde festgestellt, daß für den Monat September 1986 ein Betrag von S 1264,-- verblieb.

Bezüglich des herbeigeschafften Übersichtsplanes liegt eine Kopie bei.

Gemäß § 45 AVG 1950 ist den Parteien vor der unter Ausschluß der Parteiöffentlichkeit stattfindenden Verhandlung Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Aus diesem Grund werden Sie von dem Ergebnis des erweiteren Ermittlungsverfahrens in Kenntnis gesetzt und es werden ferner ein Übersichtsplan sowie die im Marktgemeindeamt Bad R aufgenommene Niederschrift übermittelt.

Eine etwaige Stellungnahme möge bis längstens

16. Oktober 1989 eingesandt werden. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt von Ihnen keine Stellungnahme erfolgen, wird die Schiedskommission aufgrund des Beweisergebnisses entscheiden."

Diesen Vorhalt ließ der Beschwerdeführer unbeantwortet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 1. Dezember 1989 hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers erneut keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 82 Abs. 1 HVG bestätigt.

Begründend stellte die belangte Behörde auf Grund der Ergebnisse des fortgesetzten Beweisverfahrens "mit Nachdruck" fest, daß der direkte Weg von der Kaserne zum Wohnort des Beschwerdeführers in B jedenfalls über die Bundesstraße n geführt hätte. Der Beschwerdeführer bzw. der Lenker des Fahrzeuges habe aber noch vor Erreichen des Ortes B für die weitere Fahrtstrecke einen unbenannten Gemeindeweg nach H gewählt, in dessen Gemeindegebiet sich der Unfall ereignet habe. Gemäß § 1 Abs. 1 lit. i HVG sei eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des HVG nur dann zu entschädigen, wenn der Wehrpflichtige diese bei einem Ausgang auf dem Hin- oder Rückweg zwischen der Wohnung und dem Ort der militärischen Dienstleistung erlitten habe. Im gegenständlichen Fall stehe der vom Beschwerdeführer zurückgelegte Weg, auf dem sich der Unfall ereignet habe, nicht unter Unfallversicherungsschutz, zumal nur jener Weg als geschützt verstanden werden könne, für den ein örtlicher und "mit der militärischen Dienstleistung ursächlicher" Zusammenhang bestehe. Da der Beschwerdeführer bzw. der Lenker des Kfz in Verfolgung persönlicher Motive oder Interessen die Abzweigung nach H gewählt habe, hätten die geltend gemachten Gesundheitsschädigungen keine Dienstbeschädigung im Sinne des HVG dargestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Beschädigtenrente nach dem HVG verletzt und bringt vor, bei dem gewählten Weg habe es sich um die direkte Verbindung nach B gehandelt, es handle sich dabei um eine wesentliche Abkürzung gegenüber der Bundesstraße n.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Die belangte Behörde verweist insbesondere auf das dem Beschwerdeführer gewährte Parteiengehör und darauf, daß der von ihr eingeholte Übersichtsplan die maßgeblichen örtlichen Verhältnisse klar veranschauliche.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist strittig, ob der vom Beschwerdeführer am 19. September 1986 erlittene Unfall gemäß § 1 HVG als Wegunfall anzuerkennen ist und somit in den Versicherungsschutz nach diesem Gesetz fällt oder nicht. Der Beschwerdeführer hat seinen diesbezüglichen Anspruch am 4. November 1986, somit binnen sechs Monaten nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses, geltend gemacht, sodaß die Anspruchsberechtigung auf Grund der im Zeitpunkt des Unfalles in Geltung gestandenen Rechtslage zu prüfen war (§ 55 Abs. 1 HVG). Damals hatte § 1 Abs. 1 lit. i HVG gemäß seiner Fassung nach Art. V des Wehrrechtsänderungsgesetzes 1983, Nr. 577/1983, folgenden Wortlaut:

"Eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des ordentlichen oder außerordentlichen Präsenzdienstes (§§ 27 und 35 des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 150), einschließlich einer allfälligen beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat erlitten hat, wird nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung entschädigt (§ 2). Das gleiche gilt für eine Gesundheitsschädigung, die ein Wehrpflichtiger (§ 16 des Wehrgesetzes 1978)

...

i) bei einem Ausgang auf dem Hin- oder Rückweg zwischen der Wohnung und dem Ort der militärischen Dienstleistung,

...

erlitten hat. Eine Gesundheitsschädigung, die auf einem Weg gemäß lit. d bis k erlitten wird, ist jedoch nur dann als Dienstbeschädigung zu entschädigen, wenn die mit der Zurücklegung des Weges verbundenen Gefahren die wesentliche Ursache für den Eintritt des Unfalles waren.

..."

Die mehrfachen, nach dem Inkrafttreten dieser Fassung des § 1 Abs. 1 HVG erfolgten Änderungen dieser Gesetzesstelle haben für die Erledigung des vorliegenden Beschwerdefalles aus nachstehenden Erwägungen außer Betracht zu bleiben:

1.) Die Novellierung gemäß Art. II Z. 1 und 2 des Versorgungsrechts-Änderungsgesetzes 1986, BGBl. Nr. 483/1985, betraf die lit. j und l des § 1 Abs. 1 HVG und änderte am oben wiedergegebenen, für den Beschwerdefall entscheidenden Gesetzeswortlaut nichts.

2.) Anders verhält es sich mit der Novellierung gemäß Art. II Abs. 1 des Versorgungsrechts-Änderungsgesetzes 1988, BGBl. Nr. 614/1987, durch welche der dritte Satz des § 1 Abs. 1 neu gefaßt wurde, wobei diese Änderung gemäß Art. VI Abs. 2 dieses Gesetzes (rückwirkend) auch auf Versorgungsansprüche anzuwenden sein sollte, die vor dem 1. Jänner 1988 geltend gemacht worden sind. Diesen Art. VI Abs. 2 hat jedoch der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 14. März 1991,

G 225/88 u.a., als verfassungswidrig aufgehoben, wobei der vorliegende Fall einer der Anlaßfälle für diese Aufhebung ist.

3.) § 1 HVG ist inzwischen durch Art. II Z. 1 des Versorgungsrechts-Änderungsgesetzes 1989, BGBl. Nr. 648/1989, neuerlich geändert worden, wobei die nunmehrige Fassung gemäß Art. VIII dieses Gesetzes mit 1. Juli 1988 in Kraft getreten ist. Auch diese Novellierung hatte somit keine vom Verwaltungsgerichtshof zu beachtende Änderung des oben wiedergegebenen, im Beschwerdefall anzuwendenden Wortlautes des § 1 Abs. 1 lit. i HVG zur Folge.

Im Beschwerdefall besteht kein Zweifel daran, daß der Unfall des Beschwerdeführers ohne dessen Verschulden auf die mit der Zurücklegung seines Weges verbundenen Gefahren zurückzuführen ist.

Im nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Abweisung des Versorgungsanspruches des Beschwerdeführers nicht mehr mit einer Unterbrechung seines Heimweges durch einen Gasthausaufenthalt begründet, sondern ausschließlich damit, daß der Beschwerdeführer auf der Heimfahrt von A an seinen Wohnort von der kürzesten Fahrtstrecke auf einen "Umweg" abgewichen sei. Der Beschwerdeführer habe dies trotz gebotener Gelegenheit (Vorhalt) im Verwaltungsverfahren nicht bestritten.

Was vorerst das dem Beschwerdeführer gewährte Parteiengehör betrifft, ist der belangten Behörde zuzugeben, daß der Beschwerdeführer ihren Vorhalt vom 25. September 1989 unbeantwortet gelassen hat. Aus diesem Vorhalt ist allerdings nicht ersichtlich gewesen, welche Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde aus dem ihr zur Verfügung gestandenen Plan abzuleiten gedachte. Nur wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer auch vorgehalten hätte, daß sie aus diesem Plan die Konsequenz zu ziehen gedächte, der Beschwerdeführer habe sich im Unfallszeitpunkt auf einem seinem Versorgungsanspruch schädlichen "Umweg" befunden, könnte dem Beschwerdeführer - wie es in der Gegenschrift geschieht - vorgeworfen werden, er habe eine gebotene Gelegenheit zur Stellungnahme im Verwaltungsverfahren versäumt. Bei der gegebenen Sachlage hatte der Beschwerdeführer erstmals in seiner Beschwerde Gelegenheit, zu dem behaupteten "Umweg" Stellung zu nehmen, weshalb sein diesbezügliches Vorbringen auch nicht als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG) zu behandeln ist.

Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde vor, daß er und seine Familienangehörigen schon seit jeher den auch am Unfallstag gewählten Weg als "direkten Weg nach B" benützten. Der Unfall habe sich kurz nach dem Abbiegen von der Bundesstraße n auf den unbenannten Gemeindeweg ereignet, und nicht erst im Gebiet der Ortschaft H.

Um festzustellen, ob sich der Unfall auf dem direkten Heimweg des Beschwerdeführers zu seinem Wohnhaus, oder aber auf einem für die Beurteilung nach dem HVG maßgeblichen "Umweg" ereignet hat, durfte sich die belangte Behörde nicht auf die eingeholte Übersichtsskizze allein beziehen, zumal sich aus dieser weder der genaue Unfallsort noch die genaue Lage des Wohnhauses des Beschwerdeführers in B entnehmen läßt. Auf Grund der bisher vorliegenden Ermittlungsergebnisse kann nicht gesagt werden, daß der Beschwerdeführer einen schädlichen Umweg gewählt hat, weil sein Wohnhaus nicht unmittelbar an der Bundesstraße n gelegen sein muß und es somit nicht ausgeschlossen werden kann, daß die gewählte unbenannte Gemeindestraße tatsächlich die kürzeste Verbindung dargestellt hat, wie dies der Beschwerdeführer behaupet. Selbst dann aber, wenn der vom Beschwerdeführer gewählte Weg etwa gleich lang oder auch nur unwesentlich länger als jener über die Bundesstraße n gewesen wäre, wäre durch das Abbiegen in den Gemeindeweg noch nicht zwingend ein für die Beurteilung nach dem HVG relevanter Umweg anzunehmen. Es wird zur Aufklärung dieser Umstände somit einer detaillierteren Planskizze über die örtlichen Gegebenheiten im Gebiet der Unfallstelle und von B sowie einer ergänzenden Befragung der Beteiligten darüber bedürfen, aus welchen Gründen sie ihre Fahrt nicht auf der Bundesstraße n fortgesetzt haben.

Auch der nunmehr von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Sachverhalt bedarf daher in wesentlichen Punkten der Ergänzung, weshalb auch der nunmehr angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 2 und 59 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990090018.X00

Im RIS seit

06.06.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten