TE Vwgh Erkenntnis 1991/6/18 87/08/0098

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Veröffentlicht am 18.06.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
22/04 Sonstiges Prozessrecht;
40/02 Sonstiges Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §113 Abs1;
ASVG §113 Abs2;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §413 Abs1 Z1;
ASVG §56 Abs1;
ASVG §56 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
FristHG 1961 idF 1963/189;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und Senatspräsident Dr. Liska sowie die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der I. F -Ziegelfabrik & Co KG in U, vertreten durch Dr. Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, Radetzkystraße 29/1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 25. März 1987, Zl. 5-226 Pe 135/2-1987, betreffend Ordnungsbeiträge gemäß § 56 Abs. 1 ASVG (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse in Graz, Josef Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse vom 7. Jänner 1987 wurde die Beschwerdeführerin wegen nicht rechtzeitig erstatteter Abmeldungen von der Pflichtversicherung für zwei namentlich genannte Dienstnehmer (Ende der Versicherung am 30. Juni 1986, abgemeldet am 17. September 1986) gemäß § 56 Abs. 1 ASVG verpflichtet, die allgemeinen Beiträge in der Höhe von insgesamt S 35.061,08 weiter zu entrichten. In der Begründung dieses Bescheides wird lediglich der Text des § 56 Abs. 1 ASVG wiedergegeben und angefügt, daß eine Abmeldung dann als rechtzeitig erstattet gelte, wenn sie binnen drei Tagen bzw. binnen der vereinbarten Frist nach dem Ende der Pflichtversicherung beim zuständigen Träger der Krankenversicherung einlange.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Einspruch, in dem sie ausführte, daß von ihren beiden verantwortlichen Lohnverrechnern zeugenschaftlich bestätigt werden könne, daß die betreffenden Abmeldungen am 30. Juni 1986 ordnungsgemäß auf dem Postweg das Haus der Beschwerdeführerin verlassen hätten. Da es bereits zweimal vorgekommen sei, daß Abmeldungen verloren gegangen seien, seien von der Beschwerdeführerin seit dem Jahre 1981 zusätzlich Durchschläge für An- und Abmeldungen gemacht worden, die jederzeit vorgelegt werden könnten. Die Beschwerdeführerin ersuche um Nachsicht der Nachverrechnung aufgrund der wirtschaftlich und finanziell außerordentlich schlechten Situation der Beschwerdeführerin, die durch den Konkurs ihres Maschinenlieferanten entstanden sei. Dadurch habe die Beschwerdeführerin seit ca. 2 Jahren nicht mehr produzieren können und daher auch keine Einnahmen gehabt.

Dieses Einspruchsvorbringen wurde von der Beschwerdeführerin im wesentlichen in ihrer weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 16. März 1987 wiederholt. Insbesondere erklärte darin die Beschwerdeführerin neuerlich, daß die betreffenden Abmeldungen noch am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses der beiden genannten Dienstnehmer das Haus der Beschwerdeführerin auf dem Postweg verlassen hätten. Ergänzend führte die Beschwerdeführerin in dieser Stellungnahme aus, daß die bei den Beitragsprüfungen in den Jahren 1982 und 1985 zutage getretenen geringfügigen Beitragsdifferenzen bei der Beitragsberechnung von nachverrechneten Sonderzahlungen übersehen worden seien. Diese Fehler seien keinesfalls An- und Abmeldeverletzungen gewesen. Die Anschuldigung, daß die Beschwerdeführerin den Meldebestimmungen des ASVG nicht die nötige Bedeutung zumesse, werde entschieden zurückgewiesen, da es bei der Beschwerdeführerin nie vorgekommen sei, daß sie Arbeitnehmer beschäftigt habe, ohne diese sogleich bei der zuständigen Gebietskrankenkasse zu melden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse keine Folge gegeben und dieser erstinstanzliche Bescheid vollinhaltlich bestätigt. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides sei nicht der Tag der Postaufgabe der Versicherungsmeldung, sondern einzig und allein das rechtzeitige Einlangen derselben beim Versicherungsträger maßgeblich. Die Beweisangebote der Beschwerdeführerin über die erfolgte und allenfalls rechtzeitige Postaufgabe der betreffenden Meldungen gingen daher ins Leere. Der gegenständliche Meldeverstoß rechtfertige auch nach Ansicht der belangten Behörde im Hinblick auf die bisherigen von der Beschwerdeführerin begangenen Meldeverstöße zweifellos die Vorschreibung von Ordnungsbeiträgen, zumal die namentlich genannten Dienstnehmer von der Beschwerdeführerin erst zweieinhalb Monate nach dem Ende der Pflichtversicherung ordnungsgemäß und nachweislich abgemeldet worden seien. In welcher Höhe die Beschwerdeführerin jährlich Beiträge an den Krankenversicherungsträger abführe, sei bei der Vorschreibung von Ordnungsbeiträgen nicht zu berücksichtigen. Die belangte Behörde sehe daher unter Berücksichtigung des Vorangeführten keine Veranlassung, auf die Weiterentrichtung der von der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse vorgeschriebenen Beiträge zur Gänze oder zum Teil zu verzichten. Dagegen wendet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem Recht verletzt, 1.) gemäß § 56 ASVG Beiträge nur im Falle der nicht rechtzeitigen Abmeldung und 2.) im Falle der nicht rechtzeitigen Abmeldung gemäß § 56 Abs. 3 in Verbindung mit

113 Abs. 1 ASVG Beiträge nur insbesondere entsprechend den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Art des Meldeverstoßes weiter entrichten zu müssen. Nach der Beschwerdebegründung hätte die belangte Behörde - trotz möglicherweise unglücklicher Formulierung - aus dem Gesamtvorbringen der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren erkennen und ihrem weiteren Verfahren zugrundelegen müssen, daß die Beschwerdeführerin der Sache nach das rechtzeitige Einlangen der Abmeldungen bei der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse behauptet und diesbezügliche Beweise angeboten habe. Bei entsprechender Beweisaufnahme hätte die belangte Behörde zum Ergebnis kommen können, daß die Beschwerdeführerin die Abmeldungen ordnungsgemäß der Post zur Beförderung an die Steiermärkische Gebietskrankenkasse übergeben habe, diese Abmeldungen auf dem Postweg nicht verloren gegangen, sondern rechtzeitig bei der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse eingelangt und erst dort - was bei einem Haus dieser Größenordnung durchaus möglich sei - im Zuge der hausinternen Beförderung verloren gegangen seien. Hinsichtlich der Ermessensübung bringt die Beschwerdeführerin vor, daß der angefochtene Bescheid u.a. keinerlei Feststellungen hinsichtlich der vorgeworfenen bisherigen Meldeverstöße enthalte. Die belangte Behörde gebe lediglich an, daß im Hinblick auf die bisherigen Meldeverstöße die Vorschreibung von Ordnungsbeiträgen gerechtfertigt sei, ohne irgend einen Meldeverstoß zu konkretisieren.

Am 7. Dezember 1989 hat der Verwaltungsgerichtshof den Beschluß gefaßt, gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen,

1.) § 56 Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung BGBl. Nr. 6/1968, und § 56 Abs. 2 bis 4 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in eventu

2.) § 56 Abs. 3 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. März 1991, G 75/90-10, wurde dieser Antrag, soweit er § 56 Abs. 2, Abs. 3 mit Ausnahme der Wortfolge "auf die Weiterentrichtung der Beiträge über das Ende der Versicherung hinaus (Abs. 1) oder" und Abs. 4 ASVG betrifft, zurückgewiesen. Im übrigen wurde diesem Antrag nicht Folge gegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 56 Abs. 1 ASVG sind für Versicherte, die vom Dienstgeber nicht oder nicht rechtzeitig abgemeldet werden, die allgemeinen Beiträge bis zum Zeitpunkt der schriftlichen Abmeldung durch den Dienstgeber, längstens aber für die Dauer von drei Monaten.nach dem Ende der Versicherung, weiter zu entrichten.

Nach § 56 Abs. 3 ASVG kann der Versicherungsträger, bei dem die Beiträge einzuzahlen sind, auf die Weiterentrichtung der Beiträge über das Ende der Versicherung hinaus (Abs. 1) oder auf die Entrichtung der bisherigen Beiträge (Abs. 2) zur Gänze oder zum Teil verzichten und bereits entrichtete Beiträge dieser Art zurückerstatten.

In der gegenständlichen Angelegenheit ist in Erwiderung auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen dem Grunde nach auf das zur Vorschreibung des Beitragszuschlages ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 1985, Zl. 82/08/0099, Slg. Nr. 11.776/A, und die darin zitierte Vorjudikatur hinzuweisen. Danach erfolgt die Anmeldung des Versicherten verspätet (im Sinne des § 113 Abs. 1 ASVG), wenn sie nach Ablauf der Meldefrist nach § 33 Abs. 1 ASVG bzw. nach der Kassensatzung beim Versicherungsträger einlangt. § 33 Abs. 3 AVG, wonach der Postenlauf in (verfahrensrechtliche) Fristen nicht einzurechnen ist, findet keine Anwendung. Die Wahl des Beförderungsmittels erfolgt auf Gefahr des Meldepflichtigen. Die Fristenablaufhemmung durch einen Samstag, Sonntag oder Feiertag hingegen könnte zum Tragen kommen, weil der Gesetzgeber in der Frage der Hemmung des Fristenablaufes durch Samstage, Sonntage, gesetzliche Feiertage und den Karfreitag keinen Unterschied zwischen sogenannten materiell-rechtlichen und sogenannten prozessualen Fristen sehen will (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1980, Zl. 3432/78, Slg. Nr. 10.030/A).

Das gilt auch für eine nicht rechtzeitige Abmeldung im Sinne des § 56 Abs. 1 ASVG.

Wenn in der Beschwerde nunmehr behauptet wird, der Antrag der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren, ihre Lohnverrechner als Zeugen zu vernehmen, sowie ihr gesamtes diesbezügliche Vorbringen wären nicht nur auf die rechtzeitige Postaufgabe, sondern insbesondere auf den hausinternen Verlust der Abmeldungen bei der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse gerichtet gewesen, dann widerspricht dies dem eindeutigen Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren. Aber nicht einmal in der Beschwerde wird von der Beschwerdeführerin aufgeklärt, weshalb ihre Dienstnehmer über die bei der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse durchgeführte hausinterne Beförderung im allgemeinen und über den hausinternen Verbleib der betreffenden Abmeldungen bei der mitbeteiligten Steiermärkischen Gebietskrankenkasse im besonderen so ausreichend informiert sein sollen, daß sie mit ihren Aussagen eine wesentliche Grundlage für die Sachverhaltsfeststellung bieten könnten. Der belangten Behörde unterlief deshalb diesbezüglich kein wesentlicher Verfahrensmangel, wenn sie die von der Beschwerdeführerin beantragte Zeugenbefragung oder eine amtswegige Beweisaufnahme in dieser Richtung nicht durchführte.

Bei der Anwendung des § 56 Abs. 1 ASVG steht dem Sozialversicherungsträger nach § 56 Abs. 3 ASVG Ermessen (Art. 130 Abs. 2 B-VG) zu, von dem der Landeshauptmann im Falle des Einspruches Gebrauch zu machen hat.

Im Rahmen der ihr zustehenden Ermessensübung setzte sich die belangte Behörde in der vorliegenden Angelegenheit nicht einmal mit den von ihr behaupteten bisherigen einschlägigen Meldeverstößen der Beschwerdeführerin auseinander und unterließ es insbesondere, die Anzahl und die Art dieser Meldeverstöße aufzuzeigen. Gänzlich fehlen in der Begründung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes für die Ermessensübung ebenfalls beachtlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin die Erwägungen darüber, weshalb die belangte Behörde nicht von der rechtlichen Möglichkeit des § 56 Abs. 3 ASVG Gebrauch machte.

Wegen dieser inhaltlichen Rechtswidrigkeit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die SS 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

W i e n , am 18. Juni 1991

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteRechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1987080098.X00

Im RIS seit

10.04.2002

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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