TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/17 91/05/0079

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.09.1991
beobachten
merken

Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/02 Zivilprozessordnung;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1010;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
RAO 1868 §14;
RAO 1868 §28 Abs1 lith;
ZPO §31;
ZPO §32;
ZustG §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Giendl und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pichler, über die Beschwerde des Gottfried H in T, vertreten durch Dr. XN, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Februar 1991, Zl. II/3-1270-91, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Bauverfahren, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

In einem Verfahren betreffend die Vorauszahlung der Kosten für die Entfernung eines Wohnhauses hat der Beschwerdeführer mit einem am 22. September 1982 bei der Bezirkshauptmannschaft Krems eingelangten Antrag auf Innehaltung der Exekution eine Vollmacht lautend auf Dr. YN, Rechtsanwalt in Wien, vorgelegt. Mit Bescheid vom 6. Februar 1990 behob die Bezirkshauptmannschaft Krems gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1950 ihren Bescheid vom 10. Dezember 1984, mit dem das Verfahren über die Zwangsversteigerung des Grundstückes Nr. 1702, EZ 1246, KG A, bis zum rechtskräftigen Abschluß des bei der Baubehörde der Stadtgemeinde Langenlois anhängigen Verfahrens um Erteilung einer Baubewilligung für eine Frühstückspension ausgesetzt worden war, mit sofortiger Wirkung. Dieser Bescheid erging an den Beschwerdeführer zu Handen Herrn Dr. YN und an den Beschwerdeführer in T, BRD (zur Kenntnis) persönlich. Im Akt ist lediglich die Zustellung zu Handen des Rechtsanwaltes Dr. YN ausgewiesen, wobei auf dem Rückschein ein Stempel mit folgendem Wortlaut angebracht ist: "Dr. XN als mit Beschluß der RAK Wien vom 6.12.1989 für den am 2. Dezember 1989 verstorbenen Dr. YN bestellter mittlerweiliger Stellvertreter". Der Bescheid wurde nach dem Rückschein von einem Arbeitnehmer des Empfängers übernommen. Am 13. September 1990 langte bei der Bezirkshauptmannschaft Krems eine auf Dr. XN lautende Vollmacht, unterzeichnet vom Beschwerdeführer am 31. August 1990, ein. Diese Vollmachtsvorlage wurde mit dem Antrag verbunden, den Bescheid vom 6. Februar 1990 neuerlich zuzustellen, weil die seinerzeit erfolgte Zustellung an Dr. YN wegen dessen Ablebens am 2. Dezember 1989 und dem damit verbundenen Erlöschen seiner Einschreitervollmacht ungültig sei. Der mittlerweilige Stellvertreter sei auf Grund der einschlägigen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung nicht zur Vertretung des Mandanten eines verstorbenen Rechtsanwaltes befugt. Mit Begleitschreiben vom 7. November 1990 wurde der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 6. Februar 1990 an den Beschwerdeführer zu Handen Dr. XN zugestellt, der Bescheid wurde laut Rückschein am 13. November 1990 von einem Arbeitnehmer des Dr. XN in dessen Kanzlei übernommen. Die dagegen am 27. November 1990 eingebrachte Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid als verspätet zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, § 28 Abs. 1 lit. h RAO sehe vor, daß für einen verstorbenen, erkrankten oder abwesenden Rechtsanwalt ein "mittlerweiliger Stellvertreter" durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer bestellt werden könne. Abgesehen von dieser Regelung (mittlerweilige Stellvertretung) bestehe gemäß § 1025 ABGB eine Fortsetzungspflicht. Diese Tätigkeit im Rahmen der Fortsetzungspflicht gemäß § 1025 ABGB beruhe noch auf dem aufgehobenen Vollmachtsverhältnis. Die Fortsetzungspflicht sei aber zeitlich begrenzt und inhaltlich auf die unaufschiebbaren Geschäfte beschränkt. Danach müßten, wenn eine Vollmacht durch Tod aufgehoben werde, die Geschäfte, welchen keinen Aufschub litten, solange fortgesetzt werden, bis vom Machtgeber eine andere Verfügung getroffen worden ist oder füglich getroffen werden konnte. Hieraus ergebe sich, daß der "mittlerweilige Stellvertreter", wenn er das Rechtsmittel der Berufung ergreifen wolle, die Berufung nur innerhalb der nicht erstreckbaren Berufungsfrist erheben muß. Im gegenständlichen Fall sei der Bescheid vom 6. Februar 1990 am 8. Februar 1990 von einem Arbeitnehmer des Empfängers - hier nun des Rechtsanwaltes Dr. XN - übernommen worden. Mit diesem Tag (8. Februar 1990) gelte sohin der Bescheid als erlassen und beginne mit diesem Tag die Berufungsfrist zu laufen. Daran vermöge auch die Tatsache nichts zu ändern, daß der Bescheid neuerlich zugestellt und am 13. November 1990 übernommen worden sei. Denn die mit der Zustellung verbundenen Rechtsfolgen, insbesondere der Beginn des Laufes einer Rechtsmittelfrist, treten in dem Zeitpunkt ein, in dem das Schriftstück zum ersten Mal gültig zugestellt worden sei. Weiteren Zustellungen komme keine Wirkung zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende

Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 AVG können sich die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden. Gemäß § 9 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, hat die Behörde, wenn eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt ist, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, diese Person als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mit Beschluß vom 17. Februar 1989, Zl. 85/18/0268, ausgesprochen, daß der substituierte Rechtsanwalt nur dann in einem direkten Vertragsverhältnis mit dem Vollmachtgeber steht, wenn er von diesem direkt Vollmacht erhalten hat. Andernfalls hat der substituierte Rechtsanwalt im Verwaltungsverfahren auch keine Vollmacht zur Empfangnahme von Schriftstücken.

Gemäß § 28 lit. h der Rechtsanwaltsordnung kann durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für einen verstorbenen, erkrankten oder abwesenden Rechtsanwalt ein "mittlerweiliger Stellvertreter" bestellt werden. Zu dieser Bestimmung hat der Oberste Gerichtshof am 14. Februar 1951, Zl. 1 Ob 725/50 (ÖJZ 1951, Evidenzblatt Nr. 123), ausgesprochen, daß die Bestellung zum Vertreter durch die Rechtsanwaltskammer gemäß § 28 lit. h RAO noch kein Vollmachtsverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Klienten des vertretenen Anwaltes begründet. Mit Urteil vom 15. April 1971, Zl. 1 Ob 84/71 (ÖJZ 1971, Evidenzblatt Nr. 44), hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß die Bestellung zum mittlerweiligen Stellvertreter durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer noch kein Vollmachtsverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Klienten des vertretenen Anwaltes begründet, da der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer keine Vollmacht der Partei hat und sie daher auch nicht übertragen kann. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes, wonach die Bestellung zum mittlerweiligen Stellvertreter durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer kein Vollmachtsverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Klienten des vertretenen Anwaltes begründet. Da der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem zitierten Beschluß vom 17. Februar 1989 ausgesprochen hat, ausschlaggebend sei das Bestehen unmittelbarer vertraglicher Beziehungen zu dem Substituten, ist in Verfolgung dieser Rechtsansicht davon auszugehen, daß mangels unmittelbarer vertraglicher Beziehung zu dem vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer bestellten "mittlerweiligen Stellvertreter" auch keine Vollmacht zur Empfangnahme von Schriftstücken (hier des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Krems vom 6. Februar 1990) vorlag. Die an den mittlerweiligen Stellvertreter erfolgte Zustellung des Bescheides entfaltete somit keine Rechtswirkung. Die Zustellung erfolgte vielmehr erst am 13. November 1990, da zu diesem Zeitpunkt der nunmehrige Vertreter des Beschwerdeführers mit Vollmacht ausgewiesen war. Die am 27. November 1990 zur Post gegebene Berufung war daher rechtzeitig.

Da die belangte Behörde dies verkannte und die Berufung als verspätet zurückwies, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im pauschalierten Aufwandersatz Umsatzsteuer bereits inbegriffen ist.

Mit der Erledigung der Beschwerde, ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.

Schlagworte

Beginn Vertretungsbefugnis Vollmachtserteilung Ende Vertretungsbefugnis Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Substitution Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991050079.X00

Im RIS seit

17.09.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten