TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/18 91/13/0064

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Veröffentlicht am 18.09.1991
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §207 Abs2;
BAO §209 Abs1;
BAO §303;
FinStrG §33;
FinStrG §8 Abs1;
FinStrG §8;
FinStrG §9;
FinStrG §98 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Pokorny, Dr. Fellner und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Ing. Hans Z in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld, vom 24. Jänner 1991, Zl. 6/1-1059/90-01, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 1977 bis 1981, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Im Beschwerdefall ist allein strittig, ob die amtswegige Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für die Jahre 1977 bis 1981 zulässig ist. Der Beschwerdeführer stellt dies deshalb in Abrede, weil eine solche Wiederaufnahme gemäß § 304 BAO nach Eintritt der Verjährung ausgeschlossen und im Beschwerdefall das Recht, die Einkommensteuer für die Jahre 1977 bis 1981 festzusetzen, im Zeitpunkt der Wiederaufnahme wegen Ablaufes der Fünfjahresfrist des § 207 Abs. 2 erster Satz BAO verjährt gewesen sei.

Demgegenüber vertritt die belangte Behörde in dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid die Auffassung, daß im Beschwerdefall nicht diese Frist, sondern die im nächsten Satz der Gesetzesstelle bei hinterzogenen Abgaben vorgesehene zehnjährige Frist zum Zug komme. Diese Frist sei im Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Verfahren noch nicht abgelaufen gewesen.

Diesen Standpunkt bekämpft die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie wegen dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stimmen darin überein, daß die Abgabenbehörde nicht daran gehindert ist, im Abgabenverfahren - ohne daß es einer finanzstrafbehördlichen Entscheidung bedarf - festzustellen, daß Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO hinterzogen sind (siehe auch z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1981, Zlen. 14/2524, 2876/80 und 81/14/0125, 0126). Der Verwaltungsgerichtshof ist allerdings der Auffassung, daß die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraussetzt. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, daß eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz als Schuldform erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1988, Zl. 87/14/0173).

Im Beschwerdefall steht Vorsatz nicht in nachprüfbarer Weise fest.

Aus den Erwägungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ergibt sich folgendes:

Die Behörde gibt zunächst die Rechtslage über die Festsetzungsverjährung (Bemessungsverjährung) wieder und zeigt die Rechtsfolgen einer solchen Verjährung auf. Sie verweist auf die Veranlagungsvorschrift des § 39 Abs. 1 EStG 1972 und erwähnt, im Zuge einer Betriebsprüfung (BP) bei der H-GmbH, deren beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer der Beschwerdeführer sei, wären in den Streitjahren 1977 bis 1991 - gemeint wohl: 1977 bis 1981 - verdeckte Gewinnausschüttungen in Höhe von zusammen S 4,066.831,-- festgestellt worden. Die objektive Abgabenverkürzung sei unbestritten geblieben; es handle sich um dem Beschwerdeführer zugegangene verdeckte Gewinnausschüttungen wie Miete Privathaus, Hausbesorgerkosten Privathaus, Zinsen Verrechnungskonto, Privatreisen (Flugreisen für vier Personen), Privatnutzung Telefon und Pkw. Die belangte Behörde zitierte sodann § 33 Abs. 1 FinStrG und führte anschließend folgendes aus:

"Gemäß § 8 Abs. 1 Finanzstrafgesetz handelt VORSÄTZLICH wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu gehört es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Nach Ansicht des Senates stellte daher die Vorgangsweise des Berufungswerbers - sämtliche Privataufwendungen als betrieblich zu behandeln - eine VORSÄTZLICHE ABGABENHINTERZIEHUNG im Sinne des Finanzstrafgesetzes dar."

Desweiteren enthält der angefochtene Bescheid eine Darstellung über Beginn und Unterbrechung der Verjährung sowie darüber, daß das Recht zur Festsetzung der Einkommensteuer für 1977 bis 1981 als hinterzogene Abgaben noch nicht verjährt wäre.

Das von der belangten Behörde ins Treffen geführte objektive Tatverhalten, "sämtliche (?) Privataufwendungen als betrieblich zu behandeln", erscheint dem Verwaltungsgerichtshof nicht ausreichend, um allein daraus das Vorliegen des notwendigen subjektiven Tatbestandselementes des Vorsatzes zu erweisen. Der Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe ohne nähere (ausreichende) Begründung eine "vorsätzliche Abgabenhinterziehung" angenommen, zeigt sich als zutreffend. Es ist im besonderen in Rechnung zu stellen, daß sich die "sämtlichen Privataufwendungen" - wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt - aus Aufwendungen verschiedener Art zusammensetzen, und keinesfalls bei allen Aufwendungen ein vorsätzliches Verhalten des Beschwerdeführers auf der Hand liegt. So zeigt z.B. die im angefochtenen Bescheid erwähnte, aktenkundige Anzeige an das Landesgericht für Strafsachen Wien, daß die H-GmbH für die Nutzung des Pkw bereits selbst einen Privatanteil ansetzte (womit nicht SÄMTLICHE Privataufwendungen betrieblich behandelt worden wären) und der Betriebsprüfer den Privatanteil lediglich erhöhte. Warum schon der Ansatz eines geringeren als des von der BP angenommene Privatanteiles VORSÄTZLICHES Verhalten erwies, hätte näher begründet werden müssen. Für den Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht zu erkennen, wieso der offenbar bloß rechnerische, aus den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens nicht nachvollziehbare Ansatz von Zinsen für das "Verrechnungskonto Ing. Z" Rückschlüsse auf ein vorsätzliches Verhaltes des Beschwerdeführers erlaubt.

Selbst bedingter Vorsatz (dolus eventualis) setzt eine (die Abgabenverkürzung in Kauf nehmende) ZIELGERICHTETE subjektive Einstellung des Täters voraus (siehe zuletzt die beiden Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1990, Zl. 90/16/0153 und Zl. 90/16/0180). Bloßer Unbedacht und Leichtsinn reichen für die Annahme bedingten Vorsatzes nicht hin (siehe Fellner, Finanzstrafgesetz, Neufassung 1975, § 8 Anm. 17, und die dort erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 20. November 1975, 13 Os 103/75). Auch Irrtum würde selbst bedingten Vorsatz ausschließen, selbst wenn er unentschuldbar wäre; nur Fahrlässigkeit, nicht Vorsatz könnte der unentschuldbare Irrtum begründen (§ 9 FinStrG).

Unter diesen Gesichtspunkten verdient auch das Beschwerdevorbringen Beachtung, der Berufungssenat hätte nicht von der bloßen Annahme ausgehen dürfen, daß sämtliche Privataufwendungen als betrieblich behandelt worden seien; auch bei der BP sei nur der Umfang der jeweiligen privaten Nutzung strittig gewesen, die Privatnutzung selbst vom Beschwerdeführer aber immer in seinen Erklärungen der Finanzbehörde offengelegt worden.

Wenn der Beschwerdeführer in den Abgabenerklärungen in der Tat die "Privatnutzungen" offenlegte, so könnte dies seinen Vorsatz, Abgaben zu hinterziehen, ernstlich in Frage stellen. Ob und inwieweit die Offenlegung wirklich erfolgte, ist für den Verwaltungsgerichtshof allerdings mangels Vorlage der Abgabenerklärungen zusammen mit den Akten des Verwaltungsverfahrens nicht feststellbar, womit gemäß § 38 Abs. 2 VwGG von den Behauptungen des Beschwerdeführers ausgegangen werden konnte (siehe auch Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Seite 538 f).

Nicht zu teilen ist die Auffassung des Beschwerdeführers, daß die ursprünglichen, später mit Wiederaufnahme aus dem Rechtsbestand beseitigten Einkommensteuerbescheide, da nicht auf Festsetzung hinterzogener Abgaben gerichtet, die Verjährung nicht unterbrochen hätten. Vielmehr unterbrechen Amtshandlungen im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO, zu denen auch die Erlassung von Abgabenbescheiden gehören, jede nach dem Gesetz in Betracht kommende Bemessungsverjährung.

Zusammenfassend ist aber festzuhalten, daß die belangte Behörde den für die Annahme hinterzogener Abgaben erforderlichen Vorsatz nicht ausreichend (begründet) feststellte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 59 Abs. 1 dieses Gesetzes und die Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Der Kostenzuspruch für Schriftsatzaufwand konnte nur nach Maßgabe des beantragten Aufwandersatzes erfolgen. Der angefochtene Bescheid war dem Verwaltungsgerichtshof nur in einfacher Ausfertigung vorzulegen (§ 28 Abs. 5 VwGG).

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991130064.X00

Im RIS seit

18.09.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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