TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/30 91/19/0101

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Veröffentlicht am 30.09.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §45 Abs3;
AVG §56;
EGVG Art2;
PaßG 1969 §23 Abs1;
PaßG 1969 §28;
PaßG 1969 §29 Abs1;
PaßG 1969 §37;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des A in X, Türkei, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 27. März 1991, Zl. 3.32.42/1/91, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I

1. Mit Eingabe an die österreichische Botschaft in Ankara (die belangte Behörde) vom 10. Dezember 1990 hatte der nunmehrige Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, "die Erteilung eines vorerst bis 30. Oktober 1991 befristeten Wiedereinreise-Sichtvermerkes" beantragt. Begründend war dazu ausgeführt worden: Die Ehefrau des Beschwerdeführers - sie hätten am 3. August 1990 geheiratet - sei seit 1973 ständig in Österreich aufenthaltsberechtigt. Sie sei in diesem Land aufgewachsen, spreche fließend Deutsch, sei in einem näher bezeichneten Unternehmen beschäftigt und beziehe ein monatliches Nettoeinkommen von rund S 10.000,--. Die Verlängerung des ihr (nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz) bis 31. Oktober 1991 befristet ausgestellten Befreiungsscheines sowie des mit 30. Oktober 1991 befristeten Sichtvermerkes sei ein "reiner Formalakt". Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei aufgrund ihres Einkommens in der Lage, für seinen Aufenthalt aufzukommen. Eine entsprechende Unterkunft in Form einer von seiner Frau gemieteten Privatwohnung - bestehend aus einem Wohn-Schlafzimmer, einer Küche, Bad, WC, Gang - stehe dem Beschwerdeführer zur Verfügung.

2. In einem vom Bundesministerium für Inneres - veranlaßt durch eine Anfrage der belangten Behörde - angeforderten Bericht der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 25. Februar 1991 teilte diese Behörde unter dem Betreff:

"A, türkischer Staatsangehöriger; Sichtvermerksbescheinigung" dem genannten Bundesministerium mit,

"daß laut Bericht der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 20. 2. 1991 die Ausstellung einer Sichtvermerksbescheinigung für den obgenannten türkischen Staatsangehörigen deshalb abgelehnt wurde, da Frau Y über ein durchschnittliches Nettoeinkommen von S 9.700,-- verfügt. Davon müßten für die Wohnung S 4.000,-- aufgebracht werden. Der bleibende Rest von

S 5.700,-- erschien der Bezirkshauptmannschaft Bregenz für österreichische Verhältnisse nicht ausreichend. Außerdem sei nach dem vorgelegten Mietvertrag die Untervermietung der Wohnung von Frau Y oder die Überlassung jeder anderen Art an dritte Personen nicht gestattet".

3. Nach Übermittlung dieses Berichtes der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg durch das Bundesministerium für Inneres (mit Schreiben vom 11. März 1991) an die belangte Behörde richtete diese - ohne weitere Verfahrensschritte vorgenommen zu haben - an den Vertreter des Beschwerdeführers unter dem Datum 27. März 1991 ein Schreiben folgenden Wortlautes:

"Sehr geehrter Herr RechtsanwaltÜ

Zur Ihrem Schreiben vom 10.12.1990 teilt Ihnen die Botschaft mit, daß der Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes an den türk. StA. A, geb. 01.01.1964, abgelehnt wird.

Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß der Unterhalt der genannten Person in Österreich nicht gesichert ist und eine Wohnung nicht bereitsteht.

Das Faktum, daß von der BH Bregenz in diesem Fall eine Sichtvermerksbescheinigung nicht ausgestellt wurde, gründet sich in eben diesem Erhebungsergebnis dieser Behörde, und nicht, wie in Ihrem Schriftsatz fälschlicherweise angegeben, in einer generellen Weigerung, solche Bescheinigungen auszustellen.

Anbei werden die dzt. vorgelegte Heiratsurkunde und die Meldebestätigung rückgesandt.

Mit freundlichen Grüßen

Martin F

Vizekonsul"

4. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch dieses von ihm als Bescheid gewertete Schreiben "in seinem Recht verletzt, eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Sichtvermerk) für Österreich zu bekommen". Er begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

5. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens (in Ablichtung) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zunächst ist festzuhalten, daß die angefochtene Erledigung im Sinne der ständigen hg. Rechtsprechung als ein vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfbarer Bescheid zu qualifizieren ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067).

2. Gemäß § 23 Abs. 1 Paßgesetz, BGBl. Nr. 422/1969, (PaßG 1969) bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument (§ 22) eines österreichischen Sichtvermerkes; dies gilt nicht, wenn durch zwischenstaatliche Vereinbarung anderes bestimmt wird oder wenn der Fremde während einer Zwischenlandung auf einem österreichischen Flugplatz dessen Transitraum nicht verläßt (Transitreisender).

Im Beschwerdefall bedurfte der Beschwerdeführer eines Sichtvermerkes (vgl. das vorzitierte hg. Erkenntnis Zl. 91/19/0067).

Nach § 25 Abs. 1 PaßG 1969 kann einem Fremden auf Antrag ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß Abs. 3 vorliegt. Zufolge des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kurturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen. Gemäß § 25 Abs. 3 PaßG 1969 ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn (lit. e) die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.

3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland in Sichtvermerksangelegenheiten zwar nicht das AVG, wohl aber die in diesem Gesetz niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens anzuwenden. Zu diesen gehören u.a. die Gewährung des Parteiengehörs und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes in einem Ermittlungsverfahren durch die Behörde (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 23. September 1991, Zl. 91/19/0151, und die dort zitierte Vorjudikatur).

3.2. Die belangte Behörde hat ihrer - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung nicht auf § 25 Abs. 2 , sondern klar erkennbar auf § 25 Abs. 3 lit. e PaßG 1969 gründenden - für den Beschwerdeführer negativen Entscheidung die Annahme zugrunde gelegt, daß dessen Unterhalt in Österreich nicht gesichert sei und überdies eine Wohnung (für den Beschwerdeführer) nicht bereitstehe. Sie hat sich hiefür auf das Ergebnis der Erhebungen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz gestützt. Dieses nach Ausweis der Akten der belangten Behörde lediglich im Wege der Übermittlung einer Ablichtung eines die Erhebungen der Bezirkshauptmannschaft referierenden Berichtes einer anderen Behörde (vgl. oben I. 2.) bekanntgewordene Ermittlungsergebnis ist dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage nicht zur Kenntnis gebracht worden. Er hatte demnach auch keine Gelegenheit, zu dem von der Bezirkshauptmannschaft Bregenz ermittelten und von der belangten Behörde in der Folge als entscheidungserheblich angesehenen Sachverhalt Stellung zu nehmen. Die darin gelegene Verletzung des rechtlichen Gehörs ist relevant, da dem Beschwerdeführer auf diese Weise - worauf er in der Beschwerde zu Recht hinweist - die Möglichkeit genommen wurde, der Darstellung der Bezirkshauptmannschaft, insbesondere was die Einkommenssituation (einschließlich der Kosten für die gemietete Wohnung) anlangt, mit einer davon abweichenden Darstellung entgegenzutreten und solcherart eventuell eine für ihn positive Entscheidung über seinen Sichtvermerks-Antrag zu erreichen.

Durch den oben aufgezeigten Verstoß gegen den Grundsatz des Parteiengehörs war die belangte Behörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung (noch) nicht in der Lage, rechtlich einwandfrei abschließend zu beurteilen, ob die Annahme gerechtfertigt ist, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mangels ausreichenden Einkommens und ausreichender Unterkunft zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte, und sohin die Erteilung des begehrten Sichtvermerkes zu versagen ist (vgl. § 25 Abs. 3 lit. e PaßG 1969).

4. Da nach dem Gesagten der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden sind, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Mangelnder Bescheidcharakter Bescheidbegriff Allgemein Parteiengehör Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991190101.X00

Im RIS seit

06.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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