TE Vwgh Erkenntnis 1991/10/23 91/02/0065

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Veröffentlicht am 23.10.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
VStG §14 Abs2;
VStG §3 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §64 Abs5;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mandl, über die Beschwerde der Verlassenschaft nach Dr. H in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29. März 1991, Zl. I/7-St-H-89381, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschuldigte Dr. F.H. schuldig erkannt, er habe am 11. Mai 1989 gegen 24.00 Uhr an einem näher bezeichneten Ort im Gemeindegebiet Gaaden einen Pkw gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Verurteilte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Nach Vorliegen der Gegenschrift der belangten Behörde gab der Beschwerdevertreter bekannt, daß der Verurteilte am 17. August 1991 verstorben sei. Er habe die Verwaltungsstrafe vor seinem Ableben bezahlt. Die belangte Behörde teilte hiezu mit, daß der Gesamtbetrag von S 8.810,-- (Strafbetrag, Verfahrenskosten, Barauslagen) vom Verurteilten am 6. Mai 1991 zur Einzahlung gebracht worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 14 Abs. 2 VStG erlischt mit dem Tode des Verurteilten die Vollziehbarkeit der Geldstrafe; diese Bestimmung findet zufolge § 64 Abs. 5 VStG auf die Kosten des Strafverfahrens einschließlich des Berufungsverfahrens sinngemäß Anwendung. Ist im Zeitpunkt des Todes des Beschwerdeführers eine verhängte Geldstrafe noch nicht bezahlt, so ist eine gegen den verurteilenden Bescheid erhobene Beschwerde daher im allgemeinen als gegenstandslos im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG anzusehen. Ist aber die Geldstrafe ganz oder zum Teil bereits bezahlt, so kann im Hinblick auf § 63 Abs. 1 VwGG eine solche Gegenstandslosigkeit nicht angenommen werden, weil im Falle des Obsiegens der Nachlaß unter Berücksichtigung dieser Bestimmung Anspruch auf Rückzahlung der entrichteten Geldstrafe hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1989, Zl. 85/18/0122).

Im Beschwerdefall ist unstrittig, daß die verhängte Geldstrafe samt Kosten im Zeitpunkt des Todes des Verurteilten bereits bezahlt war. Es war daher nicht mit Einstellung des Verfahrens vorzugehen, sondern die Sache meritorisch zu behandeln.

In der Beschwerde wird insbesondere Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG behauptet. Nach dieser Gesetzesstelle ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat u.a. wegen Bewußtseinsstörung unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die Zurechnungsfähigkeit bildet demnach eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Ob aber von einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ausgegangen werden kann, kann - wenn Indizien in dieser Richtung vorliegen - nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten hinreichend geklärt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 1990, Zl. 85/18/0174).

Solche Indizien sind im Beschwerdefall nach den Aussagen der vernommenen Gendarmeriebeamten, der Verurteilte habe nicht gewußt, wo er sich befinde und worum es gehe, er habe vermutlich Erinnerungslücken gehabt und seinen Namen nicht gewußt, gegeben. Die Behörde hat daher zu Recht ein medizinisches Amtssachverständigengutachten eingeholt, welches jedoch Zurechnungsfähigkeit des Verurteilten ergeben hat.

Der Sachverständige führte u.a. aus, die Geistesabwesenheit des Verurteilten während der Amtshandlung könne nicht als Beweis für Unzurechnungsfähigkeit herangezogen werden, da sie ebenso durch eine neurotische Regression und tiefe Resignation wegen des Geschehenen und der zu erwartenden Folgen ausgelöst worden sein könne. Diese Erscheinung sei vom Sachverständigen bei hunderten klinischen Untersuchungen immer wieder festgestellt worden, wobei sich diese dumpfe Resignation und Geistesabwesenheit bis zu einer suicidalen Einengung steigern könne. Da sie aber stets erst nach der Anhaltung durch die Gendarmerie oder auch nach einem Unfallereignis auftrete, vermöge sie nicht als Indiz für eine Unzurechnungsfähigkeit während der Fahrt zu gelten.

In der Beschwerde wird ausgeführt, damit räume der Sachverständige ein, daß ein solcher Zustand "bei der Betretung" sehr wohl einer Unzurechnungsfähigkeit gleichkomme. Diese Argumentation ist unverständlich, da der Verurteilte eben im Zuge einer Amtshandlung und nach einem Verkehrsunfall von den Gendarmen "betreten" wurde, was zu der vom Sachverständigen beschriebenen Erscheinung führen konnte. Mit seinen Ausführungen hat der Sachverständige lediglich zum Ausdruck gebracht, daß der Geistesabwesenheit des Verurteilten während der Amtshandlung für die Beurteilung seiner Zurechnungsfähigkeit während der Fahrt kein entscheidendes Gewicht zukommt. Wenn er hiebei seine Erfahrung aus einer Vielzahl von Vergleichsfällen einbrachte, bestehen hiegegen keine Bedenken. Zur Veranlassung einer individuellen ärztlichen Untersuchung des Verurteilten, wie sie dieser fast zwei Jahre nach der Tatzeit zum Beweis einer - möglicherweise speziellen - Persönlichkeitsstruktur beantragt hatte, war die Behörde nicht verpflichtet.

Unzutreffend ist, daß die Behörde es als erwiesen angenommen hätte, der Verurteilte hätte seinen Namen nicht angegeben, um die Gendarmeriebeamten zu täuschen. Vielmehr hat die belangte Behörde ausgeführt, die Gendarmeriebeamten hätten eine solche, aber auch eine andere beispielsweise angeführte Ursache seines Verhaltens im Zuge ihrer subjektiven Wahrnehmungen nicht beurteilen können. Eine rechtswidrige Beweiswürdigung kann in diesem Zusammenhang daher nicht vorliegen.

Für den Beschwerdefall ohne Bedeutung ist es, ob die Alkoholwirkung bei Frauen im Falle gleicher Blutkonzentration stärker ausgeprägt ist als bei Männern, weshalb die diesbezügliche Bemängelung des Gutachtens ins Leere geht; eine Gutachtensergänzung zu geschlechtsspezifischen Aussagen des Sachverständigen war nicht erforderlich.

Vor allem ist der Beschwerde entgegenzuhalten, daß die Bejahung der Zurechnungsfähigkeit im Gutachten nicht allein auf einen rückgerechneten Blutalkoholwert von etwa 2,5 %o zur Tatzeit, sondern auch darauf gestützt wurde, daß der Verurteilte sehr wohl erkannte, daß er sich verfahren hatte (er hatte eine Autobahnauffahrt versäumt), weshalb er ein Wendemanöver versuchte. Sein Verhalten war somit durchaus situationsbezogen. Auch hat der Sachverständige ins Treffen geführt, daß der Verurteilte in der Lage war, der Aufforderung zum Alkomattest nachzukommen. Wenn in der Beschwerde die Meinung vertreten wird, es gehe nicht darum, wie sich der Verurteilte nach außen benommen habe, so kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, daß es dem Sachverständigen verwehrt gewesen wäre, aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Verurteilten seine Schlüsse zu ziehen.

Unbegründet ist auch die Rüge, die belangte Behörde habe keine konkreten Sachverhaltsfeststellungen getroffen. Vielmehr hat sie im angefochtenen Bescheid sowohl den als erwiesen angenommenen Sachverhalt als auch die Motive ihrer Beweiswürdigung wiedergegeben, worauf in der Beschwerde auch eingegangen wurde.

In Anbetracht des Gutachtensergebnisses, auf das sich die belangte Behörde zu Recht stützen durfte, bestand keine Zweifelslage, in der - wie von der Beschwerde angestrebt - allenfalls Art. IX EGVG anzuwenden gewesen wäre.

Was die Verjährungseinrede anlangt, genügt es darauf zu verweisen, daß dem Beschwerdevertreter am 17. August 1989 die Anzeige, in der alle der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente enthalten waren, vorgehalten und ihm eine Rechtfertigungsfrist eingeräumt wurde. Bereits darin sowie im Straferkenntnis vom 28. September 1989 waren fristgerechte verjährungsunterbrechende Verfolgungshandlungen im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG gelegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Februar 1991, Zl. 90/18/0259). Es erübrigt sich daher, auf die Beschwerdeausführungen zu anderen rechtzeitigen Verfolgungshandlungen der Behörde einzugehen.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Tod des BeschwerdeführersSachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztSachverständiger Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991020065.X00

Im RIS seit

16.08.2001

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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