TE Vwgh Erkenntnis 1992/4/27 91/19/0290

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Veröffentlicht am 27.04.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ASchG 1972 §27 Abs2;
ASchG 1972 §31 Abs2 litp;
AVG §37;
GewO 1973 §367 Z26;
GewO 1973 §39 Abs1;
GewO 1973 §74 Abs2 Z1;
GewO 1973 §74;
GewO 1973 §77;
VStG §44a lita;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. August 1991, Zl. MA 63-G 34/90/Str, betreffend Einstellung eines Strafverfahrens nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz (mitbeteiligte Partei: G in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Behebung des Straferkenntnisses in den Punkten 1), 2) und 4) und der diesbezüglichen Einstellung des Verfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, im Umfang der Behebung des Punktes 3) des Straferkenntnisses und der diesbezüglichen Einstellung des Verfahrens wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

I.

1. Unter dem Datum 16. Juli 1990 erließ das magistratische Bezirksamt für den 4./5. Bezirk gegenüber der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligten Partei (mP) ein Straferkenntnis, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Sie haben es als verantwortliche Beauftragte im Sinne des § 9 Abs. 2 Verwaltungsstrafgesetz der B-GmbH zu verantworten, daß im Betrieb dieser Gesellschaft im Standort Wien 4, am 15. Februar 1990 die bescheidmäßig erteilten Auflagen für den Betrieb der gewerblichen Betriebsanlage insoferne nicht eingehalten hat, als folgende Mängel bestanden:

1)

Es wurden an Warenkörben, die nicht den Bestimmungen der Verordnung über die Lagerung von Druckgaspackungen entsprechen, im Kassabereich Druckgaspackungen vorrätig gehalten.

2)

Der Hauptverkehrsweg im Kassenbereich wurde durch sechs Warenkörbe, welche mit Spielzeug, kosmetischen Artikeln und Druckgaspackungen gefüllt waren, auf weniger als 1,20 m Breite eingeengt, sodaß die tatsächliche Breite 0,90 m betrug.

3)

Der Fluchtweg vom Verkaufsraum durch das Lager und das Büro ins Freie war durch einen Warenkorb verstellt und eingeengt.

4)

Es wurde kein Befund über die einmal jährlich durchzuführende Überprüfung der Gasverbrauchseinrichtung zur Einsichtnahme in der Betriebsanlage bereitgehalten.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972 in Verbindung mit zu 1) Punkt 9, zu 2) Punkt 19, zu 3) Punkt 20 und zu 4) Punkt 37 des Bescheides vom 23. Mai 1986, MBA 4/5 - Ba 40.248/1/86.

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie gemäß § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. Nr. 234/1972 in der geltenden Fassung folgende Strafen verhängt:

Geldstrafen von zu 1) S 5.000,--, zu 2) S 3.000,--, zu 3) bis

              4)              je S 2.500,--, das sind zusammen S 13.000,--, falls diese uneinbringlich sind, Ersatzfreiheitsstrafen von zu 1) 5 Tagen, zu 2) 3 Tagen, zu 3) bis 4) je 2 Tagen und 12 Stunden, das sind zusammen 13 Tage.

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

S 1.300,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe. Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe und Kosten) beträgt daher S 14.300,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 67 VStG)."

2. Aufgrund der dagegen von der mP rechtzeitig erhobenen Berufung behob der Landeshauptmann von Wien (die belangte Behörde) gemäß § 66 Abs. 4 AVG das Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG ein.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß die Auflagen des im Spruch des Straferkenntnisses genannten Genehmigungsbescheides nicht ausschließlich dem Arbeitnehmerschutz dienten, sodaß für deren Einhaltung der gewerberechtliche Geschäftsführer - eine Stellung, welche die mP nicht bekleide - einzustehen habe. Die Punkte 1), 2) und 4) des Straferkenntnisses seien deshalb zu beheben und die Einstellung des Verfahrens zu verfügen gewesen. Obwohl die Auflage 20 des besagten Genehmigungsbescheides ausschließlich dem Arbeitnehmerschutz diene, sei auch Punkt 3) des Straferkenntnisses zu beheben und das Verfahren einzustellen gewesen. Dies deshalb, weil eine von der mP namhaft gemachte Zeugin zum Beweis dafür, daß der Fluchtweg nicht durch einen Warenkorb, sondern lediglich durch einen aufgespannten Schirm eingeengt gewesen sei, nicht mehr zur Verfügung gestanden sei, und damit die angelastete Tat nicht mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit als erwiesen habe angenommen werden können.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 gestützte, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesem Grund aufzuheben.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Auch die mP hat eine Gegenschrift mit dem Begehren eingebracht, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Zu der seiner Meinung nach rechtswidrigen Behebung des Straferkenntnisses hinsichtlich der Punkte 1), 2) und 4) und der insoweit verfügten Einstellung des Strafverfahrens verweist der Beschwerdeführer auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1990, Zl. 90/19/0469. Dies zu Recht.

1.2. In diesem - insoweit einen gleichgelagerten Fall betreffenden - Erkenntnis kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß die in einem rechtskräftigen Betriebsanlagengenehmigungsbescheid enthaltenen, ausdrücklich auf § 77 GewO 1973 und § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes (ASchG) gestützten Auflagen GLEICHERMASSEN den schutzwürdigen Interessen des im § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1973 umschriebenen Personenkreises wie den im § 27 Abs. 2 zweiter Satz ASchG genannten Interessen der Arbeitnehmer dienten. Daraus folge, daß für die Einhaltung der Auflagen sowohl der gewerberechtliche Geschäftsführer (nach den Vorschriften der GewO 1973) als auch der Arbeitgeber und dessen Bevollmächtigter (nach den Vorschriften des ASchG) verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich seien.

Indem die belangte Behörde im vorliegenden Fall demgegenüber die Ansicht vertrat, für die unter den Punkten 1),

2) und 4) des Straferkenntnisses angeführten Verstöße gegen auf § 77 GewO 1973 und § 27 Abs. 2 ASchG gestützte Auflagen des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides vom 23. Mai 1986 habe (ausschließlich) der gewerberechtliche Geschäftsführer einzustehen, mit der Folge, daß insoweit das Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren einzustellen sei, verkannte sie die Rechtslage.

2.1. In Ansehung der Verfahrenseinstellung zu Punkt 3) des Straferkenntnisses meint der Beschwerdeführer, es sei unerheblich, ob die Einengung des Fluchtweges durch einen leicht verrückbaren Warenkorb (Strafantrag des Arbeitsinspektorates) oder durch einen aufgespannten Schirm erfolgt sei, da in beiden Fällen eine Übertretung der Auflage vorliege.

2.2. Dieser Auffassung vermag der Gerichtshof nicht zu folgen. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, daß - von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend erkannt - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a lit. a VStG die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben ist, daß die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Juni 1984, Slg. Nr. 11466/A). Verwaltungsvorschrift im vorbezeichneten Sinn ist im Beschwerdefall die Auflage 20 (erster Satz) des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides vom 23. Mai 1986 ("Hauptverkehrswege, Ausgänge und Fluchtwege dürfen nicht eingeengt oder verstellt werden"). Ein wesentliches Tatbestandsmerkmal dieser Norm ist demnach der das Einengen oder Verstellen des Fluchtweges bewirkende Gegenstand; ohne einen konkreten Gegenstand könnte es zu einer Einengung oder einem Verstellen des Fluchtweges nicht kommen; die Bezeichnung des Gegenstandes (der Gegenstände) ist somit für die Tatumschreibung insofern essentiell, als ohne sie die Zuordnung des Tatverhaltens zur besagten Auflage nicht in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird, also dem § 44a lit. a VStG nicht Genüge getan werden kann.

Wäre somit die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, daß sie nicht imstande sei, den Gegenstand, durch den die Einengung des Fluchtweges bewirkt worden sein soll, zu bezeichnen, also die Tatumschreibung mit der vom Gesetz (§ 44a lit. a VStG) gebotenen Genauigkeit vorzunehmen, so wäre ihre Entscheidung hinsichtlich des Punktes 3) des Straferkenntnisses rechtlich nicht zu beanstanden. Der Gerichtshof ist allerdings der Ansicht, daß nach Lage der Akten die belangte Behörde diesen rechtlichen Schluß verfrüht gezogen hat.

3. Die mP hat in ihrer Berufung vom 21. August 1990 zum Beweis dafür, daß der besagte Fluchtweg nicht durch einen Warenkorb, sondern durch einen Regenschirm verstellt gewesen sei, "O, kfm. Angestellte, c/o B-Filiale Wien 4", als Zeugin namhaft gemacht. Nachdem die entsprechende Zeugenladung vom 6. Juni 1991 mit dem postamtlichen Vermerk "laut Auskunft Empfänger verzogen" an die belangte Behörde retourniert worden war, und der von ihr als Zeuge vernommene Filialinspektor T angegeben hatte, daß die Genannte "nicht mehr in der Filiale der B-GmbH beschäftigt bzw. nicht mehr im Unternehmen tätig" sei, erließ die belangte Behörde ohne weitere Ermittlungsschritte den bekämpften Bescheid. Wenn sie dazu in der Bescheidbegründung ausführte, die genannte Arbeitnehmerin stehe ihr als Zeugin deshalb "nicht mehr zur Verfügung", weil sie bereits aus der B-GmbH ausgeschieden sei, so entsprach sie damit der ihr obliegenden Ermittlungspflicht nicht in ausreichendem Maß. Nach Lage des Falles wäre die belangte Behörde jedenfalls gehalten gewesen, die mP aufzufordern, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht den Aufenthaltsort der als Zeugin beantragten Person bekanntzugeben. Im übrigen wäre es geboten gewesen, das die Anzeige erstattende Arbeitsinspektorat für den 2. Aufsichtsbezirk mit den von der mP in ihrem Beweisantrag gestellten Behauptungen zu konfrontieren, um jenem Gelegenheit zu geben, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.

4. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid teils (Behebung der Punkte 1), 2) und 4) des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, teils (Behebung des Punktes 3) des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Verantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete Arbeitsrecht Arbeiterschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991190290.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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