TE Vwgh Erkenntnis 1992/4/28 87/08/0247

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Veröffentlicht am 28.04.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ASchG 1972 §31;
ASchG 1972 §33 Abs1 lita Z12;
ASchG 1972 §33 Abs7;
AVG §66 Abs4;
BArbSchV §7 Abs1;
BArbSchV §92;
VStG §19;
VStG §24;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspäsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 24. Juli 1987, Zl. IVb-79-18/1986, betreffend Übertretung der Bauarbeiterschutzverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Schreiben vom 3. Mai 1985 teilte das Arbeitsinspektorat Bregenz der Bezirkshauptmannschaft Bludenz mit, es sei bei einer am 18. April 1985 (ca. 17 Uhr) auf der Baustelle R durchgeführten Erhebung festgestellt worden, daß zwei erwachsene männliche Arbeitnehmer der K GesmbH (im folgenden: GmbH) im unmittelbaren Bereich

(Arbeitsbereich - Breite ca. 2 m) der ca. 12 bis 15 m hoch gelegenen Brückenränder, auf einer Länge von rund 2 x 80 m, Isolierarbeiten durchgeführten hätten, obwohl keinerlei Sicherungsmaßnahmen (Arbeitsgerüste, Schutzgerüste, Fangnetze) im Sinne des § 7 der Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 267/1954 (im folgenden: BauArbSchV), gegen Absturzgefahr von Personen getroffen worden seien; auch seien die beiden Arbeitnehmer nicht in anderer, sicherer Weise (z.B. durch Anseilen unter Verwendung eines Sicherheitsgeschirres bzw. Sicherheitsgurtes) gegen Absturzgefahr gesichert gewesen (Fotobeilagen). Bei einer neuerlichen Überprüfung der Sicherheitsvorkehrungen um ca. 17.30 Uhr, auf welche überdies seitens des Erhebungsorganes hingewiesen worden sei, seien beide Arbeitnehmer in lebensgefährlicher Weise angeseilt angetroffen worden. Beide Arbeitnehmer seien nämlich mittels Sicherheitsgurtes, Seilkürzer und einer Schlaffseillänge von etwa 5 - 6 m "gesichert" gewesen, wobei die Sicherungsseile überdies am provisorisch befestigten Holzgeländer fixiert gewesen seien.

Gleichzeitig wurden vom Arbeitsinspektorat Bregenz zwei Fotos der Baustelle vorgelegt; auf dem einen (I) sind in unmittelbarer Nähe des Brückenrandes zwei Kreuze eingezeichnet und es läßt im Hintergrund zwei Personen in der Nähe des Brückenrandes erkennen. Das zweite Foto (II) zeigt ebenfalls die Baustelle (Brücke), doch ist auf diesem Foto kein Arbeiter in unmittelbarer Nähe des Brückenrandes erkennbar.

1.2. Bei der vom Beschwerdeführer in seiner Rechtfertigung beantragten Vernehmung der beiden Arbeitnehmer J und H gaben diese übereinstimmend an, daß die Teerarbeiten am Nachmittag des 18. April 1985 bereits beendet gewesen seien, als der Arbeitsinspektor zur Baustelle gekommen sei. Sie seien mit dem Ausschneiden der Entlüftungsrohre beschäftigt gewesen, wobei diese Arbeiten ca. 2,5 m vom Brückenrand entfernt ausgeführt worden seien. Nach der Beanstandung durch den Arbeitsinspektor hätten sie sich am Holzgeländer gesichert, was ihrer Meinung nach auch ausreiche, zumal auch die Arbeiten keineswegs im Gefahrenbereich gelegen seien.

In einer dazu abgegebenen Stellungnahme vom 12. August 1985 entgegnete das Arbeitsinspektorat Bregenz unter anderem, daß bei der Überprüfung um ca. 17 Uhr ein Arbeitnehmer an der frontseitig des Randstreifens herabgezogenen Isolierung manipuliert, während der andere Arbeiter händisch eine Isoliermaterialrolle transportiert habe. Erst bei der zweiten Erhebung um ca. 17.30 Uhr seien die beiden Arbeitnehmer mit dem Ausschneiden der Aussparungen beschäftigt gewesen, wobei diese Aussparungen (Durchmesser ca. 30 cm) in einem Abstand von lediglich 1,35 m vom Außenrand des Randstreifens angeordnet gewesen seien. Die Breite der aufgebrachten Isolierungen betrage überhaupt nur 1,8 bis 1,85 m.

1.3. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 23. Juli 1986 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 18. April 1985 auf der Baustelle R als Verantwortlicher der GmbH zwei Arbeitnehmer im unmittelbaren Bereich des Brückenrandes ohne Sicherungseinrichtungen mit Isolierarbeiten beschäftigt zu haben, obwohl an Arbeitsstellen, an denen Absturzgefahr bestehe, Einrichtungen anzubringen seien, die geeignet seien, ein Abstürzen der Arbeitnehmer zu verhindern. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung gemäß § 7 Abs. 1 BauArbSchV in Verbindung mit § 376 Z. 39 Gewerbeordnung und § 92 BauArbSchV begangen. Über ihn werde gemäß § 368 Z. 17 in Verbindung mit § 376 Z. 39 Gewerbeordnung und § 92 BauArbSchV eine Geldstrafe in der Höhe von S 10.000,-- (Ersatzarreststrafe von 14 Tagen) verhängt. In der Begründung dieses Bescheides werden sowohl die Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat am 18. April 1985 um 17.00 Uhr als auch jene um 17.30 Uhr angeführt. Gegen 17.00 Uhr sei durch ein Organ des Arbeitsinspektorates festgestellt worden, daß zwei erwachsene männliche Arbeitnehmer der GmbH im unmittelbaren Bereich der ca. 12 bis 15 m hoch gelegenen Brückenränder auf einer Länge von ca. rund 2 x 80 m Isolierarbeiten durchgeführt hätten, obwohl keinerlei Schutzmaßnahmen im Sinne des § 7 BauArbSchV gegen Absturzgefahr von Personen getroffen worden seien. Die Arbeitnehmer seien auch nicht in anderer, sicherer Weise gegen Absturzgefahr gesichert gewesen. Bei einer zweiten Überprüfung ca. eine halbe Stunde später seien die beiden Arbeitnehmer in lebensgefährlicher Weise angeseilt getroffen worden. Beide Arbeitnehmer seien nämlich mit Sicherheitsgurt, Seilkürzer und einer Schlaffseillänge von etwa 5 bis 6 m "gesichert" gewesen, wobei die Sicherungsseile überdies am provisorisch befestigten Holzgeländer fixiert gewesen seien.

1.4. In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, daß die Isolierarbeiten an der Baustelle zum Zeitpunkt der Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat bereits beendet gewesen und die Arbeiten nicht im Bereich des Brückenrandes durchgeführt worden seien. Vielmehr seien die beiden Arbeitnehmer Kessler und Juen zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt gewesen, an einem fixen Standort, ca. 2,5 m vom Brückenrand entfernt, Entlüftungsrohre auszuschneiden. Wegen dieser Entfernung vom Brückenrand sei keine Sicherungsmaßnahme erforderlich gewesen. Aus den übereinstimmenden Aussagen der beiden Arbeitnehmer ergebe sich, daß sie bei den vorhergehenden Arbeiten in der Nähe des Brückenrandes ordnungsgemäß mittels eines Stahlseiles und Gurten gesichert gewesen seien; diese Arbeiten seien jedoch zum Zeitpunkt der Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat bereits beendet gewesen. Weiters verwies der Beschwerdeführer darauf, daß er die Arbeitnehmer schriftlich zur Einhaltung der Sicherungsmaßnahmen verpflichtet und die Baustelle auch nachweislich kontrolliert habe, wodurch er allen seinen Verpflichtungen hinreichend nachgekommen sei.

1.5. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 24. Juli 1987 wurde dieser Berufung keine Folge gegeben, das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bludenz jedoch dahingehend abgeändert, daß der Beschwerdeführer, wie bei einer Überprüfung durch ein Organ des Arbeitsinspektorates am 18. April 1985 um ca. 17.00 Uhr festgestellt worden sei, als verantwortlicher Geschäftsführer bzw. satzungsgemäß nach außen vertretungsbefugtes Organ der GmbH auf der Baustelle R zwei Arbeitnehmer im unmittelbaren Bereich des Brückenrandes ohne Sicherungseinrichtungen mit Isolierarbeiten beschäftigt habe, obwohl an Arbeitsstellen, an denen Absturzgefahr bestehe, Einrichtungen anzubringen seien, die geeignet seien, ein Abstürzen der Dienstnehmer zu verhindern. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 7 Abs. 1 iVm § 92 der BauArbSchV und § 31 Arbeitnehmerschutzgesetz (im folgenden: ASchG) begangen. Über den Beschwerdeführer wurde gemäß § 31 iVm § 33 Abs. 1 lit. a Z. 12 und Abs. 7 ASchG eine Geldstrafe in der Höhe von S 10.000,-- (Ersatzarreststrafe von 14 Tagen) verhängt.

Nach der Begründung dieses Bescheides gehe aus der Anzeige des Arbeitsinspektorates Bregenz vom 3. Mai 1985 und der Stellungnahme vom 12. August 1985 hervor, daß sich die Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der ersten Kontrolle am 18. April 1985 um ca. 17.00 Uhr nicht in einem Abstand von 2,5 m vom Brückenrand, sondern in unmittelbarer Nähe desselben aufgehalten hätten. Zu diesem Zeitpunkt habe ein Arbeitnehmer an der frontseitig des Randstreifens herabgezogenen Isolierung manipuliert, während der andere Arbeiter händisch eine Isoliermaterialrolle transportiert habe. Dieser Tatbestand sei auch durch Fotografien dokumentiert. Im übrigen gebe das Arbeitsinspektorat den Abstand der auszuschneidenden Aussparung nicht mit 2,5 m, sondern lediglich mit 1,35 m vom Außenrand des Randstreifens an. In beiden Fällen wäre eine Sicherung der Arbeitnehmer gegen Absturz zweifellos erforderlich gewesen. Bei der neuerlichen Nachprüfung der Sicherheitsvorkehrungen durch den Arbeitsinspektor am selben Tag um ca. 17.30 Uhr seien beide Arbeitnehmer zwar angeseilt, jedoch mit einer unzulässigen und lebensgefährlichen Schlaffseillänge von 5 bis 6 m. Zudem seien die Sicherungsseile nur an einem provisorisch befestigten Holzgeländer angebracht gewesen.

Die belangte Behörde stellte zur Rechtfertigung des Beschwerdeführers vom 2. Juli 1985 hinsichtlich seiner Verpflichtung zur Überwachung der Schutzmaßnahmen fest, er habe dort angegeben, bei einer Überprüfung bereits Verstöße gegen die erforderlichen Schutzmaßnahmen festgestellt und die Arbeitnehmer abgemahnt und belehrt zu haben. Von einer Nachprüfung bei Einhaltung der Schutzmaßnahmen habe der Beschwerdeführer hingegen nie gesprochen. Eine solche Nachprüfung wäre aber in regelmäßigen Zeitabständen unbedingt erforderlich gewesen.

1.6. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, dem Akteninhalt (insbesondere der Anzeige des Arbeitsinspektorates Bregenz vom 3. Mai 1985 und dem Schreiben des Arbeitsinspektorates Bregenz vom 12. August 1985) sowie der BEGRÜNDUNG des bekämpften Bescheides sei zu entnehmen, daß sowohl das Arbeitsinspektorat Bregenz als auch die belangte Behörde davon ausgingen, daß am Spätnachmittag des 18. April 1985 von zwei Arbeitnehmern der GmbH auf der Baustelle "Brückenobjekt F 3" zwei verschiedene Tathandlungen gesetzt worden seien. Einerseits hätte ein Arbeitnehmer an der frontseitigen Isolierung manipuliert, während ein anderer Arbeitnehmer händisch Isoliermaterialrollen transportiert habe (Faktum 1) und andererseits hätten zwei Arbeitnehmer auf der Brücke Aussparungen ausgeschnitten (Faktum 2). Dem SPRUCH des angefochtenen Bescheides lasse sich nicht entnehmen, welche Tätigkeit von Arbeitnehmern Grundlage des Tatvorwurfes sei, da lediglich angegeben werde, daß zwei Arbeitnehmer "mit Isolierarbeiten" beschäftigt gewesen seien. Der Spruch entspreche daher nicht den Anforderungen des § 44 a lit. a VStG. Es sei unklar, ob sich das Straferkenntnis auf die Tätigkeit "Faktum 1" oder die Tätigkeit "Faktum 2" oder auf beide Fakten beziehe. Zu "Faktum 1" bringt der Beschwerdeführer vor, daß selbst nach den Angaben des Anzeigenlegers lediglich ein Arbeitnehmer im unmittelbaren Bereich des Brückenrandes tätig gewesen sei, zu "Faktum 2", daß selbst nach den Angaben des Arbeitsinspektorates für den 14. Aufsichtsbezirk hiebei eine Absturzsicherung nicht erforderlich gewesen wäre und die Arbeiten laut Schreiben des Arbeitsinspektorates Bregenz vom 29. Jänner 1986 innerhalb des Geländers durchgeführt worden seien.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, daß Zweifel hinsichtlich der Identität der Tat bestünden. Die Arbeitnehmer hätten übereinstimmend angegeben, daß sie bei der Ankunft des Arbeitsinspektors mit den Teerarbeiten bereits fertig und mit dem Ausschneiden von Entlüftungsrohren beschäftigt gewesen seien, wobei diese Tätigkeit außerhalb des Gefahrenbereiches durchgeführt worden sei. Beide Zeugen hätten sohin in Abrede gestellt, daß sie beim Eintreffen des Arbeitsinspektors die im "Faktum 1" wiedergegebenen Arbeiten durchgeführt hätten. Es wäre durchaus denkbar, daß es sich bei der Wahrnehmung des Arbeitsinspektors um Arbeitnehmer eines anderen Unternehmens gehandelt habe. Es genüge daher nicht, lediglich die Stellungnahme des Arbeitsinspektorates einzuholen und diese ohne entsprechende Zeugenbeweise dem Straferkenntnis zugrunde zu legen.

Des weiteren wendet der Beschwerdeführer ein, daß ihn an der Begehung der Verwaltungsübertretung keinerlei Verschulden treffe; er habe die Arbeitnehmer mit den erforderlichen Sicherungsmitteln ausgerüstet und diese schriftlich zur Einhaltung der Sicherungsmaßnahmen verpflichtet. Bereits einen Tag nach Aufnahme der Arbeiten an der Brückenbaustelle habe er die Einhaltung der Schutzmaßnahmen überprüft und den Arbeitnehmern konkrete Sicherheitsvorkehrungen aufgetragen. Die Arbeitnehmer hätten nach Abmahnung unverzüglich, und zwar noch in seiner Anwesenheit, die aufgetragenen Maßnahmen getroffen. In der Folge sei er fast täglich auf die Baustelle gekommen und es sei keinerlei Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften zu beanstanden gewesen. Er habe somit alle Maßnahmen getroffen, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten ließen, insbesondere habe er eine wirksame und regelmäßige Kontrolle durchgeführt. Eine Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 VStG liege daher nicht vor.

1.7. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1.1. Der Vorschrift des § 44 a lit. a VStG ist dann entsprochen, wenn

a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, daß er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und

b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Nach diesen, aber auch n u r nach diesen Gesichtspunkten ist in jedem konkreten Fall insbesondere auch zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dem § 44 a lit. a VStG genügt oder nicht genügt, mithin, ob die erfolgte Tatort- und Tatzeitangabe im konkreten Fall das Straferkenntnis als rechtmäßig oder als rechtswidrig erscheinen läßt. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den oben wiedergegebenen Rechtsschutzüberlegungen zu messendes Erfordernis sein (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. NF.

Nr. 11.994/A).

2.1.2. Nach dem Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wurde dem Beschwerdeführer eine ungesicherte Beschäftigung zweier Arbeitnehmer bei Isolierarbeiten im unmittelbaren Bereich des Brückenrandes zum Vorwurf gemacht, wobei die Tatzeit mit 18. April 1985 umschrieben wurde. Erst aus der Begründung dieses erstinstanzlichen Bescheides, die auf zwei Überprüfungen durch das Arbeitsinspektorat, nämlich um 17.00 Uhr und um 17.30 Uhr, Bezug nimmt, läßt sich erkennen, daß dem Tatvorwurf zwei verschiedene Tätigkeiten der beiden auf der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmer zugrunde gelegt wurden, nämlich die Tätigkeit um ca. 17.00 Uhr und jene um ca.

17.30 Uhr (in der Beschwerde als Faktum 1 und Faktum 2 bezeichnet). Die beiden Fakten unterscheiden sich nicht nur durch den verschiedenen Inhalt der Tätigkeit der Arbeitnehmer, sondern auch dadurch, daß diese beim ersten Mal nach den Feststellungen der Behörde nicht gesichert, beim zweiten Mal "lebensgefährlich" angeseilt gewesen seien. Die belangte Behörde nahm sodann - zu Recht vor dem Hintergrund der Anforderungen, die das Recht des Beschuldigten auf zielführende Rechtsverteidigung an die Tatumschreibung im Spruch eines Strafbescheides stellt (vgl. die oben wiedergegebene hg. Rechtsprechung) - eine Präzisierung der Straftat im Spruch des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Tatzeit mit "ca. 17.00 Uhr" vor.

Nach dem Spruch klar erkennbar, wurde dem Beschwerdeführer daher nur das anläßlich der ersten Überprüfung der Baustelle durch das Arbeitsinspektorat um ca. 17.00 Uhr festgestellte sogenannte Faktum 1 zur Last gelegt. Das sogenannte Faktum 2 ist nicht Gegenstnd des Spruches und daher nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides, mag auch die Begründung auf dieses Faktum Bezug nehmen, wonach bei der neuerlichen Überprüfung um ca. 17.30 Uhr beide Arbeitnehmer zwar angeseilt gewesen seien, jedoch mit einer lebensgefährlichen Schlaffseillänge von 5 bis 6 m.

Geht man davon aus, daß beide Tatvorwürfe Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides waren - mag auch dessen Spruch keine ausreichende Konkretisierung im Sinne des § 44 a lit. a VStG enthalten haben - und daß daher kein Austauschen der Straftat, sondern eine noch zulässige Präzisierung derselben im angefochtenen Bescheid vorgenommen wurde, dann ist der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen im Recht, daß der angefochtene Bescheid jedenfalls im Ausspruch über das Strafausmaß mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist, weil die belangte Behörde in der Strafbemessung den Wegfall eines der beiden Tatvorwürfe nicht berücksichtigt, sondern die erstinstanzlich verhängte Strafe diesbezüglich begründungslos bestätigt hat.

2.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich allerdings auch hinsichtlich des Schuldspruches als rechtswidrig.

Die Zeugen H und J hatten vor der Bezirkshauptmannschaft Bregenz übereinstimmend ausgesagt: "Am Nachmittag waren wir bereits mit den Teerarbeiten fertig, als der Arbeitsinspektor zur Baustelle kam. Wir waren beide mit dem Ausschneiden der Entlüftungsrohre beschäftigt. Diese Arbeiten wurden ca. 2,5 m vom Brückenrand entfernt ausgeführt. Es lag somit sicherlich keine Gefährdung unsererseits vor. Nach der Beanstandung durch den Arbeitsinspektor sicherten wir uns am Holzgeländer. Unserer Meinung nach sicherte uns das Holzgeländer genügend, zumal auch die Arbeiten keineswegs im Gefahrenbereich lagen." Der Beschwerdeführer berief sich in seiner Berufung auf diese Zeugenaussagen.

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde, soferne keine offenkundigen oder gesetzlich vermuteten Tatsachen vorliegen, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Gemäß § 46 AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Nach § 60 AVG sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

In völliger Verkennung ihrer Begründungspflicht hat sich die belangte Behörde in keiner Weise mit dem Inhalt der Zeugenaussage der beiden Arbeitnehmer H und J sowie mit deren Glaubwürdigkeit auseinandergesetzt. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Berichte und Stellungnahmen des Arbeitsinspektorates und auf zwei durchaus erst interpretationsbedürftige Photographien gestützt. Angesichts der vorliegenden beiden Zeugenaussagen der Arbeitnehmer hätte sich die belangte Behörde nicht - wie gesagt, völlig begründungslos, was ihre Erwägungen zur Beweiswürdigung anlangt - ausschließlich auf schriftliche Bekundungen der Organe der Arbeitsinspektion stützen dürfen, sondern hätte die Widersprüche in der Darstellung des Tatherganges zum Anlaß nehmen müssen, durch Aufnahme eines entsprechenden Personalbeweises, also durch Vernehmung des Anzeigenlegers, Klarheit zu gewinnen (auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 26. Juni 1978, Slg. NF. Nr. 9602/A, wird hingewiesen).

Die belangte Behörde hat daher den angefochtenen Bescheid, was den Schuldspruch anlangt, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß der angefochtene Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben ist, da im vorliegenden Fall - wegen der Abhängigkeit des (an sich inhaltlich rechtswidrigen) Ausspruches über die Strafe vom rechtlichen Schicksal des Ausspruches über die Schuld - infolge Aufhebung des Schuldspruches eine eigenständige Aufhebung des Ausspruches über die Strafe nicht in Betracht kommt.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Ersatz der Umsatzsteuer war nicht zuzusprechen, da diese bereits im Pauschale des Schriftsatzaufwandes berücksichtigt ist.

Schlagworte

Berufungsverfahren Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Spruch der Berufungsbehörde Änderungen des Spruches der ersten Instanz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1987080247.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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