TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/18 91/10/0254

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.05.1992
beobachten
merken

Index

70/05 Schulpflicht;

Norm

SchPflG 1985 §14 Abs1;
SchPflG 1985 §14 Abs5;
SchPflG 1985 §14 Abs8;
SchPflG 1985 §7 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Steiner, über die Beschwerde

1. der BA und 2. des mj. CA, beide in W, beide vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 29. Oktober 1991, Zl. A 27/91, betreffend Aufnahme in die Vorschulklasse, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Unterricht und Kunst) hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- zu gleichen Teilen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Zweitbeschwerdeführer besuchte seit Beginn des Schuljahres 1991/92 die erste Klasse der öffentlichen Volksschule in Wien, S. Mit Entscheidung vom 9. Oktober 1991 verfügte der Leiter dieser öffentlichen Volksschule gemäß § 14 Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes, BGBl. Nr. 76/1985 (Schulpflichtgesetz 1985), daß der Zweitbeschwerdeführer die Vorschulklasse zu besuchen habe.

Auf Grund eines von der Erstbeschwerdeführerin (Mutter des Zweitbeschwerdeführers) und dem Vater des Zweitbeschwerdeführes eingebrachten Antrages auf Entscheidung über die Aufnahme in die Vorschulstufe entschied der Stadtschulrat für Wien mit Bescheid vom 29. Oktober 1991, daß der Zweitbeschwerdeführer die Vorschulklasse zu besuchen habe. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß die Schulreife nicht gegeben sei, weil dem schulärztlichen Gutachten vom 29. Oktober 1991 zufolge bei der körperlichen Entwicklung des Kindes deutliche Rückstände erkennbar seien. Durch den Besuch der Vorschulklasse solle dem Kind die Gelegenheit gegeben werden, in physischer Hinsicht jene Reife zu erlangen, die die Voraussetzung für einen Besuch der Grundstufe 1 darstelle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die Beschwerdeführer räumen ein, es sei zwar richtig, daß der Zweitbeschwerdeführer klein und zart sei, bestreiten aber, daß er auf Grund dieses Umstandes leicht ermüde und dem Unterricht in der ersten Schulstufe der Volksschule nicht zu folgen vermocht habe, ohne körperlich überfordert zu werden. Seine Lernerfolge seien bis zuletzt als zumindest durchschnittlich zu bezeichnen.

Dem Grundsatz des Parteiengehörs sei in keinem Stadium des Verfahrens Rechnung getragen worden. Das schulärztliche Gutachten, auf das sich der angefochtene Bescheid stütze, sei der Erstbeschwerdeführerin - als Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers - erstmals am 30. Oktober 1991 gleichzeitig mit dem angefochtenen Bescheid zur Kenntnis gelangt, sodaß sie vor Erlassung des Bescheides keine Gelegenheit gehabt habe, zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen. Die letzte schulärztliche "Untersuchung" des Zweitbeschwerdeführers habe anläßlich des zwischen der Schulärztin und der Erstbeschwerdeführerin am 4. Oktober 1991 geführten Gespräches stattgefunden. Die damals von der Schulärztin angekündigte organische Untersuchung des Kindes habe aber weder vor der Entscheidung des Schulleiters noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides stattgefunden. Das schulärztliche Gutachten vom 29. Oktober 1991 und damit der angefochtene Bescheid basierten daher ausschließlich auf der rein äußeren Erscheinung des Zweitbeschwerdeführers (geringe Körpergröße und geringes, der Größe jedoch entsprechendes Gewicht) und auf der vom Befund des Preyerschen Kinderspitals aus dem Jahre 1989 übernommenen Begründung hiefür.

Die belangte Behörde habe sich außerdem nicht mit dem Vorbringen auseinandergesetzt, daß allfällige Ermüdungserscheinungen eher auf einer Unter- als auf einer Überforderung des Zweitbeschwerdeführers beruhten. Auch auf den Einwand der Unzumutbarkeit des Schulweges sei nicht eingegangen worden. Völlig unverständlich sei die Ansicht der belangten Behörde, daß sich an den angeblichen mangelnden Voraussetzungen für den Besuch der ersten Klasse Volksschule durch den Besuch der Vorschulstufe etwas ändern würde. Da die Eltern des Kindes eine Hormonbehandlung nach wie vor ablehnten, werde dieses nächstes Jahr kaum größer sein als es jetzt sei bzw. bereits bei der Schülereinschreibung im Februar 1991 und bei der Einschulung im September 1991 gewesen sei.

Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers seien in keinem Stadium des Verfahrens über das Recht, die Einholung eines schulpsychologischen Gutachtens zu verlangen, belehrt worden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 14 des Schulpflichtgesetzes 1985 lautet auszugsweise:

"(1) Schulpflichtige Kinder, die noch nicht schulreif (§ 7 Abs. 2) sind und im Pflichtsprengel einer Vorschulstufe wohnen, haben - unbeschadet der Vorschriften des § 8 über die Aufnahme in die Sonderschule - das erste Jahr ihrer Schulpflicht in der Vorschulstufe zu erfüllen.

...

(3) Die auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes oder von Amts wegen vorzunehmende Aufnahme in die Vorschulstufe und die Zurückstellung vom Schulbesuch darf nur vor Beginn des Schuljahres oder nach erfolgtem Schuleintritt vor dem Ende des laufenden Kalenderjahres ausgesprochen werden.

...

(5) Der Schulleiter hat zur Feststellung, ob das Kind die Schulreife gemäß § 7 Abs. 2 aufweist, ein schulärztliches Gutachten einzuholen. Ferner hat er die persönliche Vorstellung des Kindes zu verlangen, wenn es die erste Schulstufe noch nicht besucht. Er hat auch ein schulpsychologisches Gutachten einzuholen, wenn dies die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes verlangen oder dies zur Feststellung der Schulreife erforderlich erscheint und die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes zustimmen.

...

(7) Hat der Schulleiter den Antrag auf Aufnahme in die Vorschulstufe abgelehnt oder die Aufnahme in die Vorschulstufe von Amts wegen ausgesprochen, so wird diese Entscheidung zwei Wochen nach Bekanntgabe wirksam, sofern nicht die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes innerhalb dieser Frist beim Bezirksschulrat einen Antrag auf Entscheidung über die Aufnahme in die Vorschulstufe einbringen. Einen solchen Antrag können die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes auch dann einbringen, wenn der Schulleiter über den bei ihm eingebrachten Antrag nicht innerhalb von vier Wochen entschieden hat, wobei die Frist von zwei Wochen mit Ablauf der vierwöchigen Frist zu laufen beginnt. Solange die Entscheidung des Schulleiters nicht wirksam ist oder eine gegenteilige Entscheidung des Bezirksschulrates nicht vorliegt, hat das Kind die erste Schulstufe zu besuchen.

(8) Der Bezirksschulrat hat zur Feststellung, ob das Kind die Schulreife gemäß § 7 Abs. 2 aufweist, vor seiner Entscheidung ein schul- oder amtsärztliches Gutachten einzuholen. Ferner hat er ein schulpsychologisches Gutachten einzuholen, wenn dies die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes verlangen oder dies zur Feststellung der Schulreife erforderlich erscheint und die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes zustimmen. Gegen die Entscheidung des Bezirksschulrates ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig."

In Wien werden die Aufgaben des Bezirksschulrates vom Stadtschulrat besorgt (Art. 81a Abs. 2 B-VG und § 3 Abs. 3 Bundes-Schulaufsichtsgesetz).

§ 7 Abs. 2 Schulpflichtgesetz 1985 lautet:

"(2) Schulreif ist ein Kind, wenn begründete Aussicht besteht, daß es dem Unterricht in der ersten Schulstufe zu folgen vermag, ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden"

Nach Art. II Abs. 2 lit. A Z. 8 EGVG ist auf das Verfahren der Landes- und Bezirksschulbehörden das AVG anzuwenden. Nach § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Auf Grund dieser Bestimmung wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, das von ihr gemäß § 14 Abs. 8 des Schulpflichtgesetzes 1985 eingeholte schulärztliche Gutachten der Erstbeschwerdeführerin zur Kenntnis zu bringen und ihr Gelegenheit zu geben, hiezu Stellung zu nehmen. Im Beschwerdefall erlangte die Erstbeschwerdeführerin erstmals am 30. Oktober 1991 bei einer Vorsprache in der Kanzlei des Bezirksschulinspektors von dem mit 29. Oktober 1991 datierten schulärztlichen Gutachten Kenntnis. Auf ihr Verlangen wurde ihr eine Ablichtung dieses Gutachtens ausgefolgt. Bei der selben Vorsprache wurde ihr auch der auf dem Gutachten basierende, mit 29. Oktober 1991 datierte angefochtene Bescheid ausgehändigt. Es wurde ihr somit keine ausreichende Möglichkeit geboten, zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen.

Die belangte Behörde beruft sich in ihrer Gegenschrift darauf, daß der Schulleiter vor Erlassung seiner Entscheidung ein mündliches schulärztliches Gutachten eingeholt habe, welches im wesentlichen mit dem von der belangten Behörde ihrem Bescheid zugrunde gelegten ident gewesen sei.

Diese Aussage ist offenbar so zu verstehen, daß nach Meinung der belangten Behörde die Tatsache, daß sie das von ihr eingeholte schulärztliche Gutachten der Erstbeschwerdeführerin vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht in einer dem § 45 Abs. 3 AVG entsprechenden Weise zur Kenntnis brachte, deshalb nicht relevant sei, weil schon im Verfahren vor dem Schulleiter ein inhaltsgleiches Gutachten vorgelegen sei.

Dieses Vorbringen ist schon deswegen nicht geeignet, den Vorwurf zu entkräften, der angefochtene Bescheid sei in einem mängelbehafteten Verfahren zustandegekommen, da sich im Akt weder ein Hinweis darauf findet, daß im Verfahren vor dem Schulleiter ein schulärztliches Gutachten erstellt wurde, noch, daß ein solches der Erstbeschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht wurde.

Dadurch, daß die belangte Behörde das von ihr eingeholte und als einziges Beweismittel ihrem Bescheid zugrunde gelegte schulärztliche Gutachten der Erstbeschwerdeführerin nicht in einer dem § 45 Abs. 3 AVG entsprechenden Weise zur Kenntnis gebracht hat, hat sie Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Im übrigen wäre das schulärztliche Gutachten - jedenfalls als alleiniges Beweismittel - nicht geeignet, die von der belangten Behörde getroffene Entscheidung zu stützen. Beweisthema im Verwaltungsverfahren war die im § 7 Abs. 2 des Schulpflichtgesetzes 1985 näher definierte Schulreife des Zweitbeschwerdeführers. Das schulärztliche Gutachten führt lediglich aus, beim Zweitbeschwerdeführer sei 1989 im Preyerschen Kinderspital ein Wachstumshormonmangel diagnostiziert worden. Von einer Hormonbehandlung hätten die Eltern damals Abstand genommen. Der Zweitbeschwerdeführer sei bei der Untersuchung im Frühjahr 1991 durch ein verzögertes Wachstum aufgefallen. Er sei ein blasses, zartes Kind, das leicht ermüde. Aus medizinischer Sicht werde eine Rückstellung empfohlen. Gleichzeitig sei die Wiedervorstellung am Preyerschen Kinderspital angezeigt. Hingegen fehlt eine auf einen entsprechenden Befund gestützte Prognose, ob der Zweitbeschwerdeführer auf Grund körperlicher oder geistiger Überforderung dem Unterricht in der ersten Schulstufe folgen werde können.

Da sich der angefochtene Bescheid somit als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben. Auf das übrige Beschwerdevorbringen brauchte daher nicht mehr eingegangen zu werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991100254.X00

Im RIS seit

18.05.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten