TE Vwgh Erkenntnis 1992/9/16 92/01/0465

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Veröffentlicht am 16.09.1992
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der K in W, geboren 1972, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. März 1992, Zl. 4.285.931/3-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine iranische Staatsangehörige, reiste am 3. November 1989, aus Jugoslawien kommend, illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte noch am gleichen Tag einen Asylantrag.

Bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 9. November 1989 gab die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes an:

Sie habe von 1979 bis 1984 in Teheran die Grundschule besucht, von 1984 bis 1989 die Mittelschule mit Abschluß. Sie gehöre der schiitischen Glaubensgemeinschaft an und habe ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen; in erster Linie aber wegen ihrer Eltern. Ihr Vater, ein Bauingenieur, halte sich seit seiner Trennung von ihrer Mutter im Jahre 1976 an einem ihr nicht bekannten Ort in den USA auf. Ihr Vater sei ursprünglich Katholik gewesen, habe aber nach seiner Heirat den moslemischen Glauben angenommen. Während ihrer Schulzeit habe die Beschwerdeführerin wegen der katholischen und assyrischen Herkunft ihres Vor- und Zunamens Schwierigkeiten gehabt. Sie sei ungeachtet ihres schiitischen Glaubens in jeder Weise benachteiligt worden. Man habe sie zusammen mit christlichen Kindern auf Friedhöfe gebracht, wo sie zusehen habe müssen, wie Leichen gewaschen worden seien. Der Umgang mit moslemischen Kindern sei ihr untersagt worden. Sie habe zwar die Klasse beenden können, sei aber im laufenden Jahr nicht mehr in die Schule aufgenommen worden, sodaß sie keinen Schulabschluß habe.

Am 25. Oktober 1989 sei sie mit ihren Eltern in einem Bus nach Istanbul gefahren und von dort (nach ca. 1 Woche) am 1. November 1989 weiter über Bulgarien und Jugoslawien nach Österreich.

Daraufhin stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit einer nicht als Bescheid zu qualifizierenden Erledigung vom 8. März 1990 fest, die Beschwerdeführerin sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 4. April 1990 eine Berufung, in der sie folgendes vorbrachte:

Sie sei mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern nach Österreich gekommen. Ihre Mutter sei unter der Schahregierung als Staatssekretärin tätig gewesen. Nach der Machtübernahme durch Khomeini sei sie gekündigt worden. Die Angehörigen der Familie der Beschwerdeführerin seien ständig von der Polizei verfolgt worden. Sie habe im Iran nicht weiter studieren können, weil sie wegen ihrer christlichen Namen nicht in den Schulen aufgenommen worden sei. Man habe ihr vorgeschlagen, eine christliche Schule zu besuchen, obwohl es im Iran solche Schulen nicht gebe. Wegen ihrer Bekleidung sei sie immer wieder von der Polizei belästigt worden. Sie sei vier Tage lang festgehalten worden, weil sie Ohrringe getragen habe. Polizisten hätten die Wohnung der Familie der Beschwerdeführerin durchsucht; die Familie sei ständig unter psychologischen Druck gesetzt worden. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihres Namens von der Gesellschaft ausgeschlossen worden, wodurch ihre persönliche Entwicklung verhindert worden sei. Es sei unerträglich, unter einer Regierung zu leben, die einem die persönliche Entfaltung unmöglich mache. Die Familie sei wegen ihrer Einstellung betreffend die islamische Regierung, wegen ihrer Namen und ihrer persönlichen Wünsche und Vorstellungen unter Druck gesetzt, beleidigt und in allen Belangen des Lebens vernachlässigt worden. Die Beschwerdeführerin habe ihre Kindheit unter Krieg, Haß und Vorschriften verbringen müssen. Es seien Bomben in die Umgebung der Häuser geworfen worden, wobei einige Freunde der Beschwerdeführerin ums Leben gekommen seien. Dies könne ihr eines Tages auch passieren. Sie möchte ihr Leben in Österreich mit ihren Familienangehörigen verbringen. Zurück in den Iran zu fahren, bedeute von vornherein, daß sie mit Strafen rechnen müßte.

Mit Bescheid vom 19. Juni 1991 wies die belangte Behörde diese Berufung als unzulässig zurück, weil es sich bei der erstinstanzlichen Erledigung um einen Nichtbescheid handelte.

Daraufhin stellte mit Bescheid vom 6. August 1991 die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, die Beschwerdeführerin sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes. Dagegen berief die Beschwerdeführerin am 16. August 1991 mit der Behauptung, der angefochtene Bescheid gehe in keiner Weise auf ihre persönliche Situation und ihr Vorbringen ein. Die Beschwerdeführerin betont in dieser Berufung ausdrücklich, ihr Vorbringen beim "Erstinterview" sei im wesentlichen richtig und vollständig protokolliert worden und sehr wohl geeignet, ihre Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Konvention zu begründen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab und sprach ebenfalls aus, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Begründend vertrat die belangte Behörde dabei die Auffassung, es sei nicht glaubhaft, daß die Beschwerdeführerin ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen habe, weil sie auch nicht ansatzweise eine politische Betätigung erwähnt habe. Die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen reiche nicht aus. Hinsichtlich der behaupteten Benachteiligungen der Beschwerdeführerin während ihrer Schulzeit verwies die belangte Behörde darauf, daß eine wohlbegründete Furcht im Sinne der Genfer Konvention nur angenommen werden könne, wenn die Lebensumstände des Asylwerbers in seiner Heimat aus objektiver Sicht betrachtet so seien, daß ein weiterer Aufenthalt des Asylwerbers dort unerträglich wäre. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe keinen Schulabschluß erlangen können, erachtete die belangte Behörde als nicht glaubhaft, weil die Beschwerdeführerin unter Punkt 10 der Niederschrift vom 9. November 1989 ausdrücklich erklärt habe, die Mittelschule in Teheran mit Abschluß absolviert zu haben. Mangels sicherer Anhaltspunkte dafür, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe Verfolgungen ausgesetzt gewesen wäre oder solche zu befürchten gehabt hätte, sei ihre Anerkennung als Flüchtling nicht gerechtfertigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft und ihrer Aufenthaltsberechtigung verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Insoweit die Beschwerdeführerin zunächst in ihrer Rechtsrüge damit argumentiert, die belangte Behörde hätte sich mit dem Vorbringen in der von der Beschwerdeführerin am 4. April 1990 erhobenen Berufung nicht auseinandergesetzt, ist ihr zu entgegnen, daß diese Berufung zufolge ihrer rechtskräftigen Zurückweisung nicht mehr Gegenstand des Verfahrens vor der belangten Behörde war. Die belangte Behörde hatte vielmehr nur über die am 16. August 1991 erhobene Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. August 1991 zu entscheiden. In dieser Berufung aber machte die Beschwerdeführerin all jene Umstände, die Inhalt ihrer zurückgewiesenen Berufung vom 4. April 1990 waren, gar nicht mehr geltend, sondern verwies - wie oben schon betont - nur auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Protokollierung ihres Vorbringens anläßlich der niederschriftlichen Befragung vom 9. November 1989. Mit Rücksicht darauf war eine weitere Auseinandersetzung der belangten Behörde mit dem Inhalt der rechtskräftig zurückgewiesenen Berufung von vornherein nicht geboten.

Was die in der Beschwerde (unter Punkt 2.3. bzw. 5.1.3.) geschilderten "Nachfluchtgründe" anlangt, handelt es sich um unzulässige Neuerungen. Die Beschwerdeführerin hat weder bei ihrer erstinstanzlichen Befragung noch in ihrer Berufung vom 16. August 1991 irgendetwas in Richtung der jetzt behaupteten Nachfluchtgründe, die ihrer Rückkehr in den Iran entgegenstünden, behauptet. Ein weiteres Eingehen darauf ist demnach nicht zulässig.

Insoweit die Beschwerdeführerin dem angefochtenen Bescheid Aktenwidrigkeiten, Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes und die Verletzung des rechtlichen Gehörs vorwirft, argumentiert sie wiederum nur bezogen auf den Inhalt der rechtskräftig zurückgewiesenen Berufung vom 4. April 1990 und ist sie daher auf die bereits oben erwähnte Irrelevanz dieser Berufung im vorliegenden Verfahren zu verweisen. Auch diese behauptete Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften haftet daher dem angefochtenen Bescheid nicht an.

Was schließlich die Beweisrüge betrifft, ist der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht zu folgen. Da den Angaben der Beschwerdeführerin nicht nur betreffend die Frage des Schulabschlusses, sondern auch hinsichtlich der Ausreise ihres Vaters aus dem Iran (schon 1976 oder erst zusammen mit der Beschwerdeführerin?) und nicht zuletzt auch insoferne Widersprüche anhaften, als ihre Berufung vom 16. August 1991 einen ganz anderen Inhalt hat als die Berufung vom 4. April 1990, kann der belangten Behörde im Ergebnis keineswegs der Vorwurf einer unschlüssigen oder mit dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut im Widerspruch stehenden Würdigung der Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer Erstvernehmung gemacht werden. Insoweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang eine Fehlerhaftigkeit der erstinstanzlichen Niederschrift behauptet, ist ihr zu entgegnen, daß dies einerseits im Widerspruch mit dem ausdrücklichen Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, die erstinstanzliche Protokollierung sei vollständig und richtig vorgenommen worden, steht und daß andererseits nicht einmal in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde näher dargetan wird, inwieferne die Beschwerdeführerin bei einer ihrer nunmehrigen Ansicht nach korrekten Protokollierung etwas anderes angegeben hätte.

Da schließlich der belangten Behörde auch insoweit nicht entgegengetreten werden kann, als sie die von der Beschwerdeführerin geschilderten Schwierigkeiten anläßlich ihres Schulbesuches als nicht gravierend genug erachtet hat, um eine unerträgliche Situation darzustellen, und weil die Beschwerdeführerin zu den von ihr behaupteten politischen Gründen für das Verlassen ihrer Heimat keine näheren Angaben gemacht hat, erweist sich der angefochtene Bescheid insgesamt als frei von den behaupteten Rechtswidrigkeiten.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grund des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992010465.X00

Im RIS seit

16.09.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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