TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/20 90/08/0024

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Veröffentlicht am 20.10.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §33 Abs1;
ASVG §34 Abs1;
ASVG §410 Abs1 Z7;
ASVG §68 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
VStG §5 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner über die Beschwerde der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse in Graz, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 18. Dezember 1989, Zl. 5-226 Ko 249/7-89, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: J in M), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 26. Mai 1988 verpflichtete die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse den Mitbeteiligten für die in der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 27. Jänner 1988 angeführten Lehrlinge allgemeine Beiträge und Sonderbeiträge in der Höhe von S 40.427,18 zu entrichten. Nach der Begründung sei anläßlich der vom 11. November bis 15. Dezember 1987 durchgeführten Beitragsprüfung festgestellt worden, daß für die in der Beitragsnachverrechnung angeführten Lehrlinge die jeweiligen Lehrlingsentschädigungen in den Kalendermonaten Jänner und Februar der Jahre 1985, 1986 und 1987 lediglich in der Höhe der Hälfte des tatsächlich gebührenden Ausmaßes zugrundegelegt worden seien. Der Mitbeteiligte habe dies damit begründet, daß in den gegenständlichen Kalendermonaten die Arbeitszeit der Lehrlinge wegen Arbeitsmangel auf die Hälfte gekürzt worden sei. Nach Auffassung der Gebietskrankenkasse, die sich diesbezüglich auch auf das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 26. April 1983, 4 Ob 39/83, berufen könne, habe der Lehrling einen gesetzlichen Anspruch auf Beschäftigung, welcher den Anspruch auf Ausbildung einschließe. Dieser Anspruch sei auf die in § 9 Abs. 1 des Berufsausbildungsgesetzes verankerte Ausbildungs- und Unterweisungspflicht des Lehrberechtigten sowie den in der Ausbildung bestehenden Zweck des Lehrverhältnisses zurückzuführen. Daraus ergebe sich eine Verpflichtung des Lehrberechtigten, den Lehrling tatsächlich zu beschäftigen, weil nur dann das Ausbildungsziel erreicht werden könne. Im Beschwerdefall bleibe daher der Anspruch des Lehrlings auf die Lehrlingsentschädigung für die Zeit des Arbeitsausfalles gemäß § 1155 ABGB aufrecht, zumal das Unterbleiben der Arbeitsleistung durch Umstände, die auf Seiten des Arbeitgebers lägen, verhindert worden sei. Da der Mitbeteiligte keine Angaben über die tatsächlich gebührende Lehrlingsentschädigung gemacht habe, sei im Beschwerdefall die fünfjährige Verjährungsfrist zur Anwendung gekommen.

Der Mitbeteiligte erhob Einspruch, wobei er im wesentlichen vorbrachte, daß er aufgrund von Arbeitsmangel in den Wintermonaten Jänner und Februar nicht in der Lage gewesen sei, die Lehrlinge während dieser Zeit die volle gesetzliche Arbeitszeit zu beschäftigen und zu entlohnen; von der Handelskammer Graz sei ihm mitgeteilt worden, daß er Kurzarbeit in seinem Sinne durchführen dürfe, wenn der Erziehungsberechtigte der Lehrlinge sowie der Lehrling und der Betriebsrat damit einverstanden seien. Da dies der Fall gewesen sei, wäre es zur Durchführung der Kurzarbeit gekommen. Außerdem habe sich der Betrieb in sehr schwieriger finanzieller Situation befunden (Konkurs- bzw. Ausgleichsverfahren). Da er die Meldungen auch bei gehöriger Sorgfalt nicht als notwendig oder unrichtig habe erkennen müssen, sei im übrigen auch bloß die zweijährige Verjährungsfrist gemäß § 68 ASVG anzuwenden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch des Mitbeteiligten Folge gegeben und der Bescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse dahin abgeändert, daß "im gegenständlichen Fall gemäß § 68 Abs. 1 ASVG die zweijährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelange". Auch die belangte Behörde vertrat dabei unter Berufung auf das bereits zitierte Urteil des Obersten Gerichtshofes die Auffassung, daß der Anspruch der Lehrlinge auf die Lehrlingsentschädigung auch für die Zeit des Arbeitsausfalles gemäß § 1155 ABGB aufrecht bleibe, weil das Unterbleiben der Arbeitsleistung durch Umstände herbeigeführt worden sei, die auf Seiten des Arbeitgebers lägen. Entgegen der Auffassung der Gebietskrankenkasse sei die belangte Behörde jedoch zur Auffassung gelangt, daß beim Mitbeteiligten aufgrund der schriftlichen und mündlichen Beratung durch die Handelskammer überhaupt kein Zweifel aufgetaucht sei, daß er im Wege einer Anfrage an die Gebietskrankenkasse die Verrechnungsart des Entgeltes noch hätte klären müssen. Im Beschwerdefall habe daher die zweijährige Verjährungsfrist zur Anwendung zu gelangen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Mitbeteiligte hat sich am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf dem Boden der Auffassung der belangten Behörde erweist sich der Spruch des angefochtenen Bescheides schon deshalb als rechtswidrig, da ein Bescheid, mit dem über eine Beitragsnachverrechnung abgesprochen wird, einen Ausspruch über die Verpflichtung zur Entrichtung ZIFFERNMÄßIG BESTIMMTER Beträge zu enthalten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. März 1992, Zl. 89/08/0360). Der Spruch des angefochtenen Bescheides, wonach der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse dahin abgeändert wird, daß "im gegenständlichen Fall gemäß § 68 Abs. 1 ASVG die zweijährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelangt", wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

In der Sache selbst ist zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens lediglich die Frage strittig, ob die zweijährige (so die belangte Behörde) oder die fünfjährige Verjährungsfrist (so die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse) anzuwenden ist. Die Beschwerdeführerin vertritt dabei im wesentlichen die Auffassung, daß der Mitbeteiligte eine Anfrage an sie als zuständige Stelle hätte richten müssen. Eine Beratung durch die Handelskammer sei als nicht ausreichend anzusehen, da diese nicht über Rechte und Pflichten der Versicherten oder der Dienstgeber, die sich aus dem ASVG ergeben, absprechen könne. Der Mitbeteiligte sei im übrigen durch ein Schreiben der Handelskammer vom 17. Dezember 1984 auf das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 26. April 1983 hingewiesen worden, nach dem die Vereinbarung einer Arbeitszeitverkürzung für Lehrlinge in den Wintermonaten unzulässig und unwirksam sei.

§ 68 Abs. 1 ASVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der 34. ASVG-Novelle BGBl. Nr. 530/1979 lautet:

Das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen verjährt binnen zwei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge. Hat der Dienstgeber Angaben über Versicherte bzw. über deren Entgelt nicht innerhalb der in Betracht kommenden Meldefrist gemacht, so beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Tag der Meldung zu laufen. Diese Verjährungsfrist der Feststellung verlängert sich jedoch auf fünf Jahre, wenn der Dienstgeber oder eine sonstige meldepflichtige Person (§ 36) keine oder unrichtige Angaben bzw. Änderungsmeldungen über die bei ihm beschäftigten Personen bzw. über deren jeweiliges Entgelt (auch Sonderzahlungen im Sinne des § 49 Abs. 2) gemacht hat, die er bei gehöriger Sorgfalt als notwendig oder unrichtig hätte erkennen müssen. Die Verjährung des Feststellungsrechtes wird durch jede zum Zwecke der Feststellung getroffene Maßnahme in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Zahlungspflichtige hievon in Kenntnis gesetzt wird."

Nach der Rechtsprechung ist dabei grundsätzlich davon auszugehen, daß sich ein Meldepflichtiger alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen muß und deren Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfaltspflicht zu vertreten hat (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1985, Zl. 84/08/0133). Den Meldepflichtigen trifft somit eine Erkundigungspflicht, sofern er seine - objektiv unrichtige - Rechtsauffassung über die Versicherungsfreiheit eines Beschäftigungsverhältnisses im Zeitpunkt der Unterlassung der Meldung nicht etwa auf höchstgerichtliche (und erst später geänderte) Rechtsprechung oder bei Fehlen einer solchen auf eine ständige Verwaltungsübung zu stützen vermag. Insbesondere wird er gehalten sein, sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtsauffassung bei der Behörde und/oder zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewißheit zu verschaffen, sowie bei widersprüchlichen Rechtsauffassungen sich mit Gewissenhaftigkeit mit dem Für und Wider eingehend auseinanderzusetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 1989, Zl. 85/08/0064, mit weiteren Judikaturhinweisen). Dies gilt im wesentlichen für alle sozialversicherungsrechtlichen Fragen.

Dieser Erkundigungspflicht ist der Mitbeteiligte jedoch nicht nachgekommen:

Nach einem im Akt erliegenden Schreiben vom 17. Dezember 1984 (vgl. ONr. 17) teilte die Handelskammer Steiermark den Mitgliedsbetrieben im wesentlichen mit, daß bereits im Vorjahr eine Information ergangen sei, wonach aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichtshofes eine Vereinbarung über Arbeitszeitverkürzung für Lehrlinge im Winter auf Verbandsebene nicht mehr geschlossen werden könne. Dies widerspreche lt. OGH dem Arbeitszeitgesetz. Die Kammer habe deshalb allen Firmen freigestellt, sich auf Betriebsebene in Vereinbarungen mit dem Betriebsrat auf eine ähnliche Regelung zu einigen.

Schon aufgrund des Hinweises, daß nach einem Urteil des OGH eine Vereinbarung über Arbeitszeitverkürzung für Lehrlinge im Winter auf Verbandsebene nicht mehr geschlossen werden könne, und der bloßen "Freistellung" ähnlicher Regelungen auf Betriebsebene mußten beim Beschwerdeführer Zweifel darüber entstehen lassen, ob die von ihm beabsichtigte Vorgangsweise auch zulässig sei. Daß er sich mit dem Inhalt des erwähnten Urteils vertraut gemacht oder bei der Kammer weitere (bei dieser Sachlage durchaus zumutbare) Erkundigungen über die Zulässigkeit seiner Vorgangsweise eingeholt hat, ist den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen und wird vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Es kann daher nicht gesagt werden, daß er sich über die von ihm vertretene Rechtsauffassung somit Gewißheit im Sinne der Rechtsprechung verschafft hat. Die Auffassung der belangten Behörde, daß der Mitbeteiligte seiner Erkundigungspflicht in ausreichendem Maße entsprochen hat, erweist sich somit als verfehlt. Die Anwendung der zweijährigen Verjährungsfrist war daher rechtswidrig.

Aufgrund dieser Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990080024.X00

Im RIS seit

20.10.1992

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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