TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/21 91/10/0162

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Veröffentlicht am 21.12.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

LMG 1975 §20;
LMG 1975 §21;
LMG 1975 §22 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 91/10/0188 Serie (erledigt im gleichen Sinn): 92/10/0185 E 21. Dezember 1992 92/10/0186 E 21. Dezember 1992

Betreff

Der VwGH hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerden der B-AG in N, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz 1. (zu Zahl 91/10/0162) vom 5. 6. 1991, Zl. 300.422/1-III/B/12a/91 und

2. (zu Zahl 91/10/0188) vom 18. 6. 1991, Zl. 700.422/5-III/B/12/90, jeweils betreffend Maßnahmen gemäß § 22 des Lebensmittelgesetzes 1975, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 20.940,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Von einem Organ der Lebensmittelaufsicht wurde am 2. Mai 1990 in der Filiale W, T-Straße 6-8, der beschwerdeführenden Partei eine lebensmittelpolizeiliche Revision durchgeführt. In dem darüber verfaßten Revisionsbericht vom 3. Mai 1990 heißt es, es sei festgestellt worden, daß Milchprodukte, die in der Nacht, also außerhalb der Betriebszeiten angeliefert würden, nicht in Kühleinrichtungen eingebracht werden könnten, sondern in einem an der Straßenfront gelegenen Lagerraum abgestellt würden, der nicht kühlbar sei. Die Lieferanten hätten die Waren in diesem Lager abzustellen, wo am 2. Mai 1990 eine Temperatur von +19 Grad C gemessen worden sei. Die Kühlkette werde daher für diese Produkte über mehrere Stunden (zwischen Anlieferung und Verlagerung in Kühleinrichtungen um ca. 7.00 Uhr bei Betriebsbeginn) unterbrochen, wodurch diese Produkte hygienisch nachteilig beeinflußt würden. Obwohl die Filiale erst am 11. April 1990 ihren Betrieb aufgenommen habe, sei bereits am 2. Mai 1990 eine Parteienbeschwerde beim Marktamt eingelangt, in der Klage über "kaputte" Milch vor Erreichen des Ablaufdatums geführt worden sei. Weiters sei in der Delikatessabteilung der Filiale eine Kühlvitrine aufgestellt gewesen, auf deren nicht kühlbarem Oberteil näher bezeichnete, überwiegend verpackte Lebensmittel ungekühlt gelagert worden seien. Auf sämtlichen Packungen sei als Lagerbedingung die "gekühlte Lagerung" bzw. "zwischen +4 und +6 Grad" bzw. "nicht über +6 Grad C. lagern" angegeben gewesen. Zwischen den verpackten Waren habe eine Temperatur von +17 Grad C. geherrscht. In den Kühlregalen zwischen den Milchpackungen seien Temperaturen zwischen +11 und +13 Grad C. gemessen worden. Die Anlage liege direkt unter einem Glasdach, wo die Sonne direkt auf die gelagerte Ware scheine. Aufgrund dieser vorgefundenen Verhältnisse werde die Vorschreibung von Maßnahmen im Sinne des § 22 des Lebensmittelgesetzes 1975 beantragt.

Der Magistrat Wien-Magistratsabteilung 63 brachte der beschwerdeführenden Partei diesen Revisionsbericht zur Kenntnis und gab ihr Gelegenheit, hiezu Stellung zu nehmen. Die beschwerdeführende Partei machte davon keinen Gebrauch.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Juni 1990 wurde der beschwerdeführenden Partei gemäß § 22 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 vorgeschrieben, bei der Führung ihres Lebensmittelkleinhandelsbetriebes in W, T-Straße, Vorsorge zu treffen, daß gekühlt zu lagernde Produkte sofort nach ihrer Anlieferung gekühlt gelagert werden, und Lebensmittel, die eine gekühlte Lagerung benötigen, so zu lagern, daß ihre Kerntemperatur +6 Grad C. nicht übersteigt.

Am 15. Mai 1990 fand in der Zeit zwischen 9.30 Uhr und 10.50 Uhr in der Filiale der beschwerdeführenden Partei in W, S-Straße, eine lebensmittelpolizeiliche Revision statt. Dem Revisionsbericht vom 2. Juni 1990 ist zu entnehmen, daß Milchprodukte, die außerhalb der Betriebszeiten angeliefert würden, nicht in Kühleinrichtungen eingebracht werden könnten, sondern in einem an der Straßenfront gelegenen Lagerraum abgestellt würden, der nicht kühlbar sei. Die Lieferanten hätten die Waren in diesem Lager zwischen Haus- bzw. Gittertür abzustellen. Die Kühlkette werde daher für diese Produkte über mehrere Stunden (zwischen Anlieferung und Verlagerung in Kühleinrichtungen) unterbrochen, wodurch diese Produkte hygienisch nachteilig beeinflußt würden. Selbst zu Betriebsbeginn könnten die Produkte nicht in Kühleinrichtungen verlagert werden, da diese zu klein wären. So seien z.B. um

10.30 Uhr im Verkaufsraum u.a. zwei Stapel Kisten und diverse Kartons und Gitterwagen mit Milchprodukten gestanden, wobei einer dieser Stapel aus 19, ein anderer aus 15 übereinander gestellten Kisten bestanden habe. Es werde daher die Vorschreibung von Maßnahmen im Sinne des § 22 des Lebensmittelgesetzes 1975 beantragt.

In ihrer Stellungnahme zu diesem Revisionsbericht brachte die beschwerdeführende Partei vor, die Ausführungen im Bericht könnten sich nicht auf Beweise, sondern nur auf Vermutungen stützen. Inwieweit eine nachteilige hygienische Beeinflussung tatsächlich zu befürchten sei, werde nicht aufgezeigt. Es sei weder eine Messung der Temperatur der einzelnen Produkte erfolgt, noch sei die Temperatur jener Räumlichkeiten festgehalten worden, in denen die Milchprodukte gelagert worden seien. Aufgrund der Verpackung sei es sehr unwahrscheinlich, daß es durch eine kurzfristige ungekühlte Lagerung zu einem für das Produkt nachteiligen Temperaturanstieg komme.

In einem weiteren, vom Landeshauptmann angeforderten Bericht vom 2. August 1990 teilte das Marktamt mit, die Filiale S-Straße sei am 2. August 1990 um 9.00 Uhr (neuerlich) überprüft worden. Dabei seien im Verkaufsraum 26 Kisten mit diversen Milchprodukten ungekühlt vorgefunden worden. Das Kühlregal sei mit gekühlt zu lagernden Waren bereits derart voll gewesen, daß die Waren aus dem Kühlbereich bereits herausgeragt hätten; zwischen diesen Packungen sei eine Temperatur von +11 Grad C. gemessen worden. Eine hygienisch nachteilige Beeinflussung von gekühlt zu lagernden Waren durch ungekühlte Lagerung sei wissenschaftlich erwiesen; sie gehe aus den beiliegenden Gutachten der Proben P 107 - 110 auch hervor. Völlig falsch sei, daß keine Temperaturmessungen im Betrieb vorgenommen worden seien. In Anwesenheit des Filialleiters seien folgende Temperaturen zwischen den Packungen bzw. im Raum gemessen und auf dem Probenbegleitschreiben vermerkt worden:

P 107: +10,3 Grad; P 108: +8,1 Grad; P 109: +9,0 Grad; P 110:

+16,8 Grad. Raumtemperatur im Verkaufsraum: +19 Grad; im Lagerraum (Anlieferung): +18 Grad.

Dieser Bericht wurde der beschwerdeführenden Partei nicht zur Kenntnis gebracht.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 8. August 1990 wurde der beschwerdeführenden Partei vorgeschrieben, bei der Führung ihres Lebensmittelkleinhandelsbetriebes in W, S-Straße, Lebensmittel, die eine gekühlte Lagerung benötigen, so zu lagern, daß deren Kerntemperatur +6 Grad C. nicht übersteigt, und Vorsorge zu treffen, daß gekühlt zu lagernde Produkte sofort nach ihrer Anlieferung gekühlt gelagert werden.

Die beschwerdeführende Partei berief sowohl gegen diesen Bescheid als auch gegen jenen vom 20. Juni 1990 betreffend die Filiale T-Straße. In der Berufung wird ausgeführt, mehr als 90 Prozent aller Betriebsstätten, die Milch- und Milchprodukte führten, verfügten über keinen gekühlten Milcheinstellraum. Es sei allerdings nicht bekannt geworden, daß sich daraus größere Schwierigkeiten ergeben hätten. Würde man einen gekühlten Milcheinstellraum als unbedingte Voraussetzung für derartige Lieferungen ansehen, würde dies im Falle der Mehrzahl der Betriebsstätten dazu führen, daß Milch- und Milchprodukte überhaupt nicht im Sortiment aufschienen. Aufgrund der verwendeten Verpackungsmaterialien und der Schlichtart - nämlich dicht an dicht - erfahre der Inhalt der einzelnen Verpackungseinheiten keinen bzw. lediglich einen geringfügigen, zu vernachlässigenden Temperaturanstieg. Dieser Umstand habe jedoch keinerlei Einfluß auf die Qualität des Produktes. Die verwendeten Kühleinrichtungen erzeugten derartige Temperaturen, daß die geforderte Kerntemperatur von maximal +6 Grad C. nicht überschritten werde. Weder aus dem Spruch noch der Begründung der bekämpften Bescheide gehe hervor, daß die betroffenen Lebensmittel tatsächlich eine höhere Kerntemperatur als +6 Grad C. aufgewiesen hätten. In keinem der Revisionsberichte finde sich ein Hinweis, daß die Kerntemperatur nicht entsprochen habe. Eine allenfalls gemessene Umlufttemperatur sage noch keineswegs etwas über die tatsächliche Kerntemperatur des jeweiligen Produktes aus, insbesondere, wenn nicht feststehe, wie lange ein Produkt höheren Temperaturen ausgesetzt gewesen sei. Damit habe sich die Behörde erster Instanz nicht auseinandergesetzt. Eine hygienisch nachteilige Beeinträchtigung sei auch schon dadurch ausgeschlossen, daß Milch- und Milchprodukte täglich frisch angeliefert würden, wobei das Lieferdatum praktisch ident mit dem Abpackdatum sei und speziell bei Milch die gesamte an einem Tag gelieferte Warenmenge verkauft werde, sodaß Lagerungen von mehr als 15 Stunden auszuschließen seien.

Die belangte Behörde holte Stellungnahmen eines Amtssachverständigen für Lebensmittelhygiene ein. Dieser schlug vor, die angefochtenen Bescheide dahingehend abzuändern, daß geringfügige, kurzfristige Temperaturanstiege unberücksichtigt blieben, wobei unter ersterem maximal +3 Grad C. und unter letzterem maximal 5 Stunden zu verstehen seien. Weiters sollte der beschwerdeführenden Partei nach Meinung des Sachverständigen aufgetragen werden, die Einhaltung der Vorschreibung laufend stichprobenweise zu kontrollieren und hierüber Aufzeichnungen zu führen. Zu prüfen wären mit einem geeichten Thermometer thermisch ungünstig liegende Gebinde. Diese Stellungnahmen wurden der beschwerdeführenden Partei nicht zu Kenntnis gebracht.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juni 1991 wurde der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Juni 1990 wie folgt abgeändert:

"1. Lebensmittel, die eine gekühlte Lagerung benötigen, sind so aufzubewahren, daß ihre Kerntemperatur +6 Grad C. nicht übersteigt. Bei gekühlt zu lagernder Milch und gekühlt zu lagernden Milchprodukten ist ein kurzfristiger, d.h. maximal 5 Stunden dauernder Temperaturanstieg bis höchstens +9 Grad C. tolerierbar.

2. Es ist Vorsorge zu treffen, daß gekühlt zu lagernde Produkte SOFORT nach ihrer Anlieferung so gelagert werden, daß den unter Punkt 1 aufgestellten Anforderungen entsprochen wird.

3. Die Einhaltung der unter Punkt 1 genannten Anforderungen ist laufend stichprobenartig zu kontrollieren und über diese Kontrollen sind Aufzeichnungen zu führen. Hiebei sind mit einem geeichten Thermometer thermisch ungünstig liegende Waren zu prüfen."

Begründet wird diese Entscheidung im wesentlichen damit, Tenor der Berufung sei nach Ansicht der belangten Behörde, daß geringfügige und kurzfristige Überschreitungen der Kerntemperatur von +6 Grad C. bei Überprüfung von Betrieben toleriert werden sollten. Um darüber befinden zu können, sei es notwendig, abzuklären, was im Einzelfall als "geringfügiger und kurzfristiger Temperaturanstieg" anzusehen sei. Im Einvernehmen mit der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien könne im Falle von Milcherzeugnissen bei einem maximalen Temperaturanstieg auf +9 Grad C. von "geringfügig" und bei einer Dauer von maximal 5 Stunden von "kurzfristig" gesprochen werden. Den Ausführungen der beschwerdeführenden Partei, wonach kurzfristige Lagerung von Milch außerhalb der Kühlvitrinen keine nachteilige Beeinflussung des Produktes nach sich ziehe, weil gut durchgekühlte Erzeugnisse lediglich einen leichten Temperaturanstieg erführen, zumal Gebinde einen Isolierungeffekt hätten, werde zugestimmt, weshalb daher der angefochtene Bescheid entsprechend abzuändern gewesen sei.

Das Vorkommen von Kundenbeschwerden über verdorbene Milch vor Erreichen des Ablaufdatums bzw. gerade noch nicht zu beanstandender Ware habe die Behörde zu dem Schluß kommen lassen, daß das Verhalten, welches die Kerntemperatur auf +6 Grad konstant halte, nur durch gekühlte Lagerung unverzüglich nach Anlieferung der Ware zu erreichen sei. Der Nichtbeachtung geringfügiger Abweichungen sei durch die im Berufungsbescheid getroffenen Anordnungen Rechnung getragen worden.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18. Juni 1991 wurde über die Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 8. August 1990 entschieden. Inhalt und Begründung dieses Bescheides stimmen mit jenem vom 5. Juni 1991 überein.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, beide Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zu gemeinsamer Beratung und Entscheidung zu verbinden, und hat über diese Beschwerden erwogen:

Nach § 22 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 hat der Landeshauptmann, soweit eine nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen in hygienischer Hinsicht durch Außerachtlassung der im § 20 gebotenen Sorgfalt zu besorgen ist, auch wenn Bestimmungen im Sinne des § 21 nicht erlassen sind, Maßnahmen und Vorkehrungen im Einzelfall mit Bescheid zu verfügen.

§ 21 des Lebensmittelgesetzes 1975 enthält eine Ermächtigung des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz, durch Verordnung zur Sicherung der Grundsätze der Hygiene im Verkehr mit Lebensmitteln nähere Vorschriften zu erlassen. Solche Verordnungen gibt es derzeit nicht.

Nach § 20 leg. cit. hat derjenige, der Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringt, vorzusorgen, daß sie nicht durch äußere Einwirkung hygienisch nachteilig beeinflußt werden, soweit das nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsaufassung nicht unzumutbar ist.

Die Formulierung "durch äußere Einwirkung" umfaßt nicht nur feste, flüssige oder gasförmige Substanzen, die mit der Ware in Verbindung kommen und diese hygienisch nachteilig beeinflussen können, sondern schließt auch andere Einwirkungen, wie Temperatur, Sonneneinstrahlung oder mechanische Kräfte ein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 1990, Zl. 89/10/0201). Der Einwand der beschwerdeführenden Partei, § 22 in Verbindung mit § 20 des Lebensmittelgesetzes 1975 sei auf den Beschwerdefall nicht anzuwenden, weil bereits aufgrund des Vorliegens einer Verpackung der beanstandeten Produkte eine mögliche Verschmutzung von außen ausgeschlossen sei, geht daher ins Leere.

Hingegen ist die beschwerdeführenden Partei im Ergebnis im Recht, wenn sie der belangten Behörde Verletzung von Verfahrensvorschriften vorwirft.

Voraussetzung für eine Maßnahme nach § 22 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 ist, daß durch Außerachtlassung der im § 20 gebotenen Sorgfalt eine nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln zu besorgen ist. Nach den Annahmen der belangten Behörde ist dem hygienischen Standard Genüge getan, wenn Lebensmittel, die eine gekühlte Lagerung benötigen, so aufbewahrt werden, daß ihre Kerntemperatur +6 Grad C. nicht übersteigt, wobei bei Milch und Milchprodukten ein kurzfristiger, maximal 5 Stunden dauernder Temperaturanstieg bis höchstens +9 Grad C. tolerierbar ist. Die beschwerdeführende Partei hat in ihrer Berufung behauptet, durch die in ihren Filialen bestehenden Verhältnisse würden Lebensmittel hygienisch nicht nachteilig beeinflußt, es sei nie festgestellt worden, daß der von der Behörde als adäquat angesehene hygienische Standard (Einhaltung einer bestimmten Kerntemperatur) unterschritten worden sei. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt, wozu sie umso mehr Veranlassung gehabt hätte, da die Vorschreibungen ihrer Bescheide eine Lockerung des geforderten hygienischen Standards im Vergleich zu den Anforderungen in den Bescheiden der Erstbehörde darstellen. Weder der Begründung der angefochtenen Bescheide noch dem übrigen Aktinhalt ist eine Aussage des Inhaltes zu entnehmen, daß durch die in den Filialbetrieben der beschwerdeführenden Partei vorgefundenen Verhältnisse ein Anstieg der Kerntemperatur der Lebensmittel über die kritischen Marken zu besorgen sei. Von den in den Revisionsberichten angeführten Umlufttemperaturen kann ohne entsprechende sachverständige Ausführungen nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, daß damit auch automatisch ein Anstieg der Kerntemperatur über die kritischen Werte verbunden sei, zumal Angaben über die Dauer, während der die Lebensmittel diesen Umlufttemperaturen ausgesetzt waren, fehlen. Hiezu kommt, daß die Angaben im Revisionsbericht vom 2. August 1990 über die in der Filiale S-Straße gemessenen Temperaturen der beschwerdeführenden Partei nicht zur Kenntnis gebracht wurden, sodaß sie auch keine Gelegenheit hatte, hiezu Stellung zu nehmen. Bei der für die Filiale T-Straße angegebenen Raumtemperatur von +19 Grad ist nicht ersichtlich, ob sie sich auf jenen Zeitraum bezieht, während dessen die Lebensmittel in dem betreffenden Lagerraum ungekühlt untergebracht waren. Der ermittelte Sachverhalt reicht nicht für eine verläßliche Schlußfolgerung in der Richtung aus, durch die in den Filialen der beschwerdeführenden Partei vorgefundenen Verhältnisse sei eine nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln in hygienischer Hinsicht durch Unterschreiten des von der Behörde als erforderlich angesehenen Hygienestandards (Einhaltung bestimmter Kerntemperaturen) zu besorgen.

Im Punkt 3 der angefochtenen Bescheide wird der beschwerdeführenden Partei jeweils vorgeschrieben, die Einhaltung der im Punkt 1 genannten Anforderungen laufend stichprobenartig zu kontrollieren und über diese Kontrollen Aufzeichnungen zu führen, wobei mit einem geeichten Thermometer thermisch ungünstig liegende Waren zu prüfen sind. Diese Vorschreibung wurde aus den von der belangten Behörde eingeholten Stellungnahmen des Amtssachverständigen für Lebensmittelhygiene übernommen, ohne daß der beschwerdeführenden Partei vorher Gelegenheit gegeben wurde, hiezu Stellung zu nehmen. Die beschwerdeführenden Partei bringt hiezu vor, aus dem Zusammenhang des Punktes 3 mit Punkt 1 ergebe sich die Verpflichtung zur laufenden Kontrolle der Kerntemperatur; dies sei aber nur möglich, wenn die Verpackung zerstört werde.

Daß mit Punkt 3 eine Kontrolle der Kerntemperatur angeordnet wird, trifft zu. Ob es richtig ist, daß dies nur möglich ist, wenn die Verpackung der Lebensmittel, insbesondere von Milch- und Milchprodukten zerstört wird, stellte eine Sachfrage dar, für deren Beantwortung sich im Akt keine Anhaltspunkte finden. Die Relevanz dieser Behauptung der beschwerdeführenden Partei ist schon im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit einer derartigen Vorschreibung offenkundig. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde, hätte sie der beschwerdeführenden Partei vor Erlassung ihres Bescheides hiezu Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, zu einem anderen Bescheid gekommen wäre. Auch aus diesem Grund leiden die angefochtenen Bescheide an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Aus den genannten Gründen waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf Stempelgebühren für nicht erforderliche Beilagen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991100162.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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