TE Vfgh Erkenntnis 1990/11/27 G24/89, G25/89, G26/89, G27/89, G57/89, G72/89, G276/89, G277/89, G278

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Veröffentlicht am 27.11.1990
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Index

L3 Finanzrecht
L3701 Getränkeabgabe, Speiseeissteuer

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art91
B-VG Art140 Abs1 / Gegenstandslosigkeit
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Wr GetränkesteuerG 1971 §10
Wr GetränkesteuerG 1971 §10 Abs3
VfGG §27

Leitsatz

Keine Präjudizialität eines, keine untrennbare Einheit mit den in Prüfung gezogenen Teilen einer Norm bildenden Teils einer Bestimmung; denkmögliche Annahme der Präjudizialität bei Tod des Beschwerdeführers im - beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen - Anlaßverfahren zu einem Normprüfungsverfahren; Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer landesrechtlichen, finanzstrafrechtlichen Norm eines Getränkesteuergesetzes mangels gerichtlicher Zuständigkeit bei aufgrund der vorgesehenen Strafhöhe in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallenden Delikten; Verletzung des Gleichheitsrechtes; kein Kostenzuspruch an die Beschwerdeführer der beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Anlaßverfahren

Spruch

I. 1. §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2/1971, idF LGBl. Nr. 32/1973, war verfassungswidrig.

Diese Gesetzesbestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

2. Der Landeshauptmann von Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

II. Die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes zu A7 - A10/89, A13/89, A15/89 und A30/89 werden, soweit darin die Aufhebung des Abs3 des §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2/1971, idF LGBl. Nr. 32/1973, beantragt wird, als unzulässig zurückgewiesen.

III. Die Anträge der A W, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. W G, sowie der L S, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. R R, auf Zuspruch eines Kostenersatzes, werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2/1971 idF der Getränkesteuergesetz-Novelle 1973, LGBl. Nr. 32/1973, lautet wie folgt:

"(1) Handlungen oder Unterlassungen, wodurch die Steuer verkürzt oder der Verkürzung ausgesetzt wird, werden als Übertretungen bis zum Fünfzigfachen des Betrages bestraft, um den die Steuer verkürzt oder der Verkürzung ausgesetzt wurde. Läßt sich das Ausmaß der Steuerverkürzung oder -gefährdung nicht feststellen, so hat der im Steuerbescheid festgesetzte Steuerbetrag die Grundlage für die Bemessung der Strafe zu bilden. Im Falle der Uneinbringlichkeit tritt an Stelle der Geldstrafe Arrest bis zu drei Monaten.

(2) Die sonstigen Übertretungen der Vorschriften dieses Gesetzes oder der dazu erlassenen Durchführungsvorschriften werden mit Geldstrafen bis zu 2000 S, im Nichteinbringungsfalle mit Arrest bis zu 14 Tagen geahndet.

(3) Beschließt der Gemeinderat, daß die entgeltliche Abgabe von Bier an den Letztverbraucher einer Steuer unterliegt, so finden auf Übertretungen der im §1 Abs2 genannten Bestimmungen die Absätze 1 und 2 Anwendung."

Der eben wiedergegebene §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien erhielt durch ArtVIII des Gesetzes vom 26. Juni 1990, LGBl. für Wien Nr. 44/1990, mit dem abgabenrechtliche Strafbestimmungen geändert werden, eine neue, zufolge ArtXIX Abs1 dieses Gesetzes seit 28. August 1990 geltende Fassung. Das wirkt sich auch für den dritten Absatz des §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien aus, weil die dort enthaltene - vom Gesetz vom 26. Juni 1990, LGBl. für Wien Nr. 44/1990, zwar nicht ausdrücklich genannte - Strafbestimmung gleichwohl ihren jeweiligen Inhalt aus dem Verweis auf die ersten beiden Absätze des §10 leg.cit. gewinnt.

2.a) Beim Verwaltungsgerichtshof sind (zu den Zlen. 87/17/0148, 88/17/0076, 88/17/0174, 88/17/0236, 89/17/0052 und 89/17/0217) Verfahren über Beschwerden anhängig, die sich gegen je einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wr. Landesregierung richten; Gegenstand des vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheides ist jeweils die Bestrafung des Beschwerdeführers (der Beschwerdeführerin) wegen einer Verkürzung der Getränkesteuer mit einer Geldstrafe (zwischen 700 S im Verfahren zu Zl. 88/17/0174 und 400.000 S im Verfahren zu Zl. 87/17/0148) sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe (zwischen 16 Stunden im Verfahren zu Zl. 88/17/0174 und 70 Tagen im Verfahren zu Zl. 87/17/0148) in Handhabung des §10 Abs1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2/1971.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte anläßlich dieser Beschwerdesachen mit Anträgen vom 8. März 1989 (zu A7/89-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G24/89), A8/89-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G25/89), A9/89-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G26/89), A10/89-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G27/89)), vom 14. April 1989 (zu A15/89-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G72/89)) sowie vom 10. November 1989 (zu A30/89-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G310/89)) das Begehren, "§10 Abs1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2 (Stammfassung), als verfassungswidrig aufzuheben".

b) Weiters ist beim Verwaltungsgerichtshof zu dessen Zahl 88/17/0127 eine Beschwerde anhängig, in der über den Beschwerdeführer gemäß §10 Abs2 des Wr. Getränkesteuergesetzes 1971 Geldstrafen sowie Ersatzfreihheitsstrafen wegen Verkürzung der Getränkesteuer verhängt wurden.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte auch anläßlich dieser Beschwerdesache mit Antrag vom 31. März 1989 (zu A13/89-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G57/89)) das Begehren, "§10 Abs1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2 (Stammfassung) als verfassungswidrig aufzuheben".

Zur Frage der Präjudizialität dieser Bestimmung führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag begründend aus, "... daß die belangte Behörde den im Beschwerdefall vorliegenden Sachverhalt offenbar unrichtig der Bestimmung des §10 Abs2 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2 (Stammfassung), und nicht, wie es richtig gewesen wäre (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 1987, Zlen. 87/17/0104, 0152), dem Abs1 dieser Gesetzesstelle subsumiert hat," und der Verwaltungsgerichtshof daher "... auch die letztangeführte Bestimmung anzuwenden (hat)."

c) Mit Anträgen vom 19. Jänner 1990 (zu A7/89-4, A8/89-4, A9/89-4, A10/89-4, A15/89-3) bzw. 25. Jänner 1990 (zu A30/89-4) erweiterte der Verwaltungsgerichtshof seine unter 2.a) und b) dargestellten Prüfungsanträge wie folgt:

"Der mit dem hg. Beschluß vom ... an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG gestellte Antrag, §10 Abs1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2 (Stammfassung), als verfassungswidrig aufzuheben, wird dahingehend erweitert, daß er sich über den Abs1 hinaus auch auf die Abs2 und 3 dieser Gesetzesstelle (richtig wohl: in der Fassung der Getränkesteuergesetz-Novelle 1973, LGBl. für Wien Nr. 32/1973) erstreckt, womit sohin beantragt wird, §10 leg.cit. zur Gänze aufzuheben. Hilfsweise wird beantragt auszusprechen, daß diese Gesetzesstellen verfassungswidrig waren."

In der Begründung verwies der Verwaltungsgerichtshof auf den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 1989, G28,29/89, womit zwei Anträge des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des §9 Abs1 des Wr. Anzeigenabgabegesetzes 1983 zurückgewiesen wurden, weil die Abs1 und 2 eine untrennbare Einheit darstellen und somit der Abs1 einer gesonderten Aufhebung nicht zugänglich war. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes erfordere die in dem zitierten Beschluß des Verfassungsgerichtshofes zum Ausdruck gekommene Rechtsansicht die Erweiterung seiner Prüfungsanträge.

d) Letztlich beantragte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 4. Mai 1990 (zu A68/90-1 (beim Verfassungsgerichtshof prot. zu G106/90)) im Zusammenhang mit einer dort zu Zl. 90/17/0124 anhängigen Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wr. Landesregierung womit über die Beschwerdeführerin in Handhabung des §10 Abs1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 wegen einer Verkürzung der Getränkesteuer eine Geldstrafe sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde, "... den §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2 in der Fassung der Novelle LGBl. für Wien Nr. 32/1973 als verfassungswidrig aufzuheben".

Zur Präjudizialität führt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag aus:

"Bei der Entscheidung darüber, ob die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung vorliegt, hat der Verwaltungsgerichtshof den §10 Abs1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. Nr. 2 (Stammfassung), sowie, da die Verwaltungsinstanzen offenbar nicht nur eine Verkürzung der Getränkesteuer im engeren Sinn, sondern auch der Abgabe von Bier an Letztverbraucher im Restaurationsbetrieb der .... angenommen haben, auch den Abs3 des §10 leg.cit. idF der Novelle LGBl. Nr. 32/1973 anzuwenden. Diese offenbar auch mit dem Abs2 leg.cit. eine untrennbare Einheit bildenden Gesetzesstellen sind daher für den Verwaltungsgerichtshof präjudiziell."

    e) Der Verwaltungsgerichtshof hegte in seinen Prüfungsanträgen

im wesentlichen die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken,

welche der Verfassungsgerichtshof in dem Beschluß vom 2. Dezember

1988, B744/87, gegen §35 des Wr. Vergnügungssteuergesetzes 1963,

LGBl. Nr. 11 idF der Novellen LGBl. Nr. 37/1976 und 16/1981 bereits

zum Ausdruck gebracht hat, zumal §10 Abs1 des

Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 "... die Obergrenze der

angedrohten Geldstrafe mit dem Fünfzigfachen ... des verkürzten

oder der Verkürzung ausgesetzten Betrages festsetzt" (so der Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag zu A7/89).

II. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zln. B1354/89, B345/89 und B346/89 Beschwerden gem. Art144 B-VG gegen jeweils im Instanzenzug ergangene Bescheide der Wr. Landesregierung anhängig, womit gegen den Beschwerdeführer zu B1354/89 eine Geldstrafe sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe, über die Beschwerdeführerin in den Verfahren zu B345/89 und B346/89 jeweils eine Geldstrafe in Anwendung des §10 Abs1 des Wr. Getränkesteuergesetzes 1971 wegen einer Verkürzung der Getränkesteuer verhängt wurde.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerden hatte der Verfassungsgerichtshof am 26. September 1989, B1354/87-8, B345/89-9, B346/89-9, beschlossen, gem. Art140 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §10 Abs1 des Wr. Getränkesteuergesetzes 1971, LGBl. für Wien Nr. 2/1971, einzuleiten.

Er nahm an, daß er diese Bestimmung bei der Behandlung dieser Beschwerden anzuwenden haben werde und hegte gegen §10 Abs1 des Wr. Getränkesteuergesetzes 1971 dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken, die er bereits in seinem Prüfungsbeschluß vom 2. Dezember 1988, B744/87, gegen §35 des Wr. Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11/1963 idF der Novelle LGBl. Nr. 37/1976 und 16/1981, geäußert hatte.

Mit Beschluß vom 7. März 1990, B1345/87-10, B345/89-11, B346/89-11, erweiterte der Verfassungsgerichtshof seine gem. Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §10 Abs1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 auch auf den Abs2 dieser Bestimmung. Dies unter Verweis darauf, daß er bei seiner Behandlung der Beschwerden zu B1354/87, B345/89 und B346/89 nicht nur den Abs1 des §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, sondern auch den Abs2 dieser Gesetzesvorschrift wegen seines untrennbaren Zusammenhanges mit dem ersten Absatz anzuwenden habe und verwies in diesem Zusammenhang auf die Begründung seines Erkenntnisses vom 27. September 1989, G6/89 u.a.

III. Die Wiener Landesregierung erstattete in diesen Verfahren Äußerungen, wobei sie in jener vom 20. Februar 1990 mit Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. September 1989, G6/89 u.a., den in den Prüfungsanträgen des Verwaltungsgerichtshofes bzw. in den amtswegig eingeleiteten Prüfungsverfahren des Verfassungsgerichtshofes geäußerten Bedenken im Ergebnis nicht (mehr) entgegentritt.

Die Beschwerdeführerinnen in den beim Verwaltungsgerichtshof zu den Zln. 88/17/0236, 90/17/0124 protokollierten Beschwerdesachen erstatteten ebenfalls Äußerungen zu den über Anträge des Verwaltungsgerichtshofes eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, worin sie sich inhaltlich im wesentlichen den in den Prüfungsanträgen des Verwaltungsgerichtshofes dargelegten Bedenken anschließen.

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsanträge des Verwaltungsgerichtshofes sowie der amtswegig eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:

1. Entgegen der vom Verwaltungsgerichtshof in seinen (erweiterten) Prüfungsanträgen zu A7-10/89, A13/89, A15/89 und A30/89 vertretenen Auffassung bilden nur die Abs1 und 2, nicht aber auch der Abs3 des §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 idF LGBl. Nr. 32/1973 eine - einer jeweils gesonderten Aufhebung nicht zugängliche - untrennbare Einheit. Da der Verwaltungsgerichtshof in den diesen Prüfungsanträgen zugrundeliegenden Anlaßverfahren - im Gegensatz zu dem, seinem Anlaßverfahren zum Prüfungsantrag zu A68/90 gemäß den (Präjudizialitäts-)Ausführungen zugrundeliegenden Sachverhalt (vgl. oben I.2.d.) - § 10 Abs3 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 idF LGBl. Nr. 32/1973 (offenbar) nicht anzuwenden haben wird, waren die zu G24-27/89, 57/89, 72/89 und G310/89 protokollierten Prüfungsanträge des Verwaltungsgerichtshofes, soweit darin die Aufhebung des Abs3 des §10 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 idF LGBl. Nr. 32/1973 begehrt wird, als unzulässig zurückzuweisen.

    2. Mit Eingabe vom 8.10.1990 teilte die Wiener Landesregierung

dem Verfassungsgerichtshof mit, daß in dem zu G72/90

protokollierten Gesetzesprüfungsverfahren der Beschwerdeführer im

Anlaßbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof am 9. Mai

1990 verstorben sei. Die Wiener Landesregierung beantragt das

Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen, da im Hinblick auf den Tod

des Beschwerdeführers im Anlaßverfahren vor dem

Verwaltungsgerichtshof sowie mit Rücksicht darauf, "... daß eine

Vollstreckung der Strafe nicht erfolgt ist und gemäß §14 Abs2

Verwaltungsstrafgesetz-VStG 1950 eine solche Vollstreckung auch in

Zukunft nicht möglich ist, ... wegen Gegenstandslosigkeit des

verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (vgl. VwGH 4. Dezember 1957, Slg. 4492/A) eine Präjudizialität nicht gegeben erscheint". Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Gesetzesprüfungsantrag allerdings nicht zurückgezogen.

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Entscheidung über die Präjudizialität das Gericht an eine bestimmte Gesetzesauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher der Antrag des Gerichtes wegen mangelnder Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß das - angefochtene - Gesetz eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 9284/1981). Im vorliegenden Fall erscheint es dem Verfassungsgerichtshof nicht als denkunmöglich, daß der Verwaltungsgerichtshof - trotz des Ablebens des Beschwerdeführers im Anlaßbeschwerdeverfahren - die in Prüfung gezogene gesetzliche Bestimmung anzuwenden haben könnte (vgl. dazu etwa VwGH vom 15.12.1989, Zl. 85/18/0122). Da die endgültige Beurteilung dieser Frage aber dem Verwaltungsgerichtshof vorbehalten ist, war dem Antrag der Wiener Landesregierung, das zu G72/90 protokollierte Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen, nicht stattzugeben.

3. Da im übrigen sowohl hinsichtlich der Prüfungsanträge des Verwaltungsgerichtshofes als auch der amtswegig eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind die - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Verfahren (im dargestellten Umfang) zulässig.

V. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache selbst erwogen:

Die Bedenken haben sich bestätigt.

Der Verfassungsgerichtshof verweist auf die Entscheidungsgründe seines (u.a. aufgrund des - vom Verwaltungsgerichtshof zitierten - Einleitungsbeschlusses in der Beschwerdesache B744/87 gefällten) Erkenntnisses vom 27. September 1989, G6/89 u.a., mit dem ausgesprochen wurde, daß §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11 (idF der Novellen LGBl. Nr. 37/1976 und 16/1981) verfassungswidrig war. Die in diesem Erkenntnis in bezug auf die Verfassungswidrigkeit des §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 (welcher in seinem Abs1 die Verhängung einer Geldstrafe bis zum Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages vorsah) angestellten Erwägungen treffen auch für die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen bzw. amtswegig vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen Bestimmungen des Wiener Getränkesteuergesetzes 1971 idF LGBl. Nr. 32/1973 sinngemäß voll zu, und zwar umsomehr, als diese Vorschriften die Bestrafung mit einer Geldstrafe sogar bis zum Fünfzigfachen des Verkürzungsbetrages vorsehen.

Die geprüften Gesetzesvorschriften verstoßen sohin sowohl gegen die aus Art91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot.

Es war somit auszusprechen, daß der (zufolge der Novelle LGBl. Nr. 44/1990 hinsichtlich der Absätze 1 und 2 bereits außer Kraft getretene, hinsichtlich seines Absatzes 3 aber inhaltlich veränderte) §10 des Wiener Getränkesteuergesetzes 1971 idF LGBl. Nr. 32/1973 verfassungswidrig war.

Die sonstigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs7 zweiter Satz und Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG.

VI. Die Anträge der Beschwerdeführerinnen in den zu den Zln. 88/17/0236 und 90/17/0124 protokollierten Anlaßverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, für ihre im Rahmen der Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof eingebrachten Äußerungen Kostenersätze in einem jeweils näher bezeichneten Umfang zugesprochen zu bekommen, waren abzuweisen, da im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß §27 VerfGG 1953 eine Kostenzuspruch nur dann stattfindet, wenn er im VerfGG 1953 ausdrücklich vorgesehen ist. Ein Kostenersatz im Verfahren nach den §§62 bis 65 VerfGG 1953 ist allerdings nicht vorgesehen. In diesem Fall ist es die Aufgabe des antragstellenden Gerichtes, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. etwa VfSlg. 8646/1979, 10.832/1986).

VII. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 1. Satz VerfGG 1953 abgesehen. Die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes beruht auf §7 Abs2 lite VerfGG 1953, weil die Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung bereits genügend klargestellt ist.

Schlagworte

Getränkesteuer Wien, Finanzstrafrecht, Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Strafbemessung, Zuständigkeit der Gerichte, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Kosten, VfGH / Verfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G24.1989

Dokumentnummer

JFT_10098873_89G00024_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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