TE Vwgh Erkenntnis 1993/5/19 92/09/0331

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Veröffentlicht am 19.05.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §4;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
ZustG §8;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):92/09/0332

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden des G in L, vertreten durch Dr. Z, RA in L, gegen 1. den Bescheid der Schiedskommission beim BM für Arbeit und Soziales vom 14.9.1992, Zl. OB. 410-453319-009, betr Zurückweisung einer Berufung als verspätet, und 2. den Bescheid der Schiedskommission beim BM für Arbeit und Soziales vom 14.9.1992, Zl. OB. 410-453319-009, betr Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 AVG), zu Recht erkannt:

Spruch

Der erstgenannte Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; die Beschwerde gegen den zweitgenannten Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,--, der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 11. Oktober 1991 wies das Landesinvalidenamt für Oberösterreich (im folgenden LIA) die Anträge des Beschwerdeführers vom 27. November 1990 und vom 21. März 1991 auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG) wegen bestimmter geltend gemachter Gesundheitsschädigungen ab. Dieser Bescheid wurde an die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren angegebene Wohnanschrift "L, R-Straße 2" gerichtet und laut Rückschein nach einem Zustellversuch am 28. Oktober 1991 beim Zustellpostamt 4034 hinterlegt (Beginn der Abholfrist: 29. Oktober 1991).

In seiner Berufung vom 18. Dezember 1991 (Postaufgabedatum laut Aktenvermerk: 19. Dezember 1991) brachte der Beschwerdeführer zur Rechtzeitigkeit seiner Berufung vor, er habe seit Ende Sommer bis zum 18. November 1991 bei seiner Freundin A.W. unter der Adresse F-Straße 52, L, gewohnt. Der Bescheid der Behörde erster Instanz sei während seiner Abwesenheit an die Abgabestelle R-Straße 2, L, zugestellt worden. Der Beschwerdeführer sei aber erst am 18. November 1991 an diese Abgabestelle zurückgekehrt und er habe daher zu diesem Zeitpunkt erstmals Kenntnis von der Hinterlegung erlangt und das Schriftstück sofort behoben. Als Beweis beantragte er die Einvernahme von A.W. und des Zustellorganes sowie seine Einvernahme. Da der Beschwerdeführer erst ca. drei Wochen nach dem Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe, sei davon auszugehen, daß die Zustellung erst mit 18. November 1991 wirksam erfolgt sei (§ 17 Abs. 3 Zustellgesetz).

Für den Fall, daß die belangte Behörde der Auffassung sei, daß die Berufungsfrist bereits mit Hinterlegung des Bescheides am "28.10.1991" zu laufen begonnen habe, stellt der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 AVG). Der Beschwerdeführer habe erst am 18. November 1991 vom Zustellvorgang und vom Bescheid des LIA Kenntnis erlangt. Als Rechtsunkundiger sei er davon ausgegangen, daß die Berufungsfrist erst mit dem tatsächlichen Erhalt des Bescheides zu laufen begonnen habe. Daher habe er sich erst mit Schreiben vom 11. Dezember 1991 - nach seiner Auffassung noch rechtzeitig während der in der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Bescheides angeführten sechswöchigen Rechtsmittelfrist - an seinen Rechtsvertreter gewandt. Dieses Schreiben habe der Rechtsvertreter am 12. Dezember 1991 erhalten; erst an diesem Tag sei der Beschwerdeführer von seinem Rechtsvertreter darüber aufgeklärt worden, daß seine Ansicht möglicherweise nicht zutreffe. Dieser Irrtum stelle für den Beschwerdeführer ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wobei die Rechtsunkenntnis dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden könne. Bei Wirksamkeit der Hinterlegung sei die Berufungsfrist am 9. Dezember 1991 abgelaufen; der Irrtum des Beschwerdeführers sei erst am 12. Dezember 1991 aufgeklärt worden, sodaß der Wiedereinsetzungsantrag binnen offener Frist erfolgt sei. Auch hiefür bot der Beschwerdeführer Beweise an.

Zunächst entschied das LIA ohne weiteres Ermittlungsverfahren über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers und wies diesen mit Bescheid vom 12. März 1992 nach § 71 AVG ab. Begründend führte die Behörde erster Instanz aus, es stehe fest, daß mit der Hinterlegung des zuzustellenden Schriftstückes am 28. Oktober 1991, und zwar mit Wirksamkeit 29. Oktober 1991 (erster Abholtag) die Zustellung als bewirkt gelte. Vorübergehende Abwesenheit, die die Zustellung durch Hinterlegung unzulässig mache, liege nur dann vor, wenn der Empfänger gehindert sei, Zustellvorgänge wahrzunehmen, wie etwa im Falle einer Reise, eines Urlaubes oder eines Krankenhausaufenthaltes. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei es Aufgabe jedes einzelnen und ihm auch zumutbar, seinen Briefkasten regelmäßig zu entleeren und die darin befindlichen Sendungen durchzusehen. Der Beschwerdeführer hätte auch in Kenntnis des laufenden Verfahrens mit einer Bescheidzustellung rechnen müssen. Von einer Versäumung der Frist könne dahe keine Rede sein. Abgesehen davon wäre dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Berufungserhebung innerhalb offener Frist während eines Zeitraumes von drei Wochen, nämlich vom 18. November bis 9. Dezember 1991 offengestanden. Mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum könne grundsätzlich nicht als unvorhergesehens oder unabwendbares Ereignis, das zur Bewilligung einer Wiedereinsetzung führen könne, angesehen werden. Die Unkenntnis eines im Bundesgesetzblatt kundgemachten Gesetzes müsse einem in Österreich lebenden Beschwerdeführer als Verschulden zugerechnet werden.

In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die Zustellung an einen anderen Ort als an eine Abgabestelle im Sinne des § 4 Zustellgesetz bewirke deren Unwirksamkeit (vorbehaltlich der Regelung des § 7 Zustellgesetz). Hätte die belangte Behörde die angebotenen Beweise durchgeführt, hätte sie erkannt, daß am 29. Oktober 1991 unter der Adresse "R-Straße 2, L" keine Abgabestelle des Beschwerdeführers vorgelegen sei. Die von der Behörde erster Instanz zur Wirksamkeit der Hinterlegung getroffenen Feststellungen setzten das Vorliegen einer Abgabestelle an dieser Adresse voraus. Außerdem sei es offenbar auf Grund eines Irrtums des Zustellorganes, das die Änderung der Abgabestelle nicht gemerkt habe, zu keinen Erhebungen der Behörde im Sinne des § 8 Abs. 2 Zustellgesetz gekommen. Unzutreffend sei auch die aus dem Umstand, dem Beschwerdeführer sei ohnedies ein Zeitraum von drei Wochen (nach Behebung des erstinstanzlichen Bescheides) offengestanden, abgeleitete Auffassung der Behörde erster Instanz: Abgesehen vom Mangel einer Abgabestelle gelte nach § 17 Abs. 3 Zustellgesetz eine hinterlegte Sendung nur dann mit dem ersten Tag der Hinterlegungsfrist als zugestellt, wenn der Empfänger trotz seiner Abwesenheit noch rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Nach ständiger Rechtsprechung komme es darauf an, ob dem Empfänger für ein Rechtsmittel noch jener Zeitraum zur Verfügung stehe, der ihm üblicherweise zur Verfügung stehe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung und Durchführung sämtlicher Beweise hätte die Behörde erster Instanz den Mangel der Abgabestelle unter der Adresse R-Straße 2, L, erkennen und die Berufung des Beschwerdeführers an die belangte Behörde sofort weiterleiten müssen.

Es hätte aber auch der Wiedereinsetzungsantrag nicht abgewiesen werden dürfen. Die Auffassung, daß Rechtsunkenntnis oder Rechtsirrtum grundsätzlich nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG gewertet werden könne, sei nicht zutreffend. Auch ein inneres psychisches Geschehen wie Vergessen oder Irrtum könne einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. Auf diesem Boden stehe auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, die das Versehen einer Kanzleikraft als Wiedereinsetzungsgrund werte. Darüber hinaus schade ab 1. Jänner 1991, BGBl. Nr. 357/1990, nicht einmal ein Grad minderen Versehens. Im vorliegenden Fall liege der Irrtum der Behörde jedoch in einer rechtsirrigen Auslegung des § 17 Abs. 3 Zustellgesetz: Auf den Beschwerdefall bezogen habe die Berufungsfrist demgemäß erst am 19. November 1991 zu laufen begonnen. Sollte jedoch wider Erwarten die Berufungsfrist bereits mit 28. Oktober 1991 zu laufen begonnen haben, beruhe der Rechtsirrtum des Antragstellers auf jeden Fall auf einem minderen Grad des Versehens: Wenn sogar die Behörde sich zeitweise irre, dürfe an den Beschwerdeführer kein strengerer Maßstab angelegt werden.

Die belangte Behörde erließ ohne weiteres Ermittlungsverfahren gleichzeitig folgende Bescheide:

1. Bescheid vom 14. September 1991 - Zurückweisung der Berufung gegen den Bescheid des LIA vom 11. Oktober 1991 (Abweisung der Zuerkennung einer Beschädigtenrente) als verspätet (Gegenstand der unter Zl. 92/09/0331 protokollierten Beschwerde),

2. Bescheid vom 14. September 1992 - Abweisung der Berufung gegen den Bescheid des LIA vom 12. März 1992 und Bestätigung der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages (Gegenstand der unter Zl. 92/09/0332 protokollierten Beschwerde).

ad 1. Die belangte Behörde begründete die ZURÜCKWEISUNG DER BERUFUNG des Beschwerdeführers im wesentlichen damit, nach § 88 HVG (sechswöchige Berufungsfrist) sei in Verbindung mit der Hinterlegung des Bescheides des LIA vom 11. Oktober 1991 am 29. Oktober 1991 die Berufungsfrist am 10. Dezember 1991 abgelaufen. Da die Berufung des Beschwerdeführers erst am 19. Dezember 1991 zur Post gegeben worden sei, sei sie als verspätet eingebracht zurückzuweisen. In einer gesonderten Entscheidung sei der Berufung in Angelegenheit Wiedereinsetzung (siehe unter 2.) nach § 71 AVG keine Folge gegeben worden, sodaß die Hinterlegung des Bescheides vom 11. Oktober 1991 mit 29. Oktober 1991 als rechtswirksam anzusehen sei.

ad 2. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung in Angelegenheit WIEDEREINSETZUNG im wesentlichen damit, der erstinstanzliche Bescheid des LIA vom 12. März 1992 entspreche § 71 AVG. Nach der Aktenlage laute die maßgebliche Wohnadresse R-Straße 2, L. Die Hinterlegung sei mit 28. Oktober 1991 vorschriftsmäßig erfolgt. Vorübergehende Abwesenheit, die die Zustellung durch Hinterlegung unzulässig mache, liege nur dann vor, wenn der Empfänger gehindert sei, Zustellvorgänge wahrzunehmen, wie etwa im Falle einer Reise, eines Urlaubs oder eines Krankenhausaufenthaltes. Hiefür lägen aber keine Beweise vor.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, in denen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und (im Falle der gegen den erstgenannten Bescheid gerichteten Beschwerde auch) Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung beider Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges verbundenen Beschwerden in einem gemäß § 12 Ab. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 8 Abs. 1 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982, hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann (§ 8 Abs. 2 Zustellgesetz).

Nach § 4 Zustellgesetz ist Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anläßlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen (§ 17 Abs. 1 Zustellgesetz).

§ 17 Abs. 3 Zustellgesetz lautet:

"(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte."

§ 71 Abs. 1 AVG (Wiederverlautbarung: BGBl. Nr. 51/1991) lautet:

"(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. Die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Berufungsfrist versäumt hat, weil der Bescheid fälschlich die Angabe enthält, daß keine Berufung zulässig sei."

ad 1. Zurückweisung der Berufung gegen den Bescheid des LIA vom 11. Oktober 1991 (Zl. 92/09/0331)

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, er habe seit Ende Sommer 1991 bis zum 18. November 1991 bei seiner Freundin A.W. unter der Adresse F-Straße 52, L, gewohnt. Er habe ursprünglich nicht die Absicht gehabt, wieder an die Adresse R-Straße 2, L, zurückzukehren. Erst am 18. November 1991 habe der Beschwerdeführer den Entschluß gefaßt, wieder an die Adresse R-Straße 2, L, zurückzukehren. Der Zusteller habe - offenbar in Unkenntnis über den Wechsel des Wohnsitzes des Beschwerdeführers - den Zustellversuch an einer falschen Abgabestelle getätigt und anschließend den Bescheid hinterlegt. Der Beschwerdeführer habe von dieser Hinterlegung erst am 18. November 1991, also an dem Tag, an dem er seine Wohnadresse wiederum auf Dauer geändert habe, erfahren und den hinterlegten Bescheid noch am selben Tag beim Hinterlegungspostamt abgeholt. Der Beschwerdeführer sei seiner Aufgabe, den von ihm behaupteten Zustellmangel unter Beweis zu stellen, nachgekommen. Die belangte Behörde wäre daher verhalten gewesen, die Angaben über die Änderung der Abgabestelle zu prüfen und die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Zustellvorganges festzustellen. Auf Grund der Mangelhaftigkeit der Zustellung und der Tatsache, daß der Beschwerdeführer erst am 18. November 1991 Kenntnis vom Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 11. Oktober 1991 erlangt habe, ergebe sich, daß gemäß § 7 Zustellgesetz der Bescheid erst am 18. November 1991 als zugestellt gelte. Demnach sei die Berufung des Beschwerdeführers vom 18. Dezember 1990 (richtig 1991) innerhalb der sechswöchigen Frist nach § 88 HVG erhoben worden und daher rechtzeitig.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach zum Ausdruck gebracht hat (vgl. das Erkenntnis vom 10. März 1987, Zl. 86/07/0212, mit weiteren Judikaturhinweisen) ist die Frage, ob ein Rechtsmittel rechtzeitig oder verspätet eingebracht wurde, eine Rechtsfrage, die die Behörde auf Grund der von ihr festgestellten Tatsachen zu entscheiden hat. Demgemäß hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des mit Rechtsmittel angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist.

In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer im Ergebnis die Unwirksamkeit der Zustellung durch Hinterlegung damit begründet, durch seinen (unter Beweis gestellten) Aufenthalt bei seiner Freundin A.W. habe er vom Zustellvorgang an der Abgabestelle "L, R-Straße 2" nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen können und erst durch die am Tag seiner Rückkehr (18. November 1991) an seine Wohnung erfolgte Behebung sei die Zustellung wirksam geworden.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Dezember 1984, Zl. 84/05/0175, ausgesprochen hat, ist der Umstand, daß der Zustellempfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle von einem Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte, von der Behörde von Amts wegen zu prüfen. Es lag daher an der belangten Behörde, die auf Grund des unter Beweis gestellten Vorbringens des Beschwerdeführers geeignet und erforderlich erscheinenden Beweise aufzunehmen (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1988, Zl. 87/11/0275).

Die belangte Behörde hat dies jedoch unterlassen, wobei sich die Gründe hiefür (durch den Verweis) aus ihrer Berufungsentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers ergeben. Sie ist demnach davon ausgegangen, daß eine vorübergehende Abwesenheit, die die Zustellung durch Hinterlegung unzulässig mache, nur dann vorliege, wenn der Empfänger daran gehindert sei, Zustellvorgänge wahrzunehmen, wie etwa im Falle einer Reise, eines Urlaubes oder eines Krankenhausaufenthaltes. Hiefür seien im Beschwerdefall aber keine Beweise vorgelegen. Damit hat die belangte Behörde jedoch die Rechtslage insoweit verkannt, als sie dem vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalt von vornherein die Eignung absprach, eine Abwesenheit von der Abgabenstelle im Sinne des § 17 Abs. 3 Zustellgesetz zu begründen. Der längere Aufenthalt in einer anderen Wohnung in derselben Ortsgemeinde schließt aber nicht von vornherein und in jedem Fall eine derartige Abwesenheit von der Abgabestelle aus (vgl. z.B. die auf Wien bezogenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 1967, Zl. 1881/66, sowie vom 8. März 1979, Zl. 2888/78). Es trifft auch nach dem Stadtplan von L offenkundig nicht zu, daß die beiden angegebenen Wohnadressen bloß in geringer Entfernung voneinander liegen, was für die Wahrnehmbarkeit der Zustellvorgänge an der (bisherigen) Abgabestelle sprechen könnte (vgl. dazu z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1979, Zl. 1449/77).

Soweit der Beschwerdeführer in seiner Berufung im Wiedereinsetzungsverfahren sowie in seiner Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid vorgebracht hat, er habe im Zeitpunkt der Zustellung durch Hinterlegung gar keine Abgabestelle an der Adresse "L, R-Straße 2" gehabt, hätte zwar (bei Zutreffen dieser Behauptung) der Beschwerdeführer in diesem Fall die Pflicht gehabt diesen Umstand der Behörde mitzuteilen (§ 8 Abs. 1 Zustellgesetz). § 8 Abs. 2 Zustellgesetz findet aber in diesem Fall keine Anwendung, weil er nur jene Fälle regelt, in denen die Behörde schon vor der zu veranlassenden Zustellung von der Änderung der Abgabestelle weiß, aber die neue Abgabestelle nicht kennt (vgl. z.B. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1986, Slg. 12152/A; Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1989, Zl. 88/09/0140). Die belangte Behörde hat es auch in diesem Fall unterlassen, den vom Beschwerdeführer behaupteten Wechsel der Abgabestelle auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers über die Dauer seiner Abwesenheit an seinem Aufenthaltsort anhand der angegebenen Beweismittel zu prüfen.

Die belangte Behörde hat daher ausgehend von einer falschen Rechtsansicht notwendige Ermittlungen unterlassen, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

ad 2. Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages nach § 71 AVG

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum stellten sehr wohl einen Wiedereinsetzungsgrund dar. Der Beschwerdeführer sei rechtsunkundig und daher irrtümlich davon ausgegangen, daß die Berufungsfrist erst ab tatsächlichem Erhalt des Bescheides zu laufen begonnen habe. Bei dem Irrtum des Beschwerdeführers handle es sich um einen Grad minderen Versehens.

Dieser Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, daß derzeit nicht feststeht, ob der Beschwerdeführer seine Berufung rechtzeitig erhoben hat, was dazu führen würde, daß mangels Versäumung der Berufungsfrist die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht käme (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 15. Jänner 1986, Zl. 84/01/0023). Jedoch ist unabhängig davon der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund selbst bei Zutreffen eines Fristversäumnisses durch den Beschwerdeführer nicht geeignet, die Bewilligung einer Wiedereinsetzung herbeizuführen. Daß sich der Beschwerdeführer über die Zustellwirkung der Hinterlegung im Irrtum befand, bedeutet zweifellos einen Rechtsirrtum, weil die Rechtsfolgen der Hinterlegung falsch beurteilt wurden.

In einhelliger Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, daß mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum in aller Regel nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu werten ist, das die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand billigen könnte. Das ergibt schon die Überlegung, daß die subjektive Beurteilung einer bestimmten Rechtslage den Beschwerdeführer niemals hindern kann, sich über die Wirkung eines Bescheides vorsorglich bei Rechtskundigen zu informieren (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 1989, Zl. 89/06/0016 und die dort angeführte Vorjudikatur). Daran hat auch die im Beschwerdefall anzuwendende Neufassung des § 71 Abs. 1 AVG durch die Novelle, BGBl. Nr. 357/1990 (der Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers wurde erst nach dem 1. Jänner 1991 gestellt; daß er sich auf ein Verfahren bezog, das bereits am 1. Jänner 1991 anhängig war, ist hiefür ohne Bedeutung) nichts geändert, ist doch die für die Wiedereinsetzung erforderliche Tatbestandsvoraussetzung "unvorhergesehens oder unabwendbares Ereignis" durch die Novelle nicht geändert worden.

Die gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages gerichtete Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 VwGG in Verbindung mit der Kostenpauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992090331.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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