TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/7 93/05/0184

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.1993
beobachten
merken

Index

L85003 Straßen Niederösterreich;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §477 Z1;
AVG §18 Abs4;
AVG §56;
LStG NÖ 1979 §1 Abs2;
LStG NÖ 1979 §2 Abs1;
LStG NÖ 1979 §2 Abs3;
LStG NÖ 1979 §2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des J in H, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in Y, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 25. Juni 1993, Zl. R/1-V-92186/00, betreffend Feststellung der Öffentlichkeit einer Straße gemäß § 2 des NÖ Landesstraßengesetzes (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde H, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 10. Juni 1992 wurde unter Berufung auf § 2 des NÖ Landesstraßengesetzes festgestellt, "daß der Verbindungsstraße (Privatstraße) von der Landeshauptstraße n zur Landesstraße m in den Katastralgemeinden S und X die Merkmale der Öffentlichkeit zukommen und als öffentliche Straße für alle Arten des öffentlichen Verkehrs (Fahrzeug-, Reit-, Radfahr- und Fußgeherverkehr) gilt".

In der Begründung dieses Bescheides führte die Behörde aus, daß sich ihre Entscheidung insbesondere auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 1992, ein Gutachten der Abteilung Verkehrstechnik des Amtes der NÖ Landesregierung und das Ergebnis der Einvernahme von 13 Zeugen stütze. Mit Ausnahme des Beschwerdeführers hätten alle Verhandlungsteilnehmer und die Zeugen die bisher uneingeschränkte Benützung dieser Privatstraße durch mehr als 30 Jahre durch jedermann und für alle Arten des öffentlichen Verkehrs bestätigt. Bei der Beweiswürdigung sei auch die Erklärung des Beschwerdeführers (die in Rede stehende Straße sei im Einfahrtsbereich ab der Landeshauptstraße n bis zu seinem neuen Haus ca. 1,80 m nördlicher verlaufen) in Erwägung gezogen worden, wobei sich der Beschwerdeführer auf Angaben der Vorbesitzer stütze, "die behördlich nicht überprüft werden können". Dies gelte auch für das vom Beschwerdeführer erwähnte "Vermessungsoperat", welches der Behörde nicht vorliege und vom Beschwerdeführer auch nicht vorgelegt worden sei. Vor allem sei eine grundbücherliche Durchführung nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer habe nach seinen Angaben die Liegenschaft S 37 im Jahre 1983 übernommen und könne auf Grund seines Lebensalters "keine eigenen Angaben machen, die über einen Zeitraum von 30 Jahren hinausgehen".

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 27. August 1992 wurde die gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid eingebrachte Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Zu der in der Berufung aufgeworfenen Frage, wonach die Straße nicht mindestens 30 Jahre auf derselben Trasse bestehe, führte die Berufungsbehörde in der Begründung ihres Bescheides aus, das Verfahren habe ergeben, daß eine Verlegung der Straße während dieses Zeitraumes nicht erfolgt sei. Lediglich im Bereich der Liegenschaft des Beschwerdeführers habe sich die Straße zum Nachteil der Nachbarschaft um etwa 1,20 m nach Norden verschoben, da der Beschwerdeführer ohne Genehmigungen Abschrankungen errichtet, eine Betonplatte hergestellt und Hochbordsteine versetzt habe. Der in der Berufung erwähnte Rechtsstreit stehe in keinem direkten Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren.

Die gegen diesen Berufungsbescheid eingebrachte Vorstellung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 25. Juni 1993 gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973 als unbegründet abgewiesen.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit vorgebrachten Behauptung des Beschwerdeführers, wonach der Berufungsbescheid vom "Bürgermeister stammt", ist zu entgegnen, daß der Berufungsbescheid entsprechend seinem - mit der Aktenlage übereinstimmenden - einleitenden Hinweis auf dem Beschluß des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 27. August 1992 beruht und vom Bürgermeister lediglich ausgefertigt worden ist, sodaß ein nach ständiger hg. Judikatur zulässiger Intimationsbescheid vorliegt (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Aufl., auf S. 400 unter E. Nr. 66 wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Es kann daher nicht von einem Bescheid einer unzuständigen Berufungsbehörde die Rede sein.

Gemäß § 2 Abs. 1 des NÖ Landesstraßengesetzes gilt eine Privatstraße als öffentliche Straße, wenn sie mindestens 30 Jahre lang ununterbrochen von jedermann ohne ausdrückliche Bewilligung zur Befriedigung eines notwendigen Verkehrsbedürfnisses benützt wird. Über die Frage, ob einer Privatstraße (Brücke, Straßenbauwerk) die Merkmale der Öffentlichkeit zukommen, entscheidet zufolge Abs. 2 dieser Gesetzesstelle auf Begehren eines Beteiligten oder von Amts wegen die Behörde auf Grund einer örtlichen Verhandlung. In dem gemäß Abs. 2 zu erlassenden Bescheid ist zufolge Abs. 3 dieser Gesetzesstelle festzustellen, für welche Arten des öffentlichen Verkehrs (Fahrzeug-, Reit-, Radfahr-, Fußgeherverkehr) die Straße dient.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung vertreten, der in der Verhandlung vom 7. Mai 1992 aufgestellten Behauptung des Beschwerdeführers, aus einem Vermessungsoperat aus dem Jahre 1968 ergebe sich, daß die gegenständliche Privatstraße ab dem Einfahrtsbereich von der LH n bis zu seinem neuen Haus um ca. 1,8 m weiter nördlich verlaufen sei, komme im gegenständlichen Verfahren keine Relevanz zu. Wenngleich es richtig sei, daß die Feststellung der Merkmale der Öffentlichkeit an einer Privatstraße nur möglich sei, wenn diese mindestens 30 Jahre lang auf (im wesentlichen) derselben Trasse benützt worden sei, so käme der vom Beschwerdeführer behaupteten Verlagerung der Wegtrasse im Einfahrtsbereich um ca. 1,8 m keine Berechtigung zu. Selbst wenn die vom Beschwerdeführer behauptete Verlagerung beweisbar wäre - es wäre an ihm gelegen gewesen, das behauptete Vermessungsoperat aus dem Jahre 1968 vorzulegen -, wäre dieser Umstand jedenfalls nicht geeignet, die Feststellung der Merkmale der Öffentlichkeit für die im wesentlichen unveränderte Wegtrasse zu verhindern.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 28. November 1989, Zl. 84/05/0029, ausgeführt hat, besteht die Folge der behördlich getroffenen Feststellung, daß einer Privatstraße die Merkmale einer öffentlichen Straße zukommen, darin, daß der Eigentümer keine Handlung setzen darf, die geeignet wäre, den öffentlichen Verkehr in dem Umfang, in dem er von der Behörde festgestellt worden ist, zu behindern. Der Eigentümer ist zwar insoweit in der Ausübung seines Eigentumsrechtes beschränkt, doch bleibt im übrigen sein Eigentum unangetastet.

Es muß im Sinne des § 2 Abs. 3 leg. cit. nicht nur klargestellt sein, welchen Arten des öffentlichen Verkehrs (Fahrzeug-, Reit-, Radfahr-, Fußgeherverkehr) die Straße dient, sondern es darf auch kein Zweifel hinsichtlich des Verlaufes und des Umfanges der Trasse bestehen (vgl. auch dazu das bereits erwähnte hg. Erkenntnis), weshalb der Ansicht der belangten Behörde nicht gefolgt werden kann, daß der erwähnten Behauptung des Beschwerdeführers über den Verlauf der in Rede stehenden Privatstraße keine Bedeutung zukomme. Unter Bedachtnahme auf die erwähnten, aus der Feststellung der Öffentlichkeit einer Privatstraße resultierenden Verpflichtungen muß daher vor allem auch für den Beschwerdeführer feststehen, wo die Trasse dieser Privatstraße im Bereich seiner Liegenschaft verläuft, weshalb die schon anläßlich der Verhandlung vom 7. Mai 1992 abgegebene Erklärung des Beschwerdeführers, entsprechend einem "Vermessungsoperat vom Jahre 1968 ist die gegenständliche Straße im Einfahrtsbereich ab der LH n bis zu meinem neuen Haus ca. 1,80 m nördlicher verlaufen", nicht schlechthin unbeachtlich ist. Der Beschwerdeführer war zwar nicht in der Lage, das erwähnte "Vermessungsoperat" vorzulegen, hat aber in seiner Berufung ausdrücklich vorgebracht, daß beim Bezirksgericht zur Zl. C 99/89 g wegen eines Rechtsstreites der Eigentümer der Parzellen Nr. 379/2 und 378/2 der Kat. Gem. S ein umfangreicher Zivilprozeß anhängig gewesen sei, in dessen Rahmen vom gerichtlich beeideten Sachverständigen für Vermessungswesen Dipl.-Ing. Leopold S., Leiter des Vermessungsamtes St. Pölten, ein umfangreiches Gutachten eingeholt worden sei. Im Zuge der Erhebungen zu diesem Gutachten habe sich herausgestellt, "daß eine Trassenänderung im Laufe der Jahre im Vergleich zur derzeitigen Trasse des Verbindungsweges besteht". Die Berufungsbehörde hat dieses Vorbringen in der Begründung ihres Bescheides, wie schon erwähnt, einerseits mit der Feststellung abgetan, "das Verfahren" habe "ergeben, daß eine Verlegung der Straße ... nicht erfolgt ist", ohne die für die Richtigkeit dieser Auffassung sprechenden Beweise anzuführen, und andererseits zugestanden, daß sich zumindest im Bereich der Liegenschaft des Beschwerdeführers "die Straße zum Nachteil der Nachbarschaft um etwa 1,20 m nach Norden verschoben" habe. Welchen konkreten Trassenverlauf im Bereich der Liegenschaft des Beschwerdeführers die Berufungsbehörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, läßt sich auch dem Berufungsbescheid nicht entnehmen, da die Berufungsbehörde den in dieser Hinsicht mangelhaften Spruch des erstinstanzlichen Bescheides nicht geändert hat. Auch die belangte Behörde hat entsprechend dem wiedergegebenen Teil der Begründung ihres Bescheides insbesondere keine Veranlassung gesehen, die Frage des genauen Verlaufes der Trasse im Bereich der Liegenschaft des Beschwerdeführers inhaltlich zu prüfen und den in der Vorstellung geltend gemachten Verfahrensmangel aufzugreifen, obwohl dies im Hinblick auf die vorstehenden rechtlichen Erwägungen des Gerichtshofes auch dann erforderlich gewesen wäre, wenn man unter Zugrundelegung der Annahme, daß die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 leg. cit. im Beschwerdefall vorliegen, der Auffassung der belangten Behörde folgt, daß im Falle der Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers die Feststellung der Öffentlichkeit der in Rede stehenden Privatstraße nicht zu verhindern gewesen wäre.

Im übrigen ist die belangte Behörde auf den auch in der Vorstellung gegebenen und in der Beschwerde wiederholten Hinweis des Beschwerdeführers auf den im Zusammenhang mit der Frage des Trassenverlaufes allenfalls bedeutsamen erwähnten Gerichtsakt nicht eingegangen, was aber insofern von Bedeutung ist, als auf Grund der Aktenlage nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich aus diesem Gerichtsakt Beweise für die Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers ergeben, weshalb auch nicht beurteilt werden kann, ob die Auffassung der Berufungsbehörde zutrifft, wonach "der angesprochene Rechtsstreit in keinem direkten Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren" stehe.

Es liegt daher eine auf einer Verkennung der Rechtslage beruhende, unter dem Gesichtspunkt des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wesentliche Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

In Erwiderung auf das übrige Beschwerdevorbringen wird für das fortgesetzte Verfahren noch darauf hingewiesen, daß das Erfordernis der Befriedigung eines notwendigen Verkehrsbedürfnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 des NÖ Landesstraßengesetzes dann erfüllt ist, wenn eine Straße zumindest für einen verhältnismäßig kleinen Teil der Bevölkerung eines Ortes notwendig ist und die Zufahrt über andere Straßen nur mit einem unverhältnismäßig großen Kosten- und Zeitaufwand möglich wäre, wobei das Bestehen von Wegservituten zugunsten einzelner Anlieger das notwendige Verkehrsbedürfnis nicht beeinträchtigen kann (vgl. auch dazu das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom 28. November 1989 und die darin zitierte Vorjudikatur). Ferner ist es für die Annahme eines dringenden Verkehrsbedürfnisses nicht erforderlich, daß das Interesse an einer Zufahrt über ein Anrainerinteresse hinausgehen müßte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 1990, Zl. 89/06/0099).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers war abzuweisen, weil für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides als einzige erforderliche Beilage zur Beschwerde nur S 60,-- an Stempelgebühren zu entrichten waren.

Schlagworte

Intimation Zurechnung von BescheidenZurechnung von Bescheiden Intimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993050184.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

23.07.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten