TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/16 93/09/0334

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Veröffentlicht am 16.12.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;
ZustG §22;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden SenatspräsidentDr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des H in B, vertr durch Dr. P, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim BM für Arbeit und Soziales vom 27. 4. 1993, Zl. 42.024/23-6a/93, betreffend Zustimmung zu einer Kündigung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz (mP:

Firma XY Gesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer gehört dem Kreis der nach dem BEinstG begünstigten Behinderten an und ist bei der mitbeteiligten Partei (mP) beschäftigt. Aus Anlaß einer Betriebsumstellung von Serien- auf Maßmöbelproduktion stellte die mP den Antrag auf Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Beschwerdeführers.

Diesen Antrag wies der Behindertenausschuß beim Landesinvalidenamt für Kärnten mit Bescheid vom 27. März 1992 nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ab. Dieser Bescheid dürfte nach der Aktenlage noch am 27. März 1992 an den Beschwerdeführer und an die mP abgefertigt worden sein. In den Akten findet sich jedoch weder ein diese Zustellung betreffender Rückschein noch ein Berufungsschriftsatz der mP.

Unbestrittenermaßen hat aber die mP Berufung erhoben. Im darüber abgeführten Verfahren hat der Beschwerdeführer zu dieser Berufung schriftlich Stellung genommen. Nach Durchführung einer Berufungsverhandlung am 28. Jänner 1993 gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27. April 1993 der Berufung der mP Folge und stimmte der beabsichtigten Kündigung des Beschwerdeführers zu. Im Gegensatz zur Behörde erster Instanz vertrat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Auffassung, daß die Abwägung der Interessen der mP und des Beschwerdeführers die Zustimmung zur Kündigung rechtfertige.

Zur Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung enthält die Begründung des angefochtenen Bescheides den nachstehenden Absatz:

"Die Berufung ist im Zweifel als rechtzeitig anzusehen; da der Rückschein der Zustellung des Bescheides abhanden gekommen ist und zeitlich ein Naheverhältnis zwischen Abfertigung und Einlangen der Berufung besteht, muß angenommen werden, die Berufung sei rechtzeitig eingebracht worden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, in der neben Ausführungen zur Sachentscheidung zur Rechtzeitigkeit der Berufung vorgebracht wird, es

"... hätte die belangte Behörde ein Ermittlungsverfahren einleiten und zumindest die Arbeitgeberin des Beschwerdeführers bzw. deren Rechtsvertreter hiezu hören müssen. Eine Annahme der Rechtzeitigkeit der Berufung nur wegen des zeitlichen Naheverhältnisses zwischen Abfertigung und Einbringung ist nicht ausreichend."

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt und wiederholt, ein Rechtsmittel sei im Zweifel als rechtzeitig anzusehen.

Auch die mP hat eine Gegenschrift eingebracht und die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Zur Rechtzeitigkeit ihrer Berufung hat die mP nicht Stellung genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß mangels Vorliegens eines Zustellnachweises "im Zweifel" anzunehmen sei, die Berufung der mP gegen den erstinstanzlichen Bescheid sei rechtzeitig erhoben worden. Dagegen bringt der Beschwerdeführer mit Recht vor, daß eine derartige Annahme ohne Ermittlungen über das Zustelldatum nicht zulässig ist. Dies bringt auch die von der belangten Behörde herangezogene Rechtsprechung des OGH (SZ 46/86 = EvBl. 1974, Nr. 30; ÖRZ 1977, Nr. 26) klar zum Ausdruck. Aus welchen Gründen die belangte Behörde davon ausgegangen ist, daß dieses Zustelldatum "zweifelhaft" sei, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, solche Zweifel durch Ermittlungen bei der Post und bei den Parteien auszuräumen, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Der Hinweis auf ein bestehendes "zeitliches Naheverhältnis zwischen Abfertigung und Einlangen der Berufung" sagt in seiner Verschwommenheit nichts über die Einhaltung der zweiwöchigen Berufungsfrist (§ 63 Abs. 5 AVG) aus. Er entzieht sich darüber hinaus der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof, weil die belangte Behörde die von ihr dieser Annahme zugrunde gelegten Daten nicht festgestellt hat, und weil in den vorgelegten Akten nicht nur der abhanden gekommene Rückschein, sondern auch der Berufungsschriftsatz der mP fehlt (siehe dazu auch § 38 Abs. 2 VwGG).

Die belangte Behörde hat ihre Pflicht verkannt, Zweifel über die Rechtzeitigkeit der Berufung durch amtswegige Ermittlungen zu beseitigen. Nach Durchführung solcher Ermittlungen allenfalls weiterbestehende Zweifelsfragen wären im Wege der Beweiswürdigung zu beantworten (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. März 1980, Slg. 10070/A). Eine Beweisregel, wie sie die belangte Behörde zu Unrecht aus der vorliegenden Rechtsprechung abgeleitet hat, würde gerade im Mehrparteienverfahren zu unerträglichen Konsequenzen führen, wofür der Beschwerdefall ein plakatives Beispiel darstellt, in welchem - wäre die Berufung der mP als verspätet anzusehen und daher zurückzuweisen - die erstinstanzliche Abweisung des Antrags der mP auf Zustimmung zur Kündigung des behinderten Beschwerdeführers in Rechtskraft erwachsen wäre.

Die belangte Behörde hat somit in Verkennung der Rechtslage von Ermittlungen betreffend die Frage der Rechtzeitigkeit der von ihr meritorisch erledigten Berufung der mP abgesehen. Da sich der angefochtene Bescheid bereits aus diesem Grunde als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf die in der Beschwerde und in den Gegenschriften zur Sachentscheidung aufgeworfenen Fragen einzugehen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG iVm Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993090334.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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