TE Vfgh Erkenntnis 1991/6/26 B476/90

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Veröffentlicht am 26.06.1991
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß-und Melderecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung des Erlasses des Bundesministers für Inneres vom 11.02.90, Zahl 73.540/49-III/12/90, und des Erlasses des Bundesministers für Inneres vom 22.07.88, Zahl 82.060/38-II/14/88, mit E v 15.06.91, V603,604/90, V22-41/91. (weitere Anlaßfälle: B484/90, B485/90, B486/90, B490/90, B491/90, B666/90, B667/90, B668/90, B669/90, alle E v 26.06.91, E v 28.06.91, B481/90)

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte, nachdem er sichtvermerksfrei nach Österreich eingereist war, am 6. November 1989 an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz den Antrag, ihm den Aufenthalt in Österreich zu bewilligen.

1.1.2. In diesem Antrag brachte er ua. wörtlich vor:

"Ich möchte in Österreich bleiben. Um die deutsche Sprache zu erlernen, habe ich mich bei einem Sprachkurs angemeldet. Bis zum Erhalt einer Beschäftigungsbewilligung und zur Aufnahme einer Arbeit ist mein Unterhalt durch meine Schwester und deren Gatten gesichert. In der Türkei habe ich keine Arbeit."

1.1.3. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz forderte den Beschwerdeführer am 13. Dezember 1989 auf, ua. einen "Wohnungserhebungsbogen" ausgefüllt vorzulegen. In diesem "Erhebungsbogen für den Antrag auf Familienzusammenführung" beantwortete der Beschwerdeführer die Frage: "Weshalb erfolgt Zuzug?" mit dem Satz: "weil er Arbeit will".

1.2.1. Mit Bescheid vom 13. März 1990, Z III 370-22158-90, wies die - nach dem Wohnsitz des Beschwerdeführers nunmehr zuständige (vgl. §29 Abs3 Paßgesetz 1969) - Bezirkshauptmannschaft Dornbirn diesen Antrag gemäß §25 Abs1 und 2 Paßgesetz 1969 ab.

1.2.2. In der Begründung dieses Bescheides wird auf einen hier von der belangten Behörde anscheinend angewendeten Erlaß des Bundesministers für Inneres hingewiesen.

1.3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf Unterlassung jeder Form rassischer Diskriminierung (BVG vom 3. Juli 1973 zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet wird.

1.3.2. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Darin bestritt sie, indem sie auf die Entscheidungen VfSlg. 6139/1970 und 6601/1971 hinwies, daß die dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegten Erlässe des Bundesministers für Inneres für die Rechtsunterworfenen rechtlich bindend seien. Es handle sich nur um typische Erläuterungen zur Durchführung eines Gesetzes, die keinen normativen Charakter aufwiesen.

1.4. Der Bundesminister für Inneres hat Fragen der Sichtvermerkserteilung ua. in den beiden im folgenden genannten Erlässen behandelt.

Abschnitt B Z1 erster Satz des Erlasses vom 11. Feber 1990, Z73.540/49-III/12/90, lautet:

"Türkische Gastarbeiter und deren Familienangehörige, die bereits in Österreich aufhältig sind, erhalten ebenso wie bisher Sichtvermerke mit Befristung gemäß der Gültigkeitsdauer der für den Gastarbeiter bzw. den Familienerhalter erteilten Beschäftigungsbewilligung (entsprechend ho. Runderlaß, Zl. 82.060/38-II/14/88 vom 22. Juli 1988)."

Im Erlaß vom 22. Juli 1988, Z82.060/38-II/14/88, heißt es unter der Überschrift "Arbeitsaufnahme nach sichtvermerksfreier Einreise" ua. (Seite 14):

"Stellt der Fremde mit der Behauptung, er hätte Aussicht auf Ausstellung einer Beschäftigungsbewilligung, einen Sichtvermerksantrag, ist dieser nach Bestrafung gemäß §40 Abs2 des Paßgesetzes 1969 ohne Rückfrage beim zuständigen Arbeitsamt gemäß §25 Abs2 leg.cit. abzulehnen, da eine Umgehung des Sichtvermerksabkommens öffentlichen Interessen zuwiderläuft."

2.1.1. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen mit Beschluß vom 7. Dezember 1990, B476/90-11, ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der folgenden Erlässe gemäß Art139 B-VG ein:

1. Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 11. Feber 1990, Z73.540/49-III/12/90, und

2. Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 22. Juli 1988, Z82.060/38-II/14/88.

2.1.2. Mit Erkenntnis vom 15. Juni 1991,

V603,604/90, 22-41/91, wurden beide vom Verfassungsgerichtshof als Verordnungen qualifizierten Erlässe als gesetzwidrig aufgehoben und verfügt, daß diese Aufhebung mit Ablauf des 30. November 1991 in Kraft tritt.

2.2.1. Gemäß Art139 Abs6 Satz 2 B-VG waren die als gesetzwidrig aufgehobenen Verordnungen, auf die sich der hier angefochtene, einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes abweisende Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn gestützt hatte, im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) anzuwenden.

2.2.2. Es ist aber nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß die Anwendung dieser Vorschriften im Administrativverfahren für die Rechtsposition des Beschwerdeführers nachteilig war (s. auch: VfSlg. 10.303/1984, 10.622/1985, 10.790/1986).

Demgemäß hatte der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt wurde.

Der Bescheid ist somit aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf Umsatzsteuer.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B476.1990

Dokumentnummer

JFT_10089374_90B00476_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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