TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/10 94/19/0273

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.1994
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Juni 1992, Zl. 4.308.565/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. April 1991, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG - in nichtöffentlicher Sitzung erwogen hat:

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, der am 21. Dezember 1990 in das Bundesgebiet eingereist war, hat anläßlich seiner Erstbefragung am 25. Jänner 1991 bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich angegeben, er sei politisch in einer Bewegung aktiv gewesen, die für die Selbständigkeit Arabistans eingetreten sei. Diese politische Gruppierung habe 20 Personen umfaßt. Die Aktivitäten dieser Gruppe hätten sich im Verteilen von Flugblättern, Abhaltung von Kundgebungen und Beschmieren von Wänden mit Parolen erschöpft. Im August (1990?) seien drei Mitglieder dieser Gruppierung von Revolutionswächtern festgenommen und verhört worden. Wie der Beschwerdeführer in weiterer Folge erfahren habe, hätten diese die Namen weiterer Mitglieder, darunter auch seinen, preisgegeben. Er hätte im Falle einer Festnahme mit 20 bis 30 Jahren Haft zu rechnen und habe sich daher entschlossen, zu flüchten.

In seiner Berufung führte der Beschwerdeführer ergänzend zu seinem Vorbringen in erster Instanz aus, er sei Araber aus dem Südiran (Khusestan). Die arabische Bevölkerung, obwohl sie ca. 1 Million Menschen umfasse, stelle im Südiran eine Minderheit dar, die vielen Diskriminierungen ausgesetzt sei und keine Minderheitenrechte habe. So müsse sie ihre Sprache verleugnen, die Amtssprache sei persisch, sie bekämen keine guten Wohnungen, die Analphabetenrate sei hoch und die arabische Bevölkerung sei ärmer als die übrige dort lebende persische. Angehörige dieser Minderheit seien ökonomisch und sozial extrem benachteiligt und müßten ebenso im Alltag mannigfaltige Unterdrückung hinnehmen. Sei schon vor der islamischen Revolution die Lage der arabischen Bevölkerung schlecht gewesen, so habe sich diese Situation in der Folgezeit noch zugespitzt: 1979 habe es eine breite soziale arabische Minderheitenbewegung gegeben, die dreimal blutig niedergeschlagen worden sei. Mitglieder der berühmten arabischen Minderheitenorganisation "Kanon Farhangi, Siasi Khalghe Arab" seien gefangengenommen und hingerichtet worden. Es sei der Plan des damaligen Verteidigungsministers gewesen, die gesamte arabische Bewegung zu vernichten. Zwei der Onkel und der Vater des Beschwerdeführers seien damals in dieser Organisation tätig gewesen und hätten dort wichtige Funktionen ausgeübt. Sie seien auch verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, während beide Onkel später ins Ausland geflohen seien und nun als Flüchtlinge in den USA bzw. Kanada lebten, sei sein Vater im Iran verblieben; immer wieder unter Druck gesetzt, bedroht und über den Verbleib der Onkel ausgefragt worden. Nach dem iranisch-irakischen Krieg sei diese Unterdrückung noch verstärkt worden. Viele Araber seien in den Nordiran und in das Landesinnere umgesiedelt worden. Die Familie des Beschwerdeführers habe während des Krieges nach Shiraz fliehen müssen. Man habe die Araber verdächtigt, mit den Irakern zu sympathisieren. Der Beschwerdeführer selbst habe - für dieses Thema schon frühzeitig sensibilisiert - schon 1986 angefangen, gegen die Unterdrückung der Minderheit politisch zu arbeiten. Auslösend dafür sei ein Artikel in der Zeitschrift "Etelaat" über die Minderheiten, besonders die Araber, im Iran gewesen. Sie seien damals eine Gruppe von 20 Personen gewesen und hätten in Ahwaz eine kleine Demonstration gegen diesen Artikel organisiert. Im Gegensatz zu nationalistischen Gruppen würde jedoch nicht die Unabhängigkeit, sondern die Wahrung von Minderheitenrechten verlangt. Damals sei der Beschwerdeführer zusammen mit einigen anderen jungen Arabern verhaftet und zu einem Monat Haft verurteilt, dann jedoch freigelassen worden, weil er früher nicht aktiv tätig gewesen sei. Wegen der familiären Vorgeschichte sei er jedoch weiterhin überwacht worden. Er habe aber seine Arbeit im Untergrund weiter fortgeführt, habe zwei kleine arabische Zeitungen herausgegeben, sei in Dörfer gereist und habe über die Situation und das Leben der Araber in diesen Dörfern geschrieben und zu Protesten gegen Benachteiligungen aufgerufen, Flugblätter verteilt, Parolen auf Hauswände geschrieben und Protestkundgebungen abgehalten. Im Jahr 1988 sei er wiederum in Ahwaz verhaftet, vernommen und nach 15 Tagen wieder freigelassen worden. Aus Sicherheitsgründen sei er danach einige Zeit nach Shiraz gegangen. Nach seiner Rückkehr nach Ahwaz sei er wieder streng überwacht worden. Dennoch habe er seine politischen Aktivitäten weiter fortgesetzt. Nach einiger Zeit Untergrundarbeit seien jedoch drei von seinen Leuten, die Zeitungen mit sich geführt hätten, verhaftet worden. Davon habe er erfahren und sei nach Esfahan geflüchtet, wo er bei einem Freund gewohnt habe. Dort habe er auch erfahren, daß die islamischen Behörden sein Haus durchsucht und arabische Zeitungen gefunden hätten und daß sein Vater verhaftet worden sei. Daraufhin habe er nicht mehr zurückkehren können. Dies hätte für ihn Verhaftung und Hinrichtung oder 20 bis 30 Jahre Haft bedeutet.

Die belangte Behörde kam zu dem Schluß, daß das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme auch unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Berufung und der hiezu eingebrachten Ergänzung, keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, daß der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei, wobei sie seinem erstinstanzlichen Vorbringen insgesamt die Glaubwürdigkeit absprach, weil "dem Vorbringen von Asylwerbern, die auf den für Schlepperorganisationen typischen Wegen und mit dem in diesen Fällen zu beobachtenden formularmäßigen Vorbringen nach Österreich eingereist sind, grundsätzlich geringere Glaubwürdigkeit zukomme", im übrigen die vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren erteilten Informationen unvollständig und zu wenig konkretisiert gewesen seien. Das Berufungsvorbringen erachtete die belangte Behörde als "überschießend" und ebenfalls nicht zur Gänze glaubwürdig.

Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer nach der Aktenlage weder nach dem Namen jener politischen Gruppierungen, denen er - und nicht nur seine Onkel und sein Vater - angehörte, noch über die Art seiner allenfalls weiteren politischen Aktivitäten befragt wurde, ist der belangten Behörde auch entgegenzuhalten, daß sie bei Würdigung der hier vorliegenden Aussage verpflichtet gewesen wäre, erforderlichenfalls (§ 20 Abs. 2 AsylG 1991) gemäß § 16 Abs. 1 AsylG 1991 von Amts wegen auf geeignete Weise darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder ungenügende Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, und zwar unabhängig von dem im Punkt 20 der niederschriftlichen Einvernahme enthaltenen abschließenden Passus, der Beschwerdeführer "habe die Niederschrift gelesen und nichts mehr hinzuzufügen". Den Akten kann jedenfalls kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, daß dem Beschwerdeführer seitens der Asylbehörden entsprechende Fragen überhaupt gestellt worden wären. Bei Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers hätte sie aber ohne entsprechende Fragestellung aus dem Fehlen von Ausführungen über die genannten Umstände nicht auf die fehlende Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers schließen dürfen. Dem Beschwerdeführer ist - von der Warte der vom Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung (vgl. hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/0019) - weiters darin beizupflichten, daß die Erwägungen der belangten Behörde bei Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers als unglaubwürdig im folgenden nicht zu überzeugen vermögen, da bei Inanspruchnahme von Schlepperorganisationen dem Vorbringen eines Asylwerbers nicht grundsätzlich jede Glaubwürdigkeit abgesprochen werden kann. Die belangte Behörde selbst geht auch - zutreffend - davon aus, daß bei der Beurteilung, ob es sich um solch ein standardisiertes Vorbringen handelt, Vorsicht geboten sei. Diese Vorsicht läßt die belangte Behörde jedoch vermissen. Die Beurteilung eines Vorbringens als unglaubwürdig kann nicht auf einem Mangel an Information, sondern müßte auf Widersprüchen und Divergenzen innerhalb der erteilten Information durch Abwägung der Argumente beruhen. Die Würdigung eines Vorbringens kann daher nur auf eine entsprechende Sachverhaltsgrundlage gestützt werden.

Im übrigen ist gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 auch von dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz auszugehen, weil eine offenkundige Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz nicht zu erkennen ist und die anderen Gründe des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 im Beschwerdefall nicht in Frage kommen. Tenor der Ausführungen des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren war die Furcht vor einer Inhaftierung über einen Zeitraum von immerhin 20 bis 30 Jahren als Folge seiner politischen Aktivitäten, also Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991.

Da aus den dargelegten Gründen die von der belangten Behörde angestellten Erwägungen keine schlüssige Begründung darstellen, war der angefochtene Bescheid mit Verfahrensmängeln behaftet, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid gekommen wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c VwGG aufzuheben.

Zur Frage des mangelnden Ausspruches über die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung in einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall gemäß § 8 AsylG 1991 wird auf die Begründung im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 93/01/0311 gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen, wonach das Fehlen eines Abspruches zu dieser Norm keine Rechtswidrigkeit des Bescheides über den Asylantrag begründen kann.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994190273.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten