TE Vwgh Erkenntnis 1994/4/27 93/01/0841

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Veröffentlicht am 27.04.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §14 Abs1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §3;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 93/01/0842

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspäsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerden

1. des M in L, und 2. der N in L, mit ihren minderjährigen Kindern B, K, L und F, beide vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 28. April 1993, Zl. 4.317.325/2-III/13/91 und Zl. 4.317.325/3-III/13/91, beide betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der vom Erstbeschwerdeführer angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Die von der Zweitbeschwerdeführerin erhobene Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den jeweils im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen beiden Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 28. April 1993 wurde ausgesprochen, daß Österreich den Beschwerdeführern - Staatsangehörigen "der früheren SFRJ ", die am 10. Juni 1991 in das Bundesgebiet eingereist sind und am darauffolgenden Tag Asylanträge gestellt haben - kein Asyl gewähre.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, vom jeweiligen Beschwerdeführer in Ansehung des ihn betreffenden Bescheides erhobenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges - erwogen hat:

1. Der Erstbeschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 24. Juni 1991 hinsichtlich seiner Fluchtgründe angegeben, der albanischen Minderheit im Kosovo anzugehören und seine Heimat aus politischen Gründen verlassen zu haben. Er sei seit 1989 Mitglied der "L.D.K.", einer illegalen Partei, und in seinem Heimatdorf deren "Präsident" gewesen. Er habe an sämtlichen Demonstrationen - so am 11. März 1990, die anderen Daten wisse er nicht mehr - teilgenommen. Von seinen vier Kindern seien drei taubstumm, weshalb er sie in Skopje habe behandeln lassen wollen; er sei jedoch, weil er Albaner sei, "hinausgeschmissen" worden, worüber er, nachdem er darauf bestanden habe, eine Bestätigung erhalten habe. Am 6. Mai 1991 hätten Nachbarn - "alles Serben" - die Fenster (seiner Wohnung) mit Steinen beworfen, worauf er sich bei der Polizei beschwert habe, die ihn jedoch "verjagt" habe. Es sei bei ihm zu Hause "von den Serben" auch nach Gewehren gesucht, aber "nichts" gefunden worden. Der Schmuck seiner Frau (der Zweitbeschwerdeführerin) und DM 7.000,-- seien von der Polizei "beschlagnahmt" worden; ihm sei "das einfach weggenommen" worden. "Um den 12.5.1991" seien sein Vater und er "mitgenommen", eine Nacht lang von der Miliz festgehalten und geschlagen worden; Beschwerde könne "man nirgendwo führen". Er habe sich daher entschlossen, gemeinsam mit seiner Gattin und den Kindern Jugoslawien zu verlassen.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie den Angaben des Erstbeschwerdeführers insgesamt keinen Glauben schenkt. Als unglaubwürdig angesehen hat die belangte Behörde aber die im Zusammenhang mit der von ihm beabsichtigten Behandlung seiner taubstummen Kinder gemachten Angaben des Erstbeschwerdeführers, weil er der behördlichen Aufforderung, eine Übersetzung der ihm diesbezüglich ausgestellten Bestätigung beizubringen, nicht entsprochen habe. Daraus allein kann aber im Hinblick darauf, daß dem Asylverfahren eine Pflicht des Asylwerbers, die von ihm aufgestellten Behauptungen förmlich zu beweisen, fremd ist und vielmehr gemäß § 3 AsylG 1991 die Glaubhaftmachung seiner Angaben genügt, ungeachtet der Möglichkeit einer derartigen Auftragserteilung gemäß § 16 Abs. 1 leg. cit. noch kein Schluß auf die Glaubwürdigkeit der Angaben des Erstbeschwerdeführers - der in der Beschwerde erklärt, daß er "nicht mehr über diese Bestätigung verfüge" - gezogen werden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Februar 1994, Zl. 92/01/0888). Kann demnach der Beweiswürdigung der belangten Behörde in diesem Punkt nicht gefolgt werden, so hätte sie jedenfalls sämtliche erstinstanzlichen Angaben des Erstbeschwerdeführers einer rechtlichen Beurteilung zu unterziehen gehabt.

Der belangten Behörde ist wohl darin beizupflichten, daß weder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (in diesem Fall nationalen) Minderheit noch die Mitgliedschaft bei einer bestimmten Partei für sich allein zur Asylgewährung führen kann und sich den Angaben des Erstbeschwerdeführers weiters nicht entnehmen läßt, daß ihm aus der von ihm behaupteten Parteifunktion in seinem Heimatdorf, sollte sie überhaupt nach außenhin bekannt gewesen sein, irgendwelche Nachteile erwachsen wären. Aus seiner Darstellung des Sachverhaltes geht aber zweifellos hervor, daß in zeitlichem Konnex zu seiner Ausreise aufeinanderfolgend auf verschiedene Weise Aktivitäten gegen ihn gesetzt worden sind, die jedenfalls ihre jeweilige Ursache darin hatten, daß er der albanischen Minderheit in seinem Heimatland zuzuzählen war. Das traf schon hinsichtlich der (ihn selbst betreffenden) Abweisung des Erstbeschwerdeführers, mit der eine notwendige Behandlung seiner taubstummen Kinder abgelehnt wurde, zu und setzte sich auf die Weise fort, daß die Fenster seiner Wohnung mit Steinen beworfen wurden, sowie, abgesehen vom Schmuck seiner Frau, ein höherer Geldbetrag "beschlagnahmt" und er, wie auch sein Vater, wenn auch nur eine Nacht lang, ohne einen sonst ersichtlichen Grund von der Miliz festgehalten und geschlagen wurde. Daß diese Aktivitäten in ihrer Gesamtheit - auch wenn keine von ihnen allein - nicht eine solche Intensität erreicht hätten, daß ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland für den Erstbeschwerdeführer aus objektiver Sicht unerträglich gewesen wäre, hat die belangte Behörde nicht hinreichend begründet. Die vom Erstbeschwerdeführer behaupteten Umstände seiner Abweisung wegen der Behandlung seiner Kinder und der "Beschlagnahme" eines Geldbetrages hat sie überhaupt nicht in ihre rechtlichen Erwägungen miteinbezogen. Richtig ist, daß es sich bei dem Vorfall, bei dem das Haus des Erstbeschwerdeführers mit Steinen beworfen wurde, um Übergriffe durch Private handelte. Eine asylrechtlich relevante Verfolgung liegt aber nicht nur dann vor, wenn sie von staatlichen Stellen ausgeht, sondern auch dann, wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungen hintanzuhalten (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1989, Zl. 88/01/0160). Der Erstbeschwerdeführer hat ausdrücklich betont, daß seine daraufhin erfolgte Beschwerde von der Polizei nicht entgegengenommen worden sei, wie er auch sonst deutlich zu erkennen gegeben hat, daß auf Grund der bestehenden Situation ein entsprechender Schutz durch die staatlichen Behörden seines Heimatlandes nicht in Betracht gekommen sei. Wenn die belangte Behörde die Auffassung vertritt, der Erstbeschwerdeführer habe nicht glaubhaft dargelegt, daß er sich "etwa an die der regionalen Polizeidienststelle übergeordnete Behörde gewandt hätte", so ist sie eine Begründung dafür schuldig geblieben, daß dies bei der von ihm angesprochenen Lage im Kosovo ihm zumutbar und überdies zielführend gewesen wäre. Der Hinweis der belangten Behörde, die kurzfristige Anhaltung des Erstbeschwerdeführers, bei der er auch mißhandelt wurde, habe lediglich der behördlichen Ermittlung wegen seiner Teilnahme an einer verbotenen Demonstration gedient, ist deshalb verfehlt, weil nach dem von ihr zugrundezulegenden Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz kein Anhaltspunkt dafür gegeben ist, daß der Beschwerdeführer an einer Demonstration teilgenommen habe, auf Grund welcher es in der Folge zu dieser Maßnahme gegen ihn gekommen ist, zumal er bei seiner Vernehmung auch nicht einen solchen Zusammenhang hergestellt hat.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der vom Erstbeschwerdeführer angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z.3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Zweitbeschwerdeführerin hat, gleichfalls am 24. Juni 1991 niederschriftlich zu ihren Fluchtgründen befragt, angegeben, daß sie in ihrem Heimatland der albanischen Minderheit angehöre und ihr Gatte (der Erstbeschwerdeführer) stets mit den serbischen Behörden Probleme gehabt habe. Sie hätten drei taubstumme Kinder. Sie selbst habe in ihrem Heimatland, im Gegensatz zu ihrem Gatten, keiner Partei oder einer politischen Gruppierung angehört. Bei Hausdurchsuchungen seien ihnen Schmuck und Geld weggenommen, und es seien weiters auch ihr Gatte und ihr Schwiegervater inhaftiert worden. Auf Grund dieser Probleme hätten ihr Gatte und sie beschlossen, ihr Heimatland zu verlassen.

Auf dem Boden dieser Sachverhaltsgrundlage ist aber für den Standpunkt der Zweitbeschwerdeführerin - die gar keine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens sondern lediglich Begründungsmängel des angefochtenen Bescheides geltend macht und sich im übrigen auch nicht gegen die ihr darüber hinausgehendes Berufungsvorbringen als unglaubwürdig erachtete Beweiswürdigung der belangten Behörde wendet - nichts zu gewinnen. Ausgehend von ihren erstinstanzlichen Angaben könnte eine konkrete, individuell gegen sie gerichtete Verfolgungshandlung aus einem der Gründe des § 1 Z. 1 AsylG 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschn. A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention), sei es aus dem der Nationalität oder dem der politischen Gesinnung (ihres Gatten, der auf sie durchgeschlagen hätte), ausschließlich darin erblickt werden, daß bei Hausdurchsuchungen Schmuck und Geld entwendet worden seien. Wie die belangte Behörde richtig erkannt hat, bedeutet dieser Übergriff für sich allein keinen asylrechtlich relevanten Nachteil von erheblicher Intensität, besteht doch kein Anhaltspunkt dafür, daß der Zweitbeschwerdeführerin dadurch die Lebensgrundlage entzogen worden wäre. Daß sie selbst, so wie der Erstbeschwerdeführer, weitere Maßnahmen zu befürchten gehabt hätte, die bei ihr wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hervorgerufen hätten, hat sie nicht dargetan. Die Zweitbeschwerdeführerin wird allerdings auf die Möglichkeit einer Antragstellung auf Ausdehnung der (allenfalls ihrem Gatten zuteil werdenden) Asylgewährung gemäß § 4 AsylG 1991 hingewiesen.

Da sich somit in diesem Fall die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

3. Die Aussprüche über den Aufwandersatz gründen sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993010841.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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