TE Vwgh Erkenntnis 1994/5/10 91/08/0044

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Veröffentlicht am 10.05.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §11 Abs2;
ASVG §49 Abs6;
AVG §38;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der S GmbH in H, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 5. Februar 1991, Zl. Vd-3719/3, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6021 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 2. März 1989 wurde der beschwerdeführenden Partei eine Beitragsnachrechnung in der Höhe von S 43.549,20 vorgeschrieben. Dieser Bescheid wurde damit begründet, daß bei einer Streitverhandlung am 30. April 1987 beim Arbeits- und Sozialgericht in Innsbruck hervorgekommen sei, daß die Dienstnehmerinnen Marianne G. und Sylvia L. von der beschwerdeführenden Partei als Dienstgeber ein höheres Entgelt erhalten hätten als zur Verrechnung der Sozialversicherungsbeiträge herangezogen worden sei. So habe Marianne G. angegeben, monatlich S 3.000,-- netto als Prämie zusätzlich zu ihrem Lohn erhalten zu haben. Auch die zweite Dienstnehmerin Sylvia L. habe monatlich eine Prämie erhalten. Der Dienstgeber habe keine dieser zusätzlichen Prämien bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge berücksichtigt. Bei der Verhandlung sei die Dienstnehmerforderung (von Marianne G.) mit einem Vergleich bereinigt worden.

Die beschwerdeführende Partei erhob Einspruch, wobei sie im wesentlichen vorbrachte, daß die Ansprüche von Marianne G. nie anerkannt worden seien. Man habe zwar einen Vergleich geschlossen, um weitere Kosten zu vermeiden, der Ansprch von Frau G. sei jedoch nicht als rechtmäßig anerkannt worden. Frau G. habe für ihre Behauptung keine Beweise vorgelegt; Sylvia L. habe in der Verhandlung ausgesagt, daß sie keine Prämien erhalten habe. Lege man den Vergleich mit Frau G. der Beitragsberechnung zugrunde, so sei von einer monatlichen Beitragsgrundlage von S 1.600,-- brutto bei der Berechnung auszugehen und somit höchstens Beiträge von S 18.835,20 zu leisten.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse legte in ihrer Stellungnahme vom 5. Mai 1989 dar, daß im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht rechtskräftig ein Vergleich abgeschlossen worden sei, in dem sich die beschwerdeführende Partei verpflichtet habe, einen Betrag in der Höhe von S 45.000,-- incl. Prozeßkosten an Frau G. nachzuzahlen. Nach § 49 Abs. 6 ASVG seien Versicherungsträger und Verwaltungsbehörden an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche festgestellt würden, gebunden. Der zwischen der Beschwerdeführerin und Marianne G. abgeschlossene gerichtliche Vergleich sei rechtskräftig. Mehrere bei Gericht einvernommene Zeugen hätten angegeben, daß zum Monatslohn regelmäßig Prämien ausbezahlt worden seien. Auch der frühere Ehegatte von Sylvia L. habe bei Gericht diese Prämienzahlungen bestätigt. Für die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse bestünden daher keine Zweifel an der Richtigkeit des gerichtlichen Vergleiches vom 30. April 1987.

In einer weiteren Stellungnahme der beschwerdeführenden Partei vom 1. Juni 1989 legte diese dar, daß Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens die Ansprüche von Marianne G. in Höhe von rund S 37.000,-- gewesen seien. Ihre Behauptung, daß sie eine monatliche Prämie in der Höhe von S 3.000,-- erhalten habe, hätte vor Gericht nicht bewiesen werden können. Die geltend gemachten Forderungen seien vom Gericht auch nicht als zu Recht bestehend anerkannt worden. Der Vergleich mit Marianne G. sei ausschließlich zur Vermeidung weiterer Kosten geschlossen worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch teilweise Folge gegeben und der Betrag der Beitragsnachrechnung auf S 42.379,20 herabgesetzt. Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens verwies die belangte Behörde in ihrer Begründung darauf, daß sich die Beitragsnachrechnung für Marianne G. auf die Jahre 1984 und 1985 sowie auf die Zeit vom 1. Jänner 1986 bis 30. Juni 1986 beziehe. Für diesen Zeitraum sei eine monatliche Nettoprämie in der Höhe von S 3.000,-- nachgerechnet worden. Aus der Klage von Marianne G. und der darin enthaltenen Aufstellung ergebe sich, daß Abfertigungen sowie Lohn und Prämie für Juni 1986, Kündigungsentschädigung, Urlaubszuschuß, Weihnachtsremuneration und Urlaubsentschädigung als unberichtigt aushaftende Ansprüche angesehen worden seien. Die Gesamtklagssumme habe ursprünglich S 55.328,41 netto betragen. Nach Klagseinbringung sei ein Betrag von S 28.576,-- netto als Abfindung für drei Monate von der beschwerdeführenden Partei an Marianne G. gezahlt worden. Damit sei nurmehr ein Klagsbetrag in der Höhe von S 26.752,41 offen geblieben. Hinsichtlich dieser Klagssumme sei ein Vergleich geschlossen worde, wonach S 20.000,-- sowie Gerichtskosten ersetzt worden seien. Die nunmehr bekämpfte Nachrechnung beziehe sich nicht auf diesen Klags- bzw. Vergleichsbetrag; die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse sei vielmehr davon ausgegangen, daß in den Jahren 1984 und 1985 und im ersten Halbjahr 1986 an Frau G. tatsächlich eine Prämie von S 3.000,-- netto zuätzlich zum monatlich verbuchten Lohn ausbezahlt worden sei. Dies ergebe sich daraus, daß sowohl die Abfertigung als auch der anerkannte Lohn und Prämie vom Juni 1986 diese Prämie mitumfaßt hätten. Marianne G. habe nicht die Prämie für die Jahre 1984 und 1985 und das Halbjahr 1986 eingeklagt, sondern die genannten Abfertigungs- und Lohnansprüche. Sowohl aus der Klage als auch aus dem Vergleich ergebe sich nach Ansicht der belangten Behörde, daß an Marianne G. im genannten Zeitraum eine Nettoprämie von S 3.000,-- monatlich bezahlt worden sei. Hinsichtlich der Beitragsnachrechnung für die Dienstnehmerin Sylvia L. sei die belangte Behörde hingegen der Ansicht, daß diesbezüglich die Unterlagen nicht ausreichten, um eine Nachrechnung für eine Prämie im Monat 1984 zu rechtfertigen. Die diesbezüglichen Zeugenaussagen schienen nicht ausreichend genug zu sein. Die Beitragsnachrechnung sei daher um einen Betrag in der Höhe von S 1.170,-- herabzusetzen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die - dem Beschwerdevorbringen nach - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde ihre Auffassung, daß Marianne G. in den Jahren 1984 und 1985 sowie im ersten Halbjahr 1986 zu ihrem kollektivvertraglichen Mindestlohn jeweils eine monatliche Nettoprämie in der Höhe von S 3.000,-- erhalten hat, im wesentlichen auf deren Klagebegehren vor dem Arbeitsgericht Innsbruck und dem zwischen ihr und der beschwerdeführenden Partei abgeschlossenen Vergleich gestützt.

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Als Beweismittel kommt nach § 46 AVG alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Diese Begründungserfordernisse schließen nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. u.a. die Ausführungen bei Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 5. Auflage, Rz. 417 ff und Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Seite 448 ff, und die dort jeweils angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) u. a. auch die Verpflichtung der Behörde ein, in der Begründung des Bescheides in eindeutiger, einer nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise aufzuzeigen, von welcher konkreten Sachverhaltsannahme sie bei ihrem Bescheid ausgegangen ist und worauf sich die getroffenen Tatsachenfeststellungen im einzelnen stützen.

Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid nicht in ausreichendem Maße gerecht.

Im Klagebegehren von Marianne G. kommt lediglich deren BEHAUPTUNG zum Ausdruck, auch im streitgegenständlichen Zeitraum eine monatliche Prämie erhalten zu haben. Der zwischen ihr und der beschwerdeführenden Partei abgeschlossene gerichtliche Vergleich stellt hingegen eine auf Privatautonomie beruhende VERTRAGLICHE EINIGUNG dar. Bereits im Einspruch hat die beschwerdeführende Partei darauf hingewiesen, die von Marianne G. geltend gemachten Ansprüche nie anerkannt zu haben. Der Vergleich selbst sei nur deshalb geschlossen worden, um weitere Kosten zu vermeiden. Gegenteiliges ist auch dem Vergleich nicht zu entnehmen. Eine Bindung der Verwaltungsbehörden im Sinne des § 49 Abs. 6 ASVG an einen zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich besteht nicht (vgl. dazu etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0058). Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Innsbruck - teilweise für, aber auch gegen eine Prämienzahlung sprechenden - Zeugenaussagen sind von der belangten Behörde im übrigen in keiner Weise berücksichtigt worden.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 Abs. 1 Z. 2 ASVG) konnte kein Stempelgebührenersatz zugesprochen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1991080044.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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