TE Vwgh Erkenntnis 1991/2/19 90/08/0058

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Veröffentlicht am 19.02.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ABGB §1380;
ABGB §1381;
ArbVG §3 Abs1;
ASVG §11 Abs1;
ASVG §11 Abs2;
ASVG §110;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3;
ASVG §49 Abs6;
ASVG §5 Abs2 litb;
AVG §38;
VwGG §48 Abs1 Z1;
VwRallg;
ZPO §204;

Betreff

T-Handelsgesellschaft m.b.H. gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24. Jänner 1990, Zl. 126.454/2-7/89, betreffend Verlängerung der Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs. 2 ASVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, 2. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Franz-Hillegeist-Straße 1,

3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, 4. Andrea E)

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1. Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens steht folgender Sachverhalt außer Streit:

1.1. Mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. März 1988 wurde die Beschwerdeführerin für schuldig erkannt, der klagenden Arbeitnehmerin Andrea E (in der Folge: Arbeitnehmerin) einen Betrag von S 122.828,50 brutto samt Zinsen und Kosten zu bezahlen. Nach der Urteilsbegründung setzte sich der zugesprochene Kapitalsbetrag u.a. aus zwei Monatsgehältern inklusive anteiliger Sonderzahlungen als Kündigungsentschädigung zufolge ungerechtfertigter Entlassung zusammen.

1.2. Mit Datum vom 2. Mai 1988 (und augenscheinlich nach Zustellung dieses Urteils, jedoch noch vor Ablauf der Berufungsfrist) schlossen die Streitteile folgende außergerichtliche Vereinbarung:

"(Die Arbeitnehmerin) erhält die unter Punkt 1. und 4. der Klage begehrten Taggelder im Gesamtausmaß von S 26.675,20 netto. Weiters erhält (die Arbeitnehmerin) im Hinblick auf die vertraglich vereinbarte Vordienstzeitenanrechnung die ihr zustehende gesetzliche Abfertigung, welche sich mit S 53.324,80 netto errechnet. Diese Beträge sind in zwei gleichen Raten, jeweils mit Ende Mai und mit Ende Juni zu bezahlen. Weiters zahlt die (Beschwerdeführerin) zu Handen des Klagevertreters einen Prozeßkostenanteil im Ausmaß von S 3.556,40. Mit der Bezahlung dieses Betrages sind sämtliche wechselseitige Ansprüche der Parteien aus dem Dienstverhältnis bereinigt und verglichen. Unberührt bleiben die Ansprüche der

(Arbeitnehmerin) als Gesellschafterin bei der beklagten Partei. Beide Parteien erklären übereinstimmend gegen das Urteil des

Landesgerichtes Graz vom 18. März 1988 ... eine Berufung nicht

zu erheben. Ausdrücklich verweisen aber beide Parteien darauf, daß aufgrund der nunmehr vorgelegten schriftlichen Vereinbarungen Gehaltsdifferenzen und Ansprüche aus ungerechtfertigter Entlassung nicht gebührt hätten; dafür stehen der Klägerin die in der Klage geltend gemachten Tagesdiäten zweifelsfrei zu."

2. Die erstmitbeteiligte Gebietskrankenkasse führte in der Folge eine Beitragsnachverrechnung durch und erließ über Verlangen der Beschwerdeführerin am 28. Dezember 1988 einen Bescheid mit folgendem Spruch:

"Gemäß § 410 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 ASVG in der geltenden Fassung sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG 1977 wird festgestellt, daß die Pflichtversicherung der (Arbeitnehmerin) aufgrund deren Beschäftigungsverhältnis zur (Beschwerdeführerin) am 30. September 1987 geendet hat. Die Versicherungsabmeldung per 31. Juli 1987 wird auf

30. September 1987 berichtigt.

Gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 in Verbindung mit §§ 44 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2, 49 Abs. 1, 2 und 6, 54 Abs. 1 und 68 ASVG in der geltenden Fassung sowie gemäß §§ 61 und 62 AlVG 1977 wird ausgesprochen, daß die (Beschwerdeführerin) verpflichtet ist,

für die Dienstnehmerin ... die in der

Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 23. Mai 1988 angeführten Beiträge, Sonderbeiträge und Umlagen von S 29.456,31 nachzuentrichten. Die Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 23. September 1988 bildet einen integrierenden Bestandteil dieses Bescheides."

Die erstmitbeteiligte Partei stützte sich nach der Begründung dieses Bescheides auf das zuvor erwähnte gerichtliche Urteil, sowie auf § 11 Abs. 1 ASVG, wonach das Beschäftigungsverhältnis erst mit Ende des Entgeltanspruches ende, und auf § 49 Abs. 6 ASVG, wonach die Versicherungsträger und Verwaltungsbehörden an die Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche der Dienstnehmer festgestellt würden, gebunden seien. Letztere Bestimmung lasse es nicht zu, die zwischen den Parteien getroffene außergerichtliche Vereinbarung über die rechtskräftig mit Urteil zugesprochenen Beträge anzuerkennen. Die Kasse sei vielmehr an die gerichtliche Entscheidung ihrem vollen Inhalt nach gebunden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch. Diesem Einspruch wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 25. August 1989 keine Folge gegeben. Die dagegen von der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Anspruches über die Verlängerung der Pflichtversicherung für den Zeitraum vom 1. August 1987 bis 30. September 1987 erhobene Berufung wurde mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 24. Jänner 1990 abgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat - ohne Erstattung einer Gegenschrift - die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei in der von ihr erstatteten Gegenschrift - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Gemäß § 11 Abs. 1 ASVG (diese und die weiteren zitierten Gesetzesbestimmungen des § 11 Abs. 2 und des § 49 Abs. 1 und 6 ASVG in der seit dem Stammgesetz, BGBl. Nr. 189/1955, unveränderten, auch derzeit geltenden Fassung) erlischt die Pflichtversicherung der im § 10 Abs. 1 bezeichneten Personen (dies sind u.a. die pflichtversicherten Dienstnehmer), soweit in den Absätzen 2 bis 6 nichts anderes bestimmt wird, mit dem Ende des Beschäftigungs-, Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches.

Gemäß § 11 Abs. 2 ASVG verlängert sich die Pflichtversicherung um den Zeitraum, der durch den Vergleichsbetrag (Pauschbetrag) nach Ausscheidung allfälliger, gemäß § 49 nicht zum Entgelt im Sinne dieses Bundesgesetzes gehörender Bezüge, gemessen an den vor dem Austritt aus der Beschäftigung gebührenden Bezügen, gedeckt ist, wenn ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich über den dem Dienstnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses gebührenden Arbeitslohn oder Gehalt abgeschlossen wird.

Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

Gemäß § 49 Abs. 6 ASVG sind die Versicherungsträger und die Behörden an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche des Dienstnehmers (Lehrlings) festgestellt werden, gebunden. Dieser Bindung steht die Rechtskraft der Beitragsvorschreibung nicht entgegen. Die Gerichte erster Instanz haben eine Ausfertigung der rechtskräftigen Entscheidungen über Entgeltansprüche von Dienstnehmern (Lehrlingen) binnen vier Wochen ab Rechtkraft an die Gebietskrankenkasse jenes Landes zu übersenden, in dem der Sitz des Gerichtes liegt; gleiches gilt für gerichtliche Vergleiche über die genannten Ansprüche.

4.2. Die zwischen der Beschwerdeführerin einerseits und der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei andererseits strittige Frage läßt sich wie folgt zusammenfassen: Während die Behörden aller drei Rechtsstufen davon ausgegangen sind, daß zufolge der in § 49 Abs. 6 ASVG angeordneten Bindungswirkung die Versicherungsträger und Verwaltungsbehörden an die im Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz getroffene Feststellung des Entgeltanspruches der Arbeitnehmerin in einer Weise gebunden seien, die auch durch eine außergerichtliche Vereinbarung nicht beseitigt werden könne, ist die Beschwerdeführerin der Meinung, der zwischen ihr und der Arbeitnehmerin geschlossene außergerichtliche Vergleich lege endgültig fest, daß der Arbeitnehmerin "nach Beendigung des Dienstverhältnisses" kein Arbeitslohn oder Gehalt (im Sinne einer Kündigungsentschädigung) gebühre, wobei sich die Beschwerdeführerin auf § 11 Abs. 2 ASVG beruft, der die Anwendung des § 49 Abs. 6 ASVG ausschließe.

4.3. Soweit die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in ihrer Gegenschrift hinsichtlich dieser außergerichtlichen Vereinbarung überdies die Frage des Umgehungsgeschäftes aufwirft (ein Indiz hiefür meint die mitbeteiligte Partei darin zu erblicken, daß zwar eine Abfertigung gewährt, gleichzeitig aber ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung wegen ungerechtfertigter Entlassung verneint werde), so ist darauf vom Verwaltungsgerichtshof vorerst nicht einzugehen: Abgesehen davon, daß dieses erstmals erstattete Vorbringen der mitbeteiligten Partei im Stadium des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gegen das aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot verstößt (und schon deshalb nicht zu erörtern ist), ist die Frage der Wirksamkeit der außergerichtlichen Vereinbarung erst und nur dann von Bedeutung, wenn man KEINE absolute Bindung der belangten Behörde im Sinne des § 49 ASVG an die Gerichtsentscheidung annimmt.

5.0. Die Lösung der Rechtsfrage, ob und für welchen Zeitraum die Pflichtversicherung über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus andauert, hängt nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 11 Abs. 1 ASVG zunächst davon ab, wann der (arbeitsrechtliche) Entgeltanspruch endet. Dieser Entgeltanspruch ist (bezogen auf den Zeitraum nach Beendigung der tatsächlichen Beschäftigung) - nichts anders als der "Anspruchslohn" im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere das Erkenntnis vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211, mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur, vom 20. Mai 1987, Slg. 12472/A - nur Leitsatz - und - aus jüngerer Zeit - etwa das Erkenntnis vom 3. Juli 1990, Zl. 88/08/0138) - nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. Danach bleibt die Regelung der Frage, ob ein Arbeitnehmer einen solchen Anspruch hat, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen und in welchem Umfang er besteht und wann er fällig ist, sofern nicht eine gesetzliche Grundlage besteht, einer Vereinbarung (Einzelarbeitsvertrag, Kollektivvertrag), mangels einer solchen (vgl. OGH ArbSlg. 10086) dem Ortsgebrauch überlassen (vgl. die Hinweise in dem bereits erwähnten Erkenntnis vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211).

5.1. Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die - nach Auffassung der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens scheinbar miteinander kollidierenden - Regelungen des § 11 Abs. 2 ASVG einerseits und des § 49 Abs. 6 ASVG andererseits zu beurteilen. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt - im Gegensatz zu den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - die Auffassung, daß eine Kollision der beiden Bestimmungen schon deshalb nicht besteht, weil sie etwas Verschiedenes regeln:

5.1.1. Während § 11 Abs. 1 ASVG ersichtlich voraussetzt, daß der konkrete Entgeltanspruch sich in der Regel nach bestimmten (etwa monatlichen) Zeiträumen bemißt und daher das Ende der Pflichtversicherung mit dem Ablauf des letzten Zeitraums, für welchen noch ein Entgeltanspruch besteht, eintritt, trifft § 11 Abs. 2 ASVG wie auch der Ausdruck "Vergleichsbetrag (Pauschbetrag)" zeigt, für den Fall Vorkehrungen, daß eine solche zeitraumbezogene Zuordnung deshalb nicht möglich ist, weil sich die Arbeitsvertragsparteien in einer vergleichsweisen Regelung auf die Leistung einer PAUSCHALSUMME geeinigt haben, ohne auch ausdrückliche Zuordnungen zu BESTIMMTEN ZEITRÄUMEN vorzunehmen; diese Bestimmung normiert die BERECHNUNGSMETHODE, nach der in solchen Fällen der Zeitraum vom Ende des Beschäftigungsverhältnisses bis zum Ende des Entgeltanspruches im Sinne des § 11 Abs. 1 ASVG (und damit der Zeitpunkt des Endes der Pflichtversicherung) festzustellen ist (zur historischen Entwicklung dieser Bestimmung vgl. Weclay, Die Auswirkungen arbeitsrechtlicher Vergleiche in der Sozialversicherung, SoSi 1962, 292 f sowie Nott, Arbeitsrechtliche Vergleiche und Sozialversicherung, VR 1962, 270 ff, insbesondere 277 f): Zuerst sind aus dem Vergleichsbetrag allfällige, nach § 49 ASVG nicht zum Entgelt gehörende Bezüge auszuscheiden; der verbleibende Restbetrag wird sodann an den "vor dem Austritt aus der Beschäftigung gebührenden Bezügen" gemessen und dadurch festgestellt, welcher Zeitraum durch den Vergleichsbetrag gedeckt ist, mit anderen Worten, welchen Zeitraum der Vergleichsbetrag geteilt durch das zuletzt gebührende laufende Entgelt ergibt.

§ 11 Abs. 2 ASVG hat also nicht den Inhalt, daß damit etwa eine Bindung der Verwaltungsbehörden und Versicherungsträger an gerichtliche oder außergerichtliche Vergleiche angeordnet würde, sondern ist - die Beachtlichkeit eines solchen Vergleiches voraussetzend - eine (bloße) Berechnungsvorschrift. Aus den dargelegten Gründen kann daher aus dieser Bestimmung für das Verhältnis einer vergleichsweisen Regelung zu einem gerichtlichen Urteil hinsichtlich der in § 49 Abs. 6 ASVG angeordneten Bindungswirkung nichts gewonnen werden.

5.1.2. § 49 Abs. 6 ASVG ist in seinem systematischen Zusammenhang, nämlich als ein Teil des von der Ermittlung des Anspruchslohnes handelnden Normenkomplexes auzulegen. Die rechtsprechende Tätigkeit von Gerichten und Verwaltungsbehörden führt im Ergebnis zu Aussagen über bestehende, INDIVIDUELL-KONKRETE Rechtsansprüche (in Urteils- oder Bescheidform), die aus (mitunter denselben) GENERELL-ABSTRAKTEN Rechtsnormen durch Subsumtionsvorgänge abgeleitet wurden. Die im Einzelfall jeweils anzuwendenden Rechtsnormen sind bei der Feststellung arbeitsrechtlicher Lohnansprüche in einem zwischen den Arbeitsvertragsparteien geführten arbeitsgerichtlichen Verfahren einerseits und dem Verwaltungsverfahren zur Feststellung von Beitragsgrundlagen im Sinne der §§ 44 und 49 ASVG bzw. des Zeitpunktes der Beendigung der Pflichtversicherung im Sinne des § 11 Abs. 1 ASVG andererseits - wie schon eingangs (5.0.) dargelegt - weitgehend ident.

Das sich daraus ergebende Ordnungsproblem besteht nun darin, ob jede der (im individuell-konkreten Sinn)

normsetzenden Gewalten für sich ermitteln soll, was zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages rechtens ist (bei dieser Variante besteht die Gefahr divergierender Ergebnisse), oder ob (im Interesse der Einheitlichkeit der Ergebnisse) die eine der beiden Gewalten an Entscheidungen der gegenbeteiligten Gewalt gebunden sein soll. § 49 Abs. 6 ASVG hat offenkundig den Zweck, dieses Ordnungsproblem im letztgenannten Sinn zu lösen (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Stammgesetz des ASVG vom 19. Juli 1955, 599 der Beilagen zu den Stenografischen Protokollen des Nationalrates VII. GP, 27).

5.1.3. Die solcherart für die Ermittlung des Anspruchslohnes klargestellte Bindung der Verwaltung an Entscheidungen der Gerichte muß daher - wenn auch unausgesprochen - darauf beruhen, daß DAS ARBEITSGERICHTLICHE

URTEIL ZWISCHEN DEN ARBEITSVERTRAGSPARTEIEN TATSÄCHLICH RECHT

SCHAFFT, d.h. daß DEREN MANGELNDE ÜBEREINSTIMMUNG in der Beurteilung ihrer wechselseitigen Rechtsansprüche DURCH RICHTERSPRUCH ERSETZT wurde.

5.2. Die Parteien haben kraft Privatautonomie aber nicht nur das Recht, sich WÄHREND eines gerichtlichen Verfahrens durch gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich, d.h. VERTRAGLICH zu einigen, sondern auch NACH dem Vorliegen eines allfälligen arbeitsgerichtlichen Urteiles. Ob und unter welchen Umständen im letztgenannten Fall überdies noch zu prüfen bliebe, ob allenfalls nach den konkreten Umständen des Falles ein rechtsunwirksamer Verzicht des Arbeitnehmers auf arbeitsrechtliche Ansprüche vorliegen könnte, kann im Beschwerdefall unerörtert bleiben, weil die außergerichtliche vergleichsweise Regelung zwischen den Prozeßparteien unbestrittenermaßen zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, in welchem die Berufungsfrist gegen das erstinstanzliche arbeitsgerichtliche Urteil noch nicht abgelaufen war, und insoweit noch ein STRITTIGER arbeitsrechtlicher Anspruch vorlag; im Falle der Einigung über tatsächlich strittige Ansprüche unterliegt aber ein (teilweises) Nachgeben des Dienstnehmers nach herrschender Auffassung keiner unter dem Aspekt des Verzichtes anzustellenden Wirksamkeitskontrolle (vgl. dazu Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I2, 84 f, und die dort angegebene weiterführende Literatur, sowie die Darstellung bei Migsch, Der sogenannte Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, in: FS Strasser 256 ff, insbesondere 262 f, mwN zur Verfügung über zweifelhafte Rechte, ebenso Köck, ZAS 1986, 75; aA offenbar Eypeltauer, Verzicht und Unabdingbarkeit im Arbeitsrecht, Wien 1984, 58 ff).

5.3. Die Streitteile des arbeitsgerichtlichen Verfahrens konnten daher rechtswirksam eine vom Tenor des Ersturteiles abweichende vergleichsweise Regelung treffen, die mit der Abrede verbunden war, das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht weiter fortzusetzen (freilich mit der Wirkung, daß dadurch das arbeitsgerichtliche Urteil rechtskräftig wurde).

Damit ist aber das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz (ungeachtet seiner Rechtskraft) zwischen den Parteien kraft zulässiger Vereinbarung nicht mehr verbindlich. Ein zwischen den Parteien nicht verbindliches Urteil kann aber nicht Gegenstand der Bindungswirkung des § 49 Abs. 6 ASVG sein, (dieser Rechtsgedanke kommt im übrigen bereits im Erkenntnis vom 25. April 1974, Slg. Nr. 8607/A - S. 187 der amtlichen Sammlung - zum Audsruck): Der aus den Materialen und der systematischen Stellung hervorgehende Zweck dieser Bestimmung zielt nicht auf eine zusätzliche, öffentlich-rechtliche Beschränkung der Privatautonomie ab, sondern will einer verschiedenen Beurteilung arbeitsrechtlicher Ansprüche zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde vorbeugen und - wohl auch - die Ermittlung des Anspruchslohnes durch den Versicherungsträger in solchen Fällen vereinfachen.

Durch die Annahme der Bindung an ein Urteil, welches der (zulässigerweise) durch Vergleich gestalteten, vom

Urteilsinhalt abweichenden materiellen Rechtslage nicht entspricht, würde diesem Zweck geradezu entgegenwirken.

6. Da der angefochtene Bescheid somit auf einer unrichtigen Rechtsauffassung der belangten Behörde beruht, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

7. Aus verfahrensökonomischen Gründen und zur Vermeidung von Mißverständnissen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof für das fortgesetzte Verfahren zu folgenden Hinweisen veranlaßt:

7.1. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren die sich aus der außergerichtlichen Vereinbarung ergebenden Ansprüche der Arbeitnehmerin festzustellen haben. Sie ist dabei an den Wortlaut dieser Vereinbarung insoweit nicht gebunden, als Entgeltansprüche im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG allenfalls FÄLSCHLICH (wie dies die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift andeutet) als beitragsfreie Lohnbestandteile im Sinne des § 49 Abs. 3 ASVG DEKLARIERT wurden. Derartige, der Beitragsvermeidung dienende Fehlbezeichnungen sind schon deshalb unwirksam, weil § 11 Abs. 2 ASVG nur die Nichtberücksichtigung von GEMÄSS § 49 nicht zum Entgelt gehörenden Bezügen erlaubt: Es kommt daher auch im Zusammenhang mit § 11 Abs. 2 ASVG nicht darauf an, welche Bezeichnung die Parteien in einem außergerichtlichen Vergleich wählen, sondern darauf, ob die Voraussetzungen für die Beitragsfreiheit tatsächlich vorliegen. Soweit die Feststellung der Beitragsfreiheit hinsichtlich eines bestimmten Betrages nicht möglich ist, liegt (im Zweifel) jedenfalls beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG vor (ebenso zum Umfang der Bindungswirkung eines Urteils im Sinne des § 49 Abs. 6 ASVG, vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1974, Slg. Nr. 8607/A).

7.2. Wenn und soweit aber die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses noch offenen (strittigen) Ansprüche eines Arbeitnehmers tatsächlich teils aus beitragspflichtigen, teils aus beitragsfreien Entgeltbestandteilen bestehen, sind die Parteien eines darüber abgeschlossenen Vergleiches durch keine Rechtsnorm dazu verpflichtet, etwa die Anerkennung der beitragspflichtigen vor den beitragsfreien Ansprüchen zu vereinbaren. Die Vertragsparteien sind vielmehr in der vergleichsweisen Disposition über diese Ansprüche insoweit frei, als durchaus die Leistung der beitragsfreien Ansprüche vereinbart und auf die beitragspflichtigen Gehaltsbestandteile verzichtet werden kann. Eine Grenze fände diese Dispositionsbefugnis, jedoch wenn etwa ein höherer Betrag an Tages- und Nächtigungsgeldern verglichen worden wäre, als gemessen an den Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 Z. 1 ASVG tatsächlich zustünde. In einem solchen Fall wäre der Differenzbetrag zwischen der (höheren) vereinbarten Summe und dem tatsächlichen Reisekostenanspruch als Entgelt gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 ASVG anzusehen und das sich daraus ergebende Ende der Pflichtversicherung nach § 11 Abs. 2 ASVG zu ermitteln. Ob ein solcher Fall vorliegt, muß der im fortgesetzten Verfahren vorzunehmenden weiteren Prüfung vorbehalten bleiben.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das auf den Ersatz von Stempelgebühren (Vollmacht) gerichtete Mehrbegehren mußte im Hinblick auf die gemäß § 110 ASVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Abgabenfreiheit abgewiesen werden, zumal die Vorlage einer auf dieses Verfahren beschränkten Vollmacht ausreichend gewesen wäre.

Schlagworte

Entgelt Begriff AnspruchslohnKollektivvertragStempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes Gebührenfreiheit der Beschwerde Ersatz bei GebührenfreiheitSondervereinbarung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990080058.X00

Im RIS seit

14.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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