TE Vwgh Erkenntnis 1994/7/12 93/04/0138

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Veröffentlicht am 12.07.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Paliege, über die Beschwerde des S in T, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 9. Juni 1993, Zl. 316.284/1-III/5a/93, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 12. März 1993 wurde das Ansuchen des Beschwerdeführers um Erteilung einer Nachsicht vom Ausschluß von der Gewerbeausübung zur Ausübung des Baumeistergewerbes, beschränkt auf Planung, Bauleitung und Baumanagement, sowie des Bauträgergewerbes gemäß § 26 Abs. 1 GewO 1973 abgelehnt.

Die Zustellung dieses Bescheides erfolgte am 18. März 1993 an einen "Mitbewohner" des Beschwerdeführers.

Mit Eingabe vom 8. April 1993, beim Amt der Vorarlberger Landesregierung am selben Tag eingelangt, erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Berufung mit folgendem Inhalt:

"Gemäß beiliegender Unterlage war ich vom 15. März bis 2. April 1993 im Krankenhaus, weshalb die Berufungsfrist nicht eingehalten werden konnte.

Hiemit ergreife ich nun das Rechtsmittel der Berufung.

Die entsprechende Begründung erhalten sie Ende nächster Woche."

Mit Eingabe vom 19. April 1993, beim Amt der Vorarlberger Landesregierung eingelangt am 22. April 1993, richtete Mag. Dr. R, beeideter Buchprüfer und Steuerberater in B folgendes Schreiben an die Gewerbebehörde erster Instanz:

"Betr: Baumeister S

VI b - 234/83 - 1992

Sehr geehrter Herr Dr. Schwärzler

Mit Schreiben vom 8.4.93 hat mein oa. Klient gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung Berufung eingebracht.

In diesem Bescheid wurde das Ansuchen des Herrn S um Nachsicht vom Ausschluß der Gewerbeausübung (Baumeistergewerbe beschränkt auf Planung, Bauleitung usw.) abgelehnt.

Hinsichtlich dieses Nachsichtsansuchens wurde bereits ein umfangreicher Schriftverkehr geführt, in welchem die Argumente des Amtssachverständigen gegen eine Nachsichtsgewährung und meine Argumente für eine Bewilligung der Nachsicht ausgeführt sind.

Es ist festzustellen, daß im angefochtenen Bescheid wiederum dieselben Argumente ins Treffen geführt werden.

Ich habe bereits meine Auffassung dargetan, daß es sich bei den Gründen, die von der Behörde für eine Ablehnung des Nachsichtsansuchens angeführt werden, um längst überholte bzw. unrichtige Auffassungen handelt.

Ich möchte nochmals festhalten, daß die von der Behörde geforderte Liquidität immer dann gegeben ist, wenn die laufenden Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden können. Bei dieser dynamischen Liquidität kann sehr wohl eine Überschuldung gegeben sein, wenn einerseits eine gute Ertragslage gegeben ist und andererseits die Verbindlichkeiten so strukturiert sind, daß die Bedienung aus laufenden guten Erträgen möglich ist.

Dies ist der Fall, da größere Darlehensbeträge langfristiger Natur sind bzw. mit Planungsarbeiten gegenverrechnet werden können.

Die notwendige gute Ertragslage und die langfristige Strukturierung der Verbindlichkeiten ist beim Nachsichtswerber gegeben, dies wurde bereits dargetan. Die Behörde selbst bestätigt, daß keine Liquiditätsprobleme gegeben sind, da keine Exekutionen anhängig sind.

Ich ersuche höflichst, die betriebswirtschaftliche Lehre und Praxis endlich zur Kenntnis zu nehmen und die erbetene Nachsicht zu gewähren.

Die Bilanz 1992 ist in Arbeit und wird ihnen zum weiteren Beweis für die konsolidierte Wirtschaftslage zugesandt.

Abgesehen von den rechtlichen und wirtschaftlichen Erwägungen darf ich darauf verweisen, daß es für den Nachsichtswerber nach dem Beitritt zum EWR ein leichtes wäre, in Lichtenstein (welches auch beitritt) eine Firma zu gründen und von dort aus in Vorarlberg zu arbeiten. Dem österreichischen Staat wäre dadurch allerdings kein guter Dienst getan.

Mit freundlichen Grüßen" (Firmenstampiglie und Unterschrift des Mag. Dr. R).

Die Vertretungsbefugnis des Mag. Dr. R für den Beschwerdeführer ist durch eine Vollmacht nicht ausgewiesen. Wann die Eingabe vom 19. April 1993 zur Post gegeben wurde, ist aus den vorgelegten Verwaltungsakten nicht erkennbar.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 63 Abs. 3 AVG als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung des angefochtenen Bescheides führt die belangte Behörde aus, der Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 12. März 1993 sei lt. Rückschein an der Abgabestelle T, einem "Mitbewohner der Abgabestelle" am 18. März 1993 zugestellt worden. Der Beschwerdeführer habe auf Grund des Umstandes, daß er in der Zeit vom 15. März 1993 bis einschließlich 2. April 1993 im Krankenhaus in stationärer Behandlung gewesen sei, den angefochtenen Bescheid erst am 2. April 1993 erhalten. Die Ersatzzustellung sei gemäß § 16 Abs. 1 Zustellgesetz daher nicht zulässig gewesen, da sich der Beschwerdeführer im Zustellungszeitpunkt nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufgehalten habe. Der angefochtene Bescheid sei dem Beschwerdeführer erst am 2. April 1993 zugekommen, sodaß in Anwendung des § 7 Zustellgesetz die Berufungsfrist erst an diesem Tage zu laufen begonnen habe. Die gegenständliche Berufung, die am 8. April 1993 zur Post gegeben worden sei, sei sohin rechtzeitig eingebracht worden. Eine Berufung habe jedoch gemäß § 63 Abs. 3 AVG u.a. einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Der Berufung des Beschwerdeführers fehle eine Begründung, die als wesentlicher Bestandteil jeder Berufung von Gesetzes wegen vorgeschrieben sei, und der zu entnehmen sein müsse, worin die Unrichtigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt werde. Die mit Schreiben vom 19. April 1993 nachträglich beigebrachte Begründung, die im übrigen nicht vom Nachsichtswerber selbst eingebracht worden sei, sei erst am 22. April 1993 beim Amt der Vorarlberger Landesregierung eingelangt. Die bloße Anmeldung einer Berufung innerhalb der Berufungsfrist unter Vorbehalt der Begründung genüge aber nicht zur Wahrung der Rechte eines Berufungswerbers. Aus dem Zusammenhang der Bestimmungen der Abs. 3 und 5 des § 63 AVG ergebe sich, daß als Berufung nur ein solches Anbringen angesehen werden könne, das allen vom Gesetz für eine Berufung vorgeschriebenen Erfordernissen entspreche, somit insbesonders auch einen begründeten Berufungsantrag enthalte. Eine unvollständige Berufung könne demnach rechtswirksam nur innerhalb der Berufungsfrist ergänzt werden. Da es dem gegenständlichen Antrag am Charakter einer Berufung im Sinne des AVG mangle, sei die während der Berufungsfrist

(2. April 1993 bis 16. April 1993) unvollständig gebliebene Berufung ohne weiteres Verfahren als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich offenkundig in dem Recht auf meritorische Entscheidung seiner Berufung verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, er sei am Freitag, den 2. April 1993, von seinem am 15. März 1993 beginnenden Krankenhausaufenthalt zurückgekehrt und habe - da von der Operation noch geschwächt und stark gehbehindert - einige Erholungstage in seinem Haus in X verbracht. Noch während des Krankenstandes habe er sich am 8. April 1993 in sein Büro in T begeben und es sei ihm an diesem Tage der Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 12. März 1993 zugekommen. Am selben Tag habe er dagegen die Berufung eingebracht. Der begründete Berufungsantrag sei schließlich mit Schreiben vom 19. April 1993, bei der Behörde eingelangt am 22. April 1993, - sohin noch innerhalb der Rechtsmittelfrist - nachgereicht worden. Dieses Schreiben beinhalte eindeutig den Antrag, den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 12. März 1993 abzuändern und dem Nachsichtsantrag Folge zu geben. Es genüge, daß aus einer Berufung bzw. aus einem rechtzeitig eingebrachten Nachtrag zur Berufung die wesentlichen Teile einer solchen hervorgehen. Eine unrichtige Bezeichnung schade nicht. Der fehlende Vollmachtsnachweis des Mag. Dr. R stelle einen verbesserungsfähigen Mangel dar.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat eine Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Gemäß § 63 Abs. 5 leg. cit. ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Falle bloß mündlicher Verkündigung mit dieser.

Gemäß § 1 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustG) regelt dieses Bundesgesetz die Zustellung der von Gerichten und Verwaltungsbehörden in Vollziehung der Gesetze zu übermittelnden Schriftstücke sowie die durch sie vorzunehmende Zustellung von Schriftstücken ausländischer Behörden. Gemäß § 16 Abs. 1 ZustG darf, wenn die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden kann und an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend ist, an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Gemäß § 16 Abs. 5 leg. cit. gilt eine Ersatzzustellung als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. Gemäß § 7 ZustG gilt, sofern bei der Zustellung Mängel unterlaufen, sie als in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.

Der - unstrittig - rechtzeitigen "Berufung" des Beschwerdeführers vom 8. April 1993 fehlt es - da ihr nicht einmal eine Andeutung darüber zu entnehmen ist, worin die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides gelegen sein soll - an dem unabdingbaren Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages. Eine solche an sich unzulässige Berufung kann jedoch durch einen innerhalb der Berufungsfrist nachgeholten begründeten Antrag zulässig werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Juni 1986, Zl. 85/18/0138 und vom 19. November 1985, Slg. N.F. Nr. 11943/A).

Aus der von Mag. Dr. R für den Beschwerdeführer verfaßten Eingabe vom 19. April 1993 (arg. "... mein oa. Klient ..."), beim Amt der Vorarlberger Landesregierung eingelangt am 22. April 1993, kommt deutlich zu Tage, daß sie eine Ergänzung zur Berufung des Beschwerdeführers vom 8. April 1993 sein soll und daß eine Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides dahingehend beantragt wird, die beantragte Nachsicht vom Ausschluß der Ausübung des Gewerbes zu gewähren. Weiters enthält diese Eingabe Gründe, die den Berufungsantrag rechtfertigen sollen, sodaß - Rechtzeitigkeit auch der Berufungsergänzung und Bevollmächtigung des Mag. Dr. R durch den Beschwerdeführer vorausgesetzt - eine den Voraussetzungen des § 63 Abs. 3 AVG entsprechende Berufung vorliegt.

Die belangte Behörde ging im Sinne der vordargestellten Bescheidbegründung von einer Unzulässigkeit der Ersatzzustellung aus. Sie vertrat weiters die Auffassung, der erstinstanzliche Bescheid sei dem Beschwerdeführer am 2. April 1993 tatsächlich zugekommen.

Wann dem Beschwerdeführer der Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 12. März 1993 tatsächlich zugekommen ist, kann jedoch den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden. Die hiefür erforderlichen Ermittlungen wurden von der belangten Behörde - wozu sie von Amts wegen verpflichtet gewesen wäre - nicht durchgeführt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 14. März 1980, Slg. N.F. Nr. 10070/A).

In der am 8. April 1993 vom Beschwerdeführer zur Post gegebenen Berufung verweist der Beschwerdeführer nur darauf, daß er vom 15. März bis 2. April 1993 im Krankenhaus gewesen ist und deshalb die Berufungsfrist von ihm nicht eingehalten werden konnte. Aus diesem Vorbringen allein kann jedoch der Tag der rechtswirksamen Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 12. März 1993 an den Beschwerdeführer noch nicht abschließend festgestellt werden, worauf in der Beschwerde auch hingewiesen wird.

Da somit von der belangten Behörde der Sachverhalt - wozu auch der Zeitpunkt der Einbringung der Berufungsergänzung zwecks Feststellung der Rechtzeitigkeit der Berufung gehört - nicht genügend erhoben wurde bzw. die von der Behörde angenommenen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens im Rahmen ihrer Beweiswürdigung nicht klar und übersichtlich zusammengefaßt wurden, bedarf es hinsichtlich des Sachverhaltes einer Ergänzung und es ist daher der angefochtene Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG behaftet.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesonders deren Art. III Abs. 2. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, da der obsiegenden Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein Ersatz der Umsatzsteuer nicht zuerkannt werden kann. Außerdem gebührt weder für eine Äußerung zu einer Gegenschrift noch für einen Kostenbestimmungsantrag ein zusätzlicher Ersatz des Schriftsatzaufwandes. Im übrigen betrifft die Abweisung des Kostenmehrbegehrens den nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993040138.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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