TE Vwgh Erkenntnis 1994/9/21 93/01/0823

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Veröffentlicht am 21.09.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §19 Abs1 Z1;
AsylG 1991 §19 Abs1 Z2;
AsylG 1991 §19 Abs1 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1;
ZustG §8 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 93/01/0824 93/01/0825

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden 1. des J V, 2. der S V, und 3. M V, diese vertreten durch die gesetzlichen Vertreter J und S V, alle in K, alle vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in K, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 21. Jänner 1993, Zl. 4.326.730/2-III/13/91 (betreffend den Erstbeschwerdeführer), Zl. 4.326.730/3-III/13/91 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin) und Zl. 4.326.730/4-III/13/92 (betreffend die Drittbeschwerdeführerin), alle wegen Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in Höhe von je S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres, jeweils vom 21. Jänner 1993, wurde in Erledigung der Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Oktober 1991 (betreffend den Erstbeschwerdeführer), vom 30. Oktober 1991 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin) sowie vom 23. Jänner 1992 (betreffend die Drittbeschwerdeführerin), mit denen festgestellt worden war, daß alle Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. I Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht erfüllten, ausgesprochen, daß Österreich den Beschwerdeführern - Staatsangehörigen der "ehemaligen SFRJ", die am 21. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist waren (Erst- und Zweitbeschwerdeführerin) bzw. am 12. Oktober 1991 bereits in Österreich geboren wurde (Drittbeschwerdeführerin) - gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 1991 kein Asyl gewähre.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung infolge ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges erwogen hat:

Die belangte Behörde hat - ohne sich mit der Frage der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführer auseinanderzusetzen - die Asylanträge der Beschwerdeführer unter Heranziehung des § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG 1991 deshalb abgewiesen, weil sie der Ansicht war, daß die Beschwerdeführer eine Änderung der Abgabestelle (§ 8 Abs. 1 ZustellG, BGBl. Nr. 200/1982) nicht rechtzeitig mitgeteilt hätten, da sie die bundesbetreute Unterkunft unbekannt wohin verlassen und keine Änderung der Abgabestelle mitgeteilt hätten.

Die Beschwerdeführer bestreiten dies in ihren - insoweit wortgleichen - Beschwerden. Wäre die Behörde der Verpflichtung, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen, nachgekommen, wäre sie auch in die Lage versetzt worden, nachzuweisen, daß der jeweilige Wohnsitzwechsel der Behörde "jeweils bekanntgegeben worden sei". Insbesondere der Erstbeschwerdeführer habe sich jeweils bei Umzug zu einer neuen Wohnanschrift ordnungsgemäß bei der "Behörde angemeldet, bei Änderung des Wohnsitzes abgemeldet". Er habe sämtliche neuen Beschäftigungen auf Grund ordnungsgemäßer Bescheide diverser Arbeitsämter ausgeübt und jeweils nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz entsprechende Bescheide erwirkt, u. a. beim Arbeitsamt HTVL (13. Mai 1992), Arbeitsamt Angestellte (31. März 1993), Arbeitsamt Bau-Holz (29. März 1993 und 17. August 1992), Arbeitsamt Angestellte

(22. Oktober 1992). Darüberhinaus sei bereits am 14. November 1991 der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich, Asylreferat, bekannt gewesen, daß die Familie des Erstbeschwerdeführers ihren Wohnsitz verändert habe, mit Juli 1992 sei die neuerliche Änderung des Wohnsitzes bekanntgegeben worden. Der Behörde sei deshalb immer bekannt gewesen, wo sich die Familie des Beschwerdeführers aufhalte, auch wenn eine persönliche Meldung durch ihn oder ein anderes Familienmitglied unterblieben sei. Die Feststellung, wonach der Behörde der Aufenthaltsort nicht bekannt gewesen sei, sei somit aktenwidrig.

In § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG 1991, welches Gesetz gemäß seines § 25 Abs. 2 von der belangten Behörde anzuwenden war, weil die Berufungsverfahren dort am 1. Juni 1992 bereits anhängig waren, wird normiert, daß Asylanträge in jedem Stand des Verfahrens abzuweisen sind, wenn der Asylwerber eine Änderung der Abgabestelle (§ 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982) nicht rechtzeitig mitgeteilt hat. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 270

BlgNR. 18. GP S. 21 stand hinter der Einführung dieser Bestimmung die Auffassung, daß es "aus Gründen der Administration zwingend notwendig" sei, eine "gesetzliche Möglichkeit vorzusehen, in bestimmten Situationen das Asylverfahren auch vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens zu beenden", dies unter dem Gesichtspunkt, daß "bisher die Behörde mangels einer diesbezüglichen Norm ein Verfahren nicht abschließen konnte, wenn der Asylwerber den Ausgang dieses Verfahrens nicht abgewartet hat, weil er entweder während des Verfahrens in die Illegalität ging oder aber Österreich verlassen hat". Durch die Einführung der Bestimmung des § 19 Abs. 1 leg. cit. sollte nach den Intentionen des Gesetzgebers dieser Mißstand beseitigt werden. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ist dazu weiters ausgeführt, ein Abschluß eines Asylverfahrens mit negativem Bescheid, ohne in die Sache eingehen zu müssen, erscheine in den in Abs. 1 leg. cit. aufgezählten Gründen gerechtfertigt, "weil der Asylwerber in diesen Fällen zu erkennen gibt, daß er aus welchen Gründen immer an einer Asylgewährung offenbar nicht mehr interessiert ist". Der Gesetzgeber geht damit im Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 leg. cit. von der - widerlegbaren - Vermutung aus, dem Asylwerber fehle es in diesen Fällen am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Die Widerlegbarkeit dieser Vermutung wird insbesondere dadurch deutlich, daß in den Fällen der Abwesenheit oder Unauffindbarkeit des Asylwerbers (§ 19 Abs. 1 Z. 1 und 2 leg. cit.) ein Antrag auf Wiedereinsetzung möglich ist, während dies für den dritten Fall des § 19 Abs. 1 (Weigerung des Asylwerbers, an der erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken) nicht zutrifft. Die Bestimmungen des § 19 Abs. 1 Z. 1 und 2 AsylG 1991 haben daher keinen pönalen Charakter, sondern dienen ausschließlich der Verfahrensökonomie. Die Behörde darf sich aus diesem Grunde nicht unter Anwendung eines geradezu sinnentarteten Formalismus auf die Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle durch den Asylwerber berufen, wenn ihr diese auf anderem Wege bereits bekanntgeworden ist.

Ein weiteres Argument für diese Auslegung ist der im § 19 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. enthaltene Verweis auf § 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, in Verbindung mit der Wortfolge "nicht rechtzeitig mitgeteilt...." Nach § 8 Abs. 1 des ZustellG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde "unverzüglich" mitzuteilen, d.h. ohne unnötigen Aufschub. Im Gegensatz dazu verwendet der Gesetzgeber des Asylgesetzes 1991 im § 19 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. den Ausdruck "rechtzeitig". Beide Begriffe sind nicht kongruent. Während die Bestimmung des § 8 Abs. 1 ZustellG ("unverzüglich") einen unmittelbaren zeitlichen Bezug aufweist (ohne Verzug, ohne unnötigen Aufschub), setzt "Rechtzeitigkeit" im Sinne des § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG voraus, daß die Behörde durch die Unterlassung der Mitteilung an der Fortsetzung des Verfahrens insoweit gehindert wird, als sie ihre Verpflichtungen aus den von ihr einzuhaltenden Verfahrensbestimmungen des Asylgesetzes bzw. des AVG, soweit sie die Zuziehung des Asylwerbers erfordern und die für den Abschluß des Verfahrens unerläßlich sind, nicht erfüllen kann. Diese Voraussetzungen liegen aber im gegenständlichen Beschwerdefall nicht vor, da die Änderung des Wohnsitzes der Familie des Beschwerdeführers vom (bisher) Flüchtlingslager Traiskirchen (Angaben bei Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 26. September 1991) nach A, durch die diesbezügliche Angabe in seiner Berufung, die weitere Übersiedlung nach K, durch Mitteilung der BH Lilienfeld an die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich, Asylwerberreferat, am 20. Juli 1992 und die nächstfolgende Übersiedlung nach K, durch Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg an das Asylwerberreferat der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 16. Dezember 1992, aktenkundig dokumentiert sind. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (21. Jänner 1993) war daher der ordentliche Wohnsitz der Beschwerdeführer, damit aber auch die Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustellG, bekannt. Für eine Anwendung des § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG 1991 bestand aus diesem Grunde kein Anlaß mehr.

Aus den genannten Gründen erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig, weshalb sie wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994, wobei keine "Barauslagen" zuerkannt werden konnten, da solche durch den Schriftsatzaufwand erfaßt sind (vgl. Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1984, Slg. N.F. 11422/A u.a.).

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993010823.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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