TE Vwgh Beschluss 1994/10/19 94/01/0408

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Veröffentlicht am 19.10.1994
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §67c;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art133 Z1;
B-VG Art138 Abs1 litb;
MRK Art3;
MRK Art5;
VwGG §34 Abs1;

Beachte

Abweichende Rechtsprechung eines anderen Tribunal: VfGH E 28. Juni 1996, KI-3/95; Abgegangen hievon ohne verstärkten Senat (demonstrative Auflistung): 96/01/1159 B 3. September 1997 Bindung an die Rechtsansicht des gem Art138 Abs1 litb B-VG aufhebenden Erk des VfGH vom 28. Juni 1996, KI-3/95 betreffend den negativen Kompetenzkonflikt zwischen VwGH und VfGH (vgl B VS 29. April 1997, 96/01/0258, RSNr 2 ); (RIS: abwh)

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des J in Wien, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend Anwendung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in der Nacht vom 8. Juni auf den 9. Juni 1993 durch Organwalter der Bundespolizeidirektion Wien, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 20. Mai 1994 erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG, weil die belangte Behörde nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist über seinen Antrag entschieden habe. Bei der belangten Behörde habe er beantragt festzustellen, daß er von "Organen der Bundespolizeidirektion Wien" in der Nacht vom 8. Juni auf den 9. Juni 1993 festgenommen und angehalten worden sei, "in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art. 5 MRK und Art. 1 Pers.Fr.G.", sowie dadurch, daß der Beschwerdeführer während seiner Anhaltung durch "Organe der Bundespolizeidirektion Wien" durch Fußtritte, Rippenstöße, Beschimpfungen und ähnliches mißhandelt worden sei, "in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, gemäß Art. 3 MRK keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden", verletzt worden sei. Da der Unabhängige Verwaltungssenat Wien über seinen Antrag vom 28. Juni 1993 - zur Post gegeben am 29. Juni 1993 - nicht entschieden habe, liege eine Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 1 AVG vor. Der Beschwerdeführer beantragte daher eine Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 VwGG sowie den Zuspruch der Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Der Verwaltungsgerichtshof leitete daraufhin zunächst das Vorverfahren gemäß § 35 Abs. 3 VwGG ein.

Die belangte Behörde erstattete innerhalb der gesetzten dreimonatigen Frist eine Äußerung, worin sie unter anderem aufgrund der vom Beschwerdeführer ausschließlich geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Verwaltungsakten vor.

Die Beschwerde erweist sich als unzulässig.

Gemäß Art. 133 Abs. 1 Z. 1 B-VG sind die Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören, von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate, soweit der Beschwerdeführer durch den Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

In der Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die in einem unmittelbar gegen die Person gerichteten Zwang besteht (wie Verhaftung, Festnahme, Vorführung und Vollzug einer Areststrafe), zuständig ist, vertritt der Verwaltungsgerichtshof seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 7. Dezember 1988, Slg. Nr. 12.821/A, die Auffassung, er sei unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einfachgesetzlich eingeräumter Rechte zur Entscheidung über Beschwerden zuständig, in denen jemand behauptet, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein. Von diesem Grundsatz ausgehend erachtet sich der Verwaltungsgerichtshof auch für Säumnisbeschwerden gegen unabhängige Verwaltungssenate, in denen gemäß § 67c AVG über die Rechtmäßigkeit der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt abgesprochen werden soll, für zuständig, sofern bereits in der Beschwerde an die belangte Behörde die Verletzung einer einfachgesetzlichen Norm behauptet wird.

Im Beschwerdefall käme somit die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zum Tragen, wenn der Beschwerdeführer im Rahmen seines Feststellungsbegehrens vom unabhängigen Verwaltungssenat nicht nur verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, deren Wahrung dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten bleibt, sondern auch die Verletzung einfachgesetzlich eingeräumter subjektiver Rechte behaupten würde. Dies ist jedoch im Hinblick auf den durch den Antrag des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde bestimmten Rahmen für den zu erlassenden Bescheid nicht der Fall. Der Beschwerdeführer begehrt - wie auch aus den vorgelegten Verwaltungsakten hervorgeht - ausschließlich den Abspruch über die Frage, ob er durch Ausübung von Zwangsgewalt in seinem Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art. 5 MRK und Art. 1 (ff) des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, sowie in seinem Recht, gemäß Art. 3 MRK keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt wurde.

Durch dieses ausschließlich auf die Feststellung der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte abzielende Begehren wird der Prozeßgegenstand des Beschwerdeführers bereits dahingehend eingeengt, daß er ausschließlich Rechte, deren Verletzung - unter Ausschluß der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes - der Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen hat, umfaßt. Bei der vorliegenden Verfahrenskonstellation hatte der Verwaltungsgerichtshof seine Unzuständigkeit zur Behandlung der Säumnisbeschwerde wahrzunehmen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG - insbesondere auf dessen § 51 - in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Faktische Amtshandlungen siehe Art 129a Abs1 Z2 ( früher Art 131a B-VG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994010408.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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