TE Vfgh Erkenntnis 1992/9/28 B1380/91

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Veröffentlicht am 28.09.1992
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
RAO §9 Abs2
DSt 1990 §19

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung der einstweiligen Maßnahme der Überwachung der Kanzleiführung über einen Rechtsanwalt; kein subjektives Recht auf Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheit; Vorsehung strenger einstweiliger Maßnahmen bei Gerichtsanhängigkeit eines Strafverfahrens gegen einen Rechtsanwalt nicht unsachlich; hinreichende Determiniertheit der Bestimmungen des DSt 1990 über einstweilige Maßnahmen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Innsbruck. Gegen ihn ist zu Z D 45/90 ein Disziplinarverfahren beim Disziplinarrat der Tiroler Rechtsanwaltskammer (Tir. RAK) anhängig, in welchem ihm zur Last gelegt wird, für einen Mandanten übernommene Klientengelder nicht unverzüglich an diesen weitergeleitet zu haben, obwohl er dazu verpflichtet gewesen sei. Im Zusammenhang mit diesem Vorwurf ist gegen den Beschwerdeführer auch ein Strafverfahren zu Z34 Vr 3266/90 beim Landesgericht Innsbruck anhängig.

Im Rahmen des Disziplinarverfahrens verfügte der Disziplinarrat der Tir. RAK mit Beschluß vom 19. Dezember 1990 gemäß §17 Abs3 Z1 lita des zu diesem Zeitpunkt in Geltung gestandenen Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 1. April 1872, RGBl. Nr. 40/1872 (DSt 1872), gegen den Beschwerdeführer die einstweilige Maßnahme der Überwachung der Kanzleiführung durch den Ausschuß der Tir. RAK.

2. Mit Bundesgesetz vom 28. Juni 1990, BGBl. Nr. 474/1990, über das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut 1990 - DSt 1990) sowie über Änderungen der Rechtsanwaltsordnung, der Zivilprozeßordnung und der Strafprozeßordnung wurde das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter neu geregelt. Gemäß ArtV dieses Bundesgesetzes trat mit Inkrafttreten des DSt 1990 am 1. Jänner 1991 das DSt 1872 mit der Maßgabe außer Kraft, daß die in diesem Zeitpunkt anhängigen Disziplinarverfahren gemäß ArtV Z5 nach dem DSt 1990 fortzuführen sind.

3.1. In Vollziehung der mit Beschluß des Disziplinarrates der Tir. RAK vom 19. Dezember 1990 verfügten einstweiligen Maßnahme erteilte der Ausschuß der Tir. RAK dem Beschwerdeführer am 6. Februar 1991 die Weisung, binnen acht Tagen eine Aufstellung über alle Ein- und Ausgänge von Fremdgeldern seiner Kanzlei ab 1. Jänner 1990 anzufertigen, alle Konti, über welche Fremdgelder ein- und ausgingen, samt den Kontoauszügen und Belegen offenzulegen und alle diese Urkunden den vom Ausschuß mit der Durchführung der Überwachung der Kanzleiführung Beauftragten der RAK auf deren Verlangen vorzulegen. Außerdem wurde darauf verwiesen, daß durch die genannten Maßnahmen nicht gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht verstoßen werde, weil die Mitglieder des Ausschusses zur Verschwiegenheit verpflichtet seien.

3.2. Gegen den Beschluß des Disziplinarrates der Tir. RAK vom 19. Dezember 1990, Z D 45/90, erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK), in welcher er den Antrag stellte, den bekämpften Beschluß ersatzlos aufzuheben.

3.3. Mit Beschluß der OBDK vom 30. September 1991, Z14 Bkd 3/91-6, wurde der Beschwerde nicht Folge gegeben. In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Disziplinarrat gemäß §19 Abs1 Z1 DSt 1990 gegen einen Rechtsanwalt einstweilige Maßnahmen beschließen kann, wenn gegen den Rechtsanwalt ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist und die einstweilige Maßnahme mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Rechtsanwalt zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes, erforderlich ist. Zum Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen Beschlusses sei, wie sich die OBDK selbst habe überzeugen können, ein gerichtliches Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer anhängig gewesen. Mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegten Disziplinarvergehens sei wegen der deshalb zu besorgenden schweren Nachteile für die Interessen der rechtsschutzsuchenden Bevölkerung und das Ansehen des Standes zu Recht die einstweilige Maßnahme der Überwachung der Kanzleiführung beschlossen worden. Außerdem ergebe sich entgegen dem Beschwerdevorbringen der Inhalt und der Umfang der Überwachungsmaßnahmen durch den aus der Beschlußbegründung hervorgehenden Zweck, nämlich die Kontrolle der Fremdgeldgebarung, weshalb diese auch ausreichend determiniert seien.

4.1. Gegen diesen Bescheid der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der mit näherer Begründung die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsausübung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4.2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet, in der sie ausführt, daß die Regelung des §19 Abs1 DSt 1990 sachlich gerechtfertigt und durch das öffentliche Interesse geboten sei, weshalb sie weder dem Gleichheitssatz noch dem Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit widerspreche, und den Antrag gestellt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

5.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst Bedenken gegen §19 Abs1 DSt 1990 geltend. Diese Bestimmung sei verfassungswidrig, da sie nach der Anordnung der Überwachung seiner Kanzleiführung die Erteilung der an ihn ergangenen Weisung ermöglicht habe, seine Kanzleiunterlagen den vom Ausschuß der Tir. RAK mit der Durchführung der Überwachung Beauftragten offenzulegen, was zu einer Verletzung der in §9 Abs2 RAO normierten Verschwiegenheitspflicht führe.

Außerdem verstoße der §19 des DSt 1990 gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht aller Staatsbürger auf Gleichheit vor dem Gesetz. Er sehe nämlich die Möglichkeit der Setzung strenger einstweiliger Maßnahmen gegenüber Rechtsanwälten vor, wohingegen es den Handelskammern und den Kammern für Arbeiter und Angestellte mangels vergleichbarer Rechtsvorschriften nicht möglich sei, solche Maßnahmen gegen ihre Mitglieder zu setzen. Darüber hinaus sei der §19 DSt 1990 auch unsachlich, weil er keine genauen Bestimmungen hinsichtlich der Art und des Umfanges einer Kanzleiüberwachung enthalte.

5.2. Der Beschwerdeführer übersieht bei seiner Argumentation, daß es ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes subjektives Recht auf Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheit nicht gibt. Das bedeutet, daß auch dann, wenn der §19 Abs1 DSt 1990 tatsächlich, wie der Beschwerdeführer behauptet, in einem Widerspruch zu der Bestimmung des §9 Abs2 RAO stehen sollte, seine Verfassungswidrigkeit nicht deshalb, sondern nur im Falle des Verstoßes gegen eine bestimmte verfassungsrechtliche Vorschrift gegeben sein könnte. Ein solcher Verstoß liegt aber nicht vor (vgl. hiezu insbesondere VfSlg. 6694/1972 und 8322/1978, aber auch VfGH 16.10.1991 B663/90). Insbesondere die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes ist nicht gegeben. Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Erlassung des §19 DSt 1990 sehr wohl eine sachlich gerechtfertigte Regelung vorgenommen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers beweist der von ihm angestellte Vergleich zwischen Rechtsanwälten auf der einen und Mitgliedern von Handelskammern sowie der Kammern für Arbeiter und Angestellte auf der anderen Seite in bezug auf ihre disziplinarrechtliche Stellung für seinen Beschwerdestandpunkt nichts. Bei Rechtsanwälten handelt es sich um einen Berufsstand, an dessen Angehörige im Hinblick auf die Aufgaben, die von ihnen in Ausübung ihres Mandates wahrzunehmen sind, im öffentlichen Interesse besondere Anforderungen in bezug auf die korrekte Einhaltung von Rechtsvorschriften zu stellen sind. Schon in diesem Grund findet eine Bestimmung, die im Falle der Gerichtsanhängigkeit eines Strafverfahrens gegen einen Rechtsanwalt die standesbehördliche Verhängung strenger einstweiliger Maßnahmen, wie sie §19 DSt 1990 vorsieht, ermöglicht, ihre berufsspezifische Rechtfertigung. Ein Vergleich mit Rechtsvorschriften, die Angehörige der Handelskammern oder der Kammern für Arbeiter und Angestellte betreffen, wie er in der Beschwerde angestellt wird, ist offenkundig schon vom Ansatz her verfehlt. Vom Vorliegen einer unsachlichen Regelung in bezug auf den §19 Abs1 DSt 1990 kann daher nicht gesprochen werden.

Was den Vorwurf der mangelnden Determiniertheit des §19 DSt 1990 anbelangt, so ist darauf zu verweisen, daß der Verfassungsgerichtshof bereits dessen sehr viel weiter gefaßte Vorläuferbestimmung, nämlich den §17 DSt 1872 idF

BGBl. Nr. 346/1933, unter dem Gesichtspunkt ihrer Vereinbarkeit mit Art18 Abs1 B-VG als unbedenklich erachtet hat (VfSlg. 7440/1974).

§17 DSt 1872 gab dem Disziplinarrat beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Befugnis, gegenüber Rechtsanwälten und Rechtsanwaltsanwärtern nicht näher angeführte "Maßregeln der Vorsicht, die sich auf die Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft oder auf die Entziehung des Substitutionsrechtes erstrecken können, zu beschließen". Das der Behörde durch diese Bestimmung eingeräumte Ermessen wurde in dem zitierten Erkenntnis als durch das "Schutzbedürfnis der den Rat eines Anwaltes möglicherweise anrufenden Parteien einerseits und des Standesansehens der Rechtsanwälte andererseits" hinreichend bestimmt angesehen. Wenn nun der §19 DSt 1990 die Arten der einstweiligen Maßnahmen genau festlegt und das Verhalten der Behörde bei der Verfügung eben solcher Maßnahmen sehr viel näher bestimmt, als es der - unbedenkliche - §17 DSt 1872 idF BGBl. Nr. 346/1933 getan hat, geht der Vorwurf, §19 DSt 1990 determiniere das zu setzende Behördenverhalten nicht ausreichend, offenkundig ins Leere.

5.3. Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, daß die Weisung des Ausschusses der Tir. RAK vom 6. Februar 1991, mit der ihm die Offenlegung der Fremdgeldbewegungen in seiner Kanzlei aufgetragen worden war, verfassungswidrig sei. Sie verstoße gegen das Bankgeheimnis, verletze das Grundrecht auf Erwerbsausübung, sei unsachlich und damit Willkür.

5.4. Dieses Vorbringen übergeht den Umstand, daß Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens der Beschluß der OBDK vom 30. September 1991, Z14 Bkd 3/91-6, ist und nicht die Weisung des Ausschusses der Tir. RAK vom 6. Februar 1991, gegen welche er zudem bereits eine hg. zu B792/91 protokollierte Beschwerde eingebracht hatte, welche mit Erkenntnis vom 25. November 1991 als verspätet zurückgewiesen wurde. Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in bezug auf die genannte Weisung ist daher nicht weiter einzugehen.

5.5. Da auch die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte im Verfahren nicht hervorgekommen ist, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Verschwiegenheitspflicht, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B1380.1991

Dokumentnummer

JFT_10079072_91B01380_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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