TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/22 94/01/0111

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Veröffentlicht am 22.02.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §26;
FlKonv Art33;
FrG 1993 §37;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Dezember 1993, Zl. 4.293.299/4-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Dezember 1993 wurde in Erledigung der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 17. Dezember 1990 ausgesprochen, daß Österreich der Beschwerdeführerin - einer rumänischen Staatsangehörigen, die am 21. Juli 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 30. Juli 1990 den Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin, ohne sich mit ihrer Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihr der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben der Beschwerdeführerin anläßlich ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 4. August 1990, wonach sie sich vor ihrer Einreise nach Österreich kurzfristig in Ungarn aufgehalten habe, aus und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, und vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - die Rechtslage richtig erkannt hat.

Nach der genannten Rechtsprechung steht der Annahme, die Beschwerdeführerin sei bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen, der Umstand, daß ihr Aufenthalt in diesem Land "nur für die Dauer der notwendigen Durchreise währte", nicht entgegen. Die Beschwerdeführerin führt zwar ins Treffen, daß "der Grenzübertritt auf ungarischem Staatsgebiet" so vor sich gegangen sei, daß sie nicht die Gelegenheit gehabt habe, "mit ungarischen Behörden dermaßen Kontakt aufzunehmen", daß sie "auch tatsächlich einen Asylantrag hätte stellen können", zumal "der ungarische Zollbeamte den überfüllten Waggon aufgesucht hat und die Kontrolle derart kurzfristig war, daß für einen Asylantrag kein Raum gewesen wäre". Weder mit diesem Vorbringen noch damit, daß sie sich "bei der Flucht eines Fluchthelfers bediente" und daher "einen straffen Zeitplan einzuhalten hatte", hat aber die Beschwerdeführerin dargetan, daß es ihr unmöglich gewesen sei, den Zug in Ungarn zu verlassen, in diesem Land länger zu bleiben und bereits dort um Asyl anzusuchen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/1177).

Ungarn hat die Beitrittsurkunde zur Genfer Flüchtlingskonvention am 14. März 1989 hinterlegt (siehe BGBl. Nr. 260/1992), was unter Beachtung des Art. 43 der Konvention zur Folge hatte, daß sie am 90. Tage danach, also am 12. Juni 1989, in Kraft getreten ist. Das Beschwerdevorbringen, die Konvention sei von Ungarn "mit einem regionalen Vorbehalt unterzeichnet" worden, "daß die Konvention nicht auf Asylwerber, die aus europäischen Staaten kommen, angewendet wird", widerspricht der Rechtslage, weil im Hinblick darauf, daß der Beitritt Ungarns mit der Alternative a des Abschnittes B des Art. 1 der Konvention erfolgt ist, gerade das Gegenteil zutrifft. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist die belangte Behörde auch von der Verfolgungssicherheit - rechtsrichtig (vgl. auch dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357) - nicht für den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, sondern für die Zeit des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in Ungarn ausgegangen. Die Beschwerdeführerin unterliegt auch mit ihrer Auffassung, daß der von der belangten Behörde gebrauchte Ausschließungsgrund nicht zum Tragen käme, wenn ihr die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 zukomme, einem Rechtsirrtum (vgl. u.a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/1522 und Zl. 93/01/1524). Der Beschwerdeführerin ist zwar darin beizupflichten, "daß es nach dem Asylgesetz auch Flüchtlinge ohne Asyl geben kann". Sie übersieht aber, daß nunmehr - im Gegensatz zur früheren Rechtslage gemäß § 2 Abs. 1 Asylgesetz (1968), wonach bescheidmäßig eine Feststellung darüber zu treffen war, ob die nach § 1 (betreffend die Flüchtlingseigenschaft) maßgebenden Voraussetzungen gegeben sind - der Asylbehörde gemäß § 3 Asylgesetz 1991 eine Entscheidung darüber obliegt, ob einem Asylwerber Asyl zu gewähren ist, und einem solchen Antrag nur dann stattzugeben ist, wenn nach diesem Bundesgesetz glaubhaft ist, daß der Asylwerber Flüchtling UND die Gewährung von Asyl nicht gemäß § 2 Abs. 2 und 3 ausgeschlossen ist. Es müssen demnach im Falle der Asylgewährung kumulativ beide Voraussetzungen vorliegen, was bedeutet, daß es dann, wenn schon eine dieser Voraussetzungen (wie aufgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991) fehlt, rechtlich nicht mehr der Klärung bedarf, ob allenfalls die weitere dieser Voraussetzungen (nämlich die Flüchtlingseigenschaft) gegeben wäre. Liegt der genannte Ausschließungsgrund vor, so stellt die Frage, ob dem betreffenden Asylwerber die Flüchtlingseigenschaft zukäme, keine "Vorfrage im Sinne des § 38 AVG" dar. Dies kann auch nicht - wie die Beschwerdeführerin meint - aus der Diktion des § 2 Abs. 2 Asylgesetz 1991 ("Kein Asyl wird einem Flüchtling gewährt, wenn ...") abgeleitet werden, weil damit - abweichend von der grundsätzlichen Bestimmung des § 2 Abs. 1 leg. cit., wonach Österreich Flüchtlingen Asyl gewährt - lediglich zum Ausdruck gebracht wird, daß in näher bestimmten Fällen eine Asylgewährung trotz Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht kommt. Richtig ist, daß gemäß § 26 Asylgesetz 1991 die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention unberührt bleiben und in diesem Sinne "§ 2 Abs. 2 Asylgesetz 1991 keine Einschränkung der Flüchtlingsdefinition des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK bedeuten kann". Darauf beruht die Ansicht der Beschwerdeführerin, daß für Personen, die zwar Flüchtlinge seien, jedoch aufgrund des Zutreffens eines der Ausschließungsgründe kein Asyl in Österreich erhalten, "zumindest die unmittelbar anwendbare Bestimmung des Art. 33 in der GFK über das Verbot der Ausweisung oder der Zurückweisung gilt" und "diese Personen somit ein durchaus berechtigtes Interesse der Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft haben". Diesem Anliegen wird aber - ohne daß hiefür eigens die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 erforderlich wäre - aufgrund fremdenpolizeilicher Vorschriften (§ 13a Fremdenpolizeigesetz bzw. § 37 Fremdengesetz) hinreichend Rechnung getragen (vgl. u. a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. März 1994, Zlen. 94/01/0161, 0162).

Die Beschwerdeführerin bringt aber in tatsächlicher Hinsicht vor, daß "zumindest zum damaligen Zeitpunkt" (ihrer Flucht) "der möglicherweise vorhandene rechtliche Standard keinen effektiven und der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz bieten konnte". Sie rügt, daß es die belangte Behörde rechtswidrigerweise unterlassen habe, "den tatsächlich und effektiv vorhandenen Standard, der in Ungarn zum Zeitpunkt meiner Flucht vorhanden war, festzustellen". Es sei ihr im Verwaltungsverfahren nicht hinreichend Gelegenheit gegeben worden, eine Stellungnahme dahingehend abzugeben, daß Ungarn in ihrem Falle "seiner völkerrechtlichen Verpflichtung zuwidergehandelt hätte". Insbesondere sei "in diesem Zusammenhang auch auszuführen", daß sie "relativ kurze Zeit nach der Revolution" Rumänien verlassen habe, sich dort die politischen Verhältnisse nicht geändert hätten und sie daher, weil Ungarn "ein kommunistisches Bruderland von Rumänien war", davon hätte ausgehen müssen, "daß auch in Ungarn die nach wie vor vorhandenen Proponenten des ehemaligen autoritären Regimes nicht für einen effektiven Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sorgen würden".

Damit macht die Beschwerdeführerin zutreffend geltend, daß keine aureichenden Ermittlungen gepflogen wurden, die die Annahme der belangten Behörde rechtfertigen könnten, Ungarn habe von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz geboten. Die Beschwerdeführerin hat auf diese Weise nach Maßgabe der sie im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es demnach noch einer weiteren Konkretisierung ihres Vorbringens bedurft hätte, auch die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmängel aufgezeigt (vgl. dazu des näheren das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413). Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren kein Parteiengehör gewährt wurde, obwohl die belangte Behörde, anders als die Erstbehörde, nunmehr aufgrund des von ihr gemäß dessen § 25 Abs. 2 anzuwendenden Asylgesetzes 1991 von diesem Ausschließungsgrund Gebrauch gemacht hat, verstößt ihr (erstmals in der Beschwerde erstattetes) Vorbringen diesbezüglich auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem (nun mit S 12.500,--) pauschalierten Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994010111.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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