TE Vwgh Erkenntnis 1995/2/28 94/11/0331

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Veröffentlicht am 28.02.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §58 Abs2;
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in R, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 23. September 1994, Zl. VerkR-391.287/2-1994/Vie, betreffend Aufforderung nach § 75 Abs. 2 KFG 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 2 erster Satz KFG 1967 aufgefordert, innerhalb von vier Wochen ab Rechtskraft des Bescheides bei der Gesundheitsabteilung der Bezirkshauptmannschaft Braunau zwecks Überprüfung seiner geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu erscheinen.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 75 Abs. 1 ist unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind. Nach dem ersten Satz des § 75 Abs. 2 KFG 1967 ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten einzuholen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung einen rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, u.a. sich ärztlich untersuchen zu lassen, keine Folge, so ist ihm nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung die Lenkerberechtigung zu entziehen.

Voraussetzung für die Einleitung eines Entziehungsverfahrens im Sinne des § 75 KFG 1967 sind begründete Zweifel am aufrechten Vorliegen einer der Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkerberechtigung des Inhaltes, wie sie die betreffende Person innehat. Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 75 Abs. 2 KFG 1967 sind demnach u.a. begründete Bedenken in der Richtung, daß der Inhaber die geistige oder körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Gruppen, die von seiner Lenkerberechtigung erfaßt werden, nicht mehr besitzt. In diesem Stadium des Verfahrens zur Entziehung der Lenkerberechtigung geht es noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung erschlossen werden kann. Es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände unter der hiefür notwendigen Mitwirkung des Besitzers der Lenkerberechtigung geboten erscheinen lassen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Februar 1993, Zl. 92/11/0196).

Die belangte Behörde begründete diese ihre Zweifel damit, daß der Beschwerdeführer zahlreiche Eingaben an die Städtische Sicherheitswache der Stadt Schärding gerichtet habe, in denen er sich über störenden Lärm, der in unmittelbarer Nähe seines Wohnhauses vom Personal des naheliegenden Landeskrankenhauses verursacht werde, beschwert und sich dabei einer auffälligen Schreibweise (Beschimpfungen, Vulgärausdrücke) bedient habe. Er habe in einer dieser Eingaben auch behauptet, bereits selbst massive gesundheitliche Schäden erlitten zu haben; auch eine Mitbewohnerin sei bereits gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Die belangte Behörde verwies ferner auf ein psychiatrisches Gutachten vom 15. Juni 1994, in dem der Sachverständige beim Beschwerdeführer "eine paranoide Entwicklung (mit daraus resultierenden querulatorischen Tendenzen" festgestellt habe. Es handle sich um eine "psychogene, wahnhafte Entwicklung (wahnhafte Störung - die nicht unter einer anderen psychiatrischen Erkrankung, die mit wahnhaften Symptomen einhergeht, einzuordnen ist). Es finden sich also keine Zeichen einer endogen psychotischen Erkrankung (insbesondere Schizophrenie oder schizoaffektive Psychose), ebenso ... keine Hinweise für das Vorliegen einer dementiellen Entwicklung".

Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, daß das aus den von der belangten Behörde genannten Umständen hervorleuchtende - zweifellos nicht unproblematische - Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers Anlaß zu begründeten Zweifeln im Sinne des § 75 Abs. 1 KFG 1967 gibt. Das überschießende und von gewissen Obsessionen geprägte Vertreten eines Standpunktes, das von der Sorge um die eigene Gesundheit beherrscht wird und aggressive Elemente aufweist, entbehrt auf den ersten Blick des Zusammenhanges mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen; dieser Zusammenhang wäre von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides argumentativ herzustellen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht, daß psychische Krankheiten und geistige Störungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 nicht schlechthin die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließen, sondern nur dann, wenn sie auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr, somit auf das Fahrverhalten, von Einfluß sein können (vgl. die Erkenntnisse vom 12. Juni 1990, Zl. 89/11/0279, und vom 9. Oktober 1990, Zl. 89/11/0124, 0299).

Der Hinweis der belangten Behörde auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. April 1972, Zl. 1597/71, ist insofern nicht zielführend, als darin eine in Eingaben an Behörden gepflogene auffällige Schreibweise zwar zum Anlaß für Zweifel am Geisteszustand der betreffenden Person genommen werden kann, die begründeten Zweifel an der geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen wurden im damaligen Fall aber erst in einem auf die Schreibweise eingehenden amtsärztlichen Sachverständigengutachten geäußert.

Die belangte Behörde hätte darzutun gehabt, wieso sie die Auffälligkeiten im Verhalten des Beschwerdeführers mit seinem Fahrverhalten in Verbindung bringt; sie hätte dazu allenfalls noch weitere von ihr im angefochtenen Bescheid nicht verwertete, aber aktenkundige Umstände verwerten können. Auf Grund der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen vermag der Verwaltungsgerichtshof die inhaltliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht zu prüfen.

Was die körperliche Eignung des Beschwerdeführers betrifft, fehlt überhaupt jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß diese Erteilungsvoraussetzung beim Beschwerdeführer nicht mehr gegeben sein könnte.

Der angefochtene Bescheid war wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebührenersatz lediglich in der Höhe von S 480,-- (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen und S 120,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuzusprechen war.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994110331.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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