TE Vwgh Erkenntnis 1995/3/22 92/13/0052

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Veröffentlicht am 22.03.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;
32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

EStG 1972 §22;
UStG 1972 §10 Abs2 Z7 litb;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der Dr. S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom 18. Oktober 1991, Zl. 6/1-1148/88-13, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer 1984, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die ihren Beruf als Psychotechnikerin bezeichnet und "psychologische Marktforschung" betreibt, erklärte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 22 EStG 1972, weil sie die Auffassung vertrat, daß ihre Tätigkeit als wissenschaftlich zu qualifizieren sei. Dementsprechend machte sie auch in ihrer Umsatzsteuererklärung den begünstigten Steuersatz nach § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. b UStG 1972 geltend.

Streit besteht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausschließlich darüber, ob die rechtliche Beurteilung der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als wissenschaftlich zutrifft oder ob dies nicht der Fall ist, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid meint.

Die Beschwerdeführerin macht sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Tätigkeit als wissenschaftlich zu beurteilen ist, hat sich der Gerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen befaßt. Er hat dabei im wesentlichen folgende Grundsätze herausgearbeitet:

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Eine wissenschaftliche Tätigkeit setzt das Vorhandensein von wissenschaftlichen Kenntnissen voraus.

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Der wissenschaftlich Tätige muß eine schwierige Aufgabe nach streng sachlichen und objektiven Gesichtspunkten zu lösen versuchen, wobei er sich in qualifizierter Form wissenschaftlicher Methoden bedienen und das Ergebnis seiner Arbeit geeignet sein muß, der Erweiterung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu dienen.

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Die wissenschaftliche Tätigkeit beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Grundlagenforschung, sondern dient auch der Lösung von Fragen des praktischen Lebens. Eine an sich wissenschaftliche Tätigkeit verliert daher ihren Charakter als solchen nicht, wenn ihr Ergebnis zu wirtschaftlichen Zwecken ausgewertet wird.

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Um eine Vortragstätigkeit als wissenschaftlich zu beurteilen, muß der Vortrag seinem Inhalt, seiner Zielsetzung und Methodik nach der wissenschaftlichen Lehre entsprechen, wie sie in aller Regel an Universitäten bzw. wissenschaftlichen Hochschulen betrieben wird und

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es muß sich um einen Zuhörerkreis handeln, der wenn auch nicht notwendigerweise selbst wisssenschaftlich tätig, so doch an der wissenschaftlichen Behandlung von Problemen interessiert und auf Grund seiner Ausbildung zur wissenschaftlichen Diskussion geeignet ist (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 17. März 1986, 84/15/0002, vom 15. September 1986, 84/15/0164, vom 19. Dezember 1988, 86/15/0093 und vom 16. März 1989, 88/14/0067).

Nach Auffassung der belangten Behörde entspricht die Tätigkeit der Beschwerdeführerin insbesondere deswegen nicht diesen Kriterien, weil es ihren Auftraggebern nicht darauf ankomme, daß "neue Erkenntnisse bzw. Methoden erarbeitet werden". Vielmehr werde das Entgelt regelmäßig "für die bestellte Lösung ihrer betrieblichen Probleme" also "für das Ergebnis der geleisteten Arbeit" geleistet.

Damit verkennt die belangte Behörde, daß wissenschaftliche Tätigkeit sowohl in der Forschung als auch in der Lehre ausgeübt werden kann. Während die wissenschaftliche Lehre tatsächlich davon gekennzeichnet ist, daß einem an der Wissenschaft interessierten Zuhörerkreis neue wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden, verliert die wissenschaftliche Forschung ihre Eigenschaft als wissenschaftliche Tätigkeit nicht dadurch, daß sie für einen bestimmten Auftraggeber erfolgt, daß ihr Ergebnis (meist aus wirtschaftlichen Erwägungen) der Geheimhaltung unterliegt und daß der Auftraggeber nur an der wirtschaftlichen Verwertbarkeit dieser Ergebnisse, nicht aber an Art, Ausmaß und Qualität der erbrachten wissenschaftlichen Leistung an sich bzw. an der angewandten Methodik interessiert ist.

Diese Überlegungen liegen auch dem hg. Erkenntnis vom 19. September 1972, 1106/70, zugrunde, in dem der Gerichtshof die Tätigkeit eines Markt- und Meinungsforschers als wissenschaftlich anerkannt hat. Der Gerichtshof hat diese Rechtsansicht auch in seiner jüngeren Rechtsprechung aufrecht erhalten und im Erkenntnis vom 21. Juli 1993, 92/13/0001, (ebenfalls einen Marktforscher betreffend) ausdrücklich die Auffassung der dort belangten Behörde als unrichtig erkannt, daß einer Tätigkeit der wissenschaftliche Gehalt deswegen abgesprochen werden könne, weil "die Auftraggeber ... ihr Entgelt regelmäßig für die bestellte Lösung ihrer betrieblichen Probleme leisten".

Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht hat es die belangte Behörde unterlassen, das umfangreiche Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend den wissenschaftlichen Gehalt ihrer Tätigkeit sowie die von ihr vorgelegten Beweismittel, insbesondere das Gutachten eines Universitätsprofessors, einer ausreichenden und schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG auszuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebühren waren nur in dem Ausmaß zu ersetzen, indem sie durch Schriftsätze und Beilagen verursacht wurden, die der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienten.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992130052.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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