TE Vwgh Erkenntnis 1995/6/7 94/18/0905

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Veröffentlicht am 07.06.1995
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art132;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/18/0906 94/18/0907 94/18/0908

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden 1. des AL,

2. der BL, 3. der CL, und 4. der SL in W, sämtliche vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen 1. den Bescheid des BM für Inneres vom 27. Oktober 1994, Zl. 102.182/4-III/11/94,

2. den Bescheid derselben Behörde vom 27. Oktober 1994, Zl. 102.182/5-III/11/94, 3. den Bescheid derselben Behörde vom 27. 10. 1994, Zl. 102.182/3-III/11/94, und 4. den Bescheid derselben Behörde vom 27. Oktober 1994, Zl. 102.182/2-III/11/94 (hg. Zl. 94/18/0908), jeweils betreffend Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat jeder beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von jeweils 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit den vier obgenannten angefochtenen Bescheiden wurden die von den beschwerdeführenden Parteien am 3. November 1994 beim Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 62) gestellten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß den §§ 4 und 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. Nr. 466/1992, im Instanzenzug abgewiesn.

Begründet wurden diese Bescheide jeweils damit, daß die betreffende beschwerdeführende Partei in der "antragsgegenständlichen" Wohnung mit einer Nutzfläche von 30 m2 gemeinsam mit vier anderen Personen leben wolle. Ausgehend von einem grundsätzlichen Mindestbedarf von 10 m2 Nutzfläche pro Person könne im Hinblick auf eine derartige Beengtheit eine für Inländer ortsübliche Unterkunft jedenfalls nicht vorliegen. In den zu 1. bis 3. angefochtenen Bescheiden wurde jeweils zusätzlich darauf hingewiesen, daß auch eine beabsichtigte Unterkunftnahme der viertbeschwerdeführenden Partei (der Mutter der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien) bei einem Bekannten daran nichts zu ändern vermöge. In dem zu 4. angefochtenen Bescheid vertrat die belangte Behörde zusätzlich die Auffassung, es erscheine nicht glaubwürdig, daß die viertbeschwerdeführende Partei im Fall der Bewilligung ihres Antrages getrennt von ihrer Familie wohnen werde; abgesehen davon sei festzuhalten, daß in der Wohnung des (namentlich genannten) Bekannten, die über eine Nutzfläche von 55 m2 verfüge, bereits fünf andere Personen polizeilich gemeldet seien.

2. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, jeweils Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden mit dem Begehren, die angefochtenen Bescheide aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte zu jeder Beschwerde die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden wie folgt erwogen:

1.1. Zunächst behaupten die beschwerdeführenden Parteien, daß der belangten Behörde in den Beschwerdefällen die Zuständigkeit zur Entscheidung gefehlt habe. Sie begründen dies damit, daß sie am 3. November 1994 beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerde erhoben hätten, weil es die belangte Behörde verabsäumt habe, innerhalb von sechs Monaten ab Einlangen der Berufung bei der Erstbehörde gegen deren abweisliche Entscheidungen über die Rechtsmittel abzusprechen. Mit Einlangen der Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof sei die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Sachantrag auf diesen Gerichtshof übergegangen; die nach diesem Zeitpunkt (am 11. November 1994) erlassenen, nunmehr bekämpften Berufungsbescheide seien somit von einer nicht mehr zuständigen Behörde erlassen worden.

1.2.1. Diese Ansicht ist verfehlt. Daß die belangte Behörde ihre Entscheidungszuständigkeit mit Einlangen der Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof verloren hätte, läßt sich aus keiner Bestimmung des VwGG ableiten. Vielmehr geht die hier maßgebliche Norm des § 36 Abs. 2 VwGG davon aus, daß sich an der Zuständigkeit der mit der Säumnisbeschwerde belangten Behörde zur Erlassung des versäumten Bescheides durch die Erhebung der Beschwerde nichts geändert hat. Die in der genannten Vorschrift zwingend vorgesehene Erteilung eines (Alternativ-)Auftrages durch den Verwaltungsgerichtshof an die belangte Behörde, innerhalb einer Frist von höchstens drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Gerichtshof vorzulegen, knüpft lediglich an die nach wie vor bestehende Entscheidungszuständigkeit der belangten Behörde an und begrenzt diese durch die Fristsetzung mit einem bestimmten, äußersten Zeitpunkt. Erst mit dem fruchtlosen Ablauf dieser Frist geht die Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache an den VwGH über (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Wien 1987, auf S. 534 zitierten hg. Entscheidungen; ferner Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, Linz 1983, S. 151).

Würde man - wie die Beschwerde - den Untergang der Zuständigkeit der belangten Behörde zur Sachentscheidung ab Einlangen der Säumnisbeschwerde beim VwGH annehmen, so wäre ab diesem Zeitpunkt bis zur Erteilung des besagten (Alternativ-)Auftrages (Einleitung des Vorverfahrens) durch den VwGH gemäß § 36 Abs. 2 VwGG überhaupt keine Zuständigkeit zur Erlassung des versäumten Bescheides gegeben, da dem VwGH - wie sich aus der ihm in der vorzitierten Bestimmung auferlegten Verpflichtung zur Erteilung des mehrfach angesprochenen (Alternativ-)Auftrages an die belangte Behörde ergibt - jedenfalls vor Erteilung dieses Auftrages eine Befugnis zur Sachentscheidung nicht zukommt. Daß sich eine solche, zu einem sinnwidrigen Ergebnis führende Auslegung des Gesetzes verbietet, bedarf keiner weiteren Darlegungen.

1.2.2. Da in den hier in Rede stehenden Säumnisbeschwerdefällen die versäumten Bescheide (jeweils vom 27. Oktober 1994) von der belangten Behörde vor Ablauf der vom Verwaltungsgerichtshof jeweils mit Verfügung vom 16. November 1994 gemäß § 36 Abs. 2 VwGG bestimmten Frist von drei Monaten erlassen worden waren, trifft der Vorwurf, die belangte Behörde sei hiefür unzuständig gewesen, nicht zu.

2.1. Hinsichtlich der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, daß eine für Inländer ortsübliche Unterkunft i.S. des § 5 Abs. 1 AufG nur dann vorliege, wenn auf jede der dort gemeinsam wohnenden Personen eine Nutzfläche von mindestens 10 m2 entfalle, machen die beschwerdeführenden Parteien insofern einen Verstoß gegen § 60 AVG geltend, als sie die Behörde für verpflichtet halten, in einer für den Gerichtshof nachprüfbaren Weise aufzuzeigen, warum sie von einem erforderlichen Mindestbedarf von 10 m2 Nutzfläche pro Person (und nicht von einem, wie in den Verwaltungsverfahren geltend gemacht, geringeren Ausmaß) ausgegangen ist.

2.2. Damit sind die beschwerdeführenden Parteien im Recht. Tatsächlich kann den Begründungen der bekämpften Bescheide nicht entnommen werden, welche Erwägungen der Annahme eines Mindestbedarfes von 10 m2 Nutzfläche pro Person zugrunde liegen. Das Unterbleiben einer insoweit nachvollziehbaren Begründung - es handelt sich hiebei keineswegs um eine offenkundige Tatsache - aber ist wesentlich, da solcherart der Gerichtshof an der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide gehindert ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 29. September 1994, Zl. 94/18/0362).

3. Da somit die belangte Behörde Verfahrensvoschriften, nämlich jene über die Begründungspflicht (§§ 58 Abs. 2, 60 und 67 AVG), außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anspruch auf Sachentscheidung Allgemein Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994180905.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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