Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Oktober 1994, Zl. 4.342.684/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 7. März 1993 in das Bundesgebiet ein und stellte am 11. März 1993 den Asylantrag. Bei seiner noch am selben Tag erfolgten niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt, im wesentlichen an, er sei zwar nicht Mitglied, jedoch Sympathisant der Kurdischen Demokratischen Partei - KDP und für diese aktiv tätig gewesen. Aus diesem Grunde werde er vom irakischen Geheimdienst verfolgt. Sein Vater sei Mitglied der KDP gewesen und habe diese finanziell unterstützt; sein Vater sei im Jahre 1975 verstorben. Im März 1990 sei er von drei Mitarbeitern des irakischen Geheimdienstes aus seinem Haus in Shichan zum Hauptquartier des Geheimdienstes abgeholt und dort über seinen Kontakt zu Kunden und anderen Personen verhört worden. Obwohl der ihn Verhörende freundlich gewesen sei, habe er ihm Folterinstrumente gezeigt und ihn damit unter psychischen Druck gesetzt. Bei dieser Befragung habe der Beschwerdeführer - unrichtig - deponiert, die Partei nicht mit Geldmitteln zu unterstützen. Etwa eine Woche später habe er kurdischen Kunden über sein Verhör Mitteilung gemacht und betont, keine Informationen weitergegeben zu haben. Vier Tage danach sei der irakische Geheimdienst erschienen und habe ihn wiederum zum Verhör ins Hauptquartier gebracht. Man habe nur allgemeine Informationen über seine Kunden haben wollen und ihm geraten, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Nach etwa einer Stunde der Befragung habe ihn der vernehmende Offizier als nicht kooperativ bezeichnet, daraufhin sei er in einen anderen Raum gebracht worden, der bis auf einen Sessel, der in der Mitte gestanden sei und einen Autoreifen leer gewesen sei. In einer Ecke habe sich noch eine elektrische Anlage mit vielen Knöpfen befunden. Seine Füße seien mit einem Gewehrriemen festgebunden und der Riemen am Gewehr strammgezogen worden. Zwei der Männer hätten das Gewehr genommen und seine Beine angehoben, der dritte Mann habe ihn mit einer Kunststoffpeitsche auf die Fußsohlen geschlagen. Er sei etwas 10 Tage lang festgehalten worden, wobei er täglich mehrmals etwa eine viertel Stunde in der angeführten Weise mißhandelt worden sei. Er sei auch mit Fäusten in den Magen und auf den Rücken geschlagen worden. Nach den Schlägen sei er immer wieder zu den Kurden befragt worden. Nach 10 Tagen sei er entlassen worden. Er habe sich - auch infolge der durch die Folterung verursachten Schmerzen - nicht mehr aus dem Haus begeben und sein Geschäft versperrt gehalten. Zwei Monate nach seiner Entlassung sei er abermals vom Geheimdienst für ein zehnstündiges Verhör abgeholt worden. Das Geschäft sei seither überhaupt nicht mehr aufgemacht worden. Etwa drei Monate nach seiner letzten Enthaftung, Anfang August (1990) sei er wiederum vom Geheimdienst abgeholt worden und in der bereits bekannten Art 5 Tage lang festgehalten und mißhandelt worden, obwohl er in den vergangenen drei Monaten keinen Kontakt zu Kurden gehabt habe. Er nehme an, daß er beschattet worden sei. Auf den Vorhalt, daß er annähernd keinen Kontakt mehr zu politisch aktiven Kurden gehabt habe und dies dem Geheimdienst hätte bekannt sein müssen, gab der Beschwerdeführer an, es sei möglich, daß einer seiner persönlichen Freunde oder Verwandten bei der kurdischen Partei tätig gewesen sei und er dies im Gegensatz zum Geheimdienst nicht gewußt habe. Infolge des Zusperrens seines Geschäftes sei er auch nicht mehr in der Lage gewesen, die Partei mit Geldmitteln zu unterstützen. Bis Jänner 1991 sei er zu Hause geblieben und auch vom Geheimdienst in Ruhe gelassen worden. Im Jänner 1991 sei er jedoch wiederum abgeholt, festgehalten, verhört und geschlagen worden. Dabei seien ihm die gleichen Fragen gestellt worden wie bei den Verhören im Jahre 1990. Im März 1991 habe der Kurdenaufstand im Irak begonnen, an dem tausende junge kurdische Männer teilgenommen hätten. Er selbst sei am 15. März 1991 mit zwei kurdischen Freunden nach Saho gefahren, um sich ebenfalls an dem Aufstand zu beteiligen. In Saho seien sie auch mit Waffen versorgt worden. Im April 1991 sei es der irakischen Armee gelungen, den Aufstand niederzuschlagen. Er selbst habe etwa 7 Monate lang zwischen Shichan und Saho gependelt, je nachdem, welche Aufträge er durchzuführen gehabt habe. In Saho sei er für die kurdische Partei in Form von Lebensmitteltransporten tätig gewesen. Ab Oktober 1991 habe sich der Beschwerdeführer in Shichan aufgehalten. Im Februar 1992 habe der irakische Geheimdienst neuerlich versucht, ihn festzunehmen. Er habe damals bei einem Freund übernachtet und durch diesen rechtzeitig davon Kenntnis erhalten, daß der Geheimdienst bei ihm angeklopft habe. Er und sein Freund seien in der Dunkelheit entkommen. In der Folge sei er mit seinem Freund nach Mahat geradelt, wo er sich fünf Monate lang versteckt gehalten habe. Im Juni 1992 habe ihm sein Onkel, der in seiner Abwesenheit das Geschäft übernommen habe, 75.000 irakische Dinar über einen Mittelsmann geschickt, um damit seine Flucht außer Landes zu bezahlen. Im August (1992) sei ihm mitgeteilt worden, daß sein Onkel vom irakischen Geheimdienst abgeholt worden sei; er habe bis zu seiner Ausreise nichts mehr von seinem Onkel gehört. Auf die Frage, warum er 5 Monate bis zu seiner Flucht zugewartet habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe sich in dieser Zeit versteckt gehalten aus Angst, vom Geheimdienst erwischt zu werden. Er habe immer daran gedacht, wie er sein Heimatland verlassen könne. Er hätte sowohl das Geld als auch den Kontakt zum Schlepper dem Onkel zu verdanken gehabt; er hätte sonst nicht gewußt, wie eine Ausreise möglich hätte sein sollen. Er habe den Irak nur ungern verlassen, weil dies seine Heimat sei. Nachdem sein Onkel vermutlich getötet worden sei, habe er jedoch erkannt, daß die Lage "kritisch" geworden sei; tausende Kurden seien festgenommen worden. Auf die Frage, weshalb er sich nicht in das autonome Kurdengebiet des Irak begeben habe, gab er Beschwerdeführer an, er sei von der Sache der Rebellen nicht überzeugt gewesen, es habe mit ihnen mehrere Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen gegeben. Er sei zwar nicht "hinausgeworfen" worden, es habe jedoch häufig Streitigkeiten mit seinem "Chef" gegeben, der ihn auch zweimal habe inhaftieren lassen und ihn einen Verräter genannt habe. Nach diesen Inhaftierungen am Ende seiner siebenmonatigen Tätigkeit für die Partei sei er nach Shichan zurückgekehrt. Er sei regelrecht vor den Rebellen geflüchtet, habe jedoch größere Angst noch vor dem irakischen Geheimdienst gehabt.
Mit Bescheid vom 16. März 1993 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab. In seiner fristgerecht dagegen eingebrachten Berufung rügte der Beschwerdeführer im wesentlichen die Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde, die die Angaben des Beschwerdeführers als unglaubwürdig eingestuft hat, und ergänzte sein diesbezügliches Vorbringen dahingehend, die implizit ausgedrückte Meinung des Bundesasylamtes, er sei im Norden des Irak vor Verfolgung sicher gewesen, sei unrichtig, da in diesem Gebiet lediglich ein "größerer Einflußbereich der kurdischen Rebellen und damit verbunden geringere Möglichkeiten für den Geheimdienst zu agieren" bestanden habe. Ausschlaggebend für seine Flucht seien nicht die Probleme mit den kurdischen Rebellen gewesen, sondern die staatlichen Verfolgungshandlungen infolge seiner Sympathie für die kurdische Bewegung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. In der Begründung verweist sie zur Rüge der mangelhaften Übersetzung und Vernehmung des Beschwerdeführers in einer anderen als seiner Muttersprache zunächst darauf, daß "die Behörde die von Ihnen angegebenen Daten aufgenommen hat und Sie überdies am Ende der Niederschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der gesamten Niederschrift mit Ihrer Unterschrift bestätigt haben."
Zur Frage der Flüchtlingseigenschaft führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, den Festnahmen und angeblichen Folterungen in den Jahren 1990 und 1991 fehle der zeitliche Konnex zur Ausreise des Beschwerdeführers aus seinem Heimatland. Hinsichtlich seiner Flucht im Februar 1992 mangle es ihm an Glaubwürdigkeit. Die Verhaftung seines Onkels sei asylrechtlich nicht relevant, da Berücksichtigung nur Umstände finden könnten, die den Asylwerber selbst beträfen. Im übrigen nahm die belangte Behörde das Vorliegen einer "inländischen Fluchtalternative", bezogen nämlich auf jenes Gebiet nördlich des 36. Breitengrades, welches von den Alliierten des Golfkrieges als Sicherzeitszone eingerichtet worden ist, an. Auch die vom Beschwerdeführer dafür angegebene Begründung für die Dauer der bis zur Flucht verstrichenen Zeit, er habe nicht gewußt, wie man eine Flucht organisiere, wurde von der belangten Behörde als unglaubwürdig eingestuft. In der Zeit vom Februar 1992 bis zur Ausreise Februar 1993 sei er keiner wie immer gearteten Verfolgungshandlung ausgesetzt gewesen. Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 des AsylG 1991 liege daher nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zunächst wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Abweisung seiner Verfahrensrüge betreffend die Verletzung der Anleitungs- und Belehrungspflicht durch die Behörde erster Instanz, die ihn aufzuklären gehabt hätte, daß er "Anspruch darauf habe", in "seiner Muttersprache, das ist Kurdisch, angehört zu werden". Tatsächlich sei er ohne ausdrückliche Einwilligung in einer Fremdsprache, nämlich Arabisch, vernommen worden. Damit aber liege eine Verletzung der Vorschrift des § 18 AsylG 1991 vor, die die Berufungsbehörde zu beachten gehabt hätte.
Dem ist zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer die Bestimmung des § 18 AsylG 1991 unvollständig zitiert. Diese Bestimmung lautet nämlich nur dahingehend, daß, wenn ein Asylwerber der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist, von Amts wegen seiner Vernehmung sowie einer mündlichen Verhandlung ein geeigneter Dolmetscher beizuziehen ist, der den gesamten Verlauf der Vernehmung oder Verhandlung in die Muttersprache des Asylwerbers ODER EINE ANDERE IHM AUSREICHEND VERSTÄNDLICHE SPRACHE zu übersetzen hat. Daß ihm die arabische Sprache nicht "ausreichend verständlich" gewesen wäre, behauptet der Beschwerdeführer selbst in der Beschwerde nicht.
Des weiteren rügt der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der belangten Behörde, diese habe eine Reihe von Fragen offengelassen, um die Lücken und scheinbaren Widersprüche nachteilig für den Beschwerdeführer auszuwerten. Der angefochtene Bescheid ergehe sich auch in Scheinbegründungen, die die Begründungspflicht gravierend verletzten. Obwohl den einzelnen hiezu aufgelisteten Argumenten Berechtigung nicht gänzlich abgesprochen werden kann, muß die Beschwerde doch im Ergebnis erfolglos bleiben.
Der belangten Behörde ist zuzustimmen, daß die im Asylverfahren glaubhaft zu machende Gefahr einer Verfolgung aus einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründen bis zur Ausreise andauern muß und Vorgänge, die bereits längere Zeit zurückliegen, in der Regel keine ausreichende Asylrelevanz mehr aufweisen; solche Umstände können allerdings zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer nach wie vor gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung herangezogen werden. Dennoch ist zunächst zu prüfen, inwieweit diese begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auch im Zeitpunkt der Flucht (Ausreise im Februar 1993) vorlag. Geld und der notwendige Kontakt zu einem "Schlepper" wurden nach Aussagen des Beschwerdeführers durch seinen Onkel bereits im Juni 1992 bereitgestellt. Im August 1992 wurde die Durchführung seiner Flucht infolge des "Verschwindens" seines Onkels auch seinem eigenen Verständnis nach dringlich. Weder anläßlich seiner Vernehmung noch in seinen Berufungsausführungen noch auch in der Beschwerde gibt der Beschwerdeführer eine schlüssige Erklärung dafür, aus welchen Gründen ihm ein früheres Verlassen seines Heimatlandes unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Immerhin war er bereits ein Jahr vor seiner Flucht nicht nur in Besitz von Geld, sondern auch im Besitz der nötigen Kontakte zur Organisierung einer Flucht; sein Freund wurde - seinen diesbezüglichen Angaben zufolge - bereits im Oktober 1992 außer Landes gebracht. Im Ergebnis kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, daß unter Zugrundelegung der Darstellung des Beschwerdeführers anläßlich seiner Ersteinvernahme und den im speziellen davon nicht abweichenden Ausführungen in der Berufung dem Beschwerdeführer die Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor konkret ihn betreffender AKTUELLER Verfolgung nicht gelungen sei.
Aus diesem Grunde war auch auf das weitere von der belangten Behörde herangezogene und vom Beschwerdeführer bestrittene Argument des Vorliegens einer sogenannten "inländischen Fluchtalternative" nicht näher einzugehen.
Da sich aus den genannten Gründen die Beschwerde im Ergebnis als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200873.X00Im RIS seit
20.11.2000