TE Vfgh Erkenntnis 1993/3/23 B759/92

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Veröffentlicht am 23.03.1993
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ASVG §341
ABGB §1333
ABGB §1334

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Zinsenbegehrens bezüglich des Honoraranspruchs eines Arztes gegenüber der Gebietskrankenkasse aufgrund eines Einzelvertrages; Anwendbarkeit der Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Verzinsung

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit dieser das Zinsenbegehren abweist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Beschwerdeführer - er ist praktischer Arzt - hat mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse einen Einzelvertrag gemäß §343 ASVG abgeschlossen.

In den Abrechnungszeiträumen IV. Quartal 1987 bis I. Quartal 1990 hat die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Honorierung von näher bezeichneten Leistungen abgelehnt.

Mit Antrag vom 18. September 1990 an die Paritätische Schiedskommission begehrte der Beschwerdeführer die Zahlung von insgesamt S 85.082,40 (nach Einschränkung: von S 84.842,40) zuzüglich 4 % Zinsen ab dem der Antragzustellung an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse folgenden Tag.

Aufgrund eines Devolutionsantrages gemäß §344 Abs3 ASVG hat die Landesberufungskommission für Niederösterreich die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse mit Bescheid vom 10. März 1992 schuldig erkannt, dem Antragsteller den begehrten Betrag zu bezahlen. Das Zinsenbegehren wurde jedoch abgewiesen. Als Begründung für die Abweisung des Zinsenbegehrens wurde von der Landesberufungskommission für Niederösterreich ausgeführt, daß "eine Verzinsung der gegenseitigen Ansprüche von Partnern eines Einzelvertrages nicht vorgesehen und unüblich ist".

2. Gegen den abweisenden Teil des Bescheides der Landesberufungskommission für Niederösterreich richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

Der belangten Behörde - nach §345 ASVG eine Kommission nach Art133 Z4 B-VG und, wie unbestritten ist, ein Tribunal iS des Art6 EMRK - ist eine gehäufte Verkennung der Rechtslage vorzuwerfen: Gemäß §338 ASVG sind die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung zu den freiberuflich tätigen Ärzten durch privatrechtliche Verträge (Gesamtverträge gemäß §§341 f., Einzelverträge gemäß §343 ASVG) geregelt.

Gemäß §341 Abs3 ASVG ist Inhalt des Einzelvertrages der Inhalt des Gesamtvertrages, welcher durch den Hauptverband für die Träger der Krankenversicherung mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abgeschlossen wird. Gemäß §342 Abs1 Z3 leg.cit. ist notwendiger Inhalt eines Gesamtvertrages unter anderem auch die Regelung der Rechte und Pflichten der Vertragsärzte, insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistung.

Der einen integrierenden Bestandteil des Einzelvertrages des Beschwerdeführers mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse bildende Gesamtvertrag sieht eine Verzinsung der gegenseitigen Ansprüche der Partner eines Einzelvertrages nicht vor, die Verzinsung ist jedoch auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Auch im schriftlichen Einzelvertrag des Beschwerdeführers mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse ist ein Ausschluß der gesetzlichen Verzugszinsen nicht vereinbart.

Da es sich bei dem den Honoraranspruch des Beschwerdeführers begründenden Einzelvertrag mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse um einen privatrechtlichen Vertrag handelt, sind die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Verzinsung auch ohne darauf abzielende Vereinbarung anzuwenden. Gemäß §1333 ABGB gebühren dem Gläubiger die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von 4 %, wenn der Schuldner mit der Leistung einer Geldschuld in objektiven Verzug gerät, d.h., es bedarf weder eines Verschuldens des Zahlungspflichtigen noch eines Schadensnachweises (vgl. Reischauer in Rummel, RZ 1 und 4 zu §1333 ABGB). Ist keine gewisse Zeit für die Erfüllung eines Vertrages bestimmt worden, so kann gemäß §904 ABGB die Leistung sogleich vom Gläubiger durch Mahnung fällig gestellt werden, die Einmahnung kann auch gerichtlich erfolgen, insbesondere durch Klagserhebung. Gemäß §1334 ABGB ist der Schuldner mit dem auf die Einmahnung folgenden Tag in Verzug.

Die Abweisung des Begehrens auf Verzinsung mit der Begründung, Zinsen seien "nicht vorgesehen und unüblich", beruht auf einer so krassen Verkennung der Rechtslage, daß sie den angefochtenen Bescheid mit Willkür belastet.

Der Bescheid war daher insofern aufzuheben.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Sozialversicherung, Zinsen, Anwendbarkeit Gesetz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B759.1992

Dokumentnummer

JFT_10069677_92B00759_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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