TE Vwgh Erkenntnis 1995/8/3 92/10/0411

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Veröffentlicht am 03.08.1995
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Index

L55002 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Kärnten;
L55302 Geländefahrzeuge Motorschlitten Kärnten;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
80/02 Forstrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art131 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs2;
NatSchG Krnt 1986 §10 Abs1;
NatSchG Krnt 1986 §10 idF 1988/004;
NatSchG Krnt 1986 §54 Abs1 idF 1988/004;
NatSchG Krnt 1986 §61 Abs3 idF 1988/004;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des beim Amt der Kärntner Landesregierung eingerichteten Naturschutzbeirates, vertreten durch den Vorsitzenden Landesrat H in K, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 10. August 1992, Zl. 11-74/9/90, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei:

Bringungsgenossenschaft Almaufschließungsweg "S-R", vertreten durch den Obmann P in M), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als mit ihm die Bewilligung zur Errichtung des Almaufschließungsweges "S-R" in der Alpinregion erteilt wird, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Eingabe vom 2. Juli 1992 beantragte die mitbeteiligte Partei bei der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau (belangte Behörde) die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung zur Errichtung des Almaufschließungsweges "S-R" (in der Folge: Aufschließungsweg).

Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei unter Berufung auf die §§ 5 Abs. 1 lit. b, 6 Abs. 2 lit. a, 9 Abs. 1 und 10 des Kärntner Naturschutzgesetzes, LGBl. Nr. 54/1986 (Krnt NSchG), in Verbindung mit § 12 Abs. 1 lit. d der Verordnung der Landesregierung vom 4. November 1986 über den Nationalpark Hohe Tauern, LGBl. Nr. 74/1986, sowie § 8 Abs. 2 des Kärntner Nationalparkgesetzes, LGBl. Nr. 55/1983, die Bewilligung zur Vornahme von Abgrabungs- und Anschüttungsmaßnahmen zum Zwecke der Errichtung des Aufschließungsweges in der KG M nach Maßgabe der eingereichten Pläne und Beschreibungen unter Festsetzung verschiedener Auflagen.

Nach der Begründung - soweit für den Beschwerdefall von Bedeutung - komme ein Teil des Aufschließungsweges in der Alpinregion (allerdings AUßERHALB des aufgrund des Kärntner Nationalparkgesetzes mit Verordnung der Landesregierung zum "Nationalpark Hohe Tauern" erklärten Gebietes) zu liegen. Bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an der Errichtung des gegenständlichen Aufschließungsweges gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Bewahrung der Alpinregion vor störenden Eingriffen müsse in erster Linie auf das Gutachten des landwirtschaftlichen Amtssachverständigen hingewiesen werden.

Darin heiße es wörtlich:

"Die Nachbarschaft S und R besteht aus 25 Mitgliedern und insgesamt werden von den Interessenten 520 ha Almflächen bewirtschaftet. Es werden in der Zeit von Ende Mai bis Mitte September 70 - 90 Rinder aufgetrieben. Derzeit ist keine Erschließung der Almfläche gegeben und die Interessenten haben die Möglichkeit, mit der A-Bahn bis zur Mittelstation zu fahren.

Wegen der Privatisierung dieser Gondelbahn kann bei Unwirtschaftlichkeit der Sommerbetrieb eingestellt werden und dann sind die Weideflächen nur mehr über die Schipiste in einer Gehzeit von 2 1/2 Stunden erreichbar. Der Almweg ist daher für eine zeitgerechte Almbewirtschaftung, vor allem für notwendige Pflegemaßnahmen und für die Viehbeaufsichtigung, unbedingt erforderlich. Die Mitglieder sind Bergbauern in der Zone 2 - 4 und sind auf die Ausnutzung der Almbewirtschaftung wegen der geringen Flächenausstattung in Hofnähe unbedingt angewiesen.

Für die Almbewirtschaftung wird eine existentielle Sicherung dieser Betriebe erreicht und es wird somit ein Zeitraum zur Erhaltung der Siedlungsdichte im Entsiedelungsgebiet erreicht und das öffentliche Interesse ist somit gegeben.

Nachdem es zu keiner Ausweitung der agrarischen Produktion kommt, sind auch die derzeit geltenden agrarpolitischen Zielsetzungen gewahrt."

Aus diesem Gutachten sei eindeutig ersichtlich, daß der Aufschließungsweg im öffentlichen Interesse liege. Dieses öffentliche Interesse werde von der belangten Behörde höher gewertet als das öffentliche Interesse an der Bewahrung der Alpinregion vor störenden Eingriffen, da durch den Aufschließungsweg eine wesentliche Agrarstrukturverbesserung für das Gebiet M-A erreicht werde. In diesem Zusammenhang müsse auch noch darauf hingewiesen werden, daß das öffentliche Interesse an der Errichtung des gegenständlichen Weges auch im Rahmen des forstrechtlichen Rodungsverfahrens festgestellt worden sei.

Gegen diesen Bescheid - soweit er die naturschutzrechtliche Bewilligung des Aufschließungsweges in der Alpinregion betrifft - richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Die Kärntner Landesregierung hat sich in einer Stellungnahme dem Vorbringen des Naturschutzbeirates angeschlossen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. a Krnt NSchG ist in der Alpinregion (das ist nach Abs. 1 der genannten Gesetzesstelle in der Region oberhalb der tatsächlichen Grenze des geschlossenen Baumbewuchses im Sinne des § 2 Abs. 2 des Forstgestzes 1975, BGBl. Nr. 440) verboten:

"die Vornahme von geländeverändernden Maßnahmen (Grabungen und Anschüttungen), ausgenommen solche geringfügigen Ausmaßes, wie zur Sanierung bestehender Wege und solche, die im Zuge von Maßnahmen, die nach Abs. 1 bewilligt wurden, erforderlich sind."

Nach § 10 Abs. 1 Krnt NSchG dürfen Ausnahmen von den Verboten des § 6 Abs. 2 für wissenschaftliche Zwecke oder Erschließungsmaßnahmen bewilligt werden, wenn das öffentliche Interesse an der Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten ist, als das öffentliche Interesse an der Bewahrung der Alpinregion vor störenden Eingriffen.

Gemäß § 54 Abs. 1 leg. cit. (in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 104/1993) sind unter anderem Bescheide, mit denen Ausnahmebewilligungen nach § 10 erteilt werden, binnen zwei Wochen nach deren Rechtskraft den Mitgliedern des Naturschutzbeirates zur Prüfung vorzulegen.

Gemäß § 61 Abs. 3 Krnt NSchG (ebenfalls in der Fassung vor der genannten Novelle) kann der Naturschutzbeirat gegen Bescheide, die nach § 54 Abs. 1 den Mitgliedern des Naturschutzbeirates zur Prüfung vorzulegen sind, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof im Sinne des Art. 131 Abs. 2 B-VG erheben.

Das Beschwerderecht des Naturschutzbeirates erstreckt sich nur auf solche Bescheide, die nach § 54 Abs. 1 den Mitgliedern des Naturschutzbeirates zur Prüfung vorzulegen sind. Dazu zählen auch Ausnahmebewilligungen nach § 10 leg. cit. Im vorliegenden Fall wurde der mitbeteiligten Partei mit dem angefochtenen Bescheid unter anderem auch eine solche Ausnahmebewilligung für den Bereich der Alpinregion erteilt. Dem Naturschutzbeirat kommt daher diesbezüglich ein umfassendes Beschwerderecht wegen objektiver Rechtsverletzung zu (vgl. zur Rechtslage nach der Novelle LGBl. Nr. 104/1993 hingegen das Erkenntnis vom 21. November 1994, Zl. 94/10/0076).

Die Beschwerde bringt unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung, inwieweit die beantragte Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten sei als das öffentliche Interesse an der Bewahrung der Natur vor störenden Eingriffen, sei nicht nachvollziehbar. Es erfolge weder eine Bewertung des öffentlichen Interesses an der geplanten Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles noch des öffentlichen Interesses an der Bewahrung der Alpinregion vor störenden Eingriffen. Die Interessenabwägung der belangten Behörde basiere auf einer wörtlichen Wiedergabe des im Rahmen des Verfahrens abgegebenen Gutachtens des landwirtschaftlichen Amtssachverständigen und einem Hinweis auf die im Rahmen des forstrechtlichen Verfahrens durchgeführte Interessenabwägung. Letzterer komme jedoch nach dem Kärntner Naturschutzgesetz keinerlei Relevanz zu, da die Beurteilungskriterien völlig andere seien.

Dieses Vorbringen erweist sich als zutreffend.

§ 10 Abs. 1 Krnt NSchG sieht eine Interessenabwägung vor, bei der die Interessen an der Bewahrung der Alpinregion vor störenden Eingriffen auf der einen Seite dem öffentlichen Interesse an der jeweiligen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls gegenüber stehen. Die Entscheidung, welche Interessen überwiegen, muß in der Regel eine Wertentscheidung sein, da die konkurrierenden Interessen meist nicht monetär bewertbar und damit berechen- und vergleichbar sind. Gerade dieser Umstand erfordert es aber, die für und gegen ein Vorhaben sprechenden Argumente möglichst umfassend und präzise zu erfassen und einander gegenüberzustellen, um die Wertentscheidung transparent und nachvollziehbar zu machen (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 18. Juni 1993, Zl. 93/10/0019, und vom 31. Jänner 1994, Zl. 92/10/0041). Die belangte Behörde hätte daher das konkrete Ausmaß des öffentlichen Interesses an der Bewahrung der Alpinregion vor störenden Eingriffen auf der einen und den Ausprägungsgrad des konkurrierenden öffentlichen Interesses an der Errichtung des Aufschließungsweges unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles festzustellen gehabt. Daran mangelt es jedoch im Beschwerdefall. Die belangte Behörde hat sich zwar zur Begründung des öffentlichen Interesses an der Errichtung des Aufschließungsweges auf das von ihr eingeholte landwirtschaftliche Sachverständigengutachten berufen und dafür insbesondere die Verbesserung der Agrarstruktur ins Treffen geführt. Ob diese Voraussetzung gegeben ist (vgl. dazu etwa das bereits genannte Erkenntnis vom 31. Jänner 1994), kann dem von der belangten Behörde eingeholten landwirtschaftlichen Gutachten allerdings nicht entnommen werden, zumal die dabei erwähnte "zeitgerechte" (gemeint wohl: zeitgemäße) Almbewirtschaftung und die damit verbundenen "notwendigen Pflegemaßnahmen" völlig unbestimmt bleiben. Zur Frage, welches Gewicht dem öffentlichen Interesse an der Bewahrung der Alpinregion vor störenden Eingriffen zukommt, fehlen überhaupt jegliche Feststellungen.

Daß im Rahmen des forstrechtlichen Rodungsverfahrens ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Errichtung des gegenständlichen Aufschließungsweges vom zuständigen Sachverständigen bejaht worden ist, kann entsprechende Feststellungen im gegenständlichen naturschutzbehördlichen Verfahren nicht ersetzen.

Die belangte Behörde belastete daher ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wobei der Verwaltungsgerichtshof wesentliche Mängel des Verwaltungsverfahrens auch ohne Antrag in der Beschwerde wahrzunehmen hat (vgl. z.B. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf Seite 591 wiedergegebene Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Verfahrensmängel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992100411.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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