TE Vfgh Erkenntnis 1993/6/15 KI-4/92

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Veröffentlicht am 15.06.1993
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Index

20 Privatrecht allgemein
20/13 Sonstiges

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
NotwegeG §9, §15

Leitsatz

Verneinender Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde; Feststellung der Zuständigkeit des Gerichts zur Entscheidung über den Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts

Spruch

1. Zur Entscheidung über den von den Antragstellern erhobenen Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechtes zur Weißenbachhütte auf dem Weißenbachalpweg sind die ordentlichen Gerichte zuständig.

2. Die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Schwaz vom 2. Februar 1978, 1 Nc 87/76-11, und vom 24. Juli 1991, 1 Nc 123/91-15, sowie die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. Oktober 1991, 2 b R 149/91, und des Obersten Gerichtshofes vom 11. November 1992, 1 Ob 618/92, werden aufgehoben.

3. Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, den antragstellenden Parteien die Kosten dieses Rechtsstreites im Betrag von S 17.250,-- zu Handen ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Antragsteller sind Eigentümer der Liegenschaft EZ 256, KG Jenbach, auf der die Erstantragstellerin seit Jahren eine Jausenstation namens "Weißenbachhütte" betreibt. Die Zufahrt zu dieser Hütte ist nur über den sogenannten "Weißenbachalpweg" möglich. Bei diesem Weg handelt es sich um eine Bringungsanlage im Sinne des Güter- und Seilwege-Landesgesetzes, Tiroler Landesgesetzblatt 40/1970, die aufgrund eines von der Agrarbehörde am 21. September 1979 genehmigten Parteienübereinkommens unter anderem von der Agrargemeinschaft Weißenbachalpe errichtet wurde. Weder die nunmehrigen Antragsteller noch ihr Rechtsvorgänger waren Parteien dieses Übereinkommens.

2.a) Im Jahr 1976 begehrte die Erstantragstellerin als Kuratorin für die Verlassenschaft nach E K beim Bezirksgericht Schwaz die Einräumung eines Notwegerechtes auf dem bestehenden Weißenbachalpweg. Diesen Antrag wies das Bezirksgericht Schwaz mit Beschluß vom 2. Februar 1978, 1 Nc 87/76-11, mit der Begründung zurück, daß es sich bei dem maßgeblichen Weg um einen Güterweg im Sinne des Güter- und Seilwege-Landesgesetzes handle. Die Entscheidung über die Benützung dieses Weges komme nach §19 Abs1 lita dieses Gesetzes ausschließlich der Agrarbehörde zu. Der ordentliche Rechtsweg sei ausgeschlossen und die Antragstellerin könne lediglich gemäß §14 Abs2 leg.cit. bei der Agrarbehörde ihre Einbeziehung in den Kreis der Benützungsberechtigten begehren. Dieser Beschluß des Bezirksgerichtes Schwaz ist in Rechtskraft erwachsen.

b) Am 28. Mai 1991 begehrten die Antragsteller, die zwischenzeitlich als Eigentümer der Liegenschaft EZ 256 eingeantwortet worden waren, beim Bezirksgericht Schwaz neuerlich die Einräumung eines Notwegerechtes auf dem Weißenbachalpweg. Dieses Begehren wurde vom Bezirksgericht Schwaz mit Beschluß vom 24. Juli 1991, 1 Nc 123/91-15 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der gegen diesen Beschluß von den Antragstellern erhobene Rekurs an das Landesgericht Innsbruck blieb ebenso erfolglos wie der in weiterer Folge erhobene Revisionsrekurs an den OGH (Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. Oktober 1991, 2 b R 149/91 und Beschluß des OGH vom 11. November 1992, 1 Ob 618/92).

3. Am 12. August 1991 begehrten die Antragsteller auch beim Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde 1. Instanz die Einräumung eines Notwegerechtes in näher umschriebenem Ausmaß auf der Trasse des Weißenbachalpweges. Diesen Antrag wies die Agrarbehörde mit Bescheid vom 26. August 1991, III b 1-119 B/38 mit der Begründung zurück, daß gemäß §9 Abs2 Notwegegesetz für die Entscheidung über einen Antrag auf Einräumung eines Notweges das Bezirksgericht zuständig sei. Die Anwendung des Notwegegesetzes falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Agrarbehörde, sondern in jenen der ordentlichen Gerichte, weshalb die Antragsteller mit ihrem ausdrücklich auf Einräumung eines Notweges gerichteten Begehren den Rechtsweg zu beschreiten hätten.

Eine Entscheidung über die von den Antragstellern gegen diesen Bescheid erhobene Berufung ist bisher noch nicht gefallen.

4. Die Einschreiter haben nun gemäß Art138 Abs1 lita B-VG den Antrag gestellt, der Verfassungsgerichtshof möge den vorliegenden verneinenden Kompetenzkonflikt zwischen einer Verwaltungsbehörde und einem Gericht entscheiden, er möge weiters die dem Erkenntnis entgegenstehenden behördlichen Akte aufheben und den Antragstellern den Ersatz der Kosten zusprechen.

5. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren erstattete die Agrarbehörde 1. Instanz eine Äußerung, in der sie die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung verteidigte. Auch die Agrargemeinschaft Weißenbachalpe äußerte sich zum Gegenstand und beantragte, den Begehren der Antragsteller keine Folge zu geben bzw. ihren Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Sie brachte im wesentlichen vor, daß es sich hier nicht um einen negativen Kompetenzkonflikt handle, da die verschiedenen Behörden nicht dieselben generellen Rechtsvorschriften auf denselben Sachverhalt angewendet hätten.

Das Bezirksgericht Schwaz erstattete keine inhaltliche Äußerung zum Antrag, verwies allerdings ausdrücklich auf seinen Beschluß vom 24. Juli 1991, 1 Nc 123/91 (offenbar wegen des darin enthaltenen obiter dictums, siehe unten III.1.).

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Gemäß Art138 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Laut §46 VerfGG liegt ein derartiger negativer Kompetenzkonflikt dann vor, wenn in derselben Sache ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit abgelehnt haben.

Die Antragsteller haben sowohl beim Bezirksgericht als auch bei der Agrarbehörde die Einräumung eines Notwegerechtes auf der Trasse des Weißenbachalpweges begehrt. Unter Berufung auf das Tiroler Güter- und Seilwege-Landesgesetz verweigerte das Bezirksgericht den Antragstellern eine Sachentscheidung. Die Agrarbehörde hingegen konnte weder in dem genannten Gesetz noch in anderen von ihr anzuwendenden Rechtsvorschriften eine ihre Zuständigkeit begründende Regelung finden und erklärte sich daher ebenfalls für unzuständig.

2. Da sich somit sowohl ein Gericht als auch eine Verwaltungsbehörde zur Entscheidung über dasselbe Begehren für unzuständig erklärt haben (zur Identität der Sache vgl. im hier gegebenen Zusammenhang insbesondere VfSlg. 2429/1952 S. 499), liegt ein negativer Kompetenzkonflikt vor, der auch dann an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden kann, wenn die zu beurteilenden Unzuständigkeitsentscheidungen noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind (VfSlg. 2687/1954, 3483/1958, 4554/1963).

Der Antrag ist demnach zulässig.

III. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. Nach §1 Juridiktionsnorm (JN) wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen, soweit dieselben nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen sind, durch die ordentlichen Gerichte ausgeübt. Der Rechtsweg ist also immer dann zulässig, wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, der nicht durch ein Gesetz ausdrücklich vor eine andere Behörde als die ordentlichen Gerichte verwiesen wurde.

Der in diesem Fall zu beurteilende Anspruch wird von den Antragstellern als Trägern von Privatrechten geltend gemacht und richtet sich gegen die Verfügungsgewalt eines Grundeigentümers. Das Begehren ist auf Einräumung einer Servitut gerichtet und stellt daher jedenfalls eine bürgerliche Rechtssache dar (siehe §477 ABGB). Ein besonderes Gesetz, welches die Sache vor andere Behörden verweist, besteht hier nicht. Im Gegenteil haben die Antragsteller ausdrücklich die Einräumung eines Notwegerechtes im Sinne des Notwegegesetzes vom 7. Juli 1896, RGBl. 140/1896, begehrt, welches hier auch zur Anwendung gelangt und das in seinen §§9 und 15 ausdrücklich die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über einen derartigen Anspruch beruft. Es handelt sich also um einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch, der keineswegs vor andere Behörden als die ordentlichen Gerichte verwiesen wurde, sondern für den der Rechtsweg sogar ausdrücklich im Notwegegesetz vorgesehen ist.

Dieser Rechtsauffassung neigt offenkundig inzwischen auch das Bezirksgericht Schwaz zu, welches seinem - verfahrensrechtlichen - Beschluß vom 24. Juli 1991, 1 Nc 123/91, folgendes obiter dictum hinzugefügt hat:

"Auf Grund der Bindung an die seinerzeitige prozeßbeendende Entscheidung zu 1 Nc 87/76 kann auch die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Entscheidung nicht mehr neuerlich geprüft werden (das Gericht ist nunmehr der Meinung, daß Unzulässigkeit des Rechtsweges nicht gegeben ist, da es sich bei den von den Antragstellern begehrten Rechten nicht um Bringungsrechte handelt, die Agrarbehörde jedoch nur für Bringungsrechte zuständig ist; Bringungsrechte haben ausschließlich land- oder forstwirtschaftlichen Charakter; wegen der rechtskräftigen Entscheidung über die Unzulässigkeit des Rechtsweges liegt ein Kompetenzkonflikt vor, den der Verfassungsgerichtshof zu lösen hätte)."

2. Zur Entscheidung über den Anspruch der Antragsteller sind somit die Gerichte zuständig. Ob das Bestehen eines Weges im Sinne des Tiroler Güter- und Seilwege-Landesgesetzes der Einräumung eines Notwegerechtes entgegensteht, wäre vom Bezirksgericht Schwaz in einer Sachentscheidung zu klären gewesen. Diese Sachentscheidung hat das Bezirksgericht zu Unrecht verweigert.

3. Gemäß §51 VerfGG waren nicht nur der Beschluß des Bezirksgerichtes Schwaz vom 2. Februar 1978, 1 Nc 87/76, sondern auch die verfahrensrechtlichen Beschlüsse des Bezirksgerichtes Schwaz vom 24. Juli 1991, 1 Nc 123/91-15, des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. Oktober 1991, 2 b R 149/91 und des OGH vom 11. November 1992, 1 Ob 618/92, aufzuheben, da auch diese Beschlüsse dem vorliegenden Erkenntnis zumindest mittelbar entgegenstehen.

4. Die Kostenentscheidung (enthaltend auch den Streitgenossenzuschlag) stützt sich auf §52 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.875 S enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Wege

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:KI4.1992

Dokumentnummer

JFT_10069385_92K00I04_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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