TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/26 92/08/0118

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.09.1995
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
64/03 Landeslehrer;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §140;
AlVG 1977 §20 Abs2;
LDG 1984 §21 Abs6;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Gertrude C, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 18. Februar 1992, Zl. 531.896/1-3/92, betreffend Familienzuschlag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeiter und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 8. Oktober 1991, Zl. 90/08/0167, verwiesen. Mit dem genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 28. März 1990 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

In diesem Bescheid vertrat die belangte Behörde - ohne Prüfung der individuellen Verhältnisse - die Auffassung, daß der Tochter der Beschwerdeführerin wegen der von ihrem Vater bezogenen monatlichen Unterhaltsleistungen in der Höhe von S 3.000,-- bzw. ab April 1988 in Höhe von S 5.000,-- zugemutet werden könne, ihren Lebensunterhalt im Sinne des § 20 Abs. 2 AlVG aus eigenen Mitteln zu bestreiten, weil die monatliche Mindestpensionshöhe für einen Angehörigen nach dem ASVG (von der belangten Behörde errechnet als Differenzbetrag zwischen den in den sublit. aa und bb des § 293 Abs. 1 lit. a ASVG enthaltenen Sätzen) im Jahre 1987 S 2.105,--, im Jahre 1988 S 2.164,-- und im Jahre 1989 S 2.220,-- betragen habe. Dazu führte der Gerichtshof im Vorerkenntnis aus:

"Dieser Auffassung der belangten Behörde kann schon insofern nicht beigepflichtet werden, als die allenfalls als Orientierungshilfe für die Selbsterhaltungsfähigkeit heranzuziehende Mindestpensionshöhe nach dem § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG monatlich im Jahre 1987 S 4.868,--, im Jahre 1988 S 5.004,-- und im Jahre 1989 S 5.134,-- betrug. ...

Bei der Beurteilung der Frage, ob eigene Mittel der Tochter der Beschwerdeführerin zur Deckung des Aufwandes für einen angemessenen Lebensunterhalt ausreichen, wäre primär auf deren individuellen Lebensverhältnisse im streitgegenständlichen Zeitraum und nicht (starr) auf in etwaigen gesetzlichen Bestimmungen festgelegte Grenzbeträge abzustellen gewesen. Auf solche kann allenfalls (d.h. wenn die gestellte Frage, ob der Zuschlagsberechtigte aus den eigenen Mitteln den Aufwand für seinen angemessenen Lebensunterhalt decken kann, nach diesen individuellen Verhältnissen nicht zweifelsfrei lösbar ist) als Orientierungshilfe Bedacht genommen werden, wenn diese Beträge abstrakt zur Lösung dieser Frage beitragen können (vgl. das Erkenntnis vom 27. März 1990, Zl 88/08/0277)."

Nachdem die belangte Behörde im zweiten Rechtsgang mit Schreiben vom 9. Dezember 1991 die Beschwerdeführerin ersucht hatte, die individuellen Verhältnisse ihrer Tochter in der Zeit vom 1. August 1987 bis 31. Mai 1989, insbesondere den zur Bestreitung des Lebensunterhaltes notwendigen Aufwand bekanntzugeben sowie allfällige Unterlagen zu übermitteln, teilte die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 30. Dezember 1991 mit, daß ihre im gegenständlichen Zeitraum das Oberstufenrealgymnasium besuchende Tochter über kein "Erwerbs(Arbeits)einkommen" verfüge und bis Februar 1988 (gemeint wohl: bis März 1988) monatlich S 3.000,-- und seit April 1988 S 5.000,-- auf ihr eigenes Konto an Unterhaltszahlungen von ihrem Vater erhalten habe. Der vom Kindesvater gezahlte Unterhalt sei zur Abdeckung des aufgrund der Studiensituation und des Lebensalters erhöhten Bedarfes und notwendigen Aufwandes erforderlich gewesen. Sie selbst komme durch Bereitstellung der Wohnung, Haushaltsführung und Unterstützung beim Studium, durch Pflege und Erziehung ihren Unterhaltspflichten nach, weshalb ihr schon deshalb ein Familienzuschlag gebühre.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 ASVG als unbegründet ab und bestätigte den Bescheid der Behörde erster Instanz. In der Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291, aus, daß den darin zitierten Urteilen entnommen werden könne, daß keine Selbsterhaltungsfähigkeit im Sinne des § 140 ABGB vorliege, solange das Kind kein Einkommen in der Höhe der ASVG-Mindestpension erziele. Die Anspruchsberechtigung auf Familienzuschlag wäre daher nach den Grundsätzen des bürgerlichen Unterhaltsrechtes zu beurteilen. Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 1991, G 179/90-12 u.a., bestehe jedoch keine Bindung des öffentlichen Rechtes, insbesondere des Arbeitslosenversicherungsrechtes, an die Grundsätze des bürgerlichen Unterhaltsrechtes und könne daher nicht die im bürgerlichen Recht maßgebliche ASVG-Mindestpensionshöhe als Orientierungshilfe für die Gewährung eines Familienzuschlages herangezogen werden. Da mit dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 30. Dezember 1991 die Frage der Deckung des Aufwandes für einen angemessenen Lebensunterhalt der Tochter aus deren eigenen Mitteln nicht zweifelsfrei lösbar sei, seien entsprechend dem angeführten aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes die in den gesetzlichen Bestimmungen festgelegten Grenzbeträge erhoben worden: Nach § 293 Abs. 1 ASVG in der geltenden Fassung erhöhe sich der Richtsatz für die Ausgleichszulage für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung für jedes Kind, dessen Nettoeinkommen den Richtsatz für einfach verwaiste Kinder bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres nicht erreiche. Dieser Richtsatz habe monatlich 1987 S 1.805,--, 1988 S 1.859,-- und 1989 S 1.904,-- betragen.

Für die Gewährung eines Kindeszuschusses würde im gesamten übrigen Bereich der Sozialversicherung die gleiche Regelung mit den gleichen Grenzbeträgen gelten.

Auch nach § 5 Familienlastenausgleichsgesetz, BGBl. Nr. 376/1967, habe kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder im Jahre 1987 bzw. 1988 bei einem Bezug von monatlichen Einkünften über S 2.500,-- (BGBl. Nr. 296/1981) und im Jahr 1989 über S 3.500,-- monatlich (BGBl. Nr. 733/1988) bestanden.

Unter Bedachtnahme auf diese nicht als Grenze, sondern als Orientierungshilfe zu wertenden Grenzbeträge und des Unterhaltes der Tochter im streitgegenständlichen Zeitraum von S 3.000,-- bzw. ab 1. April 1988 S 5.000,-- gebühre für die Tochter der Beschwerdeführerin kein Familienzuschlag.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der sich die Beschwerdeführerin in ihrem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Familienzuschlag gemäß § 20 Abs. 2 AlVG als verletzt erachtet.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 20 Abs. 1 und 2 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung (vor der Novelle BGBl. Nr. 364/1989) lautet:

"(1) Das Arbeitslosengeld besteht aus dem Grundbetrag und den Familienzuschlägen.

(2) Familienzuschläge sind für Ehegatten (Lebensgefährten), Eltern und Großeltern, Kinder und Enkel, Stiefkinder, Wahlkinder und Pflegekinder (zuschlagsberechtigte Personen) zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Personen tatsächlich wesentlich beiträgt. Der Familienzuschlag gebührt nicht, wenn den zuschlagsberechtigten Personen zugemutet werden kann, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere durch eigene Arbeit, zu bestreiten."

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zutreffend davon aus, daß die Beschwerdeführerin durch die Führung des Haushaltes, in dem ihre Tochter wohnt, ihren Unterhaltsbeitrag im Sinne des § 140 Abs. 1 ABGB und damit einen wesentlichen Beitrag im Sinne des § 20 Abs. 2 erster Satz AlVG leistet.

Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften wendet sich die Beschwerdeführerin in der allein strittigen Frage, ob ihre Tochter im Sinne des § 20 Abs. 2 letzter Satz AlVG unterhaltsfähig ist, dagegen, daß die belangte Behörde im Hinblick auf die individuellen Verhältnisse der Zuschlagsberechtigten nach dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 30. Dezember 1991 ohne weitere Ermittlungen und ohne Begründung von der nicht zweifelsfreien Lösbarkeit der streitgegenständlichen Frage ausgehe, obwohl zweifelsfrei festgestanden sei, daß die Tochter im gegenständlichen Zeitraum als Schülerin nicht ihren Unterhalt durch eigene Arbeit habe bestreiten könne. Der erforderliche Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt könne aber nur an Hand des tatsächlichen Bedarfes des Kindes festgestellt werden.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Ergebnis im Recht.

Die belangte Behörde hat zwar gemäß § 63 Abs. 1 VwGG in Bindung an die im aufhebenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Oktober 1991, Zl. 90/08/0167, dargelegte Rechtsansicht, hinsichtlich der Frage, ob eigene Mittel der Tochter R zur Deckung des Aufwandes für einen angemessenen Lebensunterhalt ausreichen, die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. Dezember 1991 zur Bekanntgabe der individuellen Verhältnisse ihrer Tochter, insbesondere des zur Bestreitung des Lebensunterhaltes notwendigen Aufwandes mit Übermittlung allfälliger Unterlagen, aufgefordert. Sie ist jedoch in der Folge davon ausgegangen, daß die gegenständliche Rechtsfrage mit dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 30. Dezember 1991 nicht zweifelsfrei lösbar sei.

Im Hinblick auf die individuellen Lebensverhältnisse der Tochter der Beschwerdeführerin als Schülerin eines Oberstufenrealgymnasiums ist davon auszugehen, daß ihr während ihrer Ausbildung nicht zugemutet werden kann, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften (d.h. aus eigener Arbeit) zu leisten (vgl. etwa Dittrich-Tades, ABGB34, E. 332a zu § 140). Die demnach entscheidende Frage, ob der Tochter der Beschwerdeführerin dies aus eigenen Mitteln mit den ihr vom anderen Elternteil zugeflossenen Unterhaltsleistungen in Höhe von S 3.000,-- bzw. S 5.000,-- möglich ist, muß allerdings aufgrund des Vorerkenntnisses vom 8. Oktober 1991 verneint werden.

Wenn die belangte Behörde zunächst aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 1991, VfSlg. 12833, schließt, daß "keine Bindung des öffentlichen Rechtes, insbesondere des AlVG", an die Grundsätze des bürgerlichen Unterhaltsrechtes bestehe, sodaß die im bürgerlichen Unterhaltsrecht maßgebliche ASVG-Mindestpension nicht als Orientierungshilfe für die Gewährung eines Familienzuschlages nach dem AlVG herangezogen werden könne, so verkennt sie damit, daß der Verfassungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis (lediglich) vorausschickt, daß der GESETZGEBER nicht schlechthin verhalten sei, bei Gestaltung eines Rechtsgebietes an die Grundsätze eines anderen Rechtsgebietes anzuknüpfen, und unter Hinweis darauf, daß sich aus den Erkenntnissen zum Tiroler Sozialhilfegesetz (VfSlg. 11.662 und G 219/88) und zum AlVG (G 114/90, V 196/90 vom 5. März 1991) entsprechend der Darlegung im Erkenntnis zum Studienbeihilfegesetz (B 482/89 vom 28. Februar 1991) keine UNMITTELBARE BINDUNG DES GESETZGEBERS an die Grundsätze des bürgerlichen Unterhaltsrechtes ableiten lasse, auf die Sachlichkeit einer Regelung an sich abstellt. Aus einem dem Gesetzgeber in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eingeräumten Gestaltungsspielraum kann daher nicht abgeleitet werden, daß auch die Vollziehung bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe einschlägige Vorschriften anderer Rechtsbereiche nicht als bloße Orientierungshilfe heranziehen kann.

Ferner ist es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der belangten Behörde im zweiten Rechtsgang verwehrt, ihre eigene - abweichende Auslegung - der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn sich der Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang zu einer Rechtsfrage geäußert hat und seit Erlassung des mit dem vorausgegangenen Erkenntnis aufgehobenen Bescheides die Sachlage und Rechtslage keine Änderung erfahren hat (vgl. dazu hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/13/0055).

Wenn die belangte Behörde daher, ausgehend von der nicht zweifelsfreien Lösbarkeit der Frage, ob die Tochter der Beschwerdeführerin im relevanten Zeitraum nach ihren individuellen Verhältnissen aus den Unterhaltsleistungen ihres Vaters ihren Lebensunterhalt decken konnte, als Orientierungshilfe nicht die nach dem Vorerkenntnis maßgebenden Richtsätze des § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG, sondern jene des § 293 Abs. 1 lit. c sublit. aa ASVG oder andere unter den Richtsätzen des § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG liegende Grenzbeträge herangezogen hat, so hat sie dadurch gegen § 63 Abs. 1 VwGG verstoßen.

Da der angefochtene Bescheid dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992080118.X00

Im RIS seit

18.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten