TE Vwgh Erkenntnis 1991/10/8 90/08/0167

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Veröffentlicht am 08.10.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §140;
AlVG 1977 §20 Abs2;
AlVG 1977 §24;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §38;
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa;
ASVG §293 Abs1 lita sublitbb;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der Gertrude C in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28. März 1990, Zl. 531.896/4-3/90, betreffend Familienzuschlag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Auf Grund eines Devolutionsantrages der Beschwerdeführerin vom 7. Dezember 1989 wies das Landesarbeitsamt Wien mit Bescheid vom 5. Jänner 1990 deren Antrag auf Gewährung des Familienzuschlages für ihre Tochter Sonja ab.

Nach der Begründung habe die Beschwerdeführerin am 28. Juli und 23. Oktober 1987 im Zuge ihrer Anträge auf Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe die Zuerkennung eines Familienzuschlages für ihre Tochter begehrt. Diese wohne mit der Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt und habe von ihrem Vater im Jahre 1987 bis März 1988 eine monatliche Unterhaltsleistung in der Höhe von S 3.000,-- und ab April 1988 von S 5.000,-- erhalten. Da die Tochter der Beschwerdeführerin durch die Unterhaltszahlungen ihres Vaters über ein eigenes hinreichendes Einkommen verfüge, sei dem Antrag auf Gewährung eines Familienzuschlages keine Folge zu geben gewesen.

1.2. Der dagegen von der Beschwerdeführerin rechtzeitig erhobenen Berufung gab die belangte Behörde (Bundesminister für Arbeit und Soziales) keine Folge und bestätigte den Bescheid der Behörde erster Instanz. Nach der Begründung teile die belangte Behörde die Auffassung des Landesarbeitsamtes, wonach die Tochter der Beschwerdeführerin auf Grund der monatlichen Unterhaltsleistungen ihres Vaters über eigene Mittel verfüge, aus denen ihr die Bestreitung des Lebensunterhaltes zugemutet werden könne, zumal die Mindestpensionshöhe für einen Angehörigen nach dem ASVG im Jahre 1987 monatlich S 2.105,--, 1988 S 2.164,-- und 1989 S 2.220,-- betragen habe.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen nach in ihrem Recht auf Gewährung des Familienzuschlages verletzt.

1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Auf Grund des Beschwerdevorbringens ging der Verwaltungsgerichtshof zunächst davon aus, daß der in erster Instanz ergangene Bescheid des Landesarbeitsamtes gemäß § 56 Abs. 3 AlVG auf Grund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigt worden ist. Bei der im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes vorzunehmenden Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hatte der Verwaltungsgerichtshof auch die Zuständigkeit der Behörde erster Instanz zu prüfen. Im Falle der Unzuständigkeit dieser Behörde wäre der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet gewesen. Aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles hat der Verwaltungsgerichtshof daher mit Beschluß vom 11. Dezember 1990 (unter Hinweis auf die ausführliche Begründung des Beschlusses vom 27. November 1990) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 56 Abs. 3 AlVG, BGBl. Nr. 609, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 61/1983, als verfassungswidrig aufzuheben. Mit Erkenntnis vom 28. Juni 1991, G 295/90 ff, hat der Verfassungsgerichtshof die genannte Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben.

Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten geht nunmehr jedoch hervor, daß von dem in erster Instanz eingeschrittenen Landesarbeitsamt § 56 Abs. 3 AlVG nicht angewendet worden ist, sondern der Bescheid dem Leiter des Landesarbeitsamtes zuzurechnen ist. Das erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ist daher für den Beschwerdefall ohne Bedeutung. Dennoch ist dieser Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet.

2.2. § 20 Abs. 1 und 2 AlVG 1977 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung (vor der Novelle BGBl. Nr. 364/1989) lautet:

"(1) Das Arbeitslosengeld besteht aus dem Grundbetrag und den Familienzuschlägen.

(2) Familienzuschläge sind für Ehegatten (Lebensgefährten), Eltern und Großeltern, Kinder und Enkel, Stiefkinder, Wahlkinder und Pflegekinder (zuschlagsberechtigte Personen) zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Personen tatsächlich wesentlich beiträgt. Der Familienzuschlag gebührt nicht, wenn den zuschlagsberechtigten Personen zugemutet werden kann, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere durch eigene Arbeit, zu bestreiten."

2.3. Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unbestritten, daß die Beschwerdeführerin vom 1. August 1987 bis 31. Mai 1989 arbeitslos war und demnach vom 1. August 1987 bis 23. Oktober 1987 Arbeitslosengeld und vom 24. Oktober 1987 bis 31. Mai 1989 Notstandshilfe bezogen hat. Da die Gewährung von Familienzuschlägen unter anderem vom Bestehen der Arbeitslosigkeit abhängig ist, ist der Spruch des angefochtenen Bescheides - unabhängig davon, daß ein ausdrücklicher Abspruch darüber fehlt - in Verbindung mit der Begründung so zu verstehen, daß der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung des Familienzuschlages für die Zeit vom 1. August 1987 bis 31. Mai 1989 abgewiesen wird (vgl. zur fehlenden Anführung von Endzeitpunkten das Erkenntnis vom 9. April 1987, Zl. 85/08/0027).

2.4.1. Im Beschwerdefall ist ausschließlich die Frage strittig, ob der im Jahre 1969 geborenen Tochter der Beschwerdeführerin im Sinne des § 20 Abs. 2 AlVG zugemutet werden kann, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten. Die belangte Behörde ist dabei zutreffend davon ausgegangen, daß die Beurteilung dieser Frage nicht nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht (vgl. die mit 1. August 1989 in Kraft getretene novellierte Fassung des § 20 Abs. 2 AlVG, BGBl. Nr. 364/1989), sondern nach dem im Zeitraum der Leistungsgewährung in Geltung gestandenen Recht vorzunehmen ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. November 1989, Zl. 88/08/0287).

In dem von der belangten Behörde in ihrem Bescheid auszugsweise wiedergegebenen Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Begriff der "eigenen Mittel" folgendes ausgeführt: "Die Höhe der den Familienzuschlag ausschließenden eigenen Mittel wird im § 20 Abs. 2 AlVG nicht nach einem starren Maßstab - wie dies der von der belangten Behörde herangezogene Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der niedrigsten Lohnklasse ist - bestimmt, sondern richtet sich nach dem zur Bestreitung des angemessenen Lebensunterhaltes des Zuschlagsberechtigten notwendigen Aufwand. Es sind somit grundsätzlich die individuellen Verhältnisse des Zuschlagsberechtigten maßgebend, wobei allerdings - etwa im Sinne der von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 140 ABGB entwickelten Grundsätze (vgl. EF-Slg. 48.176 ff, 45.626 ff, 43.144 ff, u.v.a.) - als Orientierungshilfe allenfalls auf die Mindestpensionshöhe nach dem ASVG zurückgegriffen werden könnte."

Da die Mindestpensionshöhe für einen Angehörigen nach dem ASVG monatlich im Jahre 1987 S 2.105,--, im Jahre 1988 S 2.164,-- und im Jahre 1989 S 2.220,-- betragen habe (nach der Gegenschrift handle es sich dabei um den Differenzbetrag gemäß § 293 Abs. 1 lit. a zwischen sublit. bb und aa ASVG), vertrat die belangte Behörde - ohne Prüfung der individuellen Verhältnisse und ohne nähere Begründung dafür, wonach sich der genaue Grenzbetrag bestimme und weshalb gerade dieser zur

Anwendung gelangen solle - die Auffassung, daß der Tochter der

Beschwerdeführerin wegen der monatlichen Unterhaltsleistungen in Höhe von S 3.000,-- bzw. ab April 1988 in Höhe von S 5.000,-- zugemutet werden könne, ihren Lebensunterhalt im Sinne des § 20 Abs. 2 AlVG aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

2.4.2. Dieser Auffassung der belangten Behörde kann schon insofern nicht beigepflichtet werden, als die allenfalls als Orientierungshilfe für die Selbsterhaltungsfähigkeit heranzuziehende Mindestpensionshöhe nach dem § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG monatlich im Jahre 1987 S 4.868,--, im Jahre 1988 S 5.004,-- und im Jahre 1989 S 5.134,-- betrug (vgl. die bei TESCHNER, Allgemeine Sozialversicherung, abgedruckte Aufstellung der Richtsätze, Erläuterungen zu § 293). Abgesehen davon, daß Darlegungen in der Gegenschrift eine fehlende Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu ersetzen vermögen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 11. April 1983, VwSlg. 11.496/A), ist dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291, nicht zu entnehmen, daß die als Orientierungshilfe für die Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 140 ABGB allenfalls heranzuziehende Mindestpensionshöhe nach dem ASVG im Wege einer Subtraktion der in sublit. aa und bb des § 293 Abs. 1 lit. a ASVG enthaltenen Sätze zu ermitteln ist. Dagegen spricht auch der Umstand, daß in diesem Erkenntnis ein monatlicher Unterhaltsvorschuß in der Höhe von S 2.400,-- als zu gering bezeichnet worden ist, um daraus einen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eigene Mittel der Tochter der Beschwerdeführerin zur Deckung des Aufwandes für einen angemessenen Lebensunterhalt ausreichen, wäre vielmehr auf deren individuelle Lebensverhältnisse im streitgegenständlichen Zeitraum und nicht (starr) auf in etwaigen gesetzlichen Bestimmungen festgelegte Grenzbeträge abzustellen gewesen. Auf solche kann allenfalls (d.h. wenn die gestellte Frage, ob der Zuschlagsberechtigte aus den eigenen Mitteln den Aufwand für seinen angemessenen Lebensunterhalt decken kann, nach diesen individuellen Verhältnissen nicht zweifelsfrei lösbar ist) als Orientierungshilfe Bedacht genommen werden, wenn diese Beträge abstrakt zur Lösung dieser Frage beitragen können (vgl. das Erkenntnis vom 27. März 1990, Zl. 88/08/0277).

2.5. Da es die belangte Behörde - ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht - unterlassen hat, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 7. November 1983, Zl. 83/10/0038), weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

2.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, die gemäß ihrem Art. III Abs. 2 anzuwenden war.

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelMaßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseBegründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990080167.X00

Im RIS seit

09.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

27.07.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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