TE Vwgh Erkenntnis 1995/10/13 92/17/0205

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Veröffentlicht am 13.10.1995
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Index

L10013 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt
Niederösterreich;
L34003 Abgabenordnung Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §114;
BAO §115 Abs1;
BAO §20;
BAO §212 Abs1;
BAO §294 Abs1;
GdO NÖ 1965 §18 Abs2;
GdO NÖ 1965 §36 Z3;
GdO NÖ 1965 §42 Abs3;
LAO NÖ 1977 §161 Abs1;
LAO NÖ 1977 §18;
LAO NÖ 1977 §217;
LAO NÖ 1977 §48;
LAO NÖ 1977 §92;
LAO NÖ 1977 §93 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des G in K, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 3. Juni 1992, Zl. R/1-V-90208, betreffend Widerruf der Stundung von Aufschließungsbeiträgen (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Klosterneuburg), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 27. Oktober 1987 schrieb der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde dem Beschwerdeführer aus Anlaß der Abteilung eines Grundstückes auf acht Bauplätze Aufschließungsbeiträge in der Höhe von insgesamt S 1.121.526,-- vor.

Über Antrag des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Stadtvorstandes (richtig: Stadtrates) vom 10. Mai 1988 die Stundung der Aufschließungsbeiträge für die genannten Grundstücke gewährt. Dem Bescheid lag die Angabe des Beschwerdeführers zugrunde, daß er nicht in der Lage sei, die Geldbeträge zu erlegen und er diese Beträge erst durch den Verkauf der Bauplätze hereinbringen müsse.

1.2. Mit Schreiben vom 30. Dezember 1988 gab der Beschwerdeführer der mitbeteiligten Stadtgemeinde bekannt, daß er die Grundstücke Nr. n1/5 und n2/6 verkauft habe. Gleichzeitig ersuchte er, den neuen Eigentümern die Aufschließungsbeiträge vorzuschreiben. Mit Bescheid vom 7. Juli 1989 wurde dem Beschwerdeführer weiters in zweiter und letzter Instanz eine - von der mitbeteiligten Gemeinde zu leistende - Entschädigung für die im Zuge der Grundabteilung erfolgte Straßengrundabtretung in der Höhe von S 633.040,-- zuerkannt. Der Beschwerdeführer beantragte bei Gericht die Neufestsetzung der Höhe der Entschädigung, welche im Zuge dieses Verfahrens schließlich mit S 791.840,-- festgesetzt wurde.

1.3. Mit Bescheid vom 14. November 1989 widerrief der Stadtrat der Stadtgemeinde Klosterneuburg die Stundung der Aufschließungsbeiträge, die mit dem Bescheid vom 10. Mai 1988 gewährt worden war. Als Begründung wurde ausgeführt, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert hätten. Es sei nunmehr mit der sofortigen Einhebung der Aufschließungsbeiträge keine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Beschwerdeführers mehr zu befürchten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, welche vom Gemeinderat der Stadtgemeinde Klosterneuburg als unbegründet abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer habe nun außer dem ihm verbleibenden Grundbesitz infolge der Veräußerung von zwei Grundstücken und des Entschädigungsanspruches an die mitbeteiligte Stadtgemeinde auch Barmittel zur Verfügung. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Vorstellung, aufgrund welcher der nun angefochtene Bescheid erging.

Die belangte Behörde wies die Vorstellung als unbegründet ab und führte begründend insbesondere aus, daß gemäß § 217 Abs. 1 lit. a NÖ Abgabenordnung 1977, LGBl. 3400-2, eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betreffe, durch die Abgabenbehörde, die den Bescheid erlassen hat, soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind, nur zulässig sei, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert hätten, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind. Da für die Stundung der Aufschließungsbeiträge die Erklärung des Beschwerdeführers maßgebend gewesen sei, daß er nicht in der Lage sei, die Geldbeträge zu erlegen, da er sie erst mit dem Verkauf der Parzellen hereinbringen müsse und ihn die sofortige Vorschreibung der Aufschließungsbeiträge wirtschaftlich in seiner Existenz gefährde, sei durch die Veräußerung der Grundstücke n1/5 und n2/6 um zusammen S 602.500,-- und die mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 7. Juli 1989 zuerkannte Entschädigung eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 217 Abs. 1 lit. a NÖ Abgabenordnung 1977 eingetreten. Der Widerruf der Stundung sei daher gesetzlich gedeckt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf weitere Stundung der noch nicht entrichteten Aufschließungsbeiträge geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Im Beschwerdefall ist strittig, ob der Widerruf der mit Bescheid vom 10. Mai 1988 ausgesprochenen Stundung gemäß § 217 NÖ Abgabenordnung 1977, LGBl. 3400, zu Recht erfolgte oder nicht.

2.2. § 217 NÖ Abgabenordnung 1977 lautet:

"§ 217

(1) Eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, durch die Abgabenbehörde, die den Bescheid erlassen hat, ist - soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind - nur zulässig,

a) wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind, oder ..."

Die Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, kann somit gemäß § 217 NÖ AO 1977 nur durch die Abgabenbehörde, die den Bescheid erlassen hat, erfolgen.

Im Beschwerdefall ist somit nicht von Bedeutung, ob für die Gewährung der Stundung gemäß § 36 Z. 3 NÖ Gemeindeordnung, LGBl. 1000, der Gemeindevorstand (Stadtrat) zuständig ist, oder ob aufgrund des § 42 Abs. 3 NÖ Gemeindeordnung das Gemeindeamt, welches nach § 42 Abs. 3 NÖ Gemeindeordnung - wenn es Organstellung gemäß § 18 Abs. 2 GemO besitzt - in "allen behördlichen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches in erster Instanz" entscheidet und verfügt (vgl. auch § 48 NÖ Abgabenordnung 1977), zuständig wäre. Da der Stundungsbescheid im Beschwerdefall vom Stadtrat erlassen worden war, ist gemäß § 217 NÖ Abgabenordnung 1977 der Stadtrat zum Widerruf der Stundung zuständig gewesen.

2.3. Aufgrund § 217 NÖ Abgabenordnung 1977 ist eine Zurücknahme eines begünstigenden Bescheides möglich, wenn nach Erlassung des Bescheides eine Änderung des Sachverhalts eintritt, der "für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen" ist. Sachverhalte, die sich nach der Bescheiderlassung ereignet haben, können somit jedenfalls zum Anlaß einer Zurücknahme im Sinne des § 217 NÖ Abgabenordnung 1977 genommen werden. Eine solche Zurücknahme kann jedoch bei einer Auslegung insbesondere im Zusammenhalt mit § 92 NÖ AO 1977, der eine Ausformung des Gleichheitssatzes auf einfach gesetzlicher Ebene darstellt, nicht bei jeder nachträglichen Änderung des maßgebenden Sachverhalts derart erfolgen, daß der begünstigende Bescheid zur Gänze aufgehoben werden könnte; es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Zurücknahme nur insoweit erfolgen kann, als die ursprüngliche Entscheidung, wäre der zum Zeitpunkt der Rücknahme vorliegende Sachverhalt schon zum ersten Entscheidungszeitpunkt vorgelegen, anders ausfallen hätte können oder müssen. Im Falle von Ermessensentscheidungen ist dabei überdies davon auszugehen, daß eine abweichende Übung des Ermessens auch nur insoweit erfolgen kann, als sich nachträglich ein bei der Ermessensübung relevanter Sachverhaltsumstand geändert hat. Bei anderer Auslegung wäre keine sachliche Rechtfertigung für die solcherart mögliche Abänderung von Bescheiden über die sonst im Verfahrensrecht geltenden Grundsätze hinaus (Rechtskraft und objektive Grenzen der Rechtskraft, Durchbrechung der Rechtskraft nur in besonders begründeten Fällen) gegeben. Im Falle einer Stundung wie im Beschwerdefall wird daher zu untersuchen sein, inwieweit unter Zugrundelegung der neuen Vermögenssituation des Abgabenschuldners die Zahlung der Abgabenschuld (nun) zumutbar ist. Soweit der Akt auch ursprünglich nicht allein in der Bewilligung oder Ablehnung eines Antrages bestehen konnte, ist

AUCH EINE NUR TEILWEISE RÜCKNAHME ZULÄSSIG.

2.4. Auf den Beschwerdefall übertragen bedeutet dies, daß die Zurücknahme des Stundungsbescheides vom 10. Mai 1988 dann rechtmäßig war, wenn die belangte Behörde aufgrund des von ihr erhobenen Sachverhalts davon ausgehen konnte, daß aufgrund der gegebenen finanziellen Situation des Beschwerdeführers eine Entrichtung der Abgabe in voller Höhe nicht mehr "mit erheblichen Härten verbunden wäre" (§ 161 Abs. 1 NÖ Abgabenordnung 1977).

2.5. In der Beschwerde wird zur Frage der Änderung des maßgebenden Sachverhalts darauf hingewiesen, daß es die Behörde unterlassen habe, festzustellen, "in welcher Weise nun tatsächlich Änderungen in den Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers in Relation zum Zeitpunkt der Gewährung der Stundung eingetreten" seien. Der Beschwerdeführer habe bereits im Verwaltungsverfahren wiederholt auf seine Kreditbelastungen und Verpflichtungen hingewiesen und die Behörde hätte es im gesamten Ermittlungsverfahren unterlassen, die maßgeblichen Feststellungen, die einen Rückschluß auf allfällige Änderungen der Vermögensverhältnisse zuließen, zu treffen.

2.6. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer aufgrund der folgenden Überlegungen im Ergebnis im Recht:

Wie oben dargetan, rechtfertigen Änderungen in jenem Sachverhalt, der für die Erlassung des begünstigenden Bescheides maßgebend war, nicht in jedem Fall die (vollständige) Zurücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes. Da insbesondere im Zusammenhang mit der Stundung von Abgabenschulden der Frage maßgebende Bedeutung zukommt, in welcher Höhe einem Abgabenschuldner aufgrund geänderter Verhältnisse die Entrichtung der Abgaben nunmehr zugemutet werden kann (keine erhebliche Härte mehr mit der Einhebung verbunden wäre), ist im Falle des Widerrufs eines Stundungsbescheides auch festzustellen, in welcher Höhe dem Abgabenschuldner aufgrund des geänderten Sachverhalts die sofortige Leistung der Abgabenschuld möglich wäre. Die belangte Behörde hat zu dieser Frage - offenbar ausgehend von der verfehlten Rechtsauffassung, daß die (teilweise) Änderung des Sachverhaltes bzw. das Entstehen von Forderungen des Beschwerdeführers allein schon ohne weiteres die gänzliche Rücknahme des Bescheides ermögliche - keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen. Dies ist im vorliegenden Fall deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Abgabenschuld, deren Entrichtung mit dem Bescheid vom 10. Mai 1988 gestundet wurde, S 1,121.526,-- beträgt. Die von den Abgabenbehörden als Widerrufsgrund herangezogenen Forderungen des Beschwerdeführers beliefen sich auf insgesamt S 1,280.000,--. Selbst wenn man außer Betracht läßt, daß der Beschwerdeführer eingewendet hat, daß der erste Verkauf schon VOR der Erlassung des Stundungsbescheides erfolgt sei, wäre somit jedenfalls zu erheben gewesen, inwieweit durch die festgestellten Umstände die aktuelle Liquidität des Beschwerdeführers verbessert war. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Verkauf eines der beiden Grundstücke tatsächlich bereits vor der Erlassung des Stundungsbescheides erfolgt war, hätte entweder geklärt werden müssen, inwieweit dieses Faktum bei der Erlassung des Stundungsbescheides - etwa im Hinblick auf eine erst später erfolgende Bezahlung des Kaufpreises - nicht entscheidungsrelevant war, sodaß sehr wohl von einer NACHFOLGENDEN Änderung des Sachverhaltes ausgegangen hätte werden können, oder aber der Kaufpreisanteil für dieses Grundstück hätte überhaupt bei der Beurteilung, ob sich der Sachverhalt geändert hat, außer Betracht zu bleiben gehabt. Der Hinweis auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht ersetzt die nach den obigen Ausführungen erforderlichen Ermittlungen nicht.

2.7. Da die belangte Behörde - ausgehend von ihrer Rechtsanschauung - es ungeachtet des Vorbringens im Vorstellungsverfahren unterlassen hat, die zur Beurteilung, ob und inwieweit die Voraussetzungen für einen Widerruf im Sinne des § 217 NÖ AO 1977 beim Beschwerdeführer gegeben waren, erforderlichen Feststellungen zu treffen - wozu sie als Vorstellungsbehörde berechtigt gewesen wäre - sie sich aber auch mit der Frage, ob die Abgabenbehörden berechtigt waren, im Hinblick auf eine allfällige Verletzung der Mitwirkungspfliht des Beschwerdeführers dessen Sachverhaltsbehauptungen keinen Glauben zu schenken, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der angefochtene Vorstellungsbescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

2.8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den über den Pauschbetrag der genannten Verordnung hinausgehenden Teil der angesprochenen Umsatzsteuer, da in den Pauschbeträgen dieser Verordnung Umsatzsteuer bereits enthalten ist. Stempelgebührenersatz war überdies nur für drei Ausfertigungen der Beschwerde (a S 120,--) und eine Bescheidbeilage (S 30,--) zuzusprechen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992170205.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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