TE Vwgh Erkenntnis 2023/3/2 Ra 2021/21/0175

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Veröffentlicht am 02.03.2023
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des B A, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2020, W117 2233816-4/2E, betreffend Überprüfung der Fortsetzung einer Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Mandatsbescheid vom 22. September 2020 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG über den seit 24. Juli 2020 durchgehend in Schubhaft angehaltenen Revisionswerber, einen türkischen Staatsangehörigen, neuerlich die Schubhaft, und zwar nunmehr zum „Zweck der Sicherung des Verfahrens über einen am 27. Juli 2020 gestellten Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ an.

2        Zur weiteren Vorgeschichte wird zunächst auf das Erkenntnis VwGH 15.11.2022, Ra 2020/21/0442, verwiesen. Mit dieser Entscheidung wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 5. Oktober 2020, mit dem die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Schubhaftbescheid vom 22. September 2022 und die darauf gegründete Anhaltung als unbegründet abgewiesen und festgestellt worden war, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Das BVwG habe sich nämlich mit dem im Verfahren geltend gemachten prekären Gesundheitszustand des Revisionswerbers in den Feststellungen und den beweiswürdigenden Ausführungen ausschließlich unter dem Blickwinkel der Haftfähigkeit auseinandergesetzt und eine Einbeziehung bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlassen.

3        Weiters wird auf das ebenfalls den Revisionswerber betreffende Erkenntnis VwGH 15.11.2022, Ra 2020/21/0538, verwiesen. Mit dieser Entscheidung wurde das Erkenntnis des BVwG vom 23. November 2020, mit dem im Rahmen der erstmaligen periodischen Überprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG das Vorliegen der für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen und die Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt worden war, mit Verweis auf die Begründung des Erkenntnisses VwGH 15.11.2022, Ra 2020/21/0442, auch wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

4        Am 11. Dezember 2020 legte das BFA den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft dem BVwG neuerlich vor und erstattete eine Stellungnahme, die nach der Aktenlage vom BVwG weder dem Revisionswerber persönlich noch einem Rechtsberater zur Äußerung übermittelt wurde.

5        Mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 16. Dezember 2020 hat das BVwG sodann - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Des Weiteren sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Die gegen dieses Erkenntnis erhobene - nach Ablehnung der Behandlung (VfGH 25.2.2021, E 297/2021-5) und Abtretung einer vor dem Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (VfGH 2.4.2021, E 297/2021-7) - fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass die im Verfahren nach § 22a Abs. 4 BFA-VG vom BFA zu erstattende Stellungnahme dem Parteiengehör zu unterziehen ist (vgl. VwGH 26.11.2020, Ra 2020/21/0070, Rn. 11, mit dem Hinweis auf VwGH 27.8.2020, Ro 2020/21/0010, Rn. 9). Das kann (zunächst) schriftlich oder im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erfolgen. Jedenfalls ist dem in Schubhaft angehaltenen Fremden, für den mit der Aktenvorlage durch das BFA gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG die Beschwerde als eingebracht gilt, Gelegenheit zu geben, sich zu der Stellungnahme und zum maßgeblichen Sachverhalt zu äußern.

8        Im vorliegenden Fall unterblieb - wie auch in der Revision zutreffend geltend gemacht wird - die demnach gebotene Einräumung von Parteiengehör zu der vom BFA erstatteten Stellungnahme vom 11. Dezember 2020. Diesbezüglich wird zur Relevanz dieses Verfahrensmangels in der Revision unter anderem vorgebracht, bei Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit wäre das BVwG aufgrund der dann ins Treffen geführten schlechten psychischen und physischen Verfassung des Revisionswerbers zumindest zur Unverhältnismäßigkeit der weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft gelangt. Das ist vor dem Hintergrund der Begründung der erwähnten aufhebenden Vorerkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs jedenfalls nicht auszuschließen.

9        Im Übrigen unterließ das BVwG auch die gebotene Beiziehung des Rechtsberaters, was in der Revision ebenfalls zu Recht geltend gemacht wird. Insofern gleicht der vorliegende Fall jener Konstellation, die auch dem Erkenntnis VwGH 24.2.2022, Ra 2020/21/0492, zugrunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG kann auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses (siehe dazu die Rn. 10 ff., insbesondere Rn. 25/26) verwiesen werden (vgl. zum Ganzen auch VwGH 2.3.2023, Ra 2021/21/0137, Rn. 13/14).

10       Das angefochtene Erkenntnis war daher - schon deshalb - nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat aufzuheben.

Wien, am 2. März 2023

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021210175.L00

Im RIS seit

31.03.2023

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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