TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/7 94/20/0851

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Veröffentlicht am 07.11.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des X in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwältin in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. August 1994, Zl. 4.344.394/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, ist am 9. April 1994 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 11. April 1994 einen Asylantrag gestellt. Bei seiner niederschriflichten Befragung durch das Bundesasylamt gab er zusammengefaßt an, er sei Mitglied der demokratischen Volkspartei des ehemaligen Präsidenten Najibullah und dort Mitglied des Zentralkomitees sowie der "Revolutionssepah" gewesen. Nach dem Sturz der Regierung Najibullah im April 1992 durch die Mujaheddins habe es zwar zunächst geheißen, daß die Mitglieder der vorerwähnten ehemaligen kommunistischen Partei nicht verfolgt würden. Tatsächlich habe es jedoch innerhalb des letzten halben Jahres eine Hinrichtungswelle gegen ehemalige kommunistische Parteimitglieder gegeben. So habe sich die Lage zunehmend verschärft. Es seien ehemalige Mitglieder der kommunistischen Partei einfach aus den Häusern geholt und umgebracht worden. Er habe sich versteckt, weil die Mujaheddins sich in der Nachbarschaft nach ihm erkundigt und sogar Löcher in seine Eingangstüre geschossen hätten. Als vor einem Monat sein Cousin aufgrund seiner Parteimitgliedschaft umgebracht worden sei, habe er auf Drängen seines Onkels und aus Furcht, ebenfalls getötet zu werden, sein Heimatland verlassen.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die gegen den abweislichen Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. April 1994 erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ihm damit die Gewährung von Asyl versagt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde erachtete die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers deshalb als nicht gegeben, weil er noch keiner unmittelbaren Verfolgungshandlung von erheblicher Intensität durch staatliche Organe ausgesetzt gewesen sei. Der Umstand, daß Leute der Mujaheddins sich bei Nachbarn nach ihm erkundigt hätten, sei demgemäß asylrechtlich nicht relevant. Daß sein Cousin von den Mujaheddins getötet worden sei, stelle keine gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete, individuelle Verfolgungshandlung dar.

Der belangten Behörde ist jedoch im Sinne der Beschwerdeausführungen zu widersprechen, wenn sie die Gewährung asylrechtlichen Schutzes ausschließlich an das Vorliegen von bereits gesetzten Verfolgungsmaßnahmen knüpft. Das Asylgesetz 1991 sieht vielmehr Asylgewährung bereits dann vor, wenn ein Asylwerber "aus wohlbegründeter Furcht, ... verfolgt zu werden sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen" (§ 2 Z. 1 Asylgesetz 1991). Der Beschwerdeführer hat aber seine Furcht vor Verfolgung insbesondere damit begründet, daß nach dem Sturz des Regime Najibullah eine "Hinrichtungswelle" gegen ehemalige Mitglieder der kommunistischen Partei eingesetzt und auch er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur ehemaligen kommunistischen Partei, der er in einem führenden Gremium angehört habe, von den Mujaheddins gesucht worden sei, wobei man sogar Löcher in seine Eingangstür geschossen habe. Sein Cousin sei gerade wegen seiner Mitgliedschaft zur ehemaligen kommunistischen Partei umgebracht worden. Es seien wahllos ehemalige Parteimitglieder aus den Wohnungen geholt und umgebracht worden.

Damit kann aufgrund der im erstinstanzlichen Verfahren gebotenen Darstellung der Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht von vornherein davon ausgegangen werden, die Nachforschung nach seiner Person habe keinen bedrohenden, in der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur ehemaligen kommunistischen Partei begründeten Charakter. Dem somit auf eine behauptete, politisch motivierte Gruppenverfolgung von ehemaligen Mitgliederin der kommunistischen Partei durch das nunmehr in Afghanistan herrschende Regime der Mujaheddins hinauslaufenden Vorbringen kann also nicht die Eignung abgesprochen werden, eine wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers vor asylrechtlich relevanter Verfolgung zu begründen. Enthält - wie im Beschwerdefall - das Vorbringen eines Asylwerbers einen hinreichend deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention in Betracht kommt, so hat die Behörde allenfalls vorhandene Zweifel über den Inhalt und die Bedeutung des Vorbringens des Asylwerbers durch entsprechende Erhebungen zu beseitigen, insbesondere entsprechend der ihr gemäß § 37 AVG obliegenden Verpflichtung den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Im vorliegenden Fall hat sich die Asylbehörde mit diesem Vorbringen überhaupt nicht auseinandergesetzt, somit weder in sachverhaltsmäßiger noch in rechtlicher Hinsicht hinreichend beurteilt. Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs.2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200851.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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