TE Vwgh Beschluss 2022/12/19 Ra 2022/14/0328

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2022
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein
E3R E19104000
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
EURallg
32013R0604 Dublin-III Art2 litg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Prendinger, in der Revisionssache der M I (auch M H, auch M A), geboren 1995 (alias 2001), vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2022, W144 2255198-1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Afghanistans, reiste nach ihrem Aufenthalt in der Türkei (im Oktober 2021) über Italien in das Gebiet der Mitgliedsstaaten ein, wobei sie in Italien mehrere Wochen aufhältig war und erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Dezember 2021 gelangte sie in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26. April 2022 wurde dieser Antrag, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin-III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Unter einem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der Revisionswerberin angeordnet und ausgesprochen, dass ihre Abschiebung nach Italien demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis - ohne Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, die Revisionswerberin erstatte Angaben, „wie es ihr gerade opportun erscheint“. Sie habe in Italien bewusst wahrheitswidrig einen anderen Namen und ein anderes Geburtsdatum als in Österreich angegeben. Die Revisionswerberin habe weiters zu ihrem familiären Umfeld völlig unterschiedliche Angaben gemacht. Die vorgelegten Urkunden zur Eheschließung stünden in mehrfacher Hinsicht dem Vorbringen der Revisionswerberin zur Eheschließung entgegen.

5        In materieller Hinsicht sei aufgrund der Einreise der Revisionswerberin in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten über Italien im November 2021 die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Antrages nach Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO begründet. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberin mit H.W. verheiratet und seine Ehegattin sei. Sie habe in Österreich einen Gefährten, mit dem sie jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt lebe und den sie vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet erst einmal persönlich gesehen habe. Da kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK in Österreich erkannt werden könne, habe die Behörde zutreffend keinen Gebrauch vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO gemacht. Weiters hätten der Eingriff in das Privatleben der Revisionswerberin und die privaten Interessen am Fortbestehen eines Familienlebens mit ihrem Freund im Vergleich zum öffentlichen Interesse am geordneten Vollzug der Dublin-III-VO zurückzutreten.

6        Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG mit Beschluss vom 25. August 2022, E 1814/2022-7, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag der Revisionswerberin mit Beschluss vom 8. September 2022, E 1814/2022-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Prüfung der Zuständigkeit nach der Dublin-III-VO weder Art. 9, noch Art. 10 oder Art. 11 in Erwägung gezogen, obwohl diese Bestimmungen in Hinblick auf die aufrechte Ehe der Revisionswerberin, die vor ihrer Einreise nach Italien bestanden habe, sowie die Einheit der Familie vorrangig zu prüfen gewesen wären. Auch habe das Bundesverwaltungsgericht das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin-III-VO nicht in Hinblick auf die Ehe der Revisionswerberin und das Familienleben mit ihrem Ehemann geprüft. Der Verwaltungsgerichtshof fordere, dass bei der Prüfung des Selbsteintrittsrechts eine drohende Verletzung des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sei. Es fehle jedoch Judikatur zu den Kriterien, wann bei einer drohenden Verletzung dieser Bestimmung das Selbsteintrittsrecht auszuüben sei. Schließlich habe der Verwaltungsgerichthof zum Ausdruck gebracht, dass die Familienzusammenführungsrichtlinie in erster Linie den Nachzug der Ehepartner regle. Ein Recht auf Nachzug könne eingeräumt werden, wenn der Ehepartner für den Unterhalt aufkomme, was beim Ehegatten der Revisionswerberin der Fall sei. Zur Frage, ob § 5 Abs. 1 AsylG 2005 im Lichte der Familienzusammenführungsrichtlinie unter besonderer Berücksichtigung des Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRC auszulegen sei, fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Das Bundesverwaltungsgericht ignoriere eine richtlinienkonforme Interpretation des § 5 Abs. 1 AsylG 2005, da es in seiner Entscheidung das Familienleben der Revisionswerberin gänzlich unberücksichtigt lasse.

11       Die Revision ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Vorbringen, die Revisionswerberin sei mit dem seit 2013 in Österreich aufhältigen H.W. verheiratet, die Glaubwürdigkeit versagte und in einer ausführlichen Beweiswürdigung darlegte, aus welchen Erwägungen es zum Ergebnis gelangte, dass eine Ehe zwischen der Revisionswerberin und H.W. nicht bestehe.

12       Die Revision entfernt sich somit mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, das vom Vorliegen einer aufrechten Ehe ausgeht, von dem vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt, sodass schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird (vgl. VwGH 14.11.2022, Ra 2022/19/0052, mwN). Sie zeigt auch nicht auf, dass die diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts unvertretbar wären (vgl. zum insoweit im Revisionsverfahren gegebenen Prüfmaßstab etwa VwGH 12.9.2022, Ra 2022/14/0219, mwN).

13       Angesichts dessen erübrigt sich ein Eingehen auf die von der Revision in Bezug auf eine aufrechte Ehe der Revisionswerberin aufgeworfenen Rechtsfragen, weil der Ausgang des Revisionsverfahrens davon nicht abhängt.

14       Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft ohne Vorliegen einer Ehe nicht dazu führen würde, dass der Freund der Revisionswerberin als Familienangehöriger im Sinn des Art. 2 lit. g Dublin-III-VO zu qualifizieren wäre, weil in Österreich nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich jedenfalls nicht gleich behandelt werden wie verheiratete Paare (vgl. VwGH 27.6.2017, Ra 2016/18/0277, mwN).

15       Entgegen dem weiteren Revisionsvorbringen ließ das Bundesverwaltungsgericht die Beziehung der Revisionswerberin zu ihrem Freund nicht unberücksichtigt. Es zeigte im Rahmen seiner Erwägungen anhand konkreter Umstände auf, wie es zum Ergebnis gelangte, dass gegenständlich keine stark ausgeprägte familiäre Nahebeziehung unter Erwachsenen vorliege, zu welcher zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen und die somit unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen könnte. Dass diese Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes im Einzelfall (vgl. zum Prüfungsmaßstab etwa VwGH 26.1.2021, Ra 2020/14/0587, mwN) unvertretbar wäre, wird von der Revision nicht dargelegt.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Dezember 2022

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140328.L00

Im RIS seit

24.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten