TE Vfgh Erkenntnis 2022/11/29 V185/2022 (V185/2022-7)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.11.2022
beobachten
merken

Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Z 1237/16/Kdo/Sa, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, der Verfassungsgerichtshof "wolle feststellen, dass die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Zl 1237/16/Kdo/Sa, in der von 5. Oktober 2016 bis 28. Februar 2021 gültigen Fassung, dem gesamten Inhalt nach gesetzwidrig war".

II. Rechtslage

1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Z 1237/16/Kdo/Sa, hat folgenden Wortlaut (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"Verordnung

Die Stadtgemeinde Baden verfügt gemäß §43 Abs1 litb in Verbindung mit §55 der Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960 aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs im Gemeindegebiet von Baden die im beiliegenden klausulierten Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan 'Parkplatz Brusattiplatz, Bodenmarkierung' dargestellten Bodenmarkierungen und Verkehrszeichen.

Dieser Plan, welcher mit einer Bezugsklausel versehen ist, bildet einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung und liegt bei der ho. Behörde zur Einsichtnahme auf.

Gemäß §44 Abs1 StVO tritt diese Verordnung mit der Aufstellung der Verkehrszeichen sowie Anbringung der Bodenmarkierungen (§55 Abs1 StVO 1960 in Verbindung mit der Bodenmarkierungsverordnung) laut beiliegendem Plan in Kraft.

F.d.R.d.A.: Der Bürgermeister:

[…]                                                           […]"

2. Die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"§9. Verhalten bei Bodenmarkierungen.

(1)–(6) […]

(7) Wird die Aufstellung der Fahrzeuge zum Halten oder Parken durch Bodenmarkierungen geregelt, so haben die Lenker die Fahrzeuge dieser Regelung entsprechend aufzustellen. Hiebei sind nach Maßgabe des zur Verfügung stehenden Platzes mehrere einspurige Fahrzeuge in eine für mehrspurige Fahrzeuge bestimmte Fläche aufzustellen.

(8) […]

[…]

§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

a) wenn ein Elementarereignis bereits eingetreten oder nach den örtlich gewonnenen Erfahrungen oder nach sonst erheblichen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, die zum Schutze der Straßenbenützer oder zur Verkehrsabwicklung erforderlichen Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen zu erlassen;

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;

c)–d) […].

(1a)–(11) […]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

(1a)–(5) […]

[…]

§55. Bodenmarkierungen auf der Straße.

(1) Zur Sicherung, Leitung und Ordnung des fließenden und des ruhenden Verkehrs können auf der Straße Bodenmarkierungen angebracht werden; sie können als Längsmarkierungen, Quermarkierungen, Richtungspfeile, Schraffen, Schriftzeichen, Symbole u. dgl. ausgeführt werden.

(2) Längs- oder Quermarkierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie Sperrlinien (§9 Abs1), Haltelinien vor Kreuzungen (§9 Abs3 und 4) und Längsmarkierungen, die dazu dienen, den Fahrbahnrand anzuzeigen (Randlinien), sind als nicht unterbrochene Linien auszuführen.

(3) Längs- oder Quermarkierungen, die dazu dienen, den Verkehr zu leiten oder zu ordnen (Leit- oder Ordnungslinien) und Längsmarkierungen, die dazu dienen, die Fahrbahn von anderen Verkehrsflächen, wie Einmündungen, Ausfahrten u. dgl., abzugrenzen (Begrenzungslinien), sind als unterbrochene Linien auszuführen.

(4) Sperrflächen sind als schräge, parallele Linien (Schraffen), die durch nichtunterbrochene Linien begrenzt sind, auszuführen. Parkverbote können mit einer Zickzacklinie kundgemacht werden.

(5) Wenn die Anlage einer Straße entsprechende Fahrmanöver zuläßt, kann unmittelbar neben einer Sperrlinie eine Leitlinie angebracht werden (§9 Abs1). Wenn es die Verkehrsverhältnisse erfordern, daß in jeder Fahrtrichtung zumindest zwei Fahrstreifen durch Markierung gekennzeichnet werden, dann sind zum Trennen der Fahrtrichtungen zwei Sperrlinien nebeneinander anzubringen.

(6) Bodenmarkierungen, ausgenommen die Darstellung von Verkehrszeichen, sind in weißer Farbe auszuführen; Zickzacklinien sind jedoch in gelber, Kurzparkzonen in blauer Farbe auszuführen. Wenn es erforderlich ist, eine durch Bodenmarkierungen zum Ausdruck gebrachte Verkehrsregelung vorübergehend durch eine andere Regelung zu ersetzen, sind die dafür notwendigen Bodenmarkierungen in einer anderen Farbe auszuführen.

(7) Bodenmarkierungen können dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik entsprechend durch Beschichten der Fahrbahn, durch Aufbringen von Belägen, durch den Einbau von Kunst- oder Natursteinen oder von Formstücken, durch Aufbringen von Fahrstreifenbegrenzern u. dgl. dargestellt werden.

(8) Abweichend von Abs6 sind die in §24 Abs1 litp und 3 lita genannten Linien in gelber Farbe auszuführen; die in §24 Abs3 lita angeführten Linien sind überdies abweichend von Abs2 als unterbrochene Linien auszuführen. Die genannten Linien sind außerhalb einer allenfalls vorhandenen Randlinie anzubringen und können bei Vorhandensein eines Gehsteigs auch auf diesem in einer Entfernung von nicht mehr als 0,30 m zum Fahrbahnrand angebracht werden."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit zwei Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Baden wurde über den Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Beschwerdeführer) jeweils gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geld- und eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen einer Übertretung des §9 Abs7 StVO 1960 verhängt. Dem Beschwerdeführer wurde zur Last gelegt, er habe am 20. November 2020, um 15.10 Uhr, und am 27. November 2020, um 15.19 Uhr, im Gemeindegebiet Baden, Brusattiplatz 2 – Parkplatz Grüner Markt, ein nach dem Kennzeichen näher bestimmtes Kraftfahrzeug nicht entsprechend der Bodenmarkierung zum Halten aufgestellt.

2. Aus Anlass dieser Verfahren stellt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof "wolle feststellen, dass die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Zl 1237/16/Kdo/Sa, in der von 5. Oktober 2016 bis 28. Februar 2021 gültigen Fassung, dem gesamten Inhalt nach gesetzwidrig war".

2.1. Das Landesverwaltungsgericht führt zunächst zur Zulässigkeit des Antrages sowie zum Anfechtungsumfang Folgendes aus:

Gegenstand der Beschwerdeverfahren seien Bestrafungen des Beschwerdeführers nach §9 Abs7 iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 sowie auf Grundlage der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Z 1237/16/Kdo/Sa. Diese Verordnung regle die Aufstellung von Fahrzeugen zum Halten oder Parken am mutmaßlichen Tatort durch Bodenmarkierungen. Nach den Darlegungen des Meldungslegers habe der Beschwerdeführer sein Fahrzeug jeweils quer zu den angebrachten Bodenmarkierungen über mehrere Parkplätze hinweg abgestellt.

Die angefochtene Verordnung sei gemäß §44 Abs1 StVO 1960 mit der Anbringung der Bodenmarkierungen am 5. Oktober 2016 in Kraft getreten. Durch die Anbringung der Bodenmarkierungen habe die angefochtene Verordnung ein Mindestmaß an Publizität erreicht. Der Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan sei am 1. März 2021 – und damit nach den Tatzeitpunkten – korrigiert worden.

Da das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich insbesondere Bedenken gegen die gesetzmäßige Kundmachung der angefochtenen Verordnung hege, werde diese für den angeführten Zeitraum ihrem gesamten Umfang nach angefochten. Die Anfechtung bloß eines Teiles der angefochtenen Verordnung sei auch deshalb nicht möglich, weil sich die einzelnen Bodenmarkierungen und Verkehrszeichen ausschließlich aus dem vidierten Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan ergeben würden.

2.2. In der Folge legt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich seine Bedenken gegen die angefochtene Verordnung dar:

2.2.1. Gegenstand des im Zuge der Erlassung der angefochtenen Verordnung durchgeführten Ermittlungsverfahrens sei zwar ausschließlich die Markierung einer Sperrfläche gewesen. Auf Grund der Formulierung des Verordnungstextes sei jedoch davon auszugehen, dass mit der angefochtenen Verordnung nicht nur diese Sperrfläche, sondern auch die Stellplatzordnung für die Aufstellung der Fahrzeuge zum Halten und Parken verordnet worden sei, sodass es sich diesbezüglich nicht bloß um einen reinen Bestandsplan handle.

In einer Stellungnahme der Stadtpolizei Baden vom 20. April 2021 werde zur unstrittigen Abweichung der Anzahl der in natura markierten Schrägparkplätze von den verordneten Stellplätzen festgehalten, dass beim Auftragen der Bodenmarkierungen "offensichtlich" festgestellt worden sei, dass die letzte Schrägparkfläche für die zwei vorgesehenen Stellplätze zu kurz gewesen sei. Aus diesem Grund dürfte der Querstrich auf dieser Schrägparkfläche entfallen sein. In einem E-Mail vom 18. Mai 2021 habe die Stadtpolizei ausgeführt: "Auf Grund der Gegebenheiten vor Ort wurde von den Bodenmarkierern dieser Querstrich weggelassen, da dies für die praktische Abwicklung der Parkvorgänge besser erschien, da die Länge nicht mehr ausreichend für zwei Normstellplätze war. Dies geschah unter dem Gesichtspunkt der besten Ausnützung des vorhandenen Parkraumes, da in dieser Parkspur so entweder ein längeres Fahr[…]zeug […] oder 2 kurze Fahrzeuge parken können."

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hege Bedenken hinsichtlich der ordnungsgemäßen Kundmachung der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Z 1237/16/Kdo/Sa, weil ein Verordnungsbeschluss nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes weder ergänzt noch verändert werden dürfe. Jede Änderung des Inhaltes des Verordnungsbeschlusses obliege allein der zur Willensbildung zuständigen Behörde. Eine Verordnung sei gesetzwidrig, wenn die vom Verordnungsgeber beschlossene normative Festlegung nicht mit dem kundgemachten Text übereinstimme. Aus den Stellungnahmen der Stadtpolizei Baden sei zu schließen, dass bei der Anbringung der Markierungen eigenmächtig vom Verordnungsbeschluss der zuständigen Behörde abgewichen worden sei, indem im südlichen Bereich der Stellplätze statt zwei Parkplätzen nur einer markiert worden sei. Darüber hinaus weiche auch die Länge der markierten Stellplätze um bis zu ca 10 Prozent von den im Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan angeführten Maßen ab.

2.2.2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich bringt ferner vor, dass das Ermittlungsverfahren zu der angefochtenen Verordnung, die sich auf §43 Abs1 lita iVm §55 StVO 1960 stütze, ausschließlich die Markierung der Sperrfläche zum Gegenstand gehabt habe. Hinsichtlich der Bodenmarkierungen sei dem Bezug habenden Verordnungsakt weder die Durchführung einer Grundlagenforschung noch eine Interessenabwägung zu entnehmen.

3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der zu den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich Folgendes vorgebracht wird:

Mit Verordnung der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Z 1237/16/Kdo/Sa, sei eine Sperrfläche auf dem Parkplatz Brusattiplatz in 2500 Baden verordnet worden. Auf diesem Parkplatz bestehe zumindest seit dem Jahr 1993 eine Schrägparkordnung, für die jedoch keine gesonderte Verordnung vorliege.

Im Zuge der Verordnung der Sperrfläche sei vom Stadtbauamt Baden ein Bodenmarkierungsplan erstellt worden, in dem auch die Schrägparkplätze eingezeichnet worden seien. Die vorhandenen Bodenmarkierungen würden bei Bedarf erneuert, eine Überprüfung der Maße anhand des im Jahr 2016 erstellten Planes sei jedoch nie erfolgt.

Im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens sei festgestellt worden, dass die Markierungen für das Schrägparken nicht den bemaßten Eintragungen auf dem Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan entsprechen würden. Ferner sei festgestellt worden, dass in der letzten Schrägparkreihe ein Querstrich nicht angebracht worden sei. Die Sperrfläche sei in der Zwischenzeit durch bauliche Maßnahmen ersetzt worden. Die Bodenmarkierungen zum Schrägparken würden durch ein Vermessungsbüro vermessen und es werde ein neuer Bodenmarkierungsplan angefertigt, der als Grundlage für ein verkehrstechnisches Gutachten im Rahmen einer Verkehrsverhandlung dienen solle. Das Ergebnis dieser Verkehrsverhandlung solle in eine neue Verordnung einfließen.

4. Die Niederösterreichische Landesregierung hat weder Akten vorgelegt noch eine Äußerung erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B-VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).

Die angefochtene Verordnung wurde ausweislich der vorgelegten Akten durch die Anbringung von Bodenmarkierungen am 5. Oktober 2016 kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, er habe im räumlichen Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung ein nach dem Kennzeichen näher bestimmtes Kraftfahrzeug nicht entsprechend der Bodenmarkierung zum Halten aufgestellt. Es ist daher offenkundig, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die angefochtene Verordnung anzuwenden hat.

1.3. Ungeachtet der Formulierung des Antrages, "feststellen, dass die Verordnung […] gesetzwidrig war", ist der Antrag im Zusammenhang mit seiner Begründung als Aufhebungsbegehren zu verstehen (VfSlg 17.695/2005; VfGH 24.11.2016, V18-19/2016; VfSlg 20.223/2017).

1.4. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.2.1. Mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Z 1237/16/Kdo/Sa, wurden gemäß §43 Abs1 litb iVm §55 StVO 1960 aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs im Gemeindegebiet von Baden die im beiliegenden, einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bildenden Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan "Parkplatz Brusattiplatz" dargestellten Bodenmarkierungen und Verkehrszeichen verordnet. Laut Kundmachungsanordnung der angefochtenen Verordnung treten diese "mit der Aufstellung der Verkehrszeichen sowie Anbringung der Bodenmarkierungen […] laut beiliegendem Plan in Kraft". (In diesem Sinne findet sich auf dem Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan der Vermerk "Hierauf bezieht sich die ha. Verordnung vom 3.10.2016, Zl 1237/16/Kdo/Sa".)

Auf dem Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan vom 15. September 2016 sind sowohl die – nach Angaben der verordnungserlassenden Behörde zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung bereits bestehende – Schrägparkordnung als auch die daran im Norden angrenzende Sperrfläche ausgewiesen. Die Anordnungen in der angefochtenen Verordnung beziehen sich daher jeweils sowohl auf die eingezeichnete Schrägparkordnung als auch auf die daran angrenzende Sperrfläche. Das Vorbringen der verordnungserlassenden Behörde, wonach mit der angefochtenen Verordnung lediglich eine Sperrfläche – und nicht auch die eingezeichnete Schrägparkordnung (zum Halten und Parken von Fahrzeugen) – verordnet worden sei, ist angesichts der Formulierung der angefochtenen Verordnung nicht nachvollziehbar. Daran vermag auch der Umstand, dass Punkt 7. der Verhandlungsschrift über die Verkehrsverhandlung vom 19. August 2016 bloß auf die "Bodenmarkierung Sperrfläche Parkplatz Brusattiplatz, 1237/16/Kdo/Sa", Bezug nimmt, nichts zu ändern.

2.2.2. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011).

2.2.2.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Verordnungsbeschluss im Zuge der Kundmachung weder ergänzt noch sonst verändert werden. Jede Änderung des Inhaltes des Verordnungsbeschlusses obliegt allein der zur Willensbildung zuständigen Behörde (vgl VfSlg 13.910/1994 mwN). Eine Verordnung ist gesetzwidrig, wenn die vom Verordnungsgeber beschlossene normative Festlegung nicht mit dem kundgemachten Text übereinstimmt (VfSlg 15.192/1998, 19.980/2015).

2.2.2.2. Die verordnungserlassende Behörde hat das Vorbringen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich im vorliegenden Antrag, wonach die Anzahl der in natura markierten Schrägparkplätze nicht der Anzahl der verordneten Stellplätze entspreche, im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof bestätigt: Im Zuge der Verwaltungsstrafverfahren sei festgestellt worden, dass die Markierungen der Schrägparkordnung nicht den Eintragungen im Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan aus dem Jahr 2016 entsprechen würden. Ebenso sei festgestellt worden, dass in der letzten Schrägparkreihe ein Querstrich nicht aufgetragen worden sei.

2.2.2.3. In dem bloßen Vermerk auf dem Verkehrszeichen- und Bodenmarkierungsplan vom 1. März 2021 ("Querstrich in dieser Parkreihe ist nicht vorhanden") kann eine Änderung des Inhaltes des Verordnungsbeschlusses durch die zuständige verordnungserlassende Behörde nicht erkannt werden. Gegen eine solche Absicht sprechen auch die Ausführungen der verordnungserlassenden Behörde in ihrer Äußerung im verfassungsgerichtlichen Verfahren, wonach – wohl aus Anlass des dem vorliegenden Antrag zugrunde liegenden Beschwerdeverfahrens – eine Neuvermessung der Bodenmarkierungen zum Schrägparken veranlasst worden sei, um einen neuen Bodenmarkierungsplan anzufertigen, der wiederum als Grundlage für ein verkehrstechnisches Gutachten im Rahmen einer Verkehrsverhandlung zur Erlassung einer neuen Verordnung dienen solle.

2.2.3. Der Verfassungsgerichtshof geht angesichts obiger Ausführungen davon aus, dass die Kundmachung der angefochtenen Verordnung nicht mit der vom Verordnungsgeber beschlossenen Festlegung übereinstimmt. Die Verordnung ist schon aus diesem Grund gesetzwidrig, sodass sich ein Eingehen auf weitere Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich erübrigt.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Baden vom 3. Oktober 2016, Z 1237/16/Kdo/Sa, ist als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z6 NÖ Verlautbarungsgesetz.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V185.2022

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten