TE Vwgh Beschluss 2022/12/16 Ra 2022/18/0310

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Veröffentlicht am 16.12.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VwGG § 28 heute
  2. VwGG § 28 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. VwGG § 28 gültig von 01.01.2017 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2017
  4. VwGG § 28 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2016 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  5. VwGG § 28 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 28 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 28 gültig von 01.01.1991 bis 31.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  8. VwGG § 28 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990
  1. VwGG § 34 heute
  2. VwGG § 34 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2021
  3. VwGG § 34 gültig von 01.01.2014 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  4. VwGG § 34 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  5. VwGG § 34 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 34 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 34 gültig von 01.09.1997 bis 31.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/1997
  8. VwGG § 34 gültig von 05.01.1985 bis 31.08.1997

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H O, vertreten durch die Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2021, I411 2153500-1/21E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, hielt sich in den Jahren 2012 bis 2013 als Asylwerber in der Schweiz auf. Nach einer negativen Entscheidung des schweizerischen Bundesamts für Migration wurde er Ende Oktober 2013 nach Nigeria abgeschoben.

2        Im April 2014 reiste der Revisionswerber erneut aus Nigeria aus, gelangte nach Österreich und beantragte am 9. Juni 2014 internationalen Schutz. Seine Flucht begründete er im Wesentlichen damit, in Nigeria eine verbotene Beziehung zu einem Mann gehabt zu haben, die von Familienangehörigen entdeckt worden sei. Außerdem sei er von den Mitgliedern der Gruppierung Supreme Eiye Confraternity (SEC) angegriffen und verletzt worden, die ihn zwingen hätten wollen, ihnen beizutreten. In Folge sei auch sein Bruder, den man für den Revisionswerber gehalten habe, attackiert worden. Aufgrund dessen befürchte der Revisionswerber, bei einer Rückkehr (wieder) verfolgt zu werden.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30. März 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4        Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers keinen Glauben. Er sei nicht homosexuell, es könne nicht festgestellt werden, dass er eine homosexuelle Beziehung geführt habe, die entdeckt worden sei, und es könne weder festgestellt werden, dass er oder sein Bruder von Mitgliedern der SEC angegriffen worden seien bzw. ihm von dieser Seite Verfolgung drohe. Hilfsweise stützte sich das BVwG auch darauf, dass bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens für den Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative bestünde. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine näher begründete Abwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 Abs. 1 BFA-VG vor, in welcher die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet von sieben Jahren, die erlangten Sprachkenntnisse und die gesetzten Integrationsschritte im ehrenamtlichen und sozialen Bereich als private Interessen am Verbleib in Österreich den näher begründeten öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung gegenübergestellt wurden. Davon ausgehend kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass trotz der zugestandenen Integrationserfolge die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 4. Oktober 2022, E 4310/2021-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit geltend gemacht, das BVwG habe in seiner Beweiswürdigung zu Unrecht Divergenzen zwischen den Angaben des Revisionswerbers bei der Erstbefragung und während des weiteren Verfahrens verwertet. Es habe ungenau begründet, ob es eine Verfolgungsgefahr für den Revisionswerber für glaubhaft befinde oder eine innerstaatliche Fluchtalternative annehme. Soweit das BVwG die Verletzung des Revisionswerbers durch Angriffe von Mitgliedern der SEC in Zweifel ziehe, habe es unterlassen, sich mit dem vorgelegten medizinischen Gutachten, das beim Revisionswerber Narben dokumentiert habe, in ausreichender Weise auseinanderzusetzen und weitere Ermittlungen anzustellen. Zur homosexuellen Orientierung habe es das BVwG unterlassen, sich mit der vorgebrachten gleichgeschlechtlichen Beziehung des Revisionswerbers zu einem näher bezeichneten Mann eingehend zu beschäftigen. Der Vorwurf an den Revisionswerber, dieses Vorbringen nicht schon im schweizerischen Asylverfahren erstattet zu haben, widerspreche einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung. Im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung habe das BVwG eine willkürliche Gewichtung der Interessen nach Art. 8 EMRK vorgenommen und die lange Verfahrensdauer zu Unrecht nicht zugunsten des Revisionswerbers gewertet.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

10       Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

11       Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG eindeutig festgestellt, dass der Revisionswerber nicht homosexuell ist. Es hat außerdem negative Feststellungen zu der behaupteten (bekannt gewordenen) gleichgeschlechtlichen Beziehung und zu den angeblichen Verfolgungshandlungen durch Mitglieder der SEC getroffen. Insgesamt ist daher nach der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses vorrangig davon auszugehen, dass dem gesamten Fluchtvorbringen des Revisionswerbers kein Glauben geschenkt worden ist. Auf die (hilfsweise angestellten) Erwägungen des BVwG zum Vorhandensein einer innerstaatlichen Fluchtalternative bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens kommt es daher nicht an.

12       Die mangelnde Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens begründete das BVwG in einer ausführlichen Beweiswürdigung, die - in Bezug auf die behauptete Verfolgung durch Mitglieder der SEC - insbesondere anderslautende Angaben des Revisionswerbers im Verfahren vor den schweizerischen Asylbehörden ins Treffen führte. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Wenn sie geltend macht, das BVwG habe dem Revisionswerber zu Unrecht einen Widerspruch zwischen der Erstbefragung und weiteren Aussagen im österreichischen Asylverfahren entgegengehalten, so handelte es sich dabei lediglich um eine einzelne, nicht tragende zusätzliche Erwägung, die am Ergebnis nichts änderte. Auch auf die medizinischen Beweise ging das BVwG in seiner Beweiswürdigung näher ein und führte - zumindest schlüssig - aus, dass das medizinische Gutachten keine überzeugenden Rückschlüsse auf die Entstehung der Narben zulasse.

13       Zur Feststellung betreffend die sexuelle Orientierung des Revisionswerbers stützte sich das BVwG auf dessen eigene Aussagen vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung, wonach er nicht homosexuell sei. Auf die von der Revision angesprochene höchstgerichtliche Rechtsprechung, einem homosexuellen Asylwerber dürfe sein Zögern bei der Offenlegung intimer Umstände wie seiner sexuellen Orientierung nicht beweiswürdigend entgegengehalten werden, kommt es daher fallbezogen nicht an. Die Revision vermag auch nicht darzutun, weshalb die negative Feststellung des BVwG zur behaupteten gleichgeschlechtlichen Beziehung in Nigeria angesichts dieser Beweislage nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes fehlerhaft erfolgt sein sollte.

14       Zur Rückkehrentscheidung ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 21.10.2022, Ra 2022/18/0162, mwN).

15       Das BVwG hat sich im gegenständlichen Fall mit den für und gegen die Außerlandesbringung des Revisionswerbers sprechenden Interessen auseinandergesetzt und diese - zum Nachteil des Revisionswerbers - gewürdigt. Dass es dabei von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wäre, vermag die Revision nicht darzutun. Wenn sie die Abwägung als „willkürlich“ bezeichnet, ist ihr lediglich entgegenzuhalten, dass auch der Verfassungsgerichtshof in seinem - im gegenständlichen Fall ergangenen - Ablehnungsbeschluss vom 4. Oktober 2022 festgehalten hat, das BVwG habe sich mit der Frage der Gefährdung des Revisionswerbers in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK auseinandergesetzt. Ihm könne unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgehe, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers sein Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege.

16       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. Dezember 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180310.L00

Im RIS seit

23.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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