TE Vfgh Beschluss 2022/12/6 G256/2022

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Veröffentlicht am 06.12.2022
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Index

22/02 Zivilprozeßordnung

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge

"§128 Abs1 ZPO jeweils zur Gänze, in eventu nur die Wortfolge 'mit Ausnahme derjenigen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersagt (Nothfristen),' [aufheben], dies gesondert oder in Verbindung mit §464 Abs1 Satz 1 ZPO zur Gänze oder nur des Wortes 'nicht' aufheben […], oder nur alleine §464 Abs1 Satz 1 ZPO zur Gänze oder nur des Wortes 'nicht' aufheben".

II. Rechtslage

§128 und §464 des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl 113/1895, idF BGBl I 140/1997 lauten (die im Hauptantrag angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§. 128. (1) Gesetzliche Fristen, mit Ausnahme derjenigen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersagt (Nothfristen), sowie die richterlichen Fristen, hinsichtlich welcher in diesem Gesetze nichts anderes bestimmt ist, können vom Gerichte verlängert werden. Eine Verlängerung von Fristen durch Übereinkommen der Parteien ist unzulässig.

(2) Das Gericht kann eine solche Verlängerung auf Antrag bewilligen, wenn die Partei, welcher die Frist zugute kommt, aus unabwendbaren oder doch sehr erheblichen Gründen an der rechtzeitigen Vornahme der befristeten Processhandlung gehindert ist und insbesondere ohne die Fristverlängerung einen nicht wieder gutzumachenden Schaden erleiden würde.

(3) Der Antrag muss vor Ablauf der zu verlängernden Frist bei Gericht angebracht werden. Über den Antrag kann ohne vorhergehende mündliche Verhandlung entschieden werden; vor Bewilligung der wiederholten Verlängerung einer Frist ist jedoch, wenn der Antrag nicht von beiden Parteien einverständlich gestellt wird, der Gegner einzuvernehmen.

(4) Die zur Rechtfertigung des Antrages angeführten Umstände sind dem Gerichte auf Verlangen glaubhaft zu machen. Mangels hinreichender Begründung ist der Antrag zu verwerfen.

(5) Bei Verlängerung der Frist ist stets zugleich der Tag zu bestimmen, an welchem die verlängerte Frist endet.

[…]

Berufungsfrist.

§. 464. (1) Die Berufungsfrist beträgt vier Wochen, sie kann nicht verlängert werden.

(2) Sie beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils; §416 Abs3 bleibt jedoch unberührt.

(3) Hat eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei innerhalb dieser Frist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, so beginnt für sie die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn; der Bescheid ist durch das Gericht zuzustellen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen, so beginnt die Berufungsfrist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses. Der §73 Abs3 gilt sinngemäß."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der Antragsteller ist Kläger in einem Amtshaftungsprozess gegen den Bund vor dem Landesgericht Linz. Dem – unwidersprochenen – Vorbringen des Klägers zufolge betrifft dieser Amtshaftungsprozess zwölf Zivilverfahren unterschiedlichen Inhaltes, die auf Grund ähnlicher Rechtsprobleme gemeinsam abgehandelt worden seien. Die Berufung gegen das 125 Seiten umfassende erstinstanzliche Urteil entspreche etwa einem Viertel der Jahresleistung einer Rechtsanwaltskanzlei und könne in vier Wochen auf keinen Fall bewältigt werden.

2. Aus diesem Grund stellte der Antragsteller am 29. August 2022 beim Landesgericht Linz den Antrag auf Verlängerung der Frist für die Einreichung der "finalen Berufungsschrift" um zwölf Wochen ab der rechtskräftigen Bewilligung der Fristverlängerung.

3. Mit Beschluss vom 30. August 2022, 31 Cg 4/20d-48, wies das Landesgericht Linz diesen Antrag ab. Begründend führt das Landesgericht Linz aus, die Berufungsfrist betrage vier Wochen; sie könne gemäß §464 Abs1 ZPO nicht verlängert werden. Es handle sich bei der Berufungsfrist um eine Notfrist, deren Verlängerung zwingend ausgeschlossen sei (§128 Abs1 ZPO).

4. Gegen diesen Beschluss des Landesgerichtes Linz erhob der Antragsteller Rekurs und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt der Antragsteller seine Bedenken, die ihn zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bewogen haben, wie folgt dar:

"Darlegung der Bedenken:

3. Die Rechtslage der §§128, 464 ZPO verstößt gegen Art6 EMRK sowie Art18 B-VG und Art7 B-VG, weil es keine Möglichkeit gibt, wegen großem Verfahrensumfang für eine Berufung eine Fristverlängerung zu erwirken, auch nicht wegen zeitweiliger Verhinderung des bearbeitenden Rechtsanwaltes.

[…]

7. Die dem Ausgangsverfahren zu Grunde liegende Klage ist auf Amtshaftung wegen der Entscheidungen des

a) BG Favoriten im Verfahren […] wegen Honorarklage gegen […] in Höhe von insgesamt € 8.578,42 s.A.,

b) Landesgerichtes für ZRS Wien als Rechtsmittelgericht in diesem Verfahren,

c) Landesgerichtes für ZRS Graz im Verfahren […] wegen Klage gegen den Sachverständigen für Anwaltskosten […] des Verfahrens […] BG Favoriten, wobei die Streitverkündigung an die hier Beklagte erfolgte,

d) Oberlandesgerichtes Graz, das den Sachverständigen freisprach, jedoch Klageansprüche gegen die Beklagte sah, als Rechtsmittelgericht im vorgenannten Verfahren […],

e) Landesgerichtes für Strafsachen Wien im Verfahren […] wegen Privatanklage gegen […] und […],

f) Oberlandesgerichtes Wien als Rechtsmittelgericht im vorgenannten Verfahren,

g) Finanzamtes Wien für den 8[.] Bezirk wegen der Einkommensteuererklärung des Klägers für 2014 und 2015 wegen Nichtanerkennung der Veruntreuung durch […] als Betriebsaufwand, Reisekosten und Aufwand für effektive Auszahlung von € 29.500 Guthaben über 2 Monate,

h) Bezirksgericht[es] für Handelssachen Wien im Verfahren […] gegen […] wegen Verkauf eines BMW 740d mit tatsächlich nicht fachgemäß repariertem Vorschaden entgegen schriftlicher Zusage,

i) Handelsgerichtes Wien als Rechtsmittelgericht im vorgenannten Verfahren […]

j) Bezirksgericht[es] Döbling, Verfahren […] gegen […] wegen € 273.000 s.A.,

k) in den Verfahren […] Staatsanwaltschaft Wien und […] Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Vermögensverschiebung, betrügerischer KRIDA[,] Exekutionsvereitelung und falschem Vermögensbekenntnis des […] und Beihilfe seiner Ehefrau […],

l) Landesgericht[es] für ZRS Wien […] (Honorarklage gegen […]) und Pflegschaftsverfahren […] betreffend […].

m) Handelsgericht[es] Wien […] Klage auf Eintragung des hg Klägers zusammen mit […] als Liquidatoren der […] samt Unterschriftenleistung des Klägers hierzu,

n) Oberlandesgericht[es] Wien als Rechtsmittelgericht in diesem Verfahren

o) Handelsgericht[es] Wien […] vormals […] wegen Feststellung von Schadenersatz und Zahlung von € 1.500 gegen […],

p) Oberlandesgericht[es] Wien als Rechtsmittelgericht in diesem Verfahren.

8. Die Handakten – außer den Verfahren gegen […] Honorarprozess über 10 Jahre (Handakt circa 1,2 Meter) und Privatanklageverfahren über 5 Jahre (Handakt circa 80 cm) und dem Strafverfahren gegen […] (14 Kisten) und dem Honorarverfahren gegen […] (ca 1500 Seiten) – sind diese ca 25 Bände:

[…]

9. Im Strafverfahren gegen […] wurde diesem auf Antrag vom 25.03.2019 (ON 404) mit Beschluss vom 27.03.2019 (ON 406) ohne jede Anhörung und Information des Privatbeteiligten oder der Staatsanwaltschaft für die Berufung gegen das am 06.03.2019 zugestellte Urteil eine Fristverlängerung gewährt. Schlussendlich wurde dann eine 4-seitige Berufung ausgeführt (ON 426 dort).

Beweis: […]

10. Das hiesige Verfahren betrifft 12 unterschiedliche Verfahren, von denen das Verfahren gegen […] nur eines (!) ist.

11. Der Kläger konnte das 125-seitige Urteil nur in der rechtlichen Beurteilung anfechten, weil eine Überprüfung der Feststellungen und ihrer Vollständigkeit in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich war. Auch wenn sekundäre Feststellungsmängel vom Gericht von Amtswegen zu beachten sind … eine optimale Rechtsmittelausführung hat den Raum und führt das Gericht durch die Akten. Das ist hier nicht möglich gewesen.

12. Bemerkt sei, dass der Herr Erstrichter sich wegen des Umfanges des Aktes einen RiAA zuteilen ließ, weil der Aufwand sonst nicht bewältigbar gewesen wäre. Dabei wurden aber fragmentarische Feststellungen aus den Akten getroffen, was auch in der Berufung gerügt wurde (die 81 Seiten hat).

13. Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus Art6 EMRK kein Instanzenzug. Gibt es aber einen solchen, müssen die Rechtsmittel in ihrer Ausgestaltung fair sein, ebenso das Berufungsverfahren angemessenes Gehör gewähren, damit sach- und rechtsrichtige Berufungsentscheidungen ergehen (EGMR Delcourt, Levages Prestations Services, FC Metebi). Das nationale Verfahrensrecht muss so ausgestaltet sein, dass Auslegungsfragen des Rechts zu einer eindeutigen Klärung führen (Grabenwarter/Pabel, EMRK, 6. Auflage, §24 Justizgarantien Rn 78, Fn 409, 410 mwN). Rechtsmittelfristen dürfen nicht zu kurz bemessen sein (EGMR Melynk, Demerdzieva, Tricard, Mamikonyan, Adamicek – zitiert nach Grabenwarter/Pabel, aaO, §24 Rnr 57). Für das österreichische Recht hat der VfGH bereits entschieden, in G151/99, dass 4 Wochen zu kurz sind. Dort ging es aber nur um die Frage der Strafbarkeit und des Vorsatzes. Hier geht es in jedem einzelnen Fall um Fragen der Amtshaftung und des Standes der Rechtsprechung und deren Anwendung im jeweiligen Akt.

14. Warum die Frist in einem einzelnen Wirtschaftsstrafprozess, in dem – nur – maßgeblich ist, was in den Protokollen steht, während hier der gesamte Akteninhalt von zig 10.000 Seiten maßgeblich ist, anders zu bewerten wäre, wäre unerfindlich.

15. Dazu darf darauf hingewiesen werden, dass im deutschen, französischen und italienischen Recht (und damit wohl auch in Spanien, Portugal, Belgien und Luxemburg) die Rechtsmittel nur angemeldet werden müssen; die Ausführungsfrist dann mehrere Monate in jedem Akt beträgt, und diese auch noch einmal vom Gericht und einmal mit Zustimmung des Gegners verlängert werden können (was in der Regel unter den Anwälten schon kollegialiter erfolgt). Auch ist die Dauer der Erledigungsfristen in Rechtsmittelverfahren zwar mittlerweile seit Corona stark rückläufig. Binnen 4 Wochen – so wie die Frist für die Formulierung der Berufung besteht – muss ein Rechtsmittelgericht nicht entscheiden, 6 Monate ist eine frühe Entscheidung. Einzig die russische ZPO sieht je Instanz 6 Monate Höchstfrist für die Entscheidung in Handelssachen vor (bei 4 Instanzen). Die österreichische ZPO sieht auch – fehlerhafter Weise – nicht vor, dass ein stark ausgelasteter Anwalt eine Verlängerung für Berufungen beantragen könnte. Eine wie hier 12-fache Berufung alleine wäre schon ohne jeden weiteren Akt das 2-3-fache Arbeitsaufkommen. Ein Verfahrenshilfeantrag für eigene Überlastung kann nicht gestellt werden und würde auch nicht die effektive Vertretung sicher stellen, da eine andere Kanzlei sich noch weniger binnen 4 Wochen neu einarbeiten kann.

16. In Amtshaftungssachen entscheidet das Berufungsgericht als Tatfrage, ob die Rechtsfehler einer vertretbaren Rechtsauffassung entsprechen. Eine vollständige Darstellung der Grundverfahren hätte daher ganz erhebliche Bedeutung.

17. Ein Kläger, der Anwalt ist und daher selbst Rechtsmittel einbringen darf, hat freilich das Recht, an seinem eigenen Rechtsmittel selbst zu arbeiten, und ist nicht verpflichtet, andere Anwälte zu beauftragen, was ob der Vorkenntnis der Verfahren seine Vertretungseffektivität auch massiv beeinträchtigen würde. Hinzu kommt, dass in ganz Österreich das Wesen der 'Großkanzlei' die Ausnahme ist; ferner ist auch in diesen die Prozessführung einigen wenigen Personen übertragen. Die meisten Großkanzleien sind tatsächlich ein Konglomerat von Boutique-Kanzleien. Teams von mehreren leitenden Prozessanwälten und RAA's sind die absolute Ausnahme.

Beweis: […]

18. In G151/99 wurde zu Art7 B-VG unter anderem Folgendes vorgetragen:

[']3. Die Bestimmung unterschiedlich langer Fristen für die Ausführung der NB, gemessen an objektiven Kriterien, und/oder die Vorsorge für die Möglichkeit einer Fristverlängerung könnte ohne erhebliche Schwierigkeiten und ohne Schwierigkeiten für die Vollziehung einer solchen differenzierenden Regelung getroffen werden. Das beweisen zunächst einmal schon die zuvor unter 2. erwähnten Beispiele einer Differenzierung durch das Gesetz. Ebenso unproblematisch wäre die Einräumung der Möglichkeit, die Frist für die Ausführung der NB im Einzelfall – zusätzlich oder für sich allein – zu verlängern. Nach der BAO (§245 Abs3) kann die Berufungsfrist von einem Monat (§245 Abs1 BAO) über Antrag aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, verlängert werden, und zwar sogar ohne zeitliche Obergrenze! Diese Regelung gilt schon seit Jahrzehnten und hat sich bewährt. Abgabensachen sind nicht grundsätzlich schwieriger als Strafsachen, im Gegenteil, sie werden selten so umfangreich und komplex sein, wie es Strafsachen oft sein können und sind; in der Regel geht es in Abgabensachen meist nur um bestimmte, einzelne Punkte und relativ kurze zeitliche Vorgänge, nicht, wie oft in Strafverfahren, um die Feststellung und rechtliche Beurteilung zeitlich ausgedehnter Sachverhalte.

Daher besteht angesichts der Bedeutung der Fristregelung für Rechtsmittel für die davon Betroffenen auch das Bedenken, daß die hier angefochtene Regelung der StPO deshalb verfassungswidrig ist, weil kein sachlicher Grund ersichtlich ist, so unterschiedliche Regelungen zu treffen wie nach der StPO einerseits, der BAO andererseits, obwohl es in Strafverfahren oftmals um viel mehr geht als in Abgabenverfahren und die Sachverhalte in Strafverfahren oft wesentlich komplizierter und umfangreicher sind als in Abgabensachen. Denn der grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in verschiedenen Verfahrensbereichen sind nach der stRsp des VfGH eben Schranken gesetzt, wenn es um besonders schwerwiegende Abweichungen in den Regelungen geht (zB VfSlg 7758, 8017, 10291, 10716, 11685).[']

19. Das selbe gilt für die hg Bestimmungen der ZPO. Besonders problematisch ist, dass die bekannte Struktur der Anwaltskanzleien in Österreich weit, weit überwiegend Einzelanwälte sind, die in Zivilverfahren vertreten, selbst wenn mehrere Prozessanwälte in einer Kanzlei sind, sind 'fliegende Vertreterwechsel' aber auch Prozessteams die völlige Ausnahme. Die ZPO und die Kostenrechtsprechung sieht auch keine erhöhte Entlohnung mehrerer Anwälte auf einer Parteienseite vor. Der Gesetzgeber geht daher davon aus, dass eine Partei im Regelfall nur einen Anwalt hat. Dieser Anwalt hat laufendes Geschäft, und kann nicht einmal Zeitres[s]ourcen einplanen, für hypothetisch vorhersehbar ausgefertigte und zugestellte Urteile. Die ZPO sieht in der verhandlungsfreien Zeit von 15. Juli – 17. August auch nur ein Ablehnungsrecht für Verhandlungen vor. Die Rechtsmittelfristen verlängern sich, weil davon auszugehen ist, dass der Anwalt im Sommer eben nicht an Rechtsmitteln arbeitet. Die Gerichte und andere Behörden, vor denen ein Anwalt einschreitet, fertigen aber laufend Entscheidungen aus. Auch während der 4 Wochen nach dem 17. August, in der der Anwalt bereits abarbeitet. Würde ein Anwalt während der verhandlungsfreien Zeit zahlreiche Urteile oder Rechtsmittelbeantwortungen erhalten, müsste die Qualität massiv sinken, oder es [müsste] Mandanten von weiteren Schritten abgeraten werden. Was die Fairness des Verfahrens beeinträchtigt. Diese Überlegungen gelten auch für Art6 EMRK und nach Art18 B-VG.

20. In G151/99 wurde zu Art18 B-VG unter anderem Folgendes vorgetragen:

[']1. Nach stRsp des VfGH müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Ebenso muß bei der Bestimmung der Dauer von Rechtsmittelfristen gewährleistet sein, daß derjenige, der durch eine behördliche Entscheidung negativ betroffen ist, sein Rechtsmittel in einer Weise ausführen kann, die sowohl der Art und dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren adäquat ist. Demnach muß – so der VfGH – der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Interessen des Rechtsschutzsuchenden, den Interessen Dritter, dem Zweck und Inhalt der gesetzlichen Regelung und dem öffentlichen Interesse schaffen, wobei aber nach der Rsp dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und eine Einschränkung desselben nur sachlich gebotenen triftigen Gründen zulässig ist.

Der ASt kann diesen Grundsätzen insoweit nicht zustimmen, als dem Rechtsschutzwerber bloß ein Mindestmaß an faktischer Effizienz zugestanden wird und die faktische Effizienz eines Rechtsbehelfes aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen eingeschränkt werden darf.

Einerseits ist diese Rsp in sich nicht ganz widerspruchsfrei:

Entweder wäre eine bestimmte Rechtsschutzeinrichtung faktisch – noch – effizient, oder sie ist es nicht mehr; tertium non datur. Gleichgültig, ob es für eine einschränkende Regelung triftige sachliche Gründe gibt oder nicht, würde dadurch die faktische Effizienz der Rechtsschutzeinrichtung auf jeden Fall beschnitten und der Grundsatz des Vorranges der faktischen Effizienz gegenüber sonstigen Regelungsgesichtspunkten wäre für die konkrete Regelung eben nicht mehr gültig. In Wahrheit genügt die vom VfGH gestellte Forderung nach einer Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Interessen und nach einem Ausgleich unter ihnen durch den Gesetzgeber; dabei kann der Gesetzgeber auch berücksichtigen, welches Maß an Anspannung dem Rechtsschutzwerber nach den tatsächlichen Umständen möglich und zumutbar ist. Andererseits: Will man das Rechtsstaatsprinzip tatsächlich verwirklicht sehen, ist kein Grund denkbar, der über diesen Rahmen hinaus eine Einschränkung der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes zulassen würde. Natürlich ist es richtig, daß der Inhalt des Rechtsstaatsprinzipes in der Bundesverfassung nicht genau umschrieben ist. Will man aber das Rechtsstaatsprinzip nicht bloß auf die unmittelbare Bedeutung des Art18 (1) B-VG einschränken – und dies tut der VfGH in seiner stRsp gerade nicht –, dann kann im Zusammenhang mit Rechtsschutzeinrichtungen dem Rechtsstaatsprinzip eben nur dann Rechnung getragen sein, wenn die Rechtsschutzeinrichtung – noch – effizient ist; sonst wäre das Rechtsstaatsprinzip in Wahrheit insoweit inhaltsleer.

Mit der hier vertretenen Begründungslinie würde sich insoweit, als es in der Rsp des VfGH um die Frage der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegangen ist, kein anderes Ergebnis einstellen als jenes, zu dem der VfGH in diesen Fällen gekommen ist. Auch dabei geht es um den Ausgleich zwischen öffentlichen Interessen und privaten Interessen. Muß etwa eine in 1. Instanz festgestellte Abgabenschuld im Einzelfall trotz Erhebung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen Abgabenbescheid bezahlt werden, besteht ja im Falle des Erfolges der Berufung ein Verrechnungs- oder Rückforderungsanspruch des Abgabenpflichtigen. Seine Berufung bleibt daher, auf längere Sicht gesehen, insoweit durchaus effizient. Ob dagegen für die Erhebung des Rechtsmittels eine ausreichend lange Frist zu einer erfolgversprechenden Begründung zur Verfügung steht oder nicht, berührt nicht bloß die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit, sondern die Rechtswahrung oder den Rechtsverlust überhaupt, die Rechtsmittelmöglichkeit ist entweder faktisch effizient oder eben nicht.[']

21. Dasselbe gilt für die hg Bestimmungen der ZPO. Die vorstehenden Überlegungen gelten auch nach Art18 B-VG."

5. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den im Antrag erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken mit näherer Begründung entgegentritt. Zur Zulässigkeit des Antrages führt die Bundesregierung das Folgende aus:

"II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Zum Anlassverfahren:

[…]

2. Zur Zulässigkeit:

2.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B[-]VG iVm §62a VfGG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Antragstellung ist daher zunächst das Vorliegen einer 'in erster Instanz entschiedenen Rechtssache' (vgl VfSlg 20.001/2015; VfGH 2.7.2015, G178/2015; 25.2.2016, G659/2015; 1.3.2022, G370/2021). Unter 'Rechtssache' im Sinne des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist nicht nur der Gegenstand der Entscheidung des Gerichts erster Instanz zu verstehen, sondern die Rechtssache, die Gegenstand des Rechtsstreits im Instanzenzug der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist (vgl VfSlg 20.152/2017).

Nach Ansicht der Bundesregierung liegt im gegenständlichen Verfahren keine 'in erster Instanz entschiedene Rechtssache' im Sinn des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG vor. Der vorliegende Parteiantrag wurde aus Anlass eines Rekurses gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 30. August 2022 gestellt, mit dem der Antrag auf Verlängerung der Frist für die 'Einreichung der finalen Berufungsschrift' abgewiesen wurde. Antragsteller bediente sich dabei eines – auch seiner Auffassung nach – contra legem gestellten Antrags auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist im Berufungsverfahren (siehe Pkt. 1 des Rekurses vom 15. September 2022). Ein derartiges Zwischenverfahren über die (gesetzlich ausdrücklich ausgeschlossene) Verlängerung der Berufungsfrist ist in der ZPO nicht vorgesehen und stellt daher auch keine 'Rechtssache' im Sinne des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG dar. Der Antrag hätte richtigerweise aus Anlass der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Landesgerichts Linz vom 22. Juni 2022 im Amtshaftungsverfahren des Antragstellers gestellt werden müssen, zumal nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Voraussetzungen, die die Zulässigkeit des Rechtsmittels regeln, aus dessen Anlass der Parteiantrag gestellt wird, einen zulässigen Anfechtungsgegenstand gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG bilden (vgl VfSlg 20.152/2017).

2.2. Darüber hinaus erweist sich der gegenständliche Antrag aus folgenden Gründen als unzulässig:

2.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Die antragstellende Partei hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der antragstellenden Partei teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Teil einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015) oder der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014; VfGH 30.06.2022, G279/2021).

2.2.2. Der Antragsteller beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge '§128 Abs1 ZPO jeweils zur Gänze, in eventu nur die Wortfolge 'mit Ausnahme derjenigen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersagt (Nothfristen),' aufheben, dies gesondert oder in Verbindung mit §464 Abs1 Satz 1 ZPO zur Gänze oder nur des Wortes 'nicht' aufheben […], oder nur alleine §464 Abs1 Satz 1 ZPO zur Gänze oder nur des Wortes 'nicht' aufheben'.

2.2.2.1. Wie bereits dargelegt, regelt §128 Abs1 ZPO allgemein für das zivilgerichtliche Verfahren, dass gesetzliche Fristen, mit Ausnahme derjenigen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersagt (Notfristen), vom Gericht verlängert werden können. Diese Bestimmung regelt jedoch nicht, dass es sich bei Berufungsfristen gemäß §464 ZPO um Notfristen handelt; dies wird vielmehr in §464 ZPO selbst normiert. Eine Aufhebung der angefochtenen Wortfolge in §128 Abs1 ZPO ist vor dem Hintergrund der vom Antragsteller vorgebrachten Bedenken betreffend die Nichtverlängerbarkeit der Berufungsfrist nicht erforderlich (und würde bei gleichzeitiger Beibehaltung des §464 Abs1 ZPO die Verfassungswidrigkeit im Übrigen auch nicht beseitigen). §128 Abs1 ZPO steht auch nicht in untrennbarem Zusammenhang mit §464 Abs1 ZPO, welcher die Verlängerung der Berufungsfrist untersagt. Der Anfechtungsumfang ist daher insofern zu weit.

2.2.2.2. Die im Hauptantrag begehrte Aufhebung des gesamten §128 Abs1 ZPO ist unzulässig, weil eine Aufhebung den verbleibenden Teil des §128 ZPO als unverständlichen Torso unanwendbar zurückließe, weil insbesondere unklar wäre, auf welchen Verlängerungsantrag in den Abs2 bis 5 Bezug genommen wird. Ebenso kann die angenommene Verfassungswidrigkeit nicht beseitigt werden, weil die Aufhebung des §128 Abs1 ZPO keine Veränderung der Rechtslage bewirken würde; vielmehr bliebe die Rechtslage im Hinblick auf die in §464 Abs1 ZPO festgelegte vierwöchige Berufungsfrist als Notfrist unverändert.

2.2.2.3. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass bei einer gänzlichen Aufhebung des §464 Abs1 ZPO §123 ZPO anzuwenden wäre. Gemäß §123 ZPO hat der Richter die Dauer der Fristen zur Vornahme von Prozesshandlungen mit Rücksicht auf die Erfordernisse und Beschaffenheit des einzelnen Falles festzusetzen (richterliche Fristen), soweit sie nicht unmittelbar durch das Gesetz bestimmt wird (gesetzliche Fristen). Diese von §123 ZPO als Ausnahmefall geregelte Konstellation würde dann in jedem (mit Urteil beendeten) Verfahren schlagend werden, was zur Folge hätte, dass bei jeder Erhebung einer Berufung eine individuelle (richterliche) Frist festgesetzt werden müsste. Jede diesbezügliche Fristsetzung stünde dann im Ermessen des jeweils verfahrensführenden Richters. Die dann konkret angeordnete Dauer der jeweiligen Frist wäre für die Parteien zu Beginn des Verfahrens völlig unvorhersehbar und könnte kürzer als die bisherige vierwöchige Frist oder auch länger als diese sein, wodurch die erforderliche Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit von Verfahrensabläufen insofern nicht mehr gegeben wären.

2.2.2.4. Die eventualiter beantragte Aufhebung des Wortes 'nicht' in §464 Abs1 ZPO erweist sich hingegen aufgrund einer zu engen Abgrenzung des Anfechtungsumfangs als unzulässig, betrifft diese Bestimmung doch lediglich die Frist zur Erhebung der Berufung gegen ein in erster Instanz gefälltes Urteil. Demgegenüber bliebe in §468 Abs2 ZPO aber die vierwöchige Frist für die Berufungsbeantwortung als Notfrist erhalten. Eine solche gesetzliche Ungleichbehandlung von Berufungswerber und Berufungsgegner widerspräche dem Gebot der Waffengleichheit und damit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK.

2.2.3. Darüber hinaus hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014; VfGH 13.10.2016, G330/2015; VfGH 14.6.2017, G36/2017). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (vgl VfGH 22.9.2021, G210/2021; 1.7.2022, G118/2022).

Dem Antrag sind die Bedenken nach Auffassung der Bundesregierung jedoch nicht in ausreichendem Ausmaß zu entnehmen. Die Begründung erschöpft sich vielmehr darin, dass der Antragsteller im Wesentlichen auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 15.786/2000 verweist und vorbringt, dass 'dasselbe für die hg. Bestimmungen der ZPO' gelte (siehe Pkt. 19 und 21 des Antrags). Somit fehlt es nach Ansicht der Bundesregierung an einer Darlegung der Verfassungswidrigkeit 'im Einzelnen', wie es §62 Abs1 VfGG zwingend voraussetzt (vgl VfGH 22.9.2021, G210/2021).

2.3. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist."

IV. Zur Zulässigkeit

Der Antrag ist nicht zulässig.

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Gemäß §62 Abs1 erster Satz VfGG muss ein Gesetzesprüfungsantrag das Begehren enthalten, das – nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige – Gesetz seinem gesamten Inhalt nach oder in bestimmten Stellen aufzuheben.

Um das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, muss – wie der Verfassungsgerichtshof bereits in vielen Beschlüssen entschieden hat – die bekämpfte Gesetzesstelle genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich aufgehoben werden soll (zB VfSlg 17.570/2005 mwN).

3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

4. Eben diesen Erfordernissen wird der vorliegende Antrag nicht gerecht: Sowohl der Hauptantrag auf Aufhebung des §128 Abs1 ZPO zur Gänze als auch der Eventualantrag auf Aufhebung einer näher bezeichneten Wortfolge dieser Bestimmung erweisen sich als zu eng gefasst, weil der Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes in §464 Abs1 ZPO liegt, der bestimmt, dass die vierwöchige Berufungsfrist nicht verlängert werden kann.

Die weiteren Aufhebungsbegehren lassen auf Grund ihrer alternativen Formulierung, nämlich auf Aufhebung "gesondert oder in Verbindung mit §464 Abs1 Satz 1 ZPO zur Gänze oder nur des Wortes 'nicht' […], oder nur alleine §464 Abs1 Satz 1 ZPO zur Gänze oder nur des Wortes 'nicht'" offen, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden soll (vgl VfGH 24.9.2018, G196/2018; 24.9.2019, G162/2019). Da es sich dabei um einen inhaltlichen Mangel handelt, scheidet ein Verbesserungsauftrag seitens des Verfassungsgerichtshofes aus (zB VfGH 2.7.2015, G16/2015; 24.9.2018, G196/2018).

5. Der Antrag ist daher zurückzuweisen, ohne dass das Vorliegen der sonstigen Prozessvoraussetzungen zu prüfen ist.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G256.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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